Freitag, 8. Juni 2018

Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) versus Persönlichkeitsrecht(Art. 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG) bei Straßenfotografie


Der Beschwerdeführer nahm an einer Straßenausstellung („Ostkreuz: Wetswärts. Neue Sicht auf Charlottenburg“), teil, in deren Rahmen 24 Ausstellungstafeln mit 146 Fotografien im öffentlichen Bereich gezeigt wurden. Auf einem der Fotos, gefertigt vom Beschwerdeführer und Beklagten des vorangegangenen Verfahrens) war die Klägerin des vorangegangenen Verfahrens zu sehen, die mit einer Handtasche in der einen Hand, einer Plastiktüte in der anderen Hand an einer Ampel eine Straße überquerte und in Richtung der Kamera zu blicken scheint, wobei ihr Gesicht gut erkennbar war. Die Person der Klägerin nahm auf dem Bild, welches eine Ausstellungstafel von 120 x 140cm füllte, einen Anteil von 1/3 ein. Der Beschwerdeführer hatte die Klägerin nicht um Erlaubnis gefragt, die diesen abmahnte; die strafbewehrte Unterlassungserklärung gab der Beschwerdeführer ab, zahlte aber nicht die dann im Zivilverfahren streitgegenständlichen Anwaltsgebühren und begehrten fiktiven Lizenzkosten; Der Beschwerdeführer wurde zur Zahlung der Anwaltsgebühren verurteilt; die fiktiven Lizenzkosten wurden der Klägerin versagt. Der Beschwerdeführer wandte sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen seine Verurteilung zur Zahlung der Anwaltsgebühren von € 795,46.

Die Verfassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen.

Das Foto stelle ein unverfälschtes Abbild der Realität dar. Dies würde nicht einem Kunstwerk entgegenstehen, da ersichtlich würde, dass der Beschwerdeführer ersichtlich die Wirklichkeit künstlerisch gestalten wollte. Ziel einer Straßenfotografie sei gerade, die Realität unverfälscht abzubilden, wobei das spezifisch Künstlerische in der Auswahl des Realitätsausschnitts läge und in der Gestaltung mit fotografischen Mitteln zum Ausdruck käme. Es handele sich damit bei dem Foto um ein Kunstwerk, bei dem Einrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium Fotografie zur Anschauung gebracht würden.

Von der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 G) sei nicht nur die Anfertigung der Fotografie umfasst, sondern auch deren öffentliche Ausstellung.

Im Rahmen des Abwehranspruchs der Klägerin nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. 823 Abs. 1 BGB, 22ff KUG habe das Kammergericht im Berufungsrechtszug die Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit richtig gewürdigt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen sei nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstrecke sich auf alle auslegungsfähigen und –bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften. Eine Korrektur durch das Verfassungsrecht sei nur möglich, wenn Fehler im Urteil erkennbar wären, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen würden, insbesondere zum Schutzbereich, und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht seien, insbesondere wenn darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelungen leiden würde.

Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleiste zwar die Kunstfreiheit vorbehaltslos, aber nicht schrankenlos. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG würde Grenzen der Kunstfreiheit ziehen. Zum Persönlichkeitsrecht würden das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung und die persönliche Ehre gehören. Außerhalb der Voraussetzungen einer örtlichen Abgeschiedenheit könne dem Persönlichkeitsrecht ein erhöhtes Gewicht zukommen, so bei Abbildungen des Betroffenen in Momenten der Entspannung oder des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs und des Alltags.

Auch die Kunstfreiheit würde für das Persönlichkeitsrecht Grenzen ziehen, weshalb es nicht ausreichend wäre, eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts festzustellen. Zu klären wäre im Einzelfall, ob die Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurücktreten müsse, Eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ließe sich durch die Kunstfreiheit nicht rechtfertigen.

Für die Lösung der Spannungslage könne auch nicht alleine auf die Wirkung des Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abgehoben werden, vielmehr müsse auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden.

