Wie so häufig machte auch hier
der klagende Sozialversicherungsträger nach einem Unfall einen nach § § 116
Abs. 1 SGBX auf sie übergegangenen Ersatzanspruch gegen den gesetzlichen
Haftpflichtversicherer (Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr, 1 VVG)
geltend. Die Haftung war unstreitig. Streitig war die Höhe des von der Klägerin
begehrten Schadens. Von der Beklagten wurde eingewandt, der Schaden sei bisher –
soweit nicht anerkannt – nicht durch prüffähige Unterlagen belegt worden. Hier
wie zwischenzeitlich ständig wurde vom Sozialversicherungsträger eingewandt, die
von ihr vorgelegten „Grouper“-Ausdrucke (vom Krankenhausträger der Krankenkasse
übermittelte Abrechnungsdaten) und vorgelegten Krankenhausberichte seien
ausreichend. Ebenso wie es zwischenzeitlich meist geschieht, wurde dies vom Landgericht
und – aufgrund der von der Beklagten eingelegten Berufung – auch vom
Oberlandesgericht so gesehen (Urteil OLG Sachsen-Anhalt vom 02.07.2023 - 9 U
125/22 -), weshalb der Klage stattgegeben, die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen wurde. Das OLG argumentiert u.a. damit, dass § 116 Abs. 1 S. 1
SGB X nicht zu entnehmen sei, dass von der Krankenkasse tatsächlich gezahlte
Krankenhauskosten aufgrund von Einwendungen gegen die Höhe vom
Anspruchsübergang ausgeschlossen sein sollten, wobei es darauf verwies, dass
dies auch im Zusammenhang mit dem bei Sachschäden gebräuchlichen Begriff des „Werkstattrisikos“
stünde.
Grundsätzlich,
so zutreffend der BGH, stehe der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch aus
nach 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu, und zwar auf Ersatz der Kosten der Heilung der
bei dem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen (§§ 7 Abs. 1, 11 S. 1 StVG, 115
Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG iVm. § 1 S. 1 PflVG). Die Bemessung der Höhe des
Schadenersatzanspruchs sei in erster Linie des nach § 287 ZPO besonders
freigestellten Tatrichters, wobei im Revisionsverfahren nur geprüft werden
könne, ob dieser wesentliche Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt,
wesentliche Bemessungsgrundlagen außer Acht gelassen oder seien Schätzung
unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe (st. Rspr., so Urteil vom 29.09.2020 -
VI ZR 271/19 -). Solche Fehler lägen hier vor.
Die Klägerin
sei, was das OLG verkannt habe, trotz des bereits im Zeitpunkt des schadensstiftenden
Ereignisses stattfindenden Anspruchsübergangs nicht als Geschädigte anzusehen.
Der Schaden, der der Klägerin zu ersetzen sei, sei nicht ohne weiteres der Vermögenseinbuße
gleichzusetzen, die der Klägerin durch ihre Leistungsplicht gegenüber ihrem
Versicherten gem. § 11 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 27 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 2 SGB
V entstanden sei (BGH, Urteil vom 23.02.2010 - VI ZR 331/08 -). Der nach § 116
Abs. 1 S. 1 SGB X übergehende Anspruch auf Ersatz gehe über, soweit dieser aufgrund
des Schadensereignisses der Versicherungsträger Sozialleistungen zu erbringen
habe, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen würden (sachliche
Kongruenz) und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende
Schadensersatz beziehen würde (zeitliche Kongruenz). Dabei knüpfe der
Forderungsübergang an die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers („zu
erbringen hat“) und nicht an tatsächlich erbrachte Leistungen an (BGH, Urteil
vom 18.10.2022 – VI ZR 1177/20 -). Dabei könne er einen Aufwendungsersatz nur
insoweit verlangen, als er Aufwendungen auf einen Schaden des Versicherten zu
erbringen habe. Zu unterscheiden sei zwischen der unabhängig von einer
Schadensersatzverpflichtung Dritter bestehenden Leistungsverpflichtung des
Versicherungsträgers gegenüber der versicherten Person einerseits und seinem
Regressanspruch gegenüber einem Schädiger andererseits; übertragen sei dem Versicherungsträger
nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X nur der Schadensersatzanspruch des Versicherten.
