Samstag, 6. April 2024

Befangenheit des Richters bei Nichterlass eines Versäumnisurteils im Vorverfahren

Die Klägerin machte vor dem LG München I Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Bauvertrag geltend. In der Klageschrift vom 30.03.2023 beantragte sie den Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren bei Säumnis der Beklagten. Mit Verfügung vom 29.04.2023 ordnete die abgelehnte Richterin dir Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens an, in der zur Verteidigungsanzeige eine Frist von zwei Wochen (Notfrist) gesetzt war. Die Beklagten zu 1. und 2. Zeigten ihre Verteidigungsabsicht mit Schriftsatz vom 22.05.2023 an; die Beklagte zu 3. reagierte innerhalb der Notfrist nicht. Mit Verfügung vom 25.06.2023 bestimmte die abgelehnte Richterin Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 30.08.2023 und führte u.a. in der Verfügung aus: „Die Beklagte zu 3) hat ihre Verteidigung bislang nicht angezeigt. Auf § 331 ZPO wird vorsorglich hingewiesen.“. Diese Verfügung wurde der Beklagten zu 3. Am 03.07.2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 02.07.2023 zeigte auch die Beklagte zu 3. Ihre Verteidigungsbereitschaft an. Die Klägerin lehnte die Richterin mit Schriftsatz vom 10.07.2023 wegen Befangenheit ab, da die Richterin ohne erkennbaren Grund die für die Klägerin günstige prozessuale Situation, die den Erlass eines Versäumnisurteils gegen die Beklagte zu 3. gerechtfertigt hätte, durch ihre Verfügung vom 25.06.2023 vernichtet habe. In ihrer dienstlichen Stellungnahme gab die abgelehnte Richterin u.a. an, sie habe aus prozessökonomischen Pflichten und richterlicher Fürsorgepflicht gehandelt. Das LG München I wies den Befangenheitsantrag zurück. Gegen diesen Beschluss legte die Klägerin sofortige Beschwerde ein. Nachdem dieser durch das LG München I nicht abgeholfen wurde, war das OLG zur Entscheidung berufen, welches dem Befangenheitsantrag stattgab. 

Eine Besorgnis der Befangenheit des Richters läge vor, wenn Umstände vorlägen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen ließen. Ein Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters könne sich nur aus objektiven Gründen ergeben, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe der Sache nicht mehr unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Entscheidend sei, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorlägen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlasse geben würden, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. 

Grobe Verfahrensverstöße könnte die Besorgnis rechtfertigen, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage entbehre und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren unterscheide, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdränge. 

Die formellen Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils hätten vorgelegen, nachdem die Klägerin bereits in der Klage den Erlass eines Versäumnisurteils für den Fall der Säumnis beantragt hatte und die Beklagte zu 3. nicht gem. § 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPOI ihre Verteidigungsabsicht rechtzeitig angezeigt habe., § 331 Abs. 3 ZPO. Vorausgesetzt, die Klage gegen die Beklagte zu 3. wäre schlüssig gewesen, wäre die abgelehnte Richterin zum Erlass eines Versäumnisurteils verpflichtet gewesen. § 331 Abs. 3 ZPO eröffne den Richter kein Ermessen, weshalb von der abgelehnten Richterin benannte prozessökonomische Gründen nicht durchgreifen würden. 

Die abgelehnte Richterin hatte in ihrer Stellungnahme auch darauf verwiesen, dass für den Erlass eines Versäumnisurteils eine vollumfänglich schlüssige Klage erforderlich sei. Dies, so das OLG, sei zutreffend. Allerdings habe die abgelehnte Richterin gegenüber der Klägerin keine Bedenken hinsichtlich der Schlüssigkeit der Klage mitgeteilt. Deshalb habe es sich aus der Sicht der Klägerin bei vernünftiger Betrachtungsweise als willkürlich dargestellt, dass das beantragte Versäumnisurteil nicht nur nicht erlassen wurde, sondern der Beklagten zu 3. Durch den erneuten Hinweis noch einmal Gelegenheit gegeben wurde, ihre Verteidigungsabsicht trotz der abgelaufenen Notfrist noch zu erklären und so der Klägerin der Möglichkeit beraubte, einen Vollstreckungstitel zu erlangen. Auch bei einer vernünftigen und besonnenen Partei könnte deshalb berechtigterweise der Eindruck einer unsachlichen Einstellung ihr gegenüber bzw. einer Bevorzugung der Beklagten zu 3. entstehen. 