Das Kammergericht habe die Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit bei der Zuordnung des Bildes zum Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG und in das Ergebnis seiner Abwägung im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG einbezogen und sei damit auch den Eigengesetzlichkeiten der Straßenfotografie gerecht geworden. Die Schwere der Beeinträchtigung habe es aus der Art der Präsentation des Bildes als großformatigen Blickfang an einer belebten öffentlichen Straße in einer Millionenstadt hergeleitet und dabei auch erkannt, dass es mit der Kunstfreiheit nicht vereinbar wäre, den Wirkbereich von vornherein auf Galerien, Museen oder sonstige räumlich begrenzte Ausstellungsflächen zu begrenzen. Damit sei auch vom Kammergericht nicht von vornherein die ungestellte Abbildung von Personen (ohne ihre Erlaubnis) nicht generell unmöglich gemacht.

BVerfG, Beschluss vom 08.02.2018 - 1 BvR 2112/15 -

Montag, 4. Juni 2018

Zur Räum- und Streupflicht des Vermieters im öffentlichen Bereich


Der Kläger ist der Lebensgefährte des Mieters der Beklagten und wohnte mit dem Mieter in einer Wohnung der Beklagten in München. Nach der Satzung der Stadt München (der Streithelferin der Beklagten) oblag dieser im fraglichen Bereich die Räum- und Streupflicht.

Der Kläger machte gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche geltend, da er anlässlich von Schneeglätte beim Verlassen des Hauses in dem nicht geräumten Bereich des öffentlichen Gehweges vor der Hauseingangstür am 17.01.2010 gegen 9.10 Uhr stürzte. Die Stadt München hatte zwar den Gehweg (häufiger) geräumt, aber nicht auf der ganzen Breite und nicht bis zur Schwelle des unmittelbar an den Gehweg angrenzenden Anwesens der Beklagten.

Die Klage und die Berufung des Klägers blieben erfolglos. Der BGH wies die Revision als  unbegründet zurück.

Grundsätzlich richtig sei die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger in den Schutzbereich des zwischen der Beklagten und seiner Lebensgefährtin abgeschlossenen Mietvertrages miteinbezogen worden sei. Allerdings würden vertragliche und auch deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte scheitern, da eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht vorläge. Zwar sei der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache und damit auch den Zugang zu dieser zu ermöglichen. Dazu gehöre auch die Erhaltungspflicht von Zugängen ebenso wie die Pflicht, diese in einem verkehrssicheren Zustand zu erhalten. Vor diesem Hintergrund sei der Vermieter verpflichtet, Wege auf dem Grundstück bis zum öffentlichen Straßenraum in den Wintermonaten zu räumen und zu streuen. Diese Verpflichtung würde den Eigentümer auch im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht dem Mieter gegenüber wie auch gegenüber anderen Personen, wie Besuchern und Lieferanten, obliegen.

Allerdings stürzte der Kläger im öffentlichen Bereich. Die Pflichten des Vermieters würden sich aber grundsätzlich nur auf das eigene Grundstück erstrecken. Dies würde auch für die allgemeine Verkehrssicherungspflicht gelten, wenn (wie hier) die Räum- und Streupflicht von der Gemeidne nicht auf den Eigentümer übertragen worden sei.

Die von der Revision vertretene Rechtsauffassung, die Räum- und Streupflicht würde selbst bei fehlender Übertragung derselben für den öffentlichen Bereich dem Eigentümer/Vermieter obliegen, und er müsse für einen ungehinderten Zugang zu dem geräumten Teil des Gehweges sorgen, teilt der BGH nicht. Der Vermieter habe für den öffentlichen Weg keine vertragliche Schutzpflicht übernommen noch eine Gefahrenquelle geschaffen. Der öffentliche Bereich sei einzig Sache der Gemeinde, die dies nicht an die Anlieger (Eigentümer) delegiert habe. Vergleichbar sei dies auch nicht mit dem Fall RGZ 165, 155; dort sei das vermietete Gebäude auf einem nicht erschlossenen Grundstück errichtet worden, und mangels eines (behelfsmäßigen) Zugangs vom Grundstück zur nächstbelegenen Straße habe eine besondere Gefahrensituation bestanden. Diese besondere Gefahrensituation läge hier nicht vor.

