Sonntag, 29. Dezember 2024

Scheinbeklagter und dessen Kostenantrag nach Klagerücknahme

Die Klägerin erhob gegen eine Firma X Gesellschaft mit beschränkter Haftung, vertreten durch die Mehrheitsgesellschafterin VX Klage. Im Rahmen des schriftlichen Vorverfahrens erließ das Landgericht am 03.11.2023 ein Versäumnisurteil. Am 14.11.2023 teilte das Landgericht der Klägerin mit, dass sowohl das Versäumnisurteil als auch die Erstverfügung nicht hätten zugestellt werden können. Die Klägerin teile eine neue Anschrift der Gesellschaft mit. Nachdem dort die Erstverfügung und das Versäumnisurteil am 18.11.2023 zugestellt werden konnten, zeigte ein Rechtsanwalt die Vertretung von Frau YX an und teilte mit, diese habe „das Unternehmen veräußert“, was auch im Handelsregister vor Klageerhebung „vollzogen“ worden sei. Vorsorglich legte er Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein, wobei er es ausdrücklich demjenigen vorbehielt, den Einspruch zu begründen, die die Gesellschaft/Beklagte tatsächlich vertritt. Das Landgericht beraumte Termin zur mündlichen Verhandlung an gewährte der Klägerin rechtliches <Gehör zur Frage der Passivlegitimation. Mit Beschluss vom 09.01.2023 hob das Landgericht den Termin auf und erteilte Hinweise zum Stand des Handelsregisters ab dem 04.07.2023 und dessen Folgen. Am 10.01.2024 teilte das Insolvenzgericht  mit, dass am 04.01.2023 über das  Vermögen der X GmbH des Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, was das Landgericht der Klägerin und Frau YX zur Kenntnis brachte. Am 05.03.2024 nahm die Klägerin die Klage zurück. Auf den Kostenantrag  von Frau YX erlegte das Landgericht der Klägerin mit Beschluss vom 20.03.2024 die Kosten des Rechtsstreits auf. Die Klägerin legte gegen den Beschluss vom 20.03.2024 sofortige Beschwerde ein und beantragte, die Kosten der X GmbH aufzuerlegen mit Hinweis darauf, dass der Insolvenzverwalter der X GmbH die Forderung der Klägerin zur Tabelle festgestellt habe. Der Beschwerde halb das Landgericht nicht ab und legte den Vorgang dem Oberlandegericht zur Entscheidung über die Beschwerde vor. Die Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht als unbegründet abgewiesen.

Würde wie hier nach Einreichung der Klage bei Gericht, aber noch vor Zustellung derselben an die Beklagte das Insolvenzverfahren über deren Vermögen eröffnet, finde eine Unterbrechung des Rechtsstreits nicht statt (BGH, Beschluss vom 11.12.2008 - IX ZB 232/08 -). Für das Beschwerdeverfahren könne nichts anderes gelten.

Rechtsgrundlage der Kostenentscheidung des Landgerichts sei § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO. Den erforderlichen Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO könne auch eine Scheinbeklagte stellen, da auch eine solche Anlass zur Verteidigung habe und die Möglichkeit haben müsse, sich entsprechend § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO bei der Klägerin schadlos zu halten, die die falsche Zustellung veranlasst habe. 

Nach § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 ZPO bestimme sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wenn der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und die Klage daraufhin zurückgenommen würde. Der „Anlass zur Klage“ iSv. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO könne nur angenommen werden, wenn die Klage bei ihrer Einreichung zulässig und begründet war oder jedenfalls zu irgendeinem Zeitpunkt vor ihrer Einreichung zulässig und begründet gewesen wäre. Auf eine aus objektiver Sicht zu keinem Zeitpunkt aussichtsreichen Klage sei die Bestimmung nicht anwendbar (BGH, Beschluss vom 17.12.2020 - I ZB 38/20 -).

Hier sei die Klage zu keinem Zeitpunkt aussichtsreich gewesen. Sei der gesetzliche Vertreter der Beklagten nicht nur irrtümlich falsch bezeichnet worden und die Klage an den vermeintlichen gesetzlichen Vertreter mit Willen der Klägerin zugestellt worden, sei die Klage unzulässig (BGH, Urteil vom 14.03.2017 - XI ZR 442/16 -). Zwar sei die Annahme des Landgerichts fehlerhaft, dass bereits über einen Monat vor Einreichung der Klage ein neuer Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen worden sei; bis zum heutigen Tag sei B als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen, der allerdings bereits Ende 2022 verstorben sei.

(Anmerkung: Ist die GmbH „führungslos“, hat sie also keinen Geschäftsführer, greift § 35 Abs. 1 S. 2 GmbHG, wonach für den Fall, dass sich die Gesellschaft nicht in Liquidation oder im Insolvenzverfahren befindet, und ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden sollen, die Gesellschafter due Gesellschaft vertreten.)

