Die Eheleute wurden in 1995 bis
1997 und 1999 zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Mit Bescheiden vom
19.07.2010 erließ das Finanzamt (FA) geänderte ESt-Bescheide für die benannten
Streitjahre, gegen die die Eheleute Einspruch einlegten, der vom FA am
06.06.2011 zurückgewiesen wurde (ohne dass dieser Bescheid mit der Klage von
den Eheleuten angefochten worden wäre). Am 10.02.2012 setzte das FA mit
besonderen Bescheiden die auf die Nachzahlungsbeträge der ESt-Bescheide vom 19.07.2010
anfallenden Nachzahlungszinsen fest. Die dagegen von den Eheleuten eingelegten
Einsprüche wurden vom FA zurückgewiesen. Die Klage zum Finanzgericht (FG) war
erfolgreich. Die gegen das Urteil vom beklagten FA eingelegte Revision wurde
vom BFH zurückgewiesen.
Der BFH verwies darauf, dass die
Festsetzungsfrist für Zinsen 1 Jahr betrage, § 239 Abs. 1 S. 2 AO. Ihr Lauf
beginne mit den näher in § 239 Abs. 1 S. 2 AO benannten Umständen; in Fällen
des § 233a AO beginne der Lauf mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer
festgesetzt, aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt worden sei, §
239 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AO. Da hier der Fall der Änderung mit Bescheid vom
19.07.2010 vorliegt, habe mithin die Frist mit Ablauf des 31.12.2010 zu laufen
begonnen und habe mit dem 31.12.2011 geendet, mithin vor Bekanntgabe des
besonderen Bescheides.
Entgegen der Auffassung des FA
habe das FG auch richtig entschieden, dass die Frist für die Festsetzung der
Zinsen nicht nach § 171 Abs. 10 S. 1 AO bis zum Erlass der der Zinsbescheide
über den 31.12.2011 hinaus gehemmt war. Die für einen Folgebescheid geltende
Ablaufhemmung des § 170 Abs. 10 S. 1 AO würde bei der Festsetzung von
Steuernachforderungs- und -erstattungszinsen nach § 233a AO grundsätzlich durch
die spezielleren Regelungen in § 239 Abs. 1 AO verdrängt werden.
Auch wenn sich § 171 Abs. 10 S. 1
AO auf sogen. Folgebescheide bezöge und die Zinsbescheide hier Folgebescheide
der ESt-Bescheide seien, bestünde vorliegend der Unterschied darin, dass es bei
der Zinsfestsetzung (anders als bei den für § 171 Abs. 10 S. 1 SO typischen
Folgebescheiden) lediglich zu einer punktuellen Ablaufhemmung („soweit“, § 171
Abs. 10 S. 1 AO) für die Zinsfestsetzung nicht kommen könne, da die
Bindungswirkung des ESt-Bescheides in seiner Funktion als Grundlagenbescheid
nicht einzelne Besteuergrundlagen des Zinsbescheides (Folgebescheid) beträfe,
sondern sämtliche. Da der Zinsbescheid vollständig von den Feststellungen im
Steuerbescheid abhängig sei, käme eine Teilverjährung von Zinsen solange nicht
in Betracht, solange die Steuerfestsetzung nicht zulässigerweise geändert
werden könne.
Der Gesetzgeber habe zudem mit
den Regelungen in § 239 AO für Nachzahlungszinsen ein abgestimmtes und in sich
geschlossenes System geschaffen, welche leer laufen würde, wenn die generelle
Norm des § 171 Abs. 10 AO zur Anwendung kommen würde, da dies hier faktisch dazu
führen würde, dass die kurze einjährige Festsetzungsfrist des § 239 Abs. 1 S. 1
AO keinen Geltungsbereich mehr hätte sondern auf mindestens zwei Jahre
ausgedehnt wäre. Die Motive des Gesetzgebers für die längere Auswertungsfrist
des § 171 Abs. 10 AO ließen sich nicht auf das Verhältnis zwischen Steuer- und
Zinsbescheid übertragen, da die Interessenslage (Berücksichtigung von möglichen
vielseitigen Umständen [z.B. viele Grundlagenbescheide] längere
Bearbeitungszeiten erforderlich sein könnten, was aber bei einer reiner (im
Zweifel automatisierten) Zinsberechnung nicht der Falls sei. Damit könne bei
der Berechnung der Frist für die Ablaufhemmung zur Festsetzung der Zinsen nur
dann von der mindestens zweijährigen Frist des § 171 Abs. 10 S. 1 AO
ausgegangen werden, wenn nicht (wie hier) Grundlage ein Einkommensteuerbescheid
ist, sondern ein (gesonderter) Zinsgrundlagenbescheid.
Auch die Einsprüche gegen die
Steuerfestsetzungen würden nicht zu einer anderen Betrachtung führen, da die
durch die Einsprüche bewirkte Ablaufhemmung nach § 239 Abs. 1 S. 3 AO bereits durch
die in Rechtskraft erwachsene Einspruchsentscheidung des FA geendet hatte,
bevor die reguläre Festsetzungsfrist des § 239 Abs. 1 S. 1 AO abgelaufen sei.
BFH, Urteil vom 16.01.2019 - X R 30/17 -