Der Angeklagte hatte in einem Beschwerdeverfahren
vor dem OLG München eine Anhörungsrüge erhoben, mit der er sich gegen die Nichteinleitung
eines Ermittlungsverfahrens wegen einer von ihm erstatten Strafanzeige und
seiner Verwerfung seines Klageerzwingungsantrags durch das OLG wandte. Hier
führte er u.a. aus:
"Ihr Gefühl von Machtvollkommenheit
kennt offenbar keine Grenzen, keine Scham. Anders ist es nicht zu erklären,
dass Sie … den reinen Unsinn fabrizieren. ..
Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal schrie und tobte und
überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in
irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben
sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte "Rechtsstaat" und
"Legitimität" aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von
Pseudolegitimität, die sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich
beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie - zumindest in diesem
vorliegenden Justizskandal - genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider,
noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr
unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige
Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie
berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem
aber - zumindest in dem vorliegenden Justizskandal - zuwider.".
Das Amtsgericht verurteilte den
Angeklagten wegen Beleidigung. Die Berufung wurde vom Landgericht verworfen. Im
Rahmen der von ihm erhobenen Revision zum OLG, mit der er u.a. geltend machte, dass seine Anhörungsrüge, die
beanstandet wurde, eine Änderung der Sachentscheidung bezwecken sollte und das
Landgericht die Reichweite der Meinungsfreiheit von Rechtsanwälten im Lichte
der Rechtsprechung des EGMR verkannt habe. Auf die Revision wurde das Urteil
aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das
Landgericht (zu einer anderen Strafkammer) zurückverwiesen.
Vom OLG wurde darauf hingewiesen,
dass § 193 StGB eine Ausprägung des Grundrechts auf freie Meinungsfreiheit sei,
Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht wäre allerdings nur im Rahmen der
allgemeinen Gesetze, so dem Strafrecht, gewährleistet. Diese allgemeinen
Gesetze müssten allerdings im Lichte des Grundrechts im freiheitlich-demokratischen
Rechtsstaat ausgelegt werden.
Eine ehrverletzende Äußerung läge
dann vor, wenn die Grenze zur Schmähkritik überschritten sei. Selbst eine
überzogene und eine ausfällige Kritik mache allerdings diese noch nicht zu
Schmähkritik. Diese läge nur vor, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung
mit der Sache , sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stünde. Hier
habe sich der Angeklagte konkret im Zusammenhang mit dem Verfahren unter
Bezugnahme auf vorherige Schreiben geäußert und ausgeführt, dass er das Vorgehen des Landgerichts im Zivilverfahren und der Staatsanwaltschaft für rechtswidrig
hält und sein Unverständnis darüber zum Ausdruck über den Senat des OLG zum
Ausdruck gebracht, der in keine Sachprüfung einstieg. Von daher könne nicht
davon ausgegangen werden, dass eine Diffamierung von Mitgliedern des Senats im
Vordergrund stand. Zwar habe der Angeklagte harsche Worte gebraucht; allerdings
sei deswegen die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten, da die mittelbare
Kritik an der Person nicht die sachliche Kritik in den Hintergrund treten ließ.
Auch könne dem Landgericht bei seiner Begründung der Zurückweisung der Berufung
nicht gefolgt werden, dass das beanstandete Schreiben keine verfahrensrelevante
Bedeutung mehr gehabt habe: Das Landgericht habe damit das Wesen der
Anhörungsrüge verkannt, die bei Vorliegen einer hier behaupteten Verletzung
rechtlichen Gehörs zur Nachprüfung der Entscheidung zwinge.
OLG München, Beschluss vom 11.07.2016 – 5 OLG 13 Ss 244/16 -