Freitag, 10. Mai 2019

WEG: Zur allgemeinen Öffnungsklausel in der Teilungserklärung und Verbot kurzzeitiger Vermietungen


In der Teilungserklärung (TE) der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) war geregelt, dass eine vorübergehende oder wechselnde Vermietung der Wohnungen (z.B. an Feriengäste) gestattet sei. Ein Öffnungsklausel in der TE sah vor, dass mit einer Mehrheit von 75% aller Miteigentumsanteile die TE geändert werden kann. Mit einer entsprechenden Mehrheit fassten die Eigentümer am 29.03.2017 den Beschluss zur Änderung der TE, wonach nunmehr die Wohnungen nur noch zu Wohnzweken genutzt und vermietet werden dürften und die Überlassung an täglich oder wöchentlich wchselnde Feriengäste oder andere Personen zur kurzfristigen Beherbergung von Personen pp. ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Der Kläger hatte diesen Beschluss angefochten. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen; auch der BGH wies die zugelassene Revision zurück.

Der Beschluss beinhalte keine Gebrauchsregelung iSv. § 15 Abs. 2 WEG, sondern eine Änderung der Vereinbarung iSv. § 15 Abs. 1 WEG. Würden Einheiten wie vorliegend zu Wohnzwecken dienen, sei dies als Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter anzusehen. Die zulässige Wohnnutzung umfasse auch die Vermietung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste (BGH, Urteil vom 15.01.2010 - V ZR 72/09 -). Vorliegend sei auch ausdrücklich geregelt gewesen, dass eine entsprechende Vermietung zulässig sei. Die vorgenommene Änderung einer Vereinbarung durch Mehrheitsbeschluss bedürfe der formellen Legitimation durch Kompetenzzuweisung, die im Gesetz geregelt sein könne oder sich aus einer Vereinbarung (§ 10 Abs. 2 S. 2 WEG) ergeben könne. Vorliegend erlaube die in der Teilungserklärung enthaltene allgemeine Öffnungsklausel, die Regelungen der Gemeinschaftsordnung (als Teil der Teilungserklärung) mit qualifizierter Mehrheit zu ändern, weshalb eine Beschlusskompetenz gegeben sei.

 Die Öffnungsklausel habe lediglich die Funktion, zukünftige Mehrheitsentscheidungen formell zu legitimieren, ohne sie materiell zu rechtfertigen. Daher sei ein Änderungsbeschluss auf der Grundlage einer Öffnungsklausel nicht bereits deshalb rechtmäßig, da er die Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage erfülle. Vielmehr seien insbesondere zum Schutz der Minderheit bestimmte fundamentale inhaltliche Schranken zu beachten. Diese ergäben sich aus §§ 134, 138m 242 BGB und den zum Kernbereich  des Wohnungseigentumsrechts zählenden Vorschriften, wozu auch unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte gehören würden. Was nicht durch Vereinbarung geregelt werden könne, entziehe sich auch einer Regelung im Beschlussweg aufgrund einer Öffnungsklausel., weshalb ein gleichwohl gefasster Beschluss aus materiellen Gründen nichtig sei (BGH, Urteil vom 10.10.2014 - V ZR 315/13 -). Aber auch wenn es sich um ein unentziehbares, wohl aber verzichtbares Mitgliedschaftsrecht handele, sei der Beschluss aufgrund der Öffnungsklausel nur wirksam, wenn die hiervon nachteilig betroffenen Wohnungseigentümer zustimmen würden (BGH, Urteil vom 10.10.2014 - V ZR 315/13 - zur Überbürdung der bisher der Gemeinschaft obliegenden Instandhaltungspflicht auf einen Sondernutzungsberechtigten).

Vorliegend würde es sich um ein verzichtbares Individualrecht handeln, da die Wohnungseigentümer auf das ihnen bisher eingeräumte Recht zur kurzzeitigen Vermietung verzichten könnten, weshalb dies einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer zugänglich wäre.  

Die Zweckbestimmung würde vorgeben, wie die Einheit zulässigerweise genutzt werden dürfe. Daher träfen Änderungen oder Einschränkungen in substanzieller Weise die Nutzung des Sondereigentums. Sie würden deshalb der Zustimmung des Eigentümers der Einheit bedürfen, deren Zweckbestimmung geändert werden soll, was sich aus einer verfassungskonformen Auslegung der allgemeinen Öffnungsklausel ergäbe, die dem Umstand Rechnung trage, dass das Sondereigentum als echtes Eigentum iSv. § 903 BGB und Art. 14 GG ausgestaltet sei. Gleiches gelte für Teileigentum.