Im Übrigen würde die Revision verkennen, dass der Winterdienst auf öffentlichen Gehwegen nicht uneingeschränkt daran auszurichten sei, jedwede Gefahr des Ausgleitens von Fußgängern unter allen Umständen völlig auszuschließen. Der Fußgänger sei bei winterlichen Witterungsverhältnissen weiterhin verpflichtet, sorgfältiger als sonst seines Weges zu gehen. Es sei anerkannt, dass auf Gehwegen nur eine Breite von 1 bis 1,20m zu räumen, wenn nicht (bei Haltestellen u.ä.) besonders stark frequentierte Bereiche vorliegen. Es sei auch nicht erforderlich, den Gehweg bis zum Gehwegrand zu (und damit zur Grenze des anschließenden Grundstücks) zu räumen. Der Fußgänger müsse sich darauf einstellen, ggf. einen gewissen Bereich ungeräumten Weges zu passieren. Lässt er dabei nicht die erforderliche Sorgfalt obwalten, verwirkliche sich das allgemeine Lebensrisiko.  

BGH, Urteil vom 21.02.2018 - VIII ZR 255/16 -

Freitag, 1. Juni 2018

Wohngebäudeversicherung: Zur Auslegung des Begriffs der mitversicherten „Einfriedung“


Nach den Versicherungsbedingungen der Wohngebäudeversicherung  (Beklagte) waren u.a. „Einfriedungen (und zwar ausschließlich Zäune, Mauern und Hecken“  mitversichert gewesen; vom Versicherungsschutz waren Erdfall und Erdrutsch umfasst. Unter Berufung auf diese Regelung machte die Klägerin als Versicherungsnehmerin Ansprüche geltend. Betroffen war eine Trockenmauer, die – da das Grundstück auf einer Feldkante hoch über einen Wanderweg liegt – an der felskante bis zur Höhe des Grundstücksniveaus reichte. Auf der Trockenmauer befand sich ein Holzzaun. Die Trockenmauer senkte sich im Spätherbst 2015 an einigen Stellen ab, wodurch einzelne Steine und Felsbrocken auf den darunter verlaufenden Wanderweg stürzten. Die Klägerin ließ eine Notsicherung der Trockenmauer und eine Hangsicherung vornehmen und vertrat die Ansicht, die Trockenmauer stelle eine Einfriedung des Grundstücks dar und deshalb handele es sich um eine versicherte Maßnahme, da der Einsturz des Erdbodens und das Abrutschen naturbedingt gewesen seien. Von der Beklagten wurde die Ansicht vertreten, die Trockenmauer habe lediglich Stützfunktion und stelle sich nicht als versicherte Einfriedung dar, da sie nicht vor unbefugten Betreten und unerwünschter Einsicht schütze.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In seinem Hinweisbeschluss (auf den dann die Berufung zurückgenommen wurde) wies das OLG auf die fehlende Erfolgsaussicht der Berufung nach § 522 ZPO hin.

Unter Verweis auf das Urteil des BGH vom 18.10.2017 - IV ZR 188/16 -  wurde vom OLG angemerkt, dass für das Verständnis einer versicherungsvertragliche Klausel darauf abzustellen sei, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese bei verständiger Würdigung nach Durchsicht ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse nach dem erkennbaren Sinnzusammenhang verstehen würde. Damit sei in erster Linie vom Wortlaut auszugehen und der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zwecke und der Sinnzusammenhang seien zusätzlich zu berücksichtigen, soweit für den Versicherungsnehmer erkennbar.