Entscheidend sei vorliegend, dass eine Zustellung der Klageschrift an die dort benannte Frau YX nicht in Betracht gekommen sei, da diese bereits mit notariellen Vertrag vom 16.04.2019 alle ihre Gesellschaftsanteile an B veräußert habe, in dessen Hand ab diesem Zeitpunkt alle Gesellschaftsanteile der Gesellschaft gelegen hätten, was im Handelsregister aus der in den Registerordner am 04.07.2023 eingestellten Liste der Gesellschafter ersichtlich gewesen sei. Deshalb sei eine Zustellung der Klageschrift vom 03.08.2023 an Frau YX nach § 35 Abs. 1 S. 3 GmbHG nicht mehr in Betracht gekommen.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.09.2024 - 3 W 8/24

Samstag, 21. Dezember 2024

Regress des Sozialversicherungsträgers – Grouper als Beweis der Aufwendungen ?

Wie so häufig machte auch hier der klagende Sozialversicherungsträger nach einem Unfall einen nach § § 116 Abs. 1 SGBX auf sie übergegangenen Ersatzanspruch gegen den gesetzlichen Haftpflichtversicherer (Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr, 1 VVG) geltend. Die Haftung war unstreitig. Streitig war die Höhe des von der Klägerin begehrten Schadens. Von der Beklagten wurde eingewandt, der Schaden sei bisher – soweit nicht anerkannt – nicht durch prüffähige Unterlagen belegt worden. Hier wie zwischenzeitlich ständig wurde vom Sozialversicherungsträger eingewandt, die von ihr vorgelegten „Grouper“-Ausdrucke (vom Krankenhausträger der Krankenkasse übermittelte Abrechnungsdaten) und vorgelegten Krankenhausberichte seien ausreichend. Ebenso wie es zwischenzeitlich meist geschieht, wurde dies vom Landgericht und – aufgrund der von der Beklagten eingelegten Berufung – auch vom Oberlandesgericht so gesehen (Urteil OLG Sachsen-Anhalt vom 02.07.2023 - 9 U 125/22 -), weshalb der Klage stattgegeben, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen wurde. Das OLG argumentiert u.a. damit, dass § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X nicht zu entnehmen sei, dass von der Krankenkasse tatsächlich gezahlte Krankenhauskosten aufgrund von Einwendungen gegen die Höhe vom Anspruchsübergang ausgeschlossen sein sollten, wobei es darauf verwies, dass dies auch im Zusammenhang mit dem bei Sachschäden gebräuchlichen Begriff des „Werkstattrisikos“ stünde.

Grundsätzlich, so zutreffend der BGH, stehe der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch aus nach 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu, und zwar auf Ersatz der Kosten der Heilung der bei dem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen (§§ 7 Abs. 1, 11 S. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG iVm. § 1 S. 1 PflVG). Die Bemessung der Höhe des Schadenersatzanspruchs sei in erster Linie des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters, wobei im Revisionsverfahren nur geprüft werden könne, ob dieser wesentliche Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsgrundlagen außer Acht gelassen oder seien Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt habe (st. Rspr., so Urteil vom 29.09.2020 - VI ZR 271/19 -). Solche Fehler lägen hier vor.

Die Klägerin sei, was das OLG verkannt habe, trotz des bereits im Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses stattfindenden Anspruchsübergangs nicht als Geschädigte anzusehen. Der Schaden, der der Klägerin zu ersetzen sei, sei nicht ohne weiteres der Vermögenseinbuße gleichzusetzen, die der Klägerin durch ihre Leistungsplicht gegenüber ihrem Versicherten gem. § 11 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 27 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V entstanden sei (BGH, Urteil vom 23.02.2010 - VI ZR 331/08 -). Der nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X übergehende Anspruch auf Ersatz gehe über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses der Versicherungsträger Sozialleistungen zu erbringen habe, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen würden (sachliche Kongruenz) und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen würde (zeitliche Kongruenz). Dabei knüpfe der Forderungsübergang an die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers („zu erbringen hat“) und nicht an tatsächlich erbrachte Leistungen an (BGH, Urteil vom 18.10.2022 – VI ZR 1177/20 -). Dabei könne er einen Aufwendungsersatz nur insoweit verlangen, als er Aufwendungen auf einen Schaden des Versicherten zu erbringen habe. Zu unterscheiden sei zwischen der unabhängig von einer Schadensersatzverpflichtung Dritter bestehenden Leistungsverpflichtung des Versicherungsträgers gegenüber der versicherten Person einerseits und seinem Regressanspruch gegenüber einem Schädiger andererseits; übertragen sei dem Versicherungsträger nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X nur der Schadensersatzanspruch des Versicherten. Läge ein solcher nicht vor, habe er keinen Anspruch gegenüber dem Schädiger (BGH, Urteil vom 10.07.2007 - VI ZR 192/06 -). Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem frühen Zeitpunkt des Anspruchsübergangs, mit dem auch möglicherweise in der Zukunft liegende Leistungen des Versicherers für den Geschädigten gesichert würden, die sachlich und zeitlich mit Ersatzansprüchen des Geschädigten kongruent seien; ein eigener Anspruch des Versicherungsträgers auf Erstattung aller seiner durch das Schadensereignis ausgelösten Leistungen folge daraus nicht (BGH, Urteil vom 07.12.2021 - VI ZR 1189/20 -).

Das OLG habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin zur Schadenshöhe rechtsfehlerhaft verkannt.