Vermietungsverbote würden in die Zweckbestimmung des Wohnungseigentums eingreifen. Es würde zu einer massiven Einschränkung des in § 13 Abs. 1 WEG gewährleisteten Rechts jedes Wohnungseigentümers eingreifen, mit dem in seinem Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen nach Belieben zu verfahren und sie insbesondere zu vermieten. Dies Einschränkung könnte daher nur rechtmäßig sein, wenn nicht nur die aktuell vermietetenden, sondern alle Wohnungseigentümer zustimmen würden, denn auch die nicht vermietenden Eigentümer seien im Hinblick auf eine künftige Nutzung eingeschränkt.

 Dabei käme es nicht darauf an, dass zwar kein generelles, sondern nur ein spezielles Vermietungsverbot beschlossen worden sei. Auch dieses würde die zuvor weite Zwekbestimmung einschränken.

Das Eigentumsrecht der übrigen Wohnungseigentümer sei auch nicht außer Acht gelassen. Diesen würden bei Störungen durch Feriengäste durch Überbelegung, fortwährende Verstöße gegen die Hausordnung oder Lärmbelästigung durch Feriengäste Unterlassungsansprüche gem. § 15 Abs. 3 WEG zur Seite stehen.

Auch der Hinweis der Beklagten, die Regelung zu Feriengästen sei in die TE aufgrund eines „kollusivem Zusammenwirkens“ des Klägers mit dem Bauträger erst aufgenommen worden, verhelfe hier den Beklagten nicht weiter, da auch ohne diese Regelung die entsprechende Vermietung zulässig sei.  

Damit sei der Beschluss rechtswidrig, da der Kläger ihm nicht zugestimmt habe.

BGH, Urteil vom 12.04.2019 - V ZR 112/18 -

Donnerstag, 9. Mai 2019

Unterlassen der beantragten Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen


Der Beklagte wandte sich mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH gegen ein Urteil des OLG Frankfurt und rügte die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das OLG. Dem lag zugrunde, dass der Beklagte  eine Wohnungseigentumsanlage mit Tiefgarage errichtete und die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft von ihm einen Kostenvorschuss für die Beseitigung eines Mangels des Tiefgaragenbodens begehrte. Die Klägerin hatte zunächst ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt, in dem der vom Gericht bestellte Sachverständige ein schriftliches Gutachten und drei schriftliche Ergänzungen vorlegte. Auf der Grundlage dieser Gutachten im Beweisverfahren gab das Landgericht der Klage statt. Die Berufung, in deren Rahmen die Beklagte die unterlassene, von ihm aber beantragte mündliche Anhörung des Sachverständigen rügte, wurde vom OLG ohne Anhörung des Sachverständigen zurückgewiesen.

Der BGH sah das rechtliche Gehör des Beklagten (Art. 103 GG) in entscheidungserheblicher Weise als verletzt an. Nicht nur verlange Art. 103 Abs. 1 GG, dass das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung zu ziehen habe, sondern auch, dass es erhebliche Beweisanträge berücksichtigt. Dieses Recht ergäbe sich bereits aus §§ 397, 402 ZPO und sei Teil des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs , womit eine Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoße, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze fände.

Im Berufungsverfahren habe der Beklagte bereits die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Landgericht gerügt, da trotz seines Antrags der Sachverständige nicht mündlich angehört worden sei, womit er ersichtlich an seinem entsprechenden Anhörungsantrag aus erster Instanz festgehalten habe. Weder habe das OLG diesen Antrag erwähnt noch ausgeführt, weshalb es den Sachverständigen nicht angehört habe. Es käme nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sähe oder zu erwarten sei, dass der Sachverständige seine bisherige Ansicht ändere, ebensowenig darauf, ob das Gutachten Mängel aufweise. Die Parteien hätten nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dem Sachverständigen Fragen zu stellen, die sie zur Aufklärung des Sachverhalts für wesentlich ansehen, wobei dieses Recht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (Möglichkeit des Gerichts, von sich aus den Sachverständigen zum Termin zu laden) bestünde. Auch sei hier kein Ausnahmefall ersichtlich, bei dem trotz Antrag von der Anhörung abgesehen werden könne (BGH, Urteil vom 29.10.2002 - VI ZR 353/01 -: Rechtsmissbrauch und Prozessverschleppung).

Das Urteil des OLG beruhe auch auf dem Verfahrensverstoß, da sich das OLG auf dieses Gutachten beziehe und nicht ausgeschlossen werden könne, dass es nach Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Von daher wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen, welches nun den Sachverständigen anzuhören hat. Der BGH wies zudem drauf hin, dass die Feststellung der allgemein anerkannten Regeln der Technik vom Gericht regelmäßig nur aufgrund sachverständiger Beratung getroffen werden könne.