Die Trockenmauer, auf der der Zaun stand, würde, so das OLG, von dem verständigen Versicherungsnehmer nicht als Einfriedung angesehen werden. Ein verständiger Versicherungsnehmer würde, den der Begriff Einfriedung nicht geläufig sei, annehmen, dass die Versicherungsbedingungen hier mit den allgemeinen nachbarrechtlichen Regelungen in §§ 921ff BGB sowie den landesrechtlichen Nachbarrechtregelungen identisch seien. §§ 4ff SächsNRG regele insoweit ausdrücklich die Errichtung und Unterhaltung von Einfriedungen. Darunter würde das Gesetz die Einrichtungen an oder auf der Grundstücksgrenze verstehen,  die dazu bestimmt seien, das Grundstück ganz oder teilweise zu umschließen und nach außen abzuschirmen, um so ein unberechtigtes Betreten oder Verlassen zu verhindern oder sonstige störende Einwirkungen abzuwehren. Damit sei nicht vereinbar eine Einfriedung, die lediglich der Grenzscheidung diene.

Zwar mag vorliegend der Zaun, der auf der Mauer angebracht war, dazu gedient haben, ein unberechtigtes Betreten oder Verlassen des Grundstücks zu verhindern. Nicht aber die Trockenmauer, die auf dem Grundstücksniveau endete. Diese habe lediglich dazu gedient, das Erdreich auf dem klägerischen Grundstück vor einem Abrutschen zu schützen. Die Einfriedungsfunktion habe daher lediglich der Zaun auf der Mauer erfüllt.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 02.01.2018 -  4 U 1400/17 -

Sonntag, 27. Mai 2018

Verwirkung des Klagerechts gegen eine Baugenehmigung


Die Antragsteller erhoben im Juni 2017 Klage gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verbunden mit dem Eilantrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung. Zugrunde lag dem eine dem beigeladenen am 10.03.2014 erteilte Baugenehmigung um Erweiterung seines Betriebs um einen Schweinemaststall mit 1440 Mastschweinen; mit dem Bau begann der Beigeladene im März 2017. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen Verwirkung des Klagerechts zurück; die dagegen von den Antragstellern eingelegte Beschwerde wurde vom OVG zurückgewiesen.

Die Verwirkung eines materiellen Abwehranspruchs setze, so das OVG, einen längeren Zeitraum voraus, währenddessen die Möglichkeit zur Klageerhebung bestanden hätte und dies dem Berechtigten bewusst gewesen sei.  Der positiven Kenntnis würde es gleich stehen, wenn der Berechtigte von ihm belastenden Maßnahmen zuverlässig Kenntnis haben müsste, so dass sie sich ihm aufdrängen müssten und es ihm möglich und zumutbar gewesen wäre, sich letzte Gewissheit hätte verschaffen können. Eine danach verspätete Klageerhebung würde gegen Treu und Glauben verstoßen, da der Berechtigte trotz ihm bekannter Umstände oder ihm zurechenbarer Möglichkeit zur Kenntniserlangung erst zu einem Zeitpunkt Klage erheben würde, zu dem der von der Baugenehmigung Begünstigte und die zuständige Behörde nicht mehr mit einer Klageerhebung rechnen müssten.

Vorliegend hätten die Antragsteller spätestens im Herbst 2015 zuverlässig Kenntnis von der Erteilung einer Baugenehmigung für den Beigeladenen erlangen können und müssen. Aus einem von ihnen selbst im Zusammenhang mit einem  eigenen Bauantrag beauftragten Gutachten vom 26.10.2015 hätten sie jedenfalls Kenntnis von einem geplanten Vorhaben des Beigeladenen nehmen können. Dieses Gutachten sei von ihnen für eine Sicherstellung der Genehmigungsfähigkeit des eigenen Vorhabens eingeholt worden. Denn nach den dortigen Grundlagen war das Vorhaben des beigeladenen als Vorbelastung im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen, wobei sich auch ergab, dass in dem Gutachten nicht vom beigeladenen benannte Daten, sondern Daten der Baugenehmigungsbehörde verarbeitet worden seien.  Selbst wenn man unter diesen Umständen annehmen wolle, dass die Antragsteller keine Kenntnis hatten, hätte sich ihnen deren Existenz in Ansehung der im Gutachten benannten exakten Tierplatzzahlen mit Zuordnung zu drei Geruchsquellen (von denen 2015 erst zwei existiert hätten) förmlich aufdrängen müssen. Jedenfalls hätte sie bei dieser Sachlage selbst aktiv werden müssen und sich über die rechtliche Situation informieren müssen, da die Angaben im Gutachten offensichtlich nicht nur den Ist-Bestand wiederspiegelt hätten.