Den Sozialversicherungsträger träfen im Grundsatz die gleichen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast wie den Geschädigten, würde dieser den Schadensersatzanspruch selbst geltend machen (u.a. BGH, Urteil vom 23.06.2020 - VI ZR 435/19 -). Es müssten Tatsachen angeführt werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Für die Beweislast für die (im Streit stehende) haftungsausfüllende Kausalität, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutsverletzung und weiteren Schäden des Verletzten (Sekundärschäden) betreffe, gelte das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO (wonach eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge). Auch die Systematik des Gesetzes spreche gegen einen Willen des Gesetzgebers, gesetzliche Krankenkassen (Anmerkung: Gleiches gilt für die gesetzlichen Unfallversicherungsträger) hinsichtlich der Aufwendungen beim Regress nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X besserzustellen. Der Gesetzgeber habe mit § 116 Abs. 8 SGB X eine Regelung geschaffen, die den Regress für Kosten der nicht stationären ärztlichen Behandlung und Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln vereinfache (Pauschale, werden keine höheren Kosten nachgewiesen); dies sei für die stationäre ärztliche Behandlung nicht erfolgt.

Auch wenn der zur Entscheidung berufene zuständige VI. Zivilsenat des BGH in vergangenen Entscheidungen ausgeführt habe, dass den Belangen der Sozialversicherungsträger Rechnung zu tragen sei (BGH, Urteil vom 24.04.2012 - VI ZR 329/10 -), sei es den Gerichten verwehrt, die Rechtsanwendung allgemein nach dem Schutzbedürfnis der Sozialversicherungsträger auszurichte, selbst wenn sie dies höher bewerten wollten als dem Schutz des Schuldners (BGH vom 24.04.2012 aaO.).  

Auch sei der Annahme des OLG nicht zu folgen, die Klägerin könne die an die Behandlungseinrichtungen gezahlten Beträge aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen nicht mehr zurückfordern und dies käme dem Fall des deshalb anzuwenden Rechtsgedanken des § 118 SGB X gleich. Nach § 118 SGB X ei ein Zivilgericht, das über einen nach § 116 Abs. 1 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruch zu entscheiden habe, an eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers über den Grund oder die Höhe der dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung grundsätzlich gebunden. Die Bindungswirkung erstrecke sich auf den Tenor des Leistungsbescheides oder des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Urteils und dessen tragende Feststellungen, nicht auf die zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen wie die Kausalität zwischen Schädigungshandlung und dem eingetretenen Schaden (BGH, Urteil vom 16.03.2021 – VI ZR 773/20 -). [Anmerkung: Leider nimmt der BGH nicht zu der Frage Stellung, ob eine Bindungswirkung ggf. auch dann angenommen werden kann, wenn der vom Sozialversicherungsträger in Anspruch genommene Schädiger an der unanfechtbaren Entscheidung des Sozialversicherungsträgers oder eines sozial- oder sozialgerichtlichen Verfahrens nicht beteiligt war, liegt hier doch bei Annahme einer Bindungswirkung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor]. Die von der Klägerin geleistete und ggf. nicht rückforderbare Zahlung auf die Rechnungen der Krankenhäuser stehe einer unanfechtbaren Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts nicht gleich und vorliegend würde weder der Grund noch die Höhe der Leistungspflicht der Klägerin gegenüber dem Versicherten in Streit stehen. Im, Streit stünde der Schadensersatzanspruch des Versicherten, in dessen Rahmen die Klägerin nur Anspruch auf Ersatz der von ihr verauslagten Kosten für erfolgte medizinische medizinische Untersuchungen und Behandlungen habe, soweit diese iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich waren (BGH, Urteil vom 17.09.2013 - VI ZR 95/13 -).

Sozialrechtliche Anforderungen an das Abrechnungssystem zwischen Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen sowie sozialrechtliche Anforderungen an die Datenübermittlung, Prüfung von Rechnungen und Zahlungspflichten der Krankenkassen würden keine Abweichung von den zivilrechtlichen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X rechtfertigen. Aus §§ 275, 275c, 284 – 293 und 294 bis 303 SGB V  und § 17c Abs. 2b KHG würden daran nichts ändern. Hier würden ausschließlich Rechte und Pflichten von Sozialversicherungsträgern und Leistungserbringern festgelegt, aber nicht das Verhältnis zum Schädiger im Rahmen zivilrechtlicher Haftung geregelt. Gesetzlich Beschränkungen der gesetzlichen Krankenkassen für die Prüfung der Krankenhausrechnungen könnten nicht als Grundlage herangezogen werden, um die Rechtsposition des Schädigers nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu beschneiden, da ansonsten die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten würden (BVerfGE 128, 193, 210; BGH, Urteil vom 11.06.2024 – VI ZR 133/23 -). Damit würden die von den Behandlungseinrichtungen erstellten Abrechnungsdaten nach allgemeinen Grundsätzen auch nur einen Anhaltspunkt, aber kein wesentliches bzw. starkes Indiz für die Erbringung und/oder Erforderlichkeit der abgerechneten Leistung darstellen (so auch zu „Grouper“-Ausdrucken OLG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2023 - 12 U 17/23 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.01.2024 - 1 W 24/23 -; zum Problem der Fahlcodierungen BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.11.2018 - 1 BvR 318/17 -). Zudem habe der Gesetzgeber nach § 294a SGB V unter anderem Krankenhäuser gem. § 108 SGB V verpflichtet, Angaben zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