BGH, Beschluss vom 06.03.2019 - VII ZR 303/16 -

Sonntag, 5. Mai 2019

Filesharing: Familie und prozessuale Darlegungslast


Die beklagten Eheleute des Ausgangsverfahrens (und Beschwerdeführer) wandten sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des BGH vom 30.03.2017 - I ZR 19/16 - und deren Vorentscheidungen, in denen es um die Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche wegen unerlaubten Zugänglichmachens eines Musikalbums im Internet ging und die Beschwerdeführer zur Zahlung von Schadensersatz an die klagende Tonträgerherstellerin verurteilt wurde, da über deren Internetanschluss mittels Filesharing-Software auf einer Internet-Tauschbörse zum Herunterladen angeboten wurde. Begründet wurden die Verurteilung der Beschwerdeführer durch das Landgericht damit, diese hätten die Vermutung ihre Urheberschaft als Anschlussinhaber des Internetanschlusses entkräften und damit im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast darlegen und beweisen müssen,  ob und inwieweit andere Personen zu ihrem Internetanschluss Zugang gehabt hätten und als Täter in Betracht kämen. Ihre als Zeugen benannten Kinder hätten von den diesen zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, weshalb es bei der Vermutung der Täterschaft verbliebe. Das OLG verwies darauf, es wäre von den Beschwerdeführern im Einzelnen im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu erklären gewesen, wie es zu den Rechtsverletzungen aus der Familie heraus gekommen sei. Der BGH sah in der Entscheidung des OLG keinen Rechtsfehler.

  
Von den Beschwerdeführern wurde im Rahmen der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, geltend gemacht, da der BGH keinen schonenden Ausgleich zwischen den betroffenen Grundrechte im Sinne einer praktischen Konkordanz vorgenommen habe.
  
Das BVerfG verwies darauf, dass bei Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die vom Gesetz vorgesehene Interessensabwägung zwischen dem Eigentumsschutz der Tonträgerhersteller und den damit konkurrierenden Grundrechtspositionen nachzuvollziehen seien und unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen zu vermeiden seien. Sollten bei der Auslegung und Anwendung von einfachrechtlichen Normen mehrere Deutungen möglich sein, so verdiene jene den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspräche und die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung brächte. Die Schwelle zu einem ein Eingreifen des Verfassungsgerichts zwingenden Verfassungsverstoß sei erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lasse, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen würden und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den Einzelfall von einigem Gewicht seien.

Richtig sei zwar, dass die Entscheidungen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG beeinträchtige. Denn damit seien Bestimmungen unvereinbar, welche die Familie schädigen. Der Schutzbereich umfasse auch das Verhältnis zwischen Eltern und volljährigen Kindern. Diese Umstände müssten bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts Berücksichtigung finden.
  
Allerdings würde Art. 6 Abs. 1 der Annahme einer zivilprozessualen Obliegenheit nicht entgegenstehen, derzufolge die Beschwerdeführer zur Entkräftung der Vermutung ihrer Täterschaft als Anschlussinhaber ihre Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung mitzuteilen haben, mithin also auch aufdecken müssen, welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen habe, sofern sie davon Kenntnis erlangt haben. Hier käme dem Schutz des Art. 14 GG (Eigentum) des Rechtsinhabers bei Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsgüter ein erhebliches Gewicht zu. Die Abwägung im Ausgangsverfahren trage dem Erfordernis der praktischen Konkordanz ausreichend Rechnung und sei bei der Auslegung von § 138 ZPO (Erklärungspflicht über Tatsachen) hinreichend beachtet worden.

Zwar sei auch im Zivilrechtsstreit niemand zur Selbstbezichtigung verpflichtet und fände die Wahrheitspflicht einer Partei dort ihre Grenze, so sie gezwungen würde, eine strafbare Handlung zu offenbaren bzw. Umstände zu offenbaren, die ihr zur Unehre gereichen. Dies dürfte auch dann gelten, wenn nahe Angehörige betroffen seien. In diesen Fällen könne aber der im Hinblick darauf nicht weiter verpflichteten Partei das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung auferlegt werden, da ein weitergehender verfassungsrechtlicher Schutz nicht geboten sei.

Mit der Anwendung dieser Grundsätze im Rahmen der sekundären Darlegungslast trage der BGH der Tatsache Rechnung, dass der Rechteinhaber zur Durchsetzung seiner Rechte in Filesharing-Verfahren regelmäßig keine Möglichkeit habe, zu Umständen aus dem ihrem Einblick vollkommen entzogenen Bereich der Internetnutzung durch den Anschlussinhaber vorzutragen oder Beweis zu führen. Damit würden zu seinen Gunsten in Ansehung des unter Art. 14 GG fallenden Leistungsschutzrechts deren Interesse an einer effektiven Durchsetzung des Urheberrechts gegenüber unberechtigten Verwertungshandlungen geschützt. Die Beeinträchtigung der familiären Beziehung würde sich demgegenüber in Grenzen halten, da ein Vortrag der Eltern zur Täterschaft ihrer Kinder gerade nicht erzwingbar sei; die Eltern würden insoweit nur das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung tragen. Die sekundäre Darlegungslast würde im übrigen auch nicht weiter reichen als die tatsächlichen Kenntnisse der  Beschwerdeführer (wo es vorliegend keiner Entscheidung bedürfe, ob sie eine Nachfrage- und Nachforschungsobliegenheit hätten und dies offen bliebe).