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.12.2017 - 2 B 1483/17 -

Samstag, 26. Mai 2018

Reicht das Eigentum im Plangebiet für eine Klagebefugnis gegen einen Bebauungsplan ?


Die Antragstellerin zu 1. (AS 1) wandte sich gegen die Entscheidung des Hess.VGH mit der Begründung, dieser habe ihren Vortrag nicht zur Kenntnis genommen, dass der von ihr betriebene Gewerbemarkt sich jedenfalls deshalb im Plangebiet befände, da eine mit einem Geh- und Fahrrecht belastete Teilfläche des Grundstücks als  Zu- und Ausfahrt zur H. Straße integrierter Bestandteil des im Sondergebiert 1 von ihr betriebenen Marktes sei. Diesen gerügten verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs sah das BVerwG nicht. Es verwies darauf, dass die Antragstellerin ausdrücklich auf die (vom Hess.VGH hier negierte) Antragsbefugnis eines Eigentümers abgestellt habe, dessen Grundstück außerhalb des Plangebiets läge und insoweit auch auf einen Beschluss des BVerwG verwiesen habe. Damit scheide eine Verletzung rechtlichen Gehörs zu Lasten der AS 1 aus.

Allerdings sei die zulässige Beschwerde der Antragstellerin zu 2. (AS 2) begründet. Die Revision von ihr sei wegen Divergenz zuzulassen.

Das BVerwG verwies darauf, dass die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO wegen einer möglichen Eigentumsverletzung grundsätzlich zu bejahen sei, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wende, die unmittelbar sein Grundstück betreffe. Er könne in diesem Fall die Festsetzung gerichtlich überprüfen lassen, da eine planerische Festsetzung Inhalt und Schranken des Grundeigentums bestimmen würden, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Eine auch nur potentielle Rechtswidrigkeit eines solchen Eingriffs brauche der betroffene Eigentümer nicht ungeprüft hinnehmen. Sei er damit aber befugt, eine gerichtliche Überprüfung zu betreiben, käme es auch nicht darauf an, ob die Betroffenheit mehr als geringfügig sei, sein Interesse schutzwürdig wäre oder für die Gemeinde erkennbar sei. Ausreichend sei die Eigenbetroffenheit.

Davon sei der Hess.VGH in seinem Normenkontrollunterteil zu Lasten der AS 2 abgewichen. Er habe fehlerhaft die Antragsbefugnis der AS 2 negiert, da aufgrund eines Vergleichs der Festsetzungen des Ursprungs- und des angefochtenen Änderungsbebauungsplanes nicht ersichtlich sei, dass die AS 2 durch die mit der Änderungsplanung einhergehende geringfügige Erweiterung der baulichen Nutzungsmöglichkeit ihres Grundstücks in ihren Rechten verletzt sein könnte. Ebenso habe der Hess.VGH (fehlerhaft) die Erweiterung des Geh- und Fahrrechts zugunsten der neu im Plangebiet einbezogenen Grundstücke mit der Begründung verneint, es sei lediglich eine bestehende Belastung (Geh- und Fahrrechte) zugunsten der neu im Plangebiet einbezogenen Grundstücke „fortgeschrieben“ worden.

BVerwG, Beschluss vom 31.01.2018 - 4 BN 17.17 -

Donnerstag, 24. Mai 2018

Zur Unwirksamkeit einer Vertragsverlängerungsklausel eines Werbevertrages wegen fehlender Transparenz