Die Rechtsprechung zum sogen. „Werkstattrisiko“ bei Beschädigung einer Sache für Reparatur- und Sachverständigenkosten seien für Ansprüche der gesetzlichen Krankenkassen auf Ersatz der Kosten der Heilung nicht übertragbar. Diese Grundsätze seien geprägt von dem Gedanken, dass es Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widerspreche, wen der Geschädigte bei Ausübung der ihm zustehenden Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem, Einfluss entzogen sei. Eine entsprechende Konstellation läge hier aber nicht vor.  Die gesetzliche Krankenkasse sie nicht Geschädigte, Geschädigter sei der Versicherte. Die Klägerin trage die Behandlungskosten aufgrund ihrer diesem gegenüber bestehenden Leistungspflicht. Ihre Zahlungsverpflichtung entstünde, unabhängig von einer Kostenzusage, unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten Kraft Gesetz, wenn die Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt und iSv. § 39 Abs. 1 SGB V S. 2 erforderlich sei (BSG, Urteil vom 01.07.2014 - B 1 KR 29/13 R; BGH, Urteil vom 03.05.2011 - VI ZR 61/10 -). Die Leistungen der Krankasse sind nicht zwingend deckungsgleich mit dem iSv. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB „erforderlichen“ Heilbehandlungsmaßnahmen und selbst bei einer sachlichen und zeitlichen Kongruenz zwischen der Leistungspflicht der Krankenkasse und dem zu leistenden Schadensersatz bemesse sich beides nach unterschiedlichen Grundsätzen.

BGH, Urteil vom 09.07.2024 - VI ZR 252/23 -

Dienstag, 17. Dezember 2024

Gebrauchsüberlassung von Wohnraum an Dritte - fristlose Kündigung

Das LG Hamburg vertritt die Ansicht, ein zur fristlosen Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund nach §§ 560, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB läge vor, wenn der Mieter die Mietsache unbefugt einen Dritten überlasse und trotz Fristsetzung zur Abhilfe (§ 543 Abs. 3 S. 1 BGB) nicht beende. Es änderte damit ein die Räumungsklage des Vermieters abweisendes Urteil des Amtsgerichts ab und gab dieser statt.

Eine Gebrauchsüberlassung läge vor, wenn ein Dritter aufgrund einer Vereinbarung mit dem Mieter ein selbständiges Besitzrecht an der Wohnung des Inhalts erwerbe, dass er die Wohnung unter Ausschluss des Mieters nutzen könne, aber auch dann, wenn der Mieter den Dritten für eine längere Zeit in der Wohnung aufnehme und der Dritte das Recht haben soll, die gesamte Wohnung neben oder zusammen mit dem Mieter zu nutzen.  Davon abzugrenzen sei der Besucher, der den Mieter aufgrund persönlicher Beziehung aufsuche und sich in dessen Wohnung vorrübergehend aufhalte, ohne hierfür ein Entgelt zu entrichten. Nach einem Aufenthalt von vier bis sechs Wochen spräche die Vermutung dafür, dass die Dauer der Aufnahme des Dritten auf Dauer angelegt sei.

Das Landgericht würdigt die Zeugenaussagen im amtsgerichtlichen Verfahren und die Behauptungen des Beklagten, um zu Ergebnis zu gelangen, dass der Beklagte nicht nur Beuch empfangen habe, sondern einen Dritten in seiner Wohnung aufgenommen habe. Ob diese anderweitige Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht ohne erneute Vernehmung der Zeugen zulässig war, soll an dieser Stelle auf sich beruhen (dazu BGH, Urteil vom 21.06.2016 – VI ZR 403/14 -, R. 11).

Ausgehend von der Gebrauchs(mit)überlassung durch den Beklagten sah das Berufungsgericht darin eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechte der vermietenden Klägerin. Die Erheblichkeit sei regelmäßig bei Vorliegen einer unbefugten Gebrauchsüberlassung zu bejahen, da der Vermieter ein erhebliches Interesse daran habe, zu wissen, wer das Mietobjekt tatsächlich nutze. Zudem spreche dafür auch die Fortsetzung des unerlaubten Gebrauchs auch nach der Abmahnfrist und die damit einhergehende Missachtung des Vermieterwillens.

LG Hamburg, Urteil vom 03.11.2023 - 311 S 25/23 -

Sonntag, 15. Dezember 2024

Bedeutung der Beweiskraft des Protokolls zur Verkündung eines Urteil

Streitgegenständlich war die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung durch die Arbeitgeberin (Beklagte), gegen die sich der Arbeitnehmer (Kläger) wehrte. Das Arbeitsgericht hatte der Klage durch ein „Teilurteil“ stattgegeben, welches aufgrund mündlicher Verhandlung vom12.01.2023 erging. Der in der mündlichen Verhandlung benannte Verkündungstermin wurde zuletzt auf den 23.02.203 verlegt. In der Gerichtsake folgte die Urteilsformel mit der Unterschrift des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, sodann das „Teilurteil“ in vollständig abgefasster Form, untrennbar verbunden mit einem Verkündungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Es schloss sich eine Verfügung einer Justizangestellten vom 01.03.2023 betreffend die Zustellung des „Teilurteils“ an die Parteien an. Ein Protokoll über eine Verkündung des Teilurteils existierte nicht; solche würden, nach Auskunft der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts seit der elektronischen Führung der Prozessakte nicht mehr erstellt.