BVerfG, Beschluss vom 18.03.2019 - 1 BvR 2556/17 -

Donnerstag, 2. Mai 2019

Meinungsfreiheit: Schranken zur Annahme von Schmähkritik im Rahmen (kommunal-) politischer Auseinandersetzung


Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) musste sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Karlsruhe auseinandersetzen, nach welchem dem dortigen Beklagten und jetzigen Beschwerdeführer (BF) unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung untersagt wurde, bestimmte Äußerungen (nachfolgend unterstrichen) zu tätigen. Die Verfassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils und zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Kläger und Beklagter des Ausgangsverfahrens waren Fraktionsvorsitzende unterschiedlicher Fraktionen eines Gemeinderates. Der Kläger sprach sich für die Verwirklichung eines Bauvorhabens durch den gleichen Bauträger für ein weiteres, umstrittenes Bauprojekt anlässlich der Eröffnung eines Bauprojekts dieses Bauträgers aus. Auf eine Anfrage eines anderen Bewerbers bei dem BF (Beklagten), unter welchen Bedingungen er auch mit einer Genehmigung er für ein von ihm geplantes Objekt rechnen könne, antwortete der BF per Mail (abschriftlich den anderen Fraktionen und dem Oberbürgermeister zugesandt), dieser möge sich an eine bestimmte Person wenden, die sich dann „nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen bestimmt auch ohne jegliche Einschränkung für Ihr Bauvorhaben einsetzen und sich über alle Bedenken von Fachleuten und Gremien hinwegsetzen (wird), Ihnen alle mögliche Befreiungen zu gestehen“ würde, unabhängig von städtebaulichen Belangen. Er solle die „brutalstmögliche Ausdehnung“ seines Projekts in Bezug auf Grenzabstände, GFZ und GRZ beantragen und auf das Bauvorhaben des anderen Bauträgers verweisen.  Weiter hieß es. „Unter welchen Bedingungen diese Zustimmung zu erhalten ist müssen Sie natürlich mit ihm selbst ausloten.“ Die Fraktion des benannten Ansprechpartners würde dann sicherlich zustimmen.


Das OLG vertrat die Ansicht, ein Anspruch auf Unterlassung der Äußerungen bestehe, da diese dahingehend auszulegen seien, der Kläger sei bestechlich. Einer Abwägung der einschlägigen Grundrechte (wie vom Landgericht vorgenommen) im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers auf der einen Seite und der Meinungsfreiheit auf Seiten des BF bedürfe es daher nicht.

Dem folgte das BVerfG nicht und sah den BF in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Meinungsfreiheit) verletzt an. Dabei wies es darauf hin, dass dieses Grundrecht zwar Werturteile als auch Tatsachenbehauptungen schütze, allerdings nicht vorbehaltlos. Nach Art 5 Abs. 2 GG finde es seine Schranken in allgemeinen Gesetzen (so § 823 Abs. 1 BGB , § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog), doch erfordere eine gerichtliche Untersagung einer grundsätzlich nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Meinungsäußerung eine Abwägung mit dem betroffenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht (BVerfGE 99, 185, 196f sowie BVerfGE 114, 339, 348). Zu berücksichtigen sei dabei insbesondere, dass nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen geschützt würden, sondern auch pointiert, polemisch und überspitzte Kritik geschützt würde, weshalb die Grenze zulässiger Meinungsäußerung nicht bereits da läge, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich wäre (BVerfGE 82, 272, 283f und BVerfGE 85, 1, 16).

Nur bei einer Formalbeleidigung oder sogen. Schmähkritik würde die Meinungsfreiheit hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zurücktreten (BVerfGE 82, 43, 51; BVerfGE 90, 241, 248; BVerfGE 93, 266, 294). Allerdings seien an die Annahme des Vorliegens einer Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik strenge Anforderungen zu stellen, da sie die jeweilige Meinungsäußerung aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unabhängig von einer Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht ausschließen würden. Stünde die Äußerung in einem Kontext einer Sachauseinandersetzung könne nicht mehr von einer Schmähung ausgegangen werden. Die Qualifikation als Schmähung verlange daher regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung. Davon könne nur dann abgesehen werden, wenn die die Äußerung einer derartigen diffamierenden Gehalt habe, dass sie in jedem denkbaren Zusammenhang nur noch als Herabsetzung des Betroffenen aufgefasst werden müsse. Dies sei möglicherweis bei Verwendung von besonders schwerwiegenden Schimpfwörtern (etwa aus der Fäkalsprache) der Fall. Bi einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liege Schmähkritik nur ausnahmsweise vor, sie bleibe bliebe grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt (BVerfGE 7, 198, 212; BVerfGE 93, 266, 294).

Wenn ein Gericht fälschlich eine Äußerung als Formalbeleidigung oder Schmähung betrachte, weshalb es eine notwendige Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände unterlässt, so läge darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führe, wenn diese darauf beruhe.