Läge ein solcher nicht vor, habe er keinen Anspruch gegenüber dem Schädiger
(BGH, Urteil vom 10.07.2007 - VI ZR 192/06 -). Etwas anderes ergäbe sich auch nicht
aus dem frühen Zeitpunkt des Anspruchsübergangs, mit dem auch möglicherweise in
der Zukunft liegende Leistungen des Versicherers für den Geschädigten gesichert
würden, die sachlich und zeitlich mit Ersatzansprüchen des Geschädigten kongruent
seien; ein eigener Anspruch des Versicherungsträgers auf Erstattung aller
seiner durch das Schadensereignis ausgelösten Leistungen folge daraus nicht
(BGH, Urteil vom 07.12.2021 - VI ZR 1189/20 -).
Das OLG habe
die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin zur
Schadenshöhe rechtsfehlerhaft verkannt.
Den
Sozialversicherungsträger träfen im Grundsatz die gleichen Anforderungen an die
Darlegungs- und Beweislast wie den Geschädigten, würde dieser den
Schadensersatzanspruch selbst geltend machen (u.a. BGH, Urteil vom 23.06.2020 -
VI ZR 435/19 -). Es müssten Tatsachen angeführt werden, die in Verbindung mit
einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht in ihrer Person
entstanden erscheinen zu lassen. Für die Beweislast für die (im Streit stehende)
haftungsausfüllende Kausalität, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der
primären Rechtsgutsverletzung und weiteren Schäden des Verletzten
(Sekundärschäden) betreffe, gelte das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO
(wonach eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge). Auch
die Systematik des Gesetzes spreche gegen einen Willen des Gesetzgebers, gesetzliche
Krankenkassen (Anmerkung: Gleiches gilt für die gesetzlichen
Unfallversicherungsträger) hinsichtlich der Aufwendungen beim Regress nach §
116 Abs. 1 S. 1 SGB X besserzustellen. Der Gesetzgeber habe mit § 116 Abs. 8
SGB X eine Regelung geschaffen, die den Regress für Kosten der nicht stationären
ärztlichen Behandlung und Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln vereinfache
(Pauschale, werden keine höheren Kosten nachgewiesen); dies sei für die
stationäre ärztliche Behandlung nicht erfolgt.
Auch wenn der zur Entscheidung berufene zuständige VI. Zivilsenat des BGH in
vergangenen Entscheidungen ausgeführt habe, dass den Belangen der
Sozialversicherungsträger Rechnung zu tragen sei (BGH, Urteil vom 24.04.2012 -
VI ZR 329/10 -), sei es den Gerichten verwehrt, die Rechtsanwendung allgemein
nach dem Schutzbedürfnis der Sozialversicherungsträger auszurichte, selbst wenn
sie dies höher bewerten wollten als dem Schutz des Schuldners (BGH vom
24.04.2012 aaO.).
Auch sei der
Annahme des OLG nicht zu folgen, die Klägerin könne die an die
Behandlungseinrichtungen gezahlten Beträge aus sozialversicherungsrechtlichen
Gründen nicht mehr zurückfordern und dies käme dem Fall des deshalb anzuwenden
Rechtsgedanken des § 118 SGB X gleich. Nach § 118 SGB X ei ein Zivilgericht,
das über einen nach § 116 Abs. 1 SGB X auf den Sozialversicherungsträger
übergegangenen Anspruch zu entscheiden habe, an eine unanfechtbare Entscheidung
eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers
über den Grund oder die Höhe der dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung
grundsätzlich gebunden. Die Bindungswirkung erstrecke sich auf den Tenor des
Leistungsbescheides oder des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Urteils und
dessen tragende Feststellungen, nicht auf die zivilrechtlichen
Haftungsvoraussetzungen wie die Kausalität zwischen Schädigungshandlung und dem
eingetretenen Schaden (BGH, Urteil vom 16.03.2021 – VI ZR 773/20 -).
[Anmerkung: Leider nimmt der BGH nicht zu der Frage Stellung, ob eine Bindungswirkung
ggf. auch dann angenommen werden kann, wenn der vom Sozialversicherungsträger
in Anspruch genommene Schädiger an der unanfechtbaren Entscheidung des
Sozialversicherungsträgers oder eines sozial- oder sozialgerichtlichen
Verfahrens nicht beteiligt war, liegt hier doch bei Annahme einer Bindungswirkung
eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor]. Die von der Klägerin geleistete
und ggf. nicht rückforderbare Zahlung auf die Rechnungen der Krankenhäuser
stehe einer unanfechtbaren Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts
nicht gleich und vorliegend würde weder der Grund noch die Höhe der
Leistungspflicht der Klägerin gegenüber dem Versicherten in Streit stehen. Im,
Streit stünde der Schadensersatzanspruch des Versicherten, in dessen Rahmen die
Klägerin nur Anspruch auf Ersatz der von ihr verauslagten Kosten für erfolgte
medizinische medizinische Untersuchungen und Behandlungen habe, soweit diese iSv.