Eine von der abgelehnten Richterin geltend gemachte Fürsorgepflicht, die sie zum Hinweis auf das Fehlen der Verteidigungsanzeige und die Folgen des § 331 ZPO veranlasst haben will, gäbe es nicht. Ob sich letztlich der Hinweis in der Verfügung vom 25.06.2023 ausgewirkt habe, käme es für das Notwendige Entstehen der Besorgnis der Befangenheit nicht an. 

Ergänzend setzte sich das OLG mit Ausführungen der abgelehnten Richterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme auseinander, in der sie auch Ausführungen zur Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs, welches sie als unzulässig ansah, gemacht hatte. Diese Ausführungen seien für sich nicht geeignet, eine Befangenheit der Richterin anzunehmen. Allerdings sei dies auch in die Gesamtbetrachtung einzustellen und vorliegend geeignet, bei der Klägerin den durch die Verfügung vom 25.06.2023 erweckten Eindruck zu verstärken, dass die abgelehnte Richterin ihr gegenüber eine ablehnende Haltung entwickelt habe. 

OLG München, Beschluss vom 24.11.2023 - 28 W 1292/23 Bau -

Mittwoch, 3. April 2024

Einvernehmlich abgeänderte vollstreckbare Umgangsregelung und Vollstreckung

Das Kind der Verfahrensbeteiligten wohnte bei der Mutter (Antragstellerin). Die Eltern hatten eine Umgangsregelung des Vaters (Antragsgegner) unter Ausschluss von Übernachtungen  bis zum Nachweis eines negativen Drogentests getroffen, die gerichtlich unter Hinweis durch das Gericht auf Folgen bei einer Zuwiderhandlung gebilligt wurde. Das entsprechende Protokoll wurden beiden Elternteilen zugestellt.  

Die Antragstellerin (AS) beantragte die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen den Antragsgegner (AG), da der AG an drei Wochenenden hintereinander das Kind nicht zur Übernachtung und in drei Fällen mit einer Abweichung von einer Stunde zurückgebracht habe. Das Amtsgericht (Familiengericht) setzte gegen den AG ein Ordnungsgeld von € 500,00 fest, der dagegen sofortige Beschwerde einlegte. Die Verspätungen seien der AS jeweils mitgeteilt worden und die Übernachtungen seien mit der AS abgestimmt gewesen. Das Familiengericht half der Beschwerde nicht ab; es sah das Ordnungsgeld als mäßig bei sechs Verstößen an. Die sofortige Beschwerde hatte vor dem OLG teilweise Erfolg.   

Bei Zuwiderhandlungen gegen einen Vollstreckungstitel zur Regelung des Umgangs könne das Gericht gem. § 87 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 FamFG von Amts wegen ein Ordnungsgeld (und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden könne, Ordnungshaft) oder auch gleich Ordnungshaft anordnen, wenn die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspreche. Die gerichtlich gebilligte Umgangsregelung sei  vollstreckbar, § 86 Abs. 1 Nr. 2 FamFG; der gebotene Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung von Ordnungsmitteln für den Fall der Zuwiderhandlung sei erteilt worden und die notwendige Zustellung (§ 87 Abs. 2 FamFG) lägen vor. Gegen die Umgangsregelung habe der AG durch die drei Verspätungen verstoßen. Gründe, aus denen sich ergeben würden, dass der AG die Verspätungen nicht zu vertreten habe, seien nicht vorgetragen worden (§ 89 Abs. 4 S. 1 FamFG). 