Nach diesen Grundsätzen sah das BVerfG die Entscheidung des OLG als fehlerhaft an. Es habe die Voraussetzungen für ein Unterlassen einer Abwägung verkannt. Vom OLG sei alleine deshalb ein Sachbezug negiert worden, da die Vorwürfe gegen den Kläger mit den Genehmigungsvoraussetzungen von Bauvorhaben nichts zu tun hätten. Es habe dabei verkannt, dass sich der Kläger für die Genehmigung eines bestimmten umstrittenen Bauvorhabens öffentlich eingesetzt ausgesprochen habe und als Mitglied des Gemeinderates aktiv an der Baupolitik mitwirke. Hintergrund sei, was vom OLG im Tatbestand des Urteils auch aufgenommen worden sei, die Behandlung des Bauvorhabens im Gemeinderat gewesen.  Die Äußerung des BF auf eine Anfrage eines konkurrierenden Bauträgers habe damit ersichtlich nicht im Zusammenhang mit einer persönlichen, sondern politischen Auseinandersetzung zwischen dem BF und dem Kläger gestanden; das OLG habe verkannt, dass der sachliche Bezug einer Äußerung nicht mit deren Anlass zusammenfallen müsse.  Es dürfte zur Eigenart politischer, insbesondere parteipolitischer Auseinandersetzungen gehören, dass konkrete Vorgänge zum Anlass einer allgemeineren politischen Auseinandersetzung genommen würden, wie es vorliegend geschehen sei .

Auch habe das OLG den weiteren Inhalt der Mail nicht berücksichtigt. Die Wortwahl der weiteren Äußerungen („brutalstmögliche Ausdehnung“) würde den Ausführungen einen spöttisch-satirischen Charakter verleihen und verdeutlichen, dass die Äußerungen auf eine (wenn auch polemische) Kritik am politischen Gegner und dessen Baupolitik zielen würden. Damit sei der Bezug zur allgemeinen baupolitischen Auseinandersetzung verstärkt worden und würde dagegensprechen, in den Äußerungen nur eine bei dieser Gelegenheit gegen den Kläger als solchen gerichtete Diffamierung als „bestechliche Person“ zu sehen.  

Mit der Zurückverweisung wurde das OLG angehalten, die bisher unterlassene Abwägung vorzunehmen.

BVerfG, Beschluss vom 19.02.2019 - 1 BvR 1954/17 -

Montag, 29. April 2019

Zeitlicher Rahmen zur Geltendmachung von Nachzahlungszinsen auf nachträglich festgesetzte Einkommensteuer


Die Eheleute wurden in 1995 bis 1997 und 1999 zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Mit Bescheiden vom 19.07.2010 erließ das Finanzamt (FA) geänderte ESt-Bescheide für die benannten Streitjahre, gegen die die Eheleute Einspruch einlegten, der vom FA am 06.06.2011 zurückgewiesen wurde (ohne dass dieser Bescheid mit der Klage von den Eheleuten angefochten worden wäre). Am 10.02.2012 setzte das FA mit besonderen Bescheiden die auf die Nachzahlungsbeträge der ESt-Bescheide vom 19.07.2010 anfallenden Nachzahlungszinsen fest. Die dagegen von den Eheleuten eingelegten Einsprüche wurden vom FA zurückgewiesen. Die Klage zum Finanzgericht (FG) war erfolgreich. Die gegen das Urteil vom beklagten FA eingelegte Revision wurde vom BFH zurückgewiesen.


Der BFH verwies darauf, dass die Festsetzungsfrist für Zinsen 1 Jahr betrage, § 239 Abs. 1 S. 2 AO. Ihr Lauf beginne mit den näher in § 239 Abs. 1 S. 2 AO benannten Umständen; in Fällen des § 233a AO beginne der Lauf mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer festgesetzt, aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt worden sei, § 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AO. Da hier der Fall der Änderung mit Bescheid vom 19.07.2010 vorliegt, habe mithin die Frist mit Ablauf des 31.12.2010 zu laufen begonnen und habe mit dem 31.12.2011 geendet, mithin vor Bekanntgabe des besonderen Bescheides.

Entgegen der Auffassung des FA habe das FG auch richtig entschieden, dass die Frist für die Festsetzung der Zinsen nicht nach § 171 Abs. 10 S. 1 AO bis zum Erlass der der Zinsbescheide über den 31.12.2011 hinaus gehemmt war. Die für einen Folgebescheid geltende Ablaufhemmung des § 170 Abs. 10 S. 1 AO würde bei der Festsetzung von Steuernachforderungs- und -erstattungszinsen nach § 233a AO grundsätzlich durch die spezielleren Regelungen in § 239 Abs. 1 AO verdrängt werden.