Gegen das Teilurteil legte die Beklagte Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) ein, die zurückgewiesen wurde. Gegen dieses Urteillegte die Beklagte Revision ein, mit der sie weiterhin Klageabweisung beantragte. Die Revision wurde – wenn auch nicht aus materiellen Erwägungen – stattgegeben und der Rechtsstreit an das Arbeitsgericht (nicht an das Landesarbeitsgericht) zurückverwiesen. Die Aufhebung der Entscheidungen des Arbeitsgerichts und LAG sowie die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht erfolgten, da das Verfahren bei dem Arbeitsgericht mangels Verkündung noch nicht abgeschlossen sei, es sich bei dem „Teilurteil“ lediglich um einen Urteilentwurf handele.

Die Verkündung eines Urteils erfolge im Namen des Volkes durch Vorlesung der vollständigen Abfassung der vollständigen Urteilsformal einschließlich der Kostenentscheidung, Streitwert und ggf. einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung, jedenfalls aber durch Bezugnahme auf die schriftlich niedergelegte Urteilsformel, und zwar in öffentlicher Sitzung (§ 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG. Erst durch diese förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen würde das Urteil existent. Bis zu diesem Zeitpunkt handele es sich um einen – allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugenden – Entscheidungsentwurf (BAG, Urteil vom 23.03. 2021 - 3 AZR 224/20 -; für Beschlussverfahren BAG, Beschluss vom 17.08.2022 - 7 ABR 3/21 -).

Die Verkündung einer Entscheidung sei im Protokoll festzuhalten, § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO, wobei es sich nach § 165ZPO um eine wesentliche Förmlichkeit handele, die nur durch das Protokoll bewiesen werden könne (BGH, Beschluss vom 08.02.2012 - XII ZB 165/22 -). Sei im Protokoll kein Hinweis auf die Verkündung vorhanden, stünde infolge der Beweiskraft des Protokolls ein Verstoß gegen das aus § 60 ArbGG, § 311 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG folgende Erfordernis einer Urteilsverkündung in öffentlicher Sitzung fest. Die würde auch gelten, wenn (wie hier) kein unterschriebenes Protokoll existiere, da danach nicht die Verkündung – gerade in einem gesonderten Verkündungstermin – bewiesen werde (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.). Der Beweis könne nicht durch den Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 315 Abs. 3 ZPO erbracht werden (BAG, Urteil vom 14.10.2020 - 5 AZR 712/19 -), was auch bei elektronischer Führung der Prozessakte gelte.

Das „Teilurteil“ sei auch nicht auf andere Art und Weise wirksam verlautbart worden.

Würde gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen, könne nicht mehr von einer Verlautbarung im Rechtssinne gesprochen werden. Würden die Mindestanforderungen gewahrt, würden allerdings auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse des Entstehens eines wirksamen Urteils nicht hindern. Zu den Mindestanforderungen gehöre, dass die Verlautbarung vom Gericht beabsichtigt sei oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet würden (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.). Eine wirksame Verlautbarung könne ggf. dadurch erfolgen, dass der Vorsitzende der Kammer dessen Übersendung an die Parteien selbst verfügt habe, so dass sein Wille, die Entscheidung zu erlassen, außer Frage stünde (BAG, Urteil vom 14.10.2020  5 AZR 712/19 -), was hie nicht der Fall gewesen sei. Dahinstehen könne, ob das auch dann gelten würde, wenn das Gericht die Zustellung in der irrtümlichen Annahme veranlasse, es habe die Entscheidung bereits verkündet (a.A. BGH, Beschluss vom 13.06.2012 - XII ZB 592/11 -; OLG München, Urteil vom 21.01.2022 - 10 U 3446/10 -), da es hier bereits an einer Verfügung zur Übersendung an die Parteien fehlen würde und die Schlussverfügung der Geschäftsstelle die richterliche Verfügung nicht ersetzen könne.

Es käme auch nicht darauf an, dass die Parteien den Mangel der Verkündung nicht rügten, da dies von Amts wegen zu beachten sei und nicht durch unterlassene Rüge geheilt werden könne (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

Auch wenn das „Teilurteil“  des Arbeitsgerichts in Ermangelung einer wirksamen Verkündung keine rechtliche Wirkung erzeuge, könne es gleichwohl zur Beseitigung des mit ihm verbundenen Rechtsschein mit der Berufung angefochten werden (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

Infolge der fehlenden Verkündung des „Urteils“ durch das Arbeitsgericht sei das Verfahren nach wie vor in erster Instanz bei dem Arbeitsgericht anhängig und dort noch nicht abgeschlossen. Mit der Berufung gegen dieses „Urteil“ könne der äußere Anschein einer wirksamen, den ersten Rechtszug beendenden gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden, weshalb das LAG auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche „Teilurteil“ hätte aufheben und den Rechtstreit ausnahmsweise an das Arbeitsgericht zurückverweisen müssen; eine eigene Sachentscheidung sei dem LAG verwehrt gewesen (BAG, Urteil vom 23.03.2021 aaO.).