Der Darlegung des AG zu der Vereinbarung zu den drei Übernachtungen habe die AS nicht widersprochen. Deshalb käme diesbezüglich die Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht in Betracht, auch wenn ein Verstoß gegen die gerichtlich im Kindeswohl gebilligte Umgangsvereinbarung vorläge. Inhaber des Umgangsbestimmungsrechts seien die Eltern, weshalb sie auch Regelungen in gerichtlich gebilligten Vereinbarungen einvernehmlich abändern könnten mit der Folge, dass insoweit deren Vollstreckbarkeit entfalle (OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2020 - 13 WF 100/20 -). Zwar seien die Eltern nach § 156 Abs. 2 S. 2 FamFG nicht iSv. § 36 FamFG verfügungsbefugt (BGH, Beschluss vom 10.07.2019 - XII ZB 507/18 -), doch betreffe dies den verfahrensrechtlichen Bereich mit der Folge, dass es den Eltern nicht möglich sei, auch ohne gerichtliche Billigung eine vollstreckbare Regelung mit den Wirkungen des § 1696 BGB zu vereinbaren. Materiellrechtlich jedoch seien sie - soweit nicht Dritte betroffen seien - verfügungsbefugt, soweit ihnen nicht das Umgangsrecht entzogen wurde. 

Durch die gerichtliche Regelung sei den Eltern das Umgangsrecht nicht (auch nicht konkludent) entzogen worden. Es sei nicht gewollt und auch nicht praktikabel, einmal getroffene gerichtliche Umgangsregelungen bis zur Volljährigkeit des Kindes ständig nach § 1696 Abs. 1 BGB abzuändern. 

Zur Höhe des vom OLG nunmehr festgesetzten Ordnungsgeldes von € 350,00 betreffend der Verspätung würde es sich nach den Ausführungen der AS, denen der AG nicht widersprach, um ein generelles Problem handeln. Deshalb erscheine ein Betrag von € 350,00 (ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft) erforderlich aber auch ausreichend, um den AG zu einer verlässlichen Einhaltung der Umgangsregelung anzuhalten.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.02.2024 - 5 WF 166/23 -

Freitag, 29. März 2024

Höhe der Beschwer des Beklagten bei Berufung gegen ein Grundurteil zum Schmerzensgeldanspruch

Streitgegenständlich war eine Klage auf Schmerzensgeld aufgrund einer Körperverletzung durch den Einsatz von Pfefferspray durch den Beklagten; der Beklagte hatte damit den nicht ordnungsgemäß angeleinten Hund der Klägerin abgewehrt (streitig war, ob der Pfefferspray auch gegen die Klägerin eingesetzt wurde).  Die Klägerin verlangte ein Schmerzensgeld in Höhe von € 1.200,00. Mit Grundurteil hatte das Amtsgericht einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils von 25% für gerechtfertigt erklärt. Das Landgericht als Berufungsgericht hatte die Berufung des Beklagten mit Becluss als unzulässig verworfen, da es von einer Beschwer des Beklagten von € 550,00 (und damit unterhalb der erforderlichen Beschwer von über € 600,00) ausging; dabei führte es aus, dass ein Schmerzensgeld von € 1.200,00 überzogen sei und bei Berücksichtigung des Mithaftungsanteils nur eine Beschwer von € 550,00 gegeben sei. Die dagegen vom Beklagten beim BGH erhobene Rechtsbeschwerde war erfolgreich und führte zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Fehle es wie hier an der Zulassung der Berufung, so sei diese zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von € 600,00 übersteige (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Ein Zwischenurteil über den Grund sei in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen (§ 304 Abs. 2 Halbs. 1 ZPO). Bei Rechtsmitteln richte sich die Festsetzung des Wertes gem. § 2 ZPO nach den Vorschriften der §§ 3 ff ZPO. Dabei könne das Rechtsbeschwerdegericht nur prüfen, ob das Berufungsgericht die Grenzen des ihm nach § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder von diesem fehlerhaft Gebrauch gemacht habe (BGH, Beschluss vom 12.09.2023 - VI ZB 72/22 -). Hier sei der Wert vom Landgericht rechtsfehlerhaft mit € 550,00 angenommen worden.