Die Klägerin erwirbt Fahrzeuge, die sie sozialen Einrichtungen u.ä. kostenlos zur Verfügung stellt. Die Finanzierung erfolgt dergestalt, dass die Klägerin mit Sponsoren Werbeverträge über die Anbringung von Werbefläche auf Fahrzeugen und/oder Anhängern abschließt. Im streitbefangenen Fall hatte die Klägerin mit dem Beklagten einen entsprechenden Vertrag über Werbung an einem einer Schule zur Verfügung gestellten Anhänger abgeschlossen, der eine Laufzeit von 5 Jahren hatte und sich um diese Zeit auch verlängern sollte, wenn er nicht drei Monate vor Ablauf des Vertrages gekündigt würde. In den Auftragsbedingungen des Formularvertrages wurde ausgeführt, dass die Werbelaufzeit mit Auslieferung des Fahrzeugs an den Vertragspartner beginne. Das Fahrzeug wurde der Schule am 14.01.2011 übergeben; der Beklagte war zur Übergabe eingeladen worden. Mit Schreiben vom 15.08.2015 bedankte sich die Klägerin bei dem Beklagten dafür, dass dieser neuerlich die Schule unterstützen wolle und stellte ihm die Werbefläche für weitere fünf Jahre in Rechnung mit Fälligstellung zum 23.08.2015. Ein Ausgleichung durch den Beklagten erfolgte nicht.

Der BGH verwies unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 25.10.2017 - XII ZR 1/17 - darauf, dass Verstöße gegen das Transparenzgebot nicht den Gebräuchen und Gepflogenheiten des Handelsverkehrs entsprächen (§ 310 Abs. 1 S. 2 BGB) und von daher zur Unwirksamkeit einer entsprechenden Klausel auch gegenüber Unternehmern führen würden. So habe er bereits in der Entscheidung vom 25.10.2017   darauf verwiesen, dass eine Klausel über die automatische Verlängerung der Vertragslaufzeit wegen Verstoßes gegen das Tarnsparenzgebot unwirksam sei, wenn bei vertragsbeginn nicht feststehen würde, bis wann die Kündigung zur Abwendung der Verlängerung ausgesprochen werden müsse.

Im vorliegenden Fall sei der Vertragsbeginn unklar. Entscheidend soll die Auslieferung an den „Vertragspartner“ sein. Vertragspartner seien aber die Parteien des Vertrages (und des hiesigen Rechtsstreits). Die Schule sie nicht Vertragspartei gewesen; sie würde im Vertrag als „Organisation“ bzw. „Verein“ bezeichnet. Damit aber bliebe unklar, ob eine Auslieferung an den Beklagten oder die Schule gemeint sei. Der Wortlaut der Klausel würde für eine Auslieferung an den Beklagten sprechen, ferner, dass die Klägerin ab dem Zeitpunkt Aufwendungen für das Fahrzeug habe und deshalb Interesse an gleichzeitigen Einnahmen habe. Für eine Maßgeblichkeit der Auslieferung an die Schule spräche, dass erst ab dann der mit dem Sponsoring gewollte Werbeeffekt durch Einsatz des Fahrzeuges im Straßenverkehr zur Entfaltung käme (vgl. Urteil vom 25.10.2017).

Eine Unsicherheit ließe sich hier auch nicht aus dem Vertragsinhalt und seinen Umständen auflösen (womit der BGH inzident bestätigt, dass auch bei AGB-Klauseln §§ 133, 157 BGB greifen). Von der Revision der Klägerin sei geltend gemacht worden, dass für den Beginn der Werbelaufzeit auf die (dem Beklagten bekannt gegebene) Übergabe des Fahrzeuges abzustellen sei. Andererseits sei sie aber offenbar bei ihrem Schreiben vom 15.08.2015 offensichtlich davon ausgegangen, dass weder der Vertragsschluss noch die spätere Übergabe maßgeblich sein sollten, da sie die Zahlung für die Verlängerung bereits mit Fälligkeit zum 23.08.2015 in Rechnung stellte, während der Vertragsschluss erst am 03.09.2010 war, die Übergabe des Fahrzeuges an die Schule am 14.01.2011 stattfand und mithin  eine Fälligkeit für die Verlängerung am 23.08.2015 nicht hätten auslösen können.