Vorliegend stünde auch § 68 ArbGG, wonach ein Mangel im Verfahren eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht ausgeschlossen sei (mit § 68 ArbGG würde die Möglichkeit nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO bestehend Möglichkeit ausgeschlossen), nicht der Zurückverweisung an das Arbeitsgericht entgegen. Ausnahmsweise käme dies allerdings in Betracht, wenn wie hier ein Verfahrensfehler in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden könne, da das Berufungsgericht die unterlassene Urteilsverkündung nicht selbst vornehmen dürfe und selbst den Rechtsstreit zurückverweisen müsse.

BAG, Urteil vom 24.10.2024 - 2 AZR 260/23 -

Samstag, 14. Dezember 2024

Fristlose Kündigung des gewalttätigen Mieters

Dem Beklagten wurde – ohne vorherige Abmahnung – fristlos wegen seiner Gewalttätigkeiten gekündigt. Seinem Antrag auf Prozesskostenhilfe hatte das Landgericht (LG), den er im Berufungsverfahren nach stattgegebener Klage stellte, zurückgewiesen.

Die Kündigung sei nach § 543 Abs. 1 BGB wirksam. In § 543 Abs. 1 BGB heißt es:

Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des                                                                                            Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. 

Grundsätzlich sei zwar das Verschulden des Mieters ein wesentlicher Abwägungsfaktor für die Zumutbarkeit der Vertragsfortsetzung. Vorliegend sah aber das LG die Pflichtverletzungen des Beklagten als so gravierend an, dass dies nicht erforderlich sei. Der Vermieter habe auch Schutzpflichten gegenüber den anderen Hausbewohnern, weshalb eine Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem gewaltbereiten (und angeblich unter untherapierter Alkoholsucht leidenden) Beklagten unter keinen Umständen mehr zumutbar.

Anmerkung: Die Kündigung ohne Verschulden des Mieters ohne vorherige Abmahnung ist eine Ausnahme und kommt dann in Betracht, wenn das Fehlverhalten des Mieters eine Vertrauensgrundlage derart erschütterte, dass sie auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht geheilt werden kann (Hinweisbeschluss des LG München I vom 13.07.2023 - 14 S 6310/23 -).  Die Abmahnung hatte das LG Berlin (Beschluss vom 22.02.2005 – 63 S 410/04 -) bei SMS an den Vermieter mit „dumme Kuh“ und „Arschloch“ als entbehrlich gehalten, das LG Köln (Urteil vom 30.06.2022 - 6 S 203/21 -)allerdings bei einer Bedrohung von Handwerkern mit einem Messer nicht.

Bei einer Schuldlosigkeit des Mieters muss das Maß des Zumutbaren soweit überschritten sein, dass eine eingeschränkte oder fehlende  Verantwortlichkeit für das eigene Handeln völlig zurücktritt.

LG Berlin II, Beschluss vom 30.07.2024 - 67 S 190/24 -

Freitag, 13. Dezember 2024

Unterscheidungskraft (§ 30 HGB) bei Firmierung unter Beachtung des Gesellschaftszusatzes

Im Handelsregister des Amtsgerichts war eine „xx Investment GmbH“ eingetragen. Es erfolgte eine Anmeldung einer Firma „xx Invest UG (haftungsbeschränkt)“. Das Amtsgericht wies die Eintragung wegen fehlender Unterscheidungskraft zur am Ort bestehenden „xx Investment GmbH“ zurück. Phonetisch bestehe zwar eine Unterscheidung, entscheidend seien aber Gesamteindruck und Wortbild. Der eingelegten Beschwerde half das Amtsgericht nicht ab; sie wurde vom Kammergericht Berlin (KG) zurückgewiesen.

1. Zunächst zu den Begrifflichkeiten: „Firma“ ist der Name des Kaufmanns, unter der er seinen Geschäfts betreibt, § 17 Abs. 1 HGB. Bei der GmbH handelt es sich um eine Gesellschaft ohne vom Gesetz vorgegebene persönliche Haftung der Gesellschafter, deren Stammkapital mindestens € 25.000,00 betragen muss, § 5 Abs. 1 GmbHG; für die UG (haftungsbeschränkt), auch Unternehergesellschaft (haftungsbeschränkt), gerne auch als „kleine GmbH“ bezeichnet, gilt gleiches, allerdings liegt deren Stammkapital unterhalb des Stammkaptals nach § 5 GmbHG, § 6a Abs. 1 GmbHG, wobei das Haftungskapital bei der UG (haftungsbeschränkt) die Eintragung in das Handelsregister erst nach voller Einzahlung des Stammkapitals erfolgen darf, § 6a Abs. 2, wohingegen auf jeden Gesellschaftsanteil der GmbH mindestens 25% bei Abmeldung eingezahlt sein müssen, insgesamt aber mindestens 50% des in § 5 Abs.. 1 GmbHG benannten Kapitals, § 7 Abs. 2 GmbHG.