Zu den Grundlagen des maßgeblichen Wertes einer Berufung führte der BGH aus, dass sich dieser nach dem Betrag bestimme, um den der Berufungskläger nach seinem Vortrag durch das erstinstanzliche Urteil in seinem Recht verkürzt worden sei und in dessen Höhe er mit seinem Berufungsantrag eine Abänderung des Urteils beantrage.  Bei einer unbeschränkt eingelegten Berufung des beklagten entspräche damit der Wert des Beschwerdegegenstandes dem Umfang der erstinstanzlichen Verurteilung.  Bei einem Grundurteil gem. § 304 ZPO bemesse sich der Wert der Berufung des beklagten nach der Höhe der Klageforderung bzw. dem Bruchteil desselben, zu dem der Klage nicht stattgegeben wurde (BGH, Beschluss vom 26.11.2009 - III ZR 116/09 -).

Vorliegend sei damit zugrunde zu legen, dass das Amtsgericht durch das Grundurteil festgestellt habe, dass der Klägerin wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB das mit der Klage geltend gemachte Schmerzensgeld (nach Klageantrag € 1.200,00) dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils von 25% zustehe. Damit aber übersteige der Beschwerdewert den betrag von € 600,00, weshalb die Berufung zulässig sei. Wäre der Klägerin das Schmerzensgeld dem Grunde nach ohne Mithaftungsanteil zugesprochen worden, würde sich die Beschwer des beklagten auf € 1.200,00 belaufen (BGH, Beschluss vom 07.12.2020 - VI ZR 300/18 -).

Zutreffend habe das Landgericht bei der Bemessung der Beschwer (25%) berücksichtigt. Allerdings sei dieser im (nach dem Grundurteil folgenden) Betragsverfahren nur als einer der Umstände bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen, die in ihrer Gesamtheit zur Ermittlung des angemessenen Schmerzensgeldes führen würden (BGH, Urteil vom 12.03.1991 - VI ZR 173/90 -). Auch wenn sich der Mithaftungsanteil erst im Betragsverfahren auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirke, könne diese Feststellung aus dem Grundurteil für die Beschwer im Rahmen der Berufung gegen das Grundurteil nicht unberücksichtigt bleiben. Damit sei von der Beschwer des Beklagte, die sich bei einem uneingeschränkt stattgebenden Grundurteil ergäbe (€ 1.200,00) ein Abzug des Mithaftungsanteils von 25% vorzunehmen.

Das Landgericht war allerdings vorliegend der Ansicht, dass ein Schmerzensgeld von € 1.200,00 (ohne Mithaftungsteil) bei der Art der Verletzung überzogen sei, da die körperlichen Beschwerden bei eingehender ärztlicher Behandlung in überschaubarer Zeit abgeklungen seien, die Klägerin zudem bereits vor dem Ereignis unter einer depressiven Störung und Angst gelitten habe. Dazu aber hatte das Amtsgericht im Grundurteil keine Feststellungen getroffen, sondern ausgeführt, dass Ausmaß, Dauer und Folgen der Verletzung umstritten seien, weshalb die Höhe des Schmerzensgeldes – auch ein Mindestmaß – noch nicht bemessen werden könnten. Hätte allerdings das Amtsgericht zu diesen Umständen im Grundurteil Ausführungen gemacht, wären sie – so der BGH – unzulässig und für das Betragsverfahren nicht bindend (BGH, Urteil vom 15.10.2953 - III ZR 182/52 – in BGHZ 10. 361, 362: Enthält ein Grundurteil unzulässigerweise eine Entscheidung zur Höhe, die dem Betragsverfahren vorbehalten blieb, kann dies nicht in Rechtskraft erwachsen; dies gilt nach BGH, Urteil vom 20.12.2005 - XI ZR 66/05 - auch zu Ausführungen zur Höhe im Grundurteil bei vorbehaltenen Betragsverfahren).   