§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich waren (BGH, Urteil vom 17.09.2013 - VI ZR
95/13 -).
Sozialrechtliche
Anforderungen an das Abrechnungssystem zwischen Krankenhäusern und gesetzlichen
Krankenkassen sowie sozialrechtliche Anforderungen an die Datenübermittlung,
Prüfung von Rechnungen und Zahlungspflichten der Krankenkassen würden keine
Abweichung von den zivilrechtlichen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast
nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X rechtfertigen. Aus §§ 275,
275c, 284 – 293 und 294 bis 303 SGB V und § 17c Abs. 2b KHG würden daran nichts
ändern. Hier würden ausschließlich Rechte und Pflichten von
Sozialversicherungsträgern und Leistungserbringern festgelegt, aber nicht das
Verhältnis zum Schädiger im Rahmen zivilrechtlicher Haftung geregelt. Gesetzlich
Beschränkungen der gesetzlichen Krankenkassen für die Prüfung der
Krankenhausrechnungen könnten nicht als Grundlage herangezogen werden, um die
Rechtsposition des Schädigers nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 S.
1 SGB X zu beschneiden, da ansonsten die Grenzen der richterlichen
Rechtsfortbildung überschritten würden (BVerfGE 128, 193, 210; BGH, Urteil vom
11.06.2024 – VI ZR 133/23 -). Damit würden die von den Behandlungseinrichtungen
erstellten Abrechnungsdaten nach allgemeinen Grundsätzen auch nur einen
Anhaltspunkt, aber kein wesentliches bzw. starkes Indiz für die Erbringung
und/oder Erforderlichkeit der abgerechneten Leistung darstellen (so auch zu „Grouper“-Ausdrucken
OLG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2023 - 12 U 17/23 -; OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 30.01.2024 - 1 W 24/23 -; zum Problem der Fahlcodierungen BVerfG,
Nichtannahmebeschluss vom 26.11.2018 - 1 BvR 318/17 -). Zudem habe der
Gesetzgeber nach § 294a SGB V unter anderem Krankenhäuser gem. § 108 SGB V
verpflichtet, Angaben zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um nach §
116 Abs. 1 S. 1 SGB X auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche geltend zu
machen.
Die
Rechtsprechung zum sogen. „Werkstattrisiko“ bei Beschädigung einer Sache für
Reparatur- und Sachverständigenkosten seien für Ansprüche der gesetzlichen Krankenkassen
auf Ersatz der Kosten der Heilung nicht übertragbar. Diese Grundsätze seien geprägt
von dem Gedanken, dass es Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB
widerspreche, wen der Geschädigte bei Ausübung der ihm zustehenden Ersetzungsbefugnis
im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der
Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem, Einfluss entzogen
sei. Eine entsprechende Konstellation läge hier aber nicht vor. Die gesetzliche Krankenkasse sie nicht Geschädigte,
Geschädigter sei der Versicherte. Die Klägerin trage die Behandlungskosten
aufgrund ihrer diesem gegenüber bestehenden Leistungspflicht. Ihre Zahlungsverpflichtung
entstünde, unabhängig von einer Kostenzusage, unmittelbar mit Inanspruchnahme
der Leistung durch den Versicherten Kraft Gesetz, wenn die Behandlung in einem
zugelassenen Krankenhaus durchgeführt und iSv. § 39 Abs. 1 SGB V S. 2
erforderlich sei (BSG, Urteil vom 01.07.2014 - B 1 KR 29/13 R; BGH, Urteil vom
03.05.2011 - VI ZR 61/10 -). Die Leistungen der Krankasse sind nicht zwingend
deckungsgleich mit dem iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB „erforderlichen“
Heilbehandlungsmaßnahmen und selbst bei einer sachlichen und zeitlichen
Kongruenz zwischen der Leistungspflicht der Krankenkasse und dem zu leistenden
Schadensersatz bemesse sich beides nach unterschiedlichen Grundsätzen.
BGH,
Urteil vom 09.07.2024 - VI ZR 252/23 -