Auch wenn sich § 171 Abs. 10 S. 1 AO auf sogen. Folgebescheide bezöge und die Zinsbescheide hier Folgebescheide der ESt-Bescheide seien, bestünde vorliegend der Unterschied darin, dass es bei der Zinsfestsetzung (anders als bei den für § 171 Abs. 10 S. 1 SO typischen Folgebescheiden) lediglich zu einer punktuellen Ablaufhemmung („soweit“, § 171 Abs. 10 S. 1 AO) für die Zinsfestsetzung nicht kommen könne, da die Bindungswirkung des ESt-Bescheides in seiner Funktion als Grundlagenbescheid nicht einzelne Besteuergrundlagen des Zinsbescheides (Folgebescheid) beträfe, sondern sämtliche. Da der Zinsbescheid vollständig von den Feststellungen im Steuerbescheid abhängig sei, käme eine Teilverjährung von Zinsen solange nicht in Betracht, solange die Steuerfestsetzung nicht zulässigerweise geändert werden könne.

Der Gesetzgeber habe zudem mit den Regelungen in § 239 AO für Nachzahlungszinsen ein abgestimmtes und in sich geschlossenes System geschaffen, welche leer laufen würde, wenn die generelle Norm des § 171 Abs. 10 AO zur Anwendung kommen würde, da dies hier faktisch dazu führen würde, dass die kurze einjährige Festsetzungsfrist des § 239 Abs. 1 S. 1 AO keinen Geltungsbereich mehr hätte sondern auf mindestens zwei Jahre ausgedehnt wäre. Die Motive des Gesetzgebers für die längere Auswertungsfrist des § 171 Abs. 10 AO ließen sich nicht auf das Verhältnis zwischen Steuer- und Zinsbescheid übertragen, da die Interessenslage (Berücksichtigung von möglichen vielseitigen Umständen [z.B. viele Grundlagenbescheide] längere Bearbeitungszeiten erforderlich sein könnten, was aber bei einer reiner (im Zweifel automatisierten) Zinsberechnung nicht der Falls sei. Damit könne bei der Berechnung der Frist für die Ablaufhemmung zur Festsetzung der Zinsen nur dann von der mindestens zweijährigen Frist des § 171 Abs. 10 S. 1 AO ausgegangen werden, wenn nicht (wie hier) Grundlage ein Einkommensteuerbescheid ist, sondern ein (gesonderter) Zinsgrundlagenbescheid.

Auch die Einsprüche gegen die Steuerfestsetzungen würden nicht zu einer anderen Betrachtung führen, da die durch die Einsprüche bewirkte Ablaufhemmung nach § 239 Abs. 1 S. 3 AO bereits durch die in Rechtskraft erwachsene Einspruchsentscheidung des FA geendet hatte, bevor die reguläre Festsetzungsfrist des § 239 Abs. 1 S. 1 AO abgelaufen sei.

BFH, Urteil vom 16.01.2019 - X R 30/17 -

Sonntag, 28. April 2019

Bau-/Werkvertrag: Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung ohne vorherige Abnahme


Die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) hatte bereits 2009 ein selbständiges Beweisverfahren gegen die beklagte Bauträgerin (von der sukzessive Eigentumswohnungen seit 2005 in dem 1904 errichteten und sanierten Gebäude Objekt verkauft wurden) wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum eingeleitet und forderte mit Schreiben ihrer Verwaltung vom 14.04.2011 die Beklagte zur Behebung der insoweit festgestellten Mängel auf. Mit Schreiben vom 06.07.2011 mahnte sie eine zügigere Tätigkeit an. 2013 erhob die WEG sodann Klage auf Zahlung eines Kostenvorschusses zur Beseitigung der im selbständigen Beweisverfahren durch den dort beauftragten Sachverständigen Mängel. Das Landgericht gab der Klage unter Abweisung der Klage für einzelne Mängel, statt. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein.  Dabei machte sie u.a geltend, dass die Klägerin mangels Abnahme ihrer Leistungen nicht berechtigt sei, einen Kostenvorschuss zu fordern. Ferner machte sie geltend, zu bestimmten Arbeiten (so insbesondere zur Isolierung des Kellers im Altbestand) nicht verpflichtet zu sein.  

Die Berufung der Beklagten blieb im wesentlichen erfolglos. Insbesondere bejahte das Kammergericht (KG) als Berufungsgericht einen Anspruch auf Kostenvorschuss zur Beseitigung der festgestellten Mängel gem. §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB.

Die Klägerin sei aktivlegitimiert. Zwar würde der Anspruch rechtlich den einzelnen Erwerbern zustehen, die die Verträge mit der Beklagten geschlossen hätten. Allerdings sei die Klägerin von den Erwerbern zur Geltendmachung im eigenen Namen ermächtigt worden (sogen. Ansichziehen derartiger Ansprüche betreffend dem Gemeinschaftseigentum qua Beschluss der Eigentümergemeinschaft).