Damit halte die Klausel einer Prüfung nach § 307 Ans. 1 BGB nicht stand. Die Intransparenz des letzten möglichen Kündigungszeitpunkts führe dazu, dass der Werbekunde eine Kündigung nicht effektiv ausüben könne. Eine geltungserhaltende Reduktion scheide aus (vgl. Urteil vom 25.10.2017).

BGH, Urteil vom 13.03.2018 - XII ZR 31/17 -

Mittwoch, 23. Mai 2018

Zur Haftung des Erwerbers von Wohnungseigentum für eine vor dem Erwerb beschlossene Sonderumlage


Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschloss am 28.08.2016 eine Sonderumlage in Höhe von € 60.000,00 für dringend notwendige Baumaßnahmen. Zur Fälligkeit wurde im Beschluss nichts ausgeführt. Am 31.10.2014 wurde der Beklagte als Eigentümer eines Miteigentumsanteils (verbunden mit einem Sondereigentum) im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 11.12.2014 forderte die WEG-Verwaltung den Beklagten zur Zahlung eines seinem Mieteigentumsanteil entsprechenden Teils der Sonderumlage auf. Der Beklagte war der Ansicht, dass die Sonderumlage vom ehemaligen Eigentümer zu tragen wäre. Das Amtsgericht verurteilte ihn zur Zahlung; seine Berufung wurde zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung erfolglos weiter.

Der BGH verwies darauf, dass § 16 Abs. 2 die Wohnungseigentümer den anderen Wohnungseigentümern gegenüber verpflichte, die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums sowie die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums nach dem Verhältnis ihres Anteils zu tragen, was auch für Sonderumlagen gelte.

Vorliegend würde dem Zahlungsanspruch gegen den Beklagten nicht entgegenstehen, dass die Sonderumlage vor der Eigentumsumschreibung beschlossen worden sei. Grundsätzlich hätte der Eigentümer die Zahlungen zu leisten, die während der Dauer seiner Mitgliedschaft in der Eigentümergemeinschaft aufgrund von wirksam beschlossenen Wirtschaftsplänen oder Sonderumlagen fällig würden. Für Verbindlichkeiten, die noch vor dem Eigentumserwerb (also der Auflassung des Eigentums im Grundbuch) fällig würden, würde der Eigentümer nicht haften. Die Frage, ob der Eigentümer für Beitragsleistungen auch hafte, die noch vor dem Eigentumserwerb beschlossen, aber erst danach fällig gestellt würden, sei streitig.

Diese Haftung wurde vom BGH bejaht.  Die Sonderumlage stelle sich als eine Ergänzung des geltenden Wirtschaftsplanes dar und könne als Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung beschlossen werden, wenn die Ansätze des Wirtschaftsplanes unrichtig wären, durch neue Tatsachen überholt würden oder der Plan aus anderen Gründen nicht durchgeführt werden könne. Sie folge daher den für den Wirtschaftsplan geltenden Regeln. Damit sei die Sonderumlage wie andere nach dem Plan zu erbringende Leistungen, namentlich Wohngeldforderungen, nach der Fälligkeitstheorie bis zur Eigentumsumschreibung vom bisherigen Eigentümer, danach vom neuen Eigentümer zu erbringen.

Soweit in der Literatur strittig behandelt würde, wann eine Sonderumlage fällig würden,  ist der BGH der Auffassung, dass die Fälligkeit grundsätzlich nicht mit dem Beschluss eintrete (es sei denn, dort würde anderes geregelt), sondern erst mit der Anforderung durch den WEG-Verwalter. § 28 Abs. 2 WEG würde hier der allgemeinen Regelung des § 271 Abs. 1 BGB vorgehen.

Anmerkung: Der Erwerber von Wohnungs-/Teileigentum sollte stets die Beschlussprotokolle der WEH vor dem Abschluss eines Kaufvertrages einsehen. Ggf. sollte er sich vom Veräußerer zusichern lassen, dass  - außer den monatlich fällig werdenden Wohngeldzahlungen – keine Beschlüsse gefasst wurden, die eine Zahlungsverpflichtung für ihn in der Zukunft begründen könnten.

BGH, Urteil vom 15.12.2017 - V ZR 257/17 -