2. Um eine Verwechslung von Gesellschaften auszuschließen ist erforderlich, dass sich die neue Firma von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und in das Handels-, Genossenschafts-, Gesellschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister eingetragenen Firmen deutlich unterscheidet, § 30 Abs. 1 HGB. Dies wurde hier im Hinblick auf die „xx Invest UG (haftungsbeschränkt)“ gegenüber der „xx Investment GmbH“ verneint.

2.1. Das Amtsgericht hatte zur Begründung seiner Entscheidung auf den Beschluss des BGH vom 14.07.1966 - II ZB 4/66 – verwiesen, in dem es um die Rechtsformzusätze  GmbH und GmbH & Co. KG ging. Die Beschwerdeführerin vertrat die Ansicht, dies sei nicht einschlägig, da der Verkehr ausreichend zwischen GmbH und UG (haftungsbeschränkt) unterschieden könne.

2.2. In seiner Beschwerdeentscheidung verwies das KG darauf, dass bei beiden Firmen der jeweilige Firmenbeginn mit xx identisch sei, zwei gleichlautende Buchstaben. Zu den Zusätzen Invest und Investment verwies es darauf, dass es sich um Begriffe mit demselben Wortstamm handele, wobei Invest das Verb und Investment das dazugehörige Substantiv sei, wobei Invest auch als abgekürzte deutsche Version des Wortes Investment verstanden werden könne. Die beiden Begriffe lägen nicht nur inhaltlich und phonetisch nahe beieinander, sondern seien auch bei flüchtiger Betrachtung kaum zu unterscheiden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Verkehr zu Verkürzungen tendiere. Gerade bei (wie hier) Überschneidungen im Tätigkeitsbereich und gewählten Sachfirmen seien deutlichere Abstände der Firmen erforderlich (KG, Beschluss vom 17.05.2024 - 22 W 10/14 -).

Damit könne sich der geringe Unterschied allenfalls dann auswirken (also letztlich auf sich beruhen), wenn der Rechtsformzusatz beachtet würde. Auch ausgehend von der Annahme, Rechtsformzusätze würden nie eine Rolle spielen, wäre hier aber die sich aus der Gesetzeslage ergebende Verwechslungsgefahr zu beachten, da eine UG keine GmbH sei, weshalb angenommen werden könnte, die (bestehende) GmbH sei aus der UG erwachsen (§ 5a Abs. 5 GmbHG;  wonach, wie der Verfasser anmerkt,  bei einer Erhöhung des Stammkapitals bei der UG auf oder über den Betrag von § 5 Abs. 1 GmbHG die Sondervorschriften der Abs. 1 bis 5 des § 5a für die UG keine Anwendung mehr finden würden, ohne dass die Firma geändert werden müsse). In diesem Fall, so das KG, käme es auch nicht darauf an, dass perspektivisch aufgrund der Thesaurierungspflicht nach § 5a Abs. 3 GmbHG  bei einem erfolgreichen Geschäftsverlauf davon ausgegangen werden müsse, dass die Beschwerdeführerin später ohnehin den Rechtsformzusatz GmbH tragen würde; in diesem Fall wäre keine Möglichkeit mehr gegeben, die Firma der Gesellschaft zu beanstanden.  Von daher käme es nicht auf eine von der Beschwerdeführerin für notwendig erachtete Beweisaufnahme an, wie deutlich der Verkehr Rechtsformzusätze unterscheide.

3. Das KG hat bei seiner Entscheidung im Wesentlichen auf die fehlende Unterscheidungskraft der Firma ohne Berücksichtigung des Rechtsformzusatzes abgestellt und die Frage, ob dem Zusatz UG (haftungsbeschränkt) eine Unterscheidungskraft zukommt, zunächst ausgeblendet. Die Unterscheidungskraft zwischen „xx Invest“ und „xx Investment“ hat es – zutreffend – verneint. Damit wäre die erforderliche Unterscheidungskraft der Firma nach § 30 Abs. 1 HGB nicht gegeben.

Ob im Verkehr die Unterscheidung anhand von Rechtsformzusätzen vornehmen würde, ließ das KG offen. Denn darauf käme es nicht an, da die UG zur Thesaurierung verpflichtet sei (§ 5a Abs. 3) und so gegebenenfalls in eine GmbH umwandeln könne, ohne dass dann noch die Formierung „xx Invest“ beanstandet werden könnte (§ 57c GmbHG: entstandene Rücklagen werden in Stammkapital umgewandelt) und mithin zu diesem Zeitpunkt das mögliche Unterscheidungsmerkmal UG (haftungsbeschränkt) entfallen würde (was zudem auch durch Erhöhung des Stammkapitals erfolgen kann). Vor diesem Hintergrund ist der Entscheidung des KG zuzustimmen.  