Damit aber könnten solche Umstände auch nicht vom Berufungsgericht zur Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes gegen das Berufungsurteil herangezogen werden. Dass gar das Berufungsgericht ausführte, bei einer Verurteilung im Betragsverfahren zu einem Schmerzensgeld von über € 600,00 könne der Beklagte er immer noch Berufung einlegen, berücksichtigte nicht die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Grundurteils; der BGH wies daher auch treffend darauf hin, dass Gegenstand des Betragsverfahrens alleine die Höhe des Schmerzensgeldes sei, Einwendungen gegen den Grund des Anspruchs (Haftung als solche oder Mitverschuldensquote der Klägerin) dort ausgeschlossen seien.  

BGH, Beschluss vom 16.01.2024 - VI ZB 45/23 -

Mittwoch, 27. März 2024

Wenn ein anderer Betreuer vom Betreuten gewollt wird (Betreuungserweiterung)

Für die Betroffene bestand Betreuung. Der Beteiligte zu 2. war als Betreuer berufen. Er regte im September 2022 an, den Aufgabenbereich des Betreuers um den Aufgabenbereich Gesundheitssorge zu erweitern, nachdem die Betroffene in einem sozialgerichtlichen Verfahren die Befreiung von Ärzten von ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung auf Anraten ihrer Mutter verweigerte; Folge war, dass das Sozialamt bisher geleistete Beitragszahlungen in die Krankenkasse einstellte. Das Amtsgericht erweiterte den Aufgabenbereich der Betrauung entsprechend und bestellte insoweit auch den Beteiligten zu 2. als Betreuer. Die von der Betroffenen und ihrer Mutter dagegen eingelegte Beschwerde wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde war erfolgreich.

Auch das Beschwerdegericht sei davon ausgegangen, dass gem. § 1814 Abs. 2 BGB ein Betreuer nicht gegen den freien Willen eines Volljährigen bestellt werden könne. Allerdings würde zutreffend beanstandet, dass das Beschwerdegericht angenommen habe, die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um jenen der Gesundheitssorge entspreche dem Willen der Betroffenen.

In ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht als auch gegenüber dem vom Amtsgericht bestellten Sachverständigen habe die Betroffene erklärt, ohne Unterstützung bei ihren Angelegenheiten der Gesundheitssorge diese nicht bewältigen zu können und grundsätzlich diesbezüglich mit einer Erweiterung der Betreuung einverstanden zu sein. Gleichzeitig aber habe sie ihre Unzufriedenheit mit dem Beteiligten zu 2. als Betreuer geäußert und mit dessen Bestellung für die Gesundheitssorge nicht einverstanden zu sein. Sie würde ihre gesundheitlichen Angelegenheiten gemeinsam mit ihrer Mutter, der sie Vollmacht erteilt habe, regeln und wünsche sich daher bei einer entsprechenden Erweiterung der Betreuung zur Gesundheitssorge ihre Mutter als Betreuerin dafür.  Damit habe die Betroffene ihr Einverständnis mit der Erweiterung der Betreuung an die Bedingung geknüpft, dass ihre Mutter zur Betreuerin im Hinblick auf den Gegenstand der Betretungserweiterung als Betreuerin bestellt würde.

Die Erweiterung der Betreuung mit einem anderen als dem gewünschten Betreuer widerspreche damit dem nach § 1814 Abs. 2 BGB beachtlichen freien Willen der Betroffenen. Dieser freie Wille müsse auch dann respektiert werden, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung für den betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. In einem solchen Fall sei trotz Betreuungsbedürftigkeit die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung ausgeschlossen (BGH, Beschluss vom 21.06.2017 -XII ZB 237/17 -).

Das Beschwerdegericht (Landgericht) müsse nun Feststellungen zur Frage eines freien Willens iSv. § 1814 Abs. 2 BGB treffen. Entscheidend dafür seien Einsichtsfähigkeit der Betroffenen und deren Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen (BGH, Beschluss vom 07.12.2022 - XII ZB 158/22 -).

