Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
musste sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Karlsruhe
auseinandersetzen, nach welchem dem dortigen Beklagten und jetzigen
Beschwerdeführer (BF) unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung untersagt
wurde, bestimmte Äußerungen (nachfolgend unterstrichen) zu tätigen. Die
Verfassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils und zur erneuten
Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Kläger und Beklagter des
Ausgangsverfahrens waren Fraktionsvorsitzende unterschiedlicher Fraktionen
eines Gemeinderates. Der Kläger sprach sich für die Verwirklichung eines
Bauvorhabens durch den gleichen Bauträger für ein weiteres, umstrittenes
Bauprojekt anlässlich der Eröffnung eines Bauprojekts dieses Bauträgers aus. Auf
eine Anfrage eines anderen Bewerbers bei dem BF (Beklagten), unter welchen
Bedingungen er auch mit einer Genehmigung er für ein von ihm geplantes Objekt
rechnen könne, antwortete der BF per Mail (abschriftlich den anderen Fraktionen
und dem Oberbürgermeister zugesandt), dieser möge sich an eine bestimmte Person
wenden, die sich dann „
nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen bestimmt
auch ohne jegliche Einschränkung für Ihr Bauvorhaben einsetzen und sich über
alle Bedenken von Fachleuten und Gremien hinwegsetzen (wird), Ihnen alle mögliche
Befreiungen zu gestehen“ würde, unabhängig von städtebaulichen Belangen. Er
solle die „brutalstmögliche Ausdehnung“ seines Projekts in Bezug auf
Grenzabstände, GFZ und GRZ beantragen und auf das Bauvorhaben des anderen
Bauträgers verweisen.
Weiter hieß es. „
Unter
welchen Bedingungen diese Zustimmung zu erhalten ist müssen Sie natürlich mit
ihm selbst ausloten.“ Die Fraktion des benannten Ansprechpartners würde
dann sicherlich zustimmen.
Das OLG vertrat die Ansicht, ein
Anspruch auf Unterlassung der Äußerungen bestehe, da diese dahingehend
auszulegen seien, der Kläger sei bestechlich. Einer Abwägung der einschlägigen
Grundrechte (wie vom Landgericht vorgenommen) im Hinblick auf das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Klägers auf der einen Seite und der Meinungsfreiheit
auf Seiten des BF bedürfe es daher nicht.
Dem folgte das BVerfG nicht und
sah den BF in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Meinungsfreiheit)
verletzt an. Dabei wies es darauf hin, dass dieses Grundrecht zwar Werturteile
als auch Tatsachenbehauptungen schütze, allerdings nicht vorbehaltlos. Nach Art
5 Abs. 2 GG finde es seine Schranken in allgemeinen Gesetzen (so § 823 Abs. 1
BGB , § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog), doch erfordere eine gerichtliche
Untersagung einer grundsätzlich nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Meinungsäußerung
eine Abwägung mit dem betroffenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht (BVerfGE 99,
185, 196f sowie BVerfGE 114, 339, 348). Zu berücksichtigen sei dabei
insbesondere, dass nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte
Äußerungen geschützt würden, sondern auch pointiert, polemisch und überspitzte
Kritik geschützt würde, weshalb die Grenze zulässiger Meinungsäußerung nicht
bereits da läge, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher
Kritik nicht erforderlich wäre (BVerfGE 82, 272, 283f und BVerfGE 85, 1, 16).
Nur bei einer Formalbeleidigung
oder sogen. Schmähkritik würde die Meinungsfreiheit hinter dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht zurücktreten (BVerfGE 82, 43, 51; BVerfGE 90, 241, 248;
BVerfGE 93, 266, 294). Allerdings seien an die Annahme des Vorliegens einer
Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik strenge Anforderungen zu stellen, da sie
die jeweilige Meinungsäußerung aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unabhängig
von einer Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht ausschließen würden. Stünde die
Äußerung in einem Kontext einer Sachauseinandersetzung könne nicht mehr von
einer Schmähung ausgegangen werden. Die Qualifikation als Schmähung verlange
daher regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung. Davon
könne nur dann abgesehen werden, wenn die die Äußerung einer derartigen
diffamierenden Gehalt habe, dass sie in jedem denkbaren Zusammenhang nur noch
als Herabsetzung des Betroffenen aufgefasst werden müsse. Dies sei
möglicherweis bei Verwendung von besonders schwerwiegenden Schimpfwörtern (etwa
aus der Fäkalsprache) der Fall. Bi einer die Öffentlichkeit wesentlich
berührenden Frage liege Schmähkritik nur ausnahmsweise vor, sie bleibe bliebe
grundsätzlich auf die Privatfehde beschränkt (BVerfGE 7, 198, 212; BVerfGE 93,
266, 294).
Wenn ein Gericht fälschlich eine
Äußerung als Formalbeleidigung oder Schmähung betrachte, weshalb es eine
notwendige Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände unterlässt, so läge
darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung
führe, wenn diese darauf beruhe.
Nach diesen Grundsätzen sah das
BVerfG die Entscheidung des OLG als fehlerhaft an. Es habe die Voraussetzungen
für ein Unterlassen einer Abwägung verkannt. Vom OLG sei alleine deshalb ein
Sachbezug negiert worden, da die Vorwürfe gegen den Kläger mit den
Genehmigungsvoraussetzungen von Bauvorhaben nichts zu tun hätten. Es habe dabei
verkannt, dass sich der Kläger für die Genehmigung eines bestimmten
umstrittenen Bauvorhabens öffentlich eingesetzt ausgesprochen habe und als
Mitglied des Gemeinderates aktiv an der Baupolitik mitwirke. Hintergrund sei, was
vom OLG im Tatbestand des Urteils auch aufgenommen worden sei, die Behandlung
des Bauvorhabens im Gemeinderat gewesen. Die Äußerung des BF auf eine Anfrage eines
konkurrierenden Bauträgers habe damit ersichtlich nicht im Zusammenhang mit
einer persönlichen, sondern politischen Auseinandersetzung zwischen dem BF und dem
Kläger gestanden; das OLG habe verkannt, dass der sachliche Bezug einer
Äußerung nicht mit deren Anlass zusammenfallen müsse. Es dürfte zur Eigenart politischer,
insbesondere parteipolitischer Auseinandersetzungen gehören, dass konkrete
Vorgänge zum Anlass einer allgemeineren politischen Auseinandersetzung genommen
würden, wie es vorliegend geschehen sei .
Auch habe das OLG den weiteren
Inhalt der Mail nicht berücksichtigt. Die Wortwahl der weiteren Äußerungen („brutalstmögliche
Ausdehnung“) würde den Ausführungen einen spöttisch-satirischen Charakter
verleihen und verdeutlichen, dass die Äußerungen auf eine (wenn auch
polemische) Kritik am politischen Gegner und dessen Baupolitik zielen würden.
Damit sei der Bezug zur allgemeinen baupolitischen Auseinandersetzung verstärkt
worden und würde dagegensprechen, in den Äußerungen nur eine bei dieser Gelegenheit
gegen den Kläger als solchen gerichtete Diffamierung als „bestechliche Person“
zu sehen.
Mit der Zurückverweisung wurde
das OLG angehalten, die bisher unterlassene Abwägung vorzunehmen.
BVerfG, Beschluss vom 19.02.2019 - 1 BvR 1954/17 -