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Dienstag, 9. November 2021

Dringlichkeit (hier: zeitliche Folge) für einstweilige Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO (Meinungsäußerung, Schmähkritik im Internet)

Über die Antragstellerin (AS) wurde in den sozialen Medien seit ihrer Teilnahme an einer TV-Show berichtet, seit 2016 auf einer bestimmten Internetseite verschiedene, meist negative Berichte veröffentlicht. Nach Mutmaßung der AS wird die Internetseite von dem Antragsgegner (AG) betrieben. Die AS plante am 01.09.2020 die Veröffentlichung eines Buches. Im Vorfeld dazu schrieb der AG am 28.08.2020 den Verlag an und kündigte diesem für den Fall der Veröffentlichung Konsequenzen an. Darauf beendete der Verlag noch im August 2020 die Zusammenarbeit mit der AS; das Buch ist bisher nicht erschienen. In der Mail des AG an den Verlag hieß es, es sei nicht wahr dass ein B… D…. nicht ernstgenommen worden sei und die Polizei ihr (der AS) immer wieder sagen würde, es gäbe keinen Handlungsbedarf, es sei auch nicht wahr, dass die AAS von ihr bekannten Personen verfolgt, beleidigt und bedroht würde, vielmehr beschimpfe die AS ihn (den AG) mit faschistischen Äußerungen in den sozialen Medien mit Termine wie „Lügenpresse“ und habe gegen einen Moderator Morddrohungen geäußert. Auf Facebook teilte der AG mit, selbst ein Buch geschrieben zu haben.

Die AS behauptete, sie habe von den den Streitgegenstand des Verfügungsverfahrens bildendenden Ankündigungen des AG seit dem 13.04.2021 Kenntnis, da eine Teilnehmerin der Facebook-Gruppe ihr diese habe zukommen lassen.

Am 21.05.2021 beantragte die AS bei dem LG Frankfurt (Oder) den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der sie dem AG untersagen lassen wollte, insgesamt 5 Äußerungen zu verbreiten und ferner den AG untersagen lassen wollte, sich auf der Internetseite über sie zu äußern. Das LG wies den Antrag ab, da ein Teil der beanstandeten Äußerungen Meinungsäußerungen darstellen würden und noch nicht die Grenze der unzulässigen Schmähkritik erreicht hätten, i Übrigen es sich zwar um eine Tatsachenbehauptung handele, hier aber - da die Behauptung bereits 2020 aufgestellt worden sei - der Verfügungsgrund fehle.

Die zulässige Beschwerde der AS gegen den den Erlass der einstweiligen Verfügung ablehnenden Beschluss des LG wurde vom OLG zurückgewiesen.

Für eine einstweilige Verfügung sei eine Eildürftigkeit / Dringlichkeit erforderlich. Für drei der beanstandeten Äußerungen könne dies nicht angenommen werden. Damit würde es an einem Verfügungsgrund fehlen. Diese Äußerungen seien im August 2020 getätigt worden, mithin ca. neun Monate vor dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Eine für die Dringlichkeit sprechende Vermutung sei damit durch das Verhalten der AS widerlegt, da sie mit der Rechtsverfolgung zu lange zugewartet habe (BGH, Beschluss vom 01.07.1999 - IZB 7/99 -). Voraussetzung für die erforderliche Dringlichkeit sei, dass die objektiv begründete Gefahr bestünde, dass durch eine Veränderung des Status quo eine Rechtsverwirklichung der AS in einem möglichen Hauptsachverfahren vereitelt oder erschwert würde und die einstweilige Verfügung zur Abwendung einer Gefährdung der Gläubigerinteressen zur vorläufigen Sicherung im Eilverfahren dringlich geboten sei. Das lange Zuwarten manifestiere, dass die AS selbst die Angelegenheit nicht für eilbedürftig halte (KG, Urteil vom 09.02.2001 - 5 U 9667/00 -; OLG Hamburg, Beschluss vom 20.03.2008 – 7 W 19/08 -).  Es könne auf sich beruhen, ob entsprechend der Rechtsprechung zu Wettbewerbssachen eine Frist von einem Monat zwischen Verstoß und Antragstellung erforderlich sei (so auch teilweise angenommen für Verfügungen nach §§ 935, 940 ZPO) oder bei Anträgen (wie hier) nach §§ 935, 940 ZPO sechs bis acht Wochen der Dringlichkeit nicht entgegenstehen, könne auf sich beruhen, da die AS zeitnah von den Mails des AG vom 28.08.2020 Kenntnis erlangt habe, da sonst ihr Buch zum 01.09.2020 wie beabsichtigt erschienen wäre.

Gründe, die gegen die Annahme der fehlenden Dringlichkeit sprechen könnten (wie Verhandlungen der Parteien über die Verbreitung der Äußerungen mit der begründeten Hoffnung, dass damit der drohenden bzw. behaupteten Rechtsgutverletzung abgeholfen werden könne, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2018 - 3 W 2064/18 -), wären von der AS vorzutragen und glaubhaft zu machen gewesen, was nicht erfolgt sei.