Es sei der Beklagten auch eine ausreichende Frist zur Nacherfüllung gesetzt worden. Sollte die Werkleistung nicht abgenommen worden sein, könne sich die Pflicht zur Setzung der Nacherfüllungsfrist nicht aus § 637 Abs. 1 BGB herleiten lassen, da diese Rechte dem Besteller nach §§ 734 Nr. 2, 637 Abs. 1 BGB erst nach Abnahme  zustünden. Der Besteller könne zwar die in § 634 Nr. 2 bis 4 BGB aufgeführten Mängelrechte auch ohne vorherige Abnahme geltend machen, was aber erfordere, dass der Erfüllungsanspruch erloschen sei und sich der Vertrag in einem Abrechnungsverhältnis befände. Dazu käme es, wenn der Besteller vom Vertrag zurücktritt, die Vergütung mindere, Schadensersatz statt der Leistung geltend mache oder einen Vorschussanspruch begehre und zugleich die Leistung des Unternehmers ernsthaft und endgültig ablehne (BGH, Urteil vom  19.01.2017 - VII ZR 103/15 -). Damit aber setze die Berechtigung des Bestellers, das Vertragsverhältnis in en Abwicklungsverhältnis umzuwandeln, im Regelfall eine vorherige Nachfristsetzung voraus, die sich nicht aus den jeweiligen Vorschriften für die Rechtsfolgen ableiten ließe. Allerdings sei der Besteller aus den allgemeinen Regeln des Schuldrechts zu dieser vorbereitenden Nachfristsetzung befugt (BGH, Urteil vom 19.01.2017 - VII ZR 193/15 -), die alleine die Fälligkeit der Werkleistung voraussetzen (§ 281 Abs. 1 BGB bzw. § 323 Abs. 1 BGB). Daraus würde folgen, dass die entscheidende Hürde für die Geltendmachung von Sekundärrechten wegen Mängeln (mithin nicht: Mängelrechten) nicht die Abnahme, sondern die Fälligkeit der Werkleistung sei. Die dafür erforderliche Nacherfüllungsfrist sei ausreichend gesetzt worden.

Zunächst setzt sich das KG damit auseinander, dass wohl schon nach dem eigenen Vertragswerk der Beklagten die Abnahme als erfolgt anzusehen sei, auch wenn diese Regelung unwirksam sein dürfte, da sich die Beklagte als Verwenderin dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) nicht auf deren Unwirksamkeit berufen könne (Anmerkung: Dies gilt nach der herrschenden Meinung aber nur, wenn auch der Vertragspartner die Regelung gegen sich gelten lässt). Aber auch für den Fall der Annahme einer Unwirksamkeit der vertraglichen Regelung und davon ausgehend, dass damit keine Abnahme vorläge, würde der Anspruch auf Kostenvorschuss hier bestehen.

Könne der Besteller nicht mehr die (Nach-) Erfüllung des Vertrages verlangen, würde dies den Vertrag in ein Abrechnungsverhältnis überleiten. Die Entstehung des Abrechnungsverhältnisses ohne Abnahme erfordere, dass der Besteller dem Unternehmer wirksam eine Nacherfüllungsfrist zur Beseitigung der Mängel gesetzt habe, was möglich sei, wenn nach den allgemeinen Regeln des Schuldrechts die Werkleistung fällig geworden sei (§§ 281 Abs.1 BGB bzw. § 325 Abs. 1 BGB). Danach müsse eine Erklärung abgegeben werden, die rechtsgestaltend das Erfüllungsstadium des Vertrages beende. Wenn der Besteller nach Fristablauf Rücktritt oder Minderung erkläre oder verlange er Schadensersatz statt der Leistung, käme dieser Erklärung rechtsgestaltende Wirkung zu mit der Folge, dass das Erfüllungsstadium des Vertrages ende.

Das Vorschussverlangen habe aber keine rechtsgestaltende Wirkung; es käme auch nicht § 281 Abs. 1 BGB zur Anwendung. Es sei also, um die Wirkung herbeizuführen, bei dem Vorschussverlangen zu erklären, die Leistung des Unternehmers abzulehnen. Da aber die Erklärung nicht Voraussetzung sei, überhaupt Sekundärrechte geltend zu machen (die Hürde dafür sei die Fälligkeit), sondern es sich nur um eine spezielle Voraussetzung für den Vorschussanspruch handele, könne die Erklärung auch konkludent abgegeben werden.

Diese zumindest konkludente Erklärung, keinesfalls mehr mit der Klägerin zusammenarbeiten zu wollen, läge hier vor. Das Landgericht sei davon ausgegangen, dass die Erklärung in dem erstinstanzlichen Vorbringen läge. Die Partei müsse ihr eigenes Vorbringen nicht kritischer Hinterfragen als das (erstinstanzliche) Gericht. Selbst wenn das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, die Klägerin habe die Leistungen der Beklagten endgültig abgelehnt, hätte dies die Klägerin im Berufungsrechtszug nachholen können, was jedenfalls erfolgt sei.