BGH, Beschluss vom 10.01.2024 - XII ZB 217/23 -

Sonntag, 24. März 2024

Folgen einer (teilweisen) Unleserlichkeit des Zustelldatums auf Briefumschlag

Das Urteil des OLG Koblenz stellt sich als Lehrbeispiel zu den Zustellungsvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) dar. Streitig war, ob ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil rechtzeitig erfolgte. Das Landgericht hatte dies negiert und von daher diesen mit dem von der Beklagten mit der Berufung angegriffenen Urteil als unzulässig verworfen. Das Berufungsgericht (OLG Koblenz) musste sich damit auseinandersetzen, ob (und gegebenenfalls wann) das Versäumnisurteil prozessordnungsgemäß zugestellt wurde. Grundlage der Entscheidung des Landgerichts war, dass – nach vergeblichen Versuch der elektronischen Zustellung bei dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten – dieses schließlich in Papierform bei diesem zugestellt wurde, aber das Datum insoweit unleserlich war, als es „12.12. 2022“ oder „17.12.2022“ bedeuten konnte; der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gab an, er habe erst am 27.12.2022 von dem Urteil Kenntnis genommen. Letztlich hat das OLG das den Einspruch der Beklagten verwerfende Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

1. Das Landgericht ging von einer Zustellung am 12.12.2022 aus. Der Einspruch erfolgte am 02.01.2023, wäre mithin verfristet gewesen (die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen, § 339 Abs. 1 ZPO). Ausgehend von diesen Daten wäre die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden gewesen (bei einer Zustellung am 17.12.2022 wäre die Frist gewahrt gewesen, da Fristablauf der 31.12.2022 wäre und, da die Frist auf einen Samstag fiel, mithin der nächste Werktag, der 01.01.2023, § 193 BGB). Wiedereinsetzung wurde der Beklagten nicht gewährt, da diese sich bei Unleserlichkeit bei Gerich hätte über das korrekte Zustelldatum informieren müssen. Das sah das OLG (zutreffend) anders. 

Abgestellt wurde vom OLG auf § 180 ZPO (Zustellung mit Postzustellungsurkunde per Einlegen in den Briefkasten, da niemand zur Entgegennahme angetroffen wurde). Diese Zustellung (am 12.12.2022) sei, so das Landgericht, von dem Postzusteller eindeutig auf der Postzustellungsurkunde vermerkt worden. Das reiche aber nicht, so das OLG. Denn nach § 180 S. 3 ZPO sei vom Zusteller das Datum der Zustellung ebenfalls auf dem zuzustellenden Umschlag zu vermerken. Der BGH habe mit Urteil vom 15.03.2023 - VII ZR 99/22 - zu einem Fall, bei dem sich kein Datum auf dem Umschlag befand (ein übrigens nicht seltener Fall) bereits entschieden, dass es sich bei hier um eine zwingende Zustellungsvorschrift iSv. § 189 ZPO handele und bei Verletzung dieser Vorschrift die Zustellung erst als mit dem Tag des tatsächlichen Zugangs als bewirkt gelte (die Gründe des BGH wurden vom OLG angeführt, u.a. die Schutzbedürftigkeit des Zustellungsempfängers). Die Schutzbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die (förmliche) Zustellung der Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der Übergabe des Schriftstücks diene, da sich die die Zustellung (wie ersichtlich) wichtige prozessuale Wirkungen (wie hier z.B. Fristen) knüpfen würden.

Die Grundform der Zustellung ist die körperliche Übergabe des Schriftstücks (§ 116 Abs. 1, § 177 ZPO); bei der Einlegung in den Briefkasten handelt es sich um eine Ersatzzustellung, die (an sich) nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des  § 189 ZPO erfolgen darf (wenn sie auch von Zustellern häufig trotz Anwesenheit des Empfängers vorgenommen wird, wie wir in unserer Kanzlei bei Zustelllungen an und selbst häufig feststellen).  § 180 S. 2 ZPO, so das OLG in Bezug auf die Entscheidung des BGH, knüpfe an das Einlegen in den Briefkasten die Fiktion der Bekanntgabe. Die Angabe des Datum der Einlegung auf dem Umschlag solle dem Empfänger eine Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt des mit dieser Bekanntgabe genauen Zustellungszeitpunkts und damit gegebenenfalls Beginn einer Frist ausgleichen. 