Die Dringlichkeit habe auch nicht dadurch wideraufleben können, dass der AG die ihm übersandte Unterlassungserklärung, in der die beanstandeten Behauptungen aufgenommen worden seien, auf der streitgegenständlichen Internetseite veröffentlicht habe. Es habe sich damit nur die seit August 2020 bestehende konkrete Gefahr der jederzeitigen Wiederholung verwirklicht. Es hätten sich hier auch nicht Umstände geändert, da der Text der gleiche gewesen sei, weshalb die AS auch nicht schwerer als 2020 betroffen gewesen sei (im Gegenteil, in 2020 habe dies die Veröffentlichung des Buches verhindert).

Soweit darüber hinaus der Antrag wegen Meinungsfreiheit abgewiesen worden sei, sei dies auch nicht zu beanstanden. Die Meinungsäußerung unterscheide sich von einer Tatsachenbehauptung dadurch, dass die subjektive Beziehung zwischen Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund stünde, hingegen für die Tatsachenbehauptung die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch sei.  Ein Tatsachenbehauptung sei einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich, was bei Meinungsäußerungen nicht der Falls sei, die durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sei und sich von daher nicht als wahr oder unwahr erweisen könne. Für die Ermittlung des Aussagegehalts sei auf den allgemeinen Sprachgebrauch im betreffenden Kontext zurückzugreifen.

Enthalte eine Äußerung sowohl Tatsachenbehauptungen wie auch Meinungsäußerungen/Werturteile, sei ein Herausgreifen einzelner Elemente unzulässig. Entscheidend sei, ob die Tatsachenbehauptung so substanzarm ist, dass die Äußerung insgesamt durch die Elemente der Stellungnahm, des Dafürhaltens und Meinens geprägt sei. Bei Zweifel sei insgesamt von einer Meinungsäußerung auszugehen, wobei Wahrheit oder Unwahrheit dann im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der schutzwürdigen Belange vorzunehmen sei (BGH, Urteil vom 17.11.2009 – VI ZR 226/08 -).

Die Meinungsäußerung sei durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet, unabhängig davon, ob sie wertlos oder wertvoll, richtig oder falsch, begründet oder grundlos, emotional oder rational sei. Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen würden darunter fallen. Nur dann, wenn nicht die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Herabsetzung einer Person im Vordergrund stünde, würde die als Schmähung anzusehende Äußerung hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurücktreten.

Für den Antrag, dem AG zu untersagen, sich überhaupt auf der Internetseite über sie zu äußern, sei kein Raum. Es könne ihm nicht untersagt werden, sich in öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen im Rahmen der rechtlichen Grenzen (wie aufgezeigt) wertend über die AS (auch der Internetseite) zu äußern. 

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.07.2021 - 1 W 23/21 -

Donnerstag, 25. Juli 2019

Influencer-Marketing und verbotene getarnte Werbung (§ 5a Abs. 6 UWG)


Der Antragsgegner (AG) war nach seinem Internetauftritt seit 2012 hauptberuflich mit der Gestaltung von Aquarienlandschaften beschäftigt. Auf Instagram präsentierte er unter dem Pseudonamen „X“ Aquarien, Aquarienzubehör und Wasserpflanzen, wobei er u.a. Wasserpflanzen der Firma Y zeigte und die gezeigten Produkte mit dem Instagram-Account des Herstellers verlinkte. Zu seiner Person hieß es auf youtube, dass er seit Juli 2017 für die Sozialen Medien bei Y tätig sei. Der Antragsteller (AS), der im Rahmen einer einstweiligen Verfügung die Untersagung bestimmter Angaben und Abbildungen durch den AG auf Instagram im Rahmen kommerzieller Werbung ohne Hinweis darauf verlangte,  verwies auf einen Verstoß von § 5a Abs. 6 UWG. Dort heißt es:

Unlauter handelt auch, wer den kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung nicht kenntlich macht, sofern sich dieser nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und das Nichtkenntlichmachen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

Das Landgericht sah keinen Verstoß gegen § 5a Abs. 6 UWG und hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde führte zum Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung.

Kernfrage war, ob es sich bei der Produktpräsentation des Antragsgegners um redaktionelle Werbung iSv. § 5a Abs. 6 UWG (so die Auffassung des Antragstellers) oder um private Empfehlungen resp. Meinungsäußerungen (so die Auffassung des Antragsgegners) handelt.