KG, Urteil vom 19.02.2019 - 21 U 40/18 -

Donnerstag, 25. April 2019

Steuerrecht: Prozessuale Pflichten des Steuerpflichtigen bei Zeugen im Ausland


Das Finanzgericht (FG) hatte die vom Beschwerdeführer (BF) benannten Zeugen A., B. und C. nicht von Amts wegen geladen, mit denen der BF beweisen wollte, dass er über ein bestimmtes Konto bei einer Schweizer Bank nicht habe verfügen dürfen. Das Unterlassen sah der BFH allerdings nicht als Verstoß des FG gegen das in § 76 Abs. 1 FGO statuierte Sachaufklärungsprinzip an.

Das FG har gemäß § 76 Abs. 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, wobei es sich um den Ausfluss der in der dem Steuerprozess immanenten Offizialmaxime handelt, welches zwingend auch dazu führt, wie vom BFH festgehalten, dass dabei die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 S. 2 FGO) zu erheben seien. Die Offizialmaxime bedingt auch, dass das Gericht nicht an Vorbringen und Beweisanträge der Parteien gebunden ist (§ 76 Abs. 1 S. 5 FGO), was aber, so der BFH, nur dann gelte, wenn das FG von sich aus auch Beweise erheben könne, die von den Verfahrensbeteiligten nicht angeboten worden seien (BFH, Beschlüsse vom 22.06.2016 - III B 134/15 – und vom 14.03.2018 - IV B 46/17 -).  Nicht erforderlich sei, auch fernliegenden Erwägungen nachzugehen. Auch sei die Sachaufklärungspflicht grundsätzlich von einer Mitwirkungsverpflichtung der Beteiligten gem. § 76 Abs. 1 FGO unabhängig. §§ 76 Abs. 1 S. 4 FGO iVm. 90 Abs. 2 AO sähen vor, dass ein im Ausland ansässiger Zeuge, der auch zu einem „ausländischen Sachverhalt“ aussagen soll, grundsätzlich von den Verfahrensbeteiligten zu stellen sei und nicht vom FG zu laden sei. Insoweit besteht mithin nach der Rechtslage, wie vom BFH festgehalten, eine Mitwirkungspflicht der Beteiligten und mithin insbesondere desjenigen, der sich auf den oder die Zeugen zu seinen Gunsten beruft. Mit einer Rüge einer unterlassenen Sachaufklärung, wie sie hier vom BF in seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH nach Abweisung seiner Klage durch das FG geltend gemacht wurde, müsse daher dargelegt werden, dass der Mitwirkungsverpflichtung, den Zeugen zu stellen, entsprochen worden sei. Käme nämlich der Beteiligte dieser erhöhten Mitwirkungspflicht aus § 90 Abs. 2 AO nicht nach, dürfe das FG ohne Berücksichtigung des Auslandszeugen den Sachverhalt nach eigner Überzeugung würdigen.

Zu den Zeugen B. und C. sei das FG schon deshalb nicht zu einer weiteren Sachaufklärung von Amts wegen verpflichtet gewesen, da diese nach eigenen Angaben des BF verstorben seien. Darüber hinaus habe der BFH auch nicht vorgetragen, dass er Bemühungen entfaltet habe, seiner Mitwirkungspflicht aus § 90 Abs. 2 AO bei der Beschaffung von sonstigen Beweismitteln in diesem Zusammenhang zu genügen. Auch zu dem Zeugen A. (dem ehemaligen schweizerischen Bankbetreuer) hätte dieser zu einem Sachverhalt angehört werden sollen, der sich im Ausland (Schweiz) zugetragen habe (nämlich zu der Behauptung, der BF habe über das in der Schweiz auf seinem Namen lautende Koto nicht verfügen können); auch insoweit habe er nicht dargelegt, sich bemüht zu haben, seiner Mitwirkungspflicht zu entsprechen, um den Zeugen in der mündlichen Verhandlung zu stellen. Hier ist auch die Beweisvorsorgeverpflichtung des Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 S. 4 AO zu berücksichtigen.

Anmerkung: Das Verfahren unterscheidet sich hier grundlegend von einem Prozess im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivilgericht), da in dem zivilrechtlichen Verfahren auch ein ausländischer Zeuge selbst dann vom Gericht zu laden ist, wenn es sich um einen Auslandssachverhalt handelt. Erscheint dieser Zeuge nicht, kann zwar - da sich die Prozesshoheit der deutschen Gerichte nicht auf das Ausland bezieht – kein Ordnungsgeld festgesetzt werden, ist aber gleichwohl durch das Gericht der Versuch einer Vernehmung im Ausland (vor einem dortigen Gericht bei entsprechenden Übereinkommen, ansonsten durch ein deutsches Konsulat) zu versuchen und letztlich noch der Versuch zu unternehmen, eine schriftliche Zeugenaussage zu erreichen.

BFH, Beschluss vom 13.02.2019 - VIII B 83/18 -