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 24.05.2024 - 22 W 14/24 -

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Sichtbehinderung bei „Grün“ und Nachzügler, Haftung nach § 17 Abs. 1 StVG

Die Situation: Der Kläger fuhr bei Umschalten auf „Grün“ in den Kreuzungsbereich hinein. Links von ihm befand sich ein Lkw, der nach links abbiegen wollte. Die Beklagte befand sich (eventuell) noch im Kreuzungsbereich (sogen. Nachzügler), konnte aber vom Kläger infolge der Sichtbehinderung durch den abbiegenden Lkw nicht gesehen werden; sie umfuhr den Lkw auf einer nicht von ihr zu nutzenden Fahrspur und stieß so mit dem klägerischen, von rechts kommenden Fahrzeug des Klägers zusammen. Das OLG ging von einer Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten der Beklagten zu 1/3 zu Lasten des Klägers aus.

Rechtlicher Ausgangspunkt sei hier, dass beide Verkehrsteilnehmer für die Folgen des Unfallgeschehens nach §§ 7, 17, 18 StVG einzustehen hatten, da die Unfallschäden bei dem Betrieb der Fahrzeuge entstanden seien und keine höhere Gewalt vorläge, ferner es sich für keine der Parteien um höhere Gewalt iSv. § 17 Abs. 3 StVG handele. Diese Haftungsverteilung nach § 17 StVG würde aufgrund festgestellter (also unstreitiger, zugestandener oder nach § 286 ZPO bewiesener) Umstände nicht zur Alleinhaftung der Beklagten führen:

Ein Rotlichtverstoß sei für die Beklagte nicht bewiesen. Es streite dafür auch kein Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis setze eine Geschehensablauf voraus, bei dem sich nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss aufdränge, dass ein Verkehrsteilnehmer seine im Verkehr erforderlichen Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt habe und das Unfallgeschehen dafür typisch sei (BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 -).  Der Umstand, dass der Kläger erst nach Grünanzeige für ihn losgefahren sei ließe nicht den Schluss zu, dass die Beklagt bei Rot in den Kreuzungsbereich reingefahren sei; da der Lkw die Beklagte an der Überquerung der Kreuzung gehindert habe, sei es mithin auch möglich, dass sie auch bei Grün in die Kreuzung einfuhr und dort den Abbiegevorgangs des Lkw abgewartet habe.

Allerdings sei bei der Beklagten ein Verstoß gegen § 1 As. 2 StVO zu berücksichtigen, da selbst dann, wenn es sich bei ihr um einen echten Nachzügler handele (was nicht feststünde), hätte sie die Kreuzung nur vorsichtig und unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs verlassen dürfen (OLG Hamm, Urteil vom 26.08.2016 - 7 U 22/16 -). Die Beklagte habe aber ein besonders gefährliches Fahrmanöver vorgenommen, indem sie eine dem Linksabbiegerverkehr aus einer anderen Straße vorbehaltenen Bereich trotz der Sichtbehinderung durch den Lkw nutzte und die Kreuzung ohne Beachtung des von rechts kommenden Verkehrs überquerte. Damit habe sie die ihr obliegende Sorgfalt in erheblichen Maße vermissen lassen.

Auch bei dem Kläger sei ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO festzustellen. Zwar müsste er im Allgemeinen nicht damit rechnen, dass bei einem Einfahren bei Grün in die Kreuzung Querverkehr unter Missachtung des Rotlichts für diesen von der Seite in die Kreuzung einfahre. Das ihm zustehende Vorfahrtsrecht entbinde aber nicht von der Verpflichtung, den aufgrund vorangegangener Lichtphase der Ampeln in die Kreuzung eingefahrenen Verkehrsteilnehmern, die diese nicht mehr rechtzeitig hätten räumen können, das Vorrecht einzuräumen (BGH, Urteil vom 09.11.1976 - VI ZR 264/75 -). Auch bei Grün dürfe daher eine unübersichtliche Kreuzung nur vorsichtig mit Anhaltebereitschaft durchfahren werden, da mit Nachzüglern zu rechnen sei. Auf einen Vertrauensgrundsatz, dass sich keine Nachzügler mehr im Kreuzungsbereich aufhalten würden, könne er sich nicht berufen (BGH, Urteil vom 20.12.1967 – 4 StR 382/67 -).

Hier habe sich der Kläger, dessen Sicht nach links durch den Lkw versperrt gewesen sei, nicht vergewissert, ob sich von dort kommend Nachzügler im Kreuzungsbereich befanden (die Vorrang hätten). Der Umstand, dass der Lkw zum Zeitpunkt des Anfahrens des Klägers noch die Spur nach links blockierte und das Fahrmanöver der Beklagten unter Umfahrung desselben sorgfaltswidrig gewesen sei, käme es nicht an, da es nicht so atypisch gewesen sei, dass der Kläger mit einem solchen Fahrmanöver nicht hätte rechnen müssen.  Dieses sorgfaltswidrige Verhalten sei zu Lasten des Kläger unabhängig davon zu berücksichtigen, ob es sich bei der Beklagten um einen „echten Nachzügler“ handele.

Bei der Abwägung dieser Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Beteiligte nach § 17 Abs. 1 StVG nahm das OLG eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten an.

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom  20.09.2024 - 3 U 28/24 -