Das OLG stellte darauf ab, dass geschäftliches Handeln gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor einem Geschäftsabschluss sei, welches mit der Förderung des Warenabsatzes objektiv zusammenhänge. Hier habe die streitbefangene Präsentation Werbung dargestellt, die dem Absatz dieser Produkte habe dienen sollen. Dieser Annahme würde nicht das Auftreten des Antragsgegners auf Instagram als „X“ entgegenstehen, da dieser nach Auffassung des OLG Entgelte oder sonstige Vorteile (wie Rabatte oder Zugaben) erhalte. Dafür sprächen die hauptberufliche Befassung mit Aquarienlandschaften sowie die geschäftliche Beziehung des AG zu Y, wie durch die Beschreibung des AG bei youtube belegt würde. Zudem würde auch die Verlinkung der präsentierten Produkte mit dem Instagram-Account des Herstellers ein starkes Indiz gegen die Annahme darstellen, es würde sich nur um eine private Meinungsäußerung handeln, und für die Annahme des kommerziellen Zwecks sprechen (KG, Beschluss vom 11.10.2017 – 5 W 221/17, S. 19).

Die weitere Voraussetzung des § 5a Abs. 6 UWG, dass der Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst würde, die er ohne diese Produktwerbung ansonsten nicht tätigen würde, liegt nach Annahme des OLG auch vor. Eine geschäftliche Entscheidung läge danach nicht nur in dem Aufrufen eines Verkaufsportals (dem Betreten eines Geschäfts gleichstehend) vor, vielmehr genüge bereits das Öffnen einer Internetseite, die es ermögliche, sich näher mit dem Produkt auseinanderzusetzen (BGH, Urteil vom 07.03.2019 - I ZR 184/127 -). Da vorliegend der Leser des AG auf den Instagram-Account des Herstellers geleitet würde und sich dort mit dem Produkt näher zu befassen, läge in dem Klick die geschäftliche Entscheidung.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.06.2019 - 6 W 35/19 -

Sonntag, 11. September 2016

Schmähkritik/Beleidigung versus Wahrnehmung berechtigter Interessen bei Justizkritik

Der Angeklagte hatte in einem Beschwerdeverfahren vor dem OLG München eine Anhörungsrüge erhoben, mit der er sich gegen die Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer von ihm erstatten Strafanzeige und seiner Verwerfung seines Klageerzwingungsantrags durch das OLG wandte. Hier führte er u.a. aus:

"Ihr Gefühl von Machtvollkommenheit kennt offenbar keine Grenzen, keine Scham. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie … den reinen Unsinn fabrizieren. ..
Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte "Rechtsstaat" und "Legitimität" aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie - zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal - genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber - zumindest in dem vorliegenden Justizskandal - zuwider.".

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen Beleidigung. Die Berufung wurde vom Landgericht verworfen. Im Rahmen der von ihm erhobenen Revision zum OLG, mit der er u.a.  geltend machte, dass seine Anhörungsrüge, die beanstandet wurde, eine Änderung der Sachentscheidung bezwecken sollte und das Landgericht die Reichweite der Meinungsfreiheit von Rechtsanwälten im Lichte der Rechtsprechung des EGMR verkannt habe. Auf die Revision wurde das Urteil aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landgericht (zu einer anderen Strafkammer) zurückverwiesen.

Vom OLG wurde darauf hingewiesen, dass § 193 StGB eine Ausprägung des Grundrechts auf freie Meinungsfreiheit sei, Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht wäre allerdings nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze, so dem Strafrecht, gewährleistet. Diese allgemeinen Gesetze müssten allerdings im Lichte des Grundrechts im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ausgelegt werden.

Eine ehrverletzende Äußerung läge dann vor, wenn die Grenze zur Schmähkritik überschritten sei. Selbst eine überzogene und eine ausfällige Kritik mache allerdings diese noch nicht zu Schmähkritik. Diese läge nur vor, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache , sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stünde. Hier habe sich der Angeklagte konkret im Zusammenhang mit dem Verfahren unter Bezugnahme auf vorherige Schreiben geäußert und ausgeführt, dass er das Vorgehen des Landgerichts im Zivilverfahren und der Staatsanwaltschaft für rechtswidrig hält und sein Unverständnis darüber zum Ausdruck über den Senat des OLG zum Ausdruck gebracht, der in keine Sachprüfung einstieg. Von daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Diffamierung von Mitgliedern des Senats im Vordergrund stand. Zwar habe der Angeklagte harsche Worte gebraucht; allerdings sei deswegen die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten, da die mittelbare Kritik an der Person nicht die sachliche Kritik in den Hintergrund treten ließ. Auch könne dem Landgericht bei seiner Begründung der Zurückweisung der Berufung nicht gefolgt werden, dass das beanstandete Schreiben keine verfahrensrelevante Bedeutung mehr gehabt habe: Das Landgericht habe damit das Wesen der Anhörungsrüge verkannt, die bei Vorliegen einer hier behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs zur Nachprüfung der Entscheidung zwinge.


OLG München, Beschluss vom 11.07.2016 – 5 OLG 13 Ss 244/16 -