Auch wenn vorliegend anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall hier ein Datum vermerkt wurde, doch sei dort (wie der Senat des OLG bei Inaugenscheinnahme des Umschlags festgestellt habe) das Datum nicht eindeutig zu lesen gewesen (entweder 12.12.22 oder 17.12.22). Das unleserliche Datum sei wie der Fall des fehlenden Datums zu behandeln. Letztlich sei der Empfänger bei einem unlesbaren Datum in der gleichen Situation wie jener, bei dem kein Datum angegeben worden ist. Er könne nicht feststellen, wann eine Frist zu laufen beginne. Zwar lag hier ein Zeitfenster vor, insoweit lediglich der Tag (der 12. oder der 17) undeutlich war. Gleichwohl sei die Frist, so das OLG, nicht sicher zu berechnen. Nach § 180 ZPO könne nur ein konkretes (leserliches) Datum gemeint sein, welches auf dem Umschlag aufzunehmen ist. Da das Zustellungsverfahren dazu diene, als förmliches Verfahren für Rechtssicherheit zu sorgen und Daten nachweisen zu können, könne ein unleserliches Datum dienen Zweck ebenso wenig erfüllen wie ein fehlendes Zustelldatum. 

Damit sei die Zustellung (gemäß Postzustellungsurkunde am 22.12.2022) unwirksam. Nach der vom Kläger nicht widerlegten Angabe des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe dieser erstmals von dem Versäumnisurteil am 27.12.2022 Kenntnis genommen, weshalb mit diesem Datum der Lauf der Einspruchsfrist iSv. § 189 ZPO beginne.  Diese Rechtsansicht des OLG wird durch § 189 ZPO (Heilung von Zustellungsmängeln) gestützt, wonach bei Nichtnachweis einer formgerechten Zustellung das Datum gilt, zu dem das Dokument der betroffenen Person tatsächlich zugegangen ist. 

2. Die Klägerseite hatte eine Zustellungsvereitelung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingewandt, da dieser im Rahmen der (zulässigen) elektronischen Übermittlung (über beA = besonderes elektronisches Anwaltspostfach) das (elektronische) Empfangsbekenntnis , trotz dreifacher Erinnerung, nicht abgegeben habe. Dem folgte das OLG aus zutreffenden Erwägungen nicht. 

Das OLG konstatiert, dass die Zustellung mittels elektronischen Empfangsbekenntnis dem Gericht eine kostengünstige und schnelle Zustellung bewirken kann. Allerdings erfordere dies die Mitwirkung des Empfängers. § 175 ZPO enthalte allerdings keine Verpflichtung zur Entgegennahme (allgemeine Ansicht, z.B. Vogt-Beheim in Anders/Gehle, ZPO 92 Aufl. 1024 zu § 175 Rn. 12); standesrechtliche Pflichten des Anwalts seien nicht entscheidend. Es genüge nicht, dass der Adressat das Schriftstück zur Kenntnis oder auch in Gewahrsam nähme (anders als bei Zustellung durch Gerichtsvollzieher oder Post), sondern er müsse auch den Willen haben, das Schriftstück zugestellt zu bekommen (also empfangsbereit sein). Dies geschehe in der Regel durch Unterschrift des Empfangsbekenntnisses (oder elektronische Bestätigung). Damit müsse der Anwalt zunächst Kenntnis von dem Schriftstück haben, bevor er entscheiden könne, ob er es als zugestellt ansehe. Er könne auch konkludent, so z.B. durch Überlassung an den Mandanten, den Annahmewillen zum Ausdruck bringen (Anm.: was allerdings dem Gericht in der Regel nicht bekannt ist). Das OLG weist auch darauf hin, dass die für eine Zustellung nach § 174 ZPO erforderliche Empfangsbereitschaft nicht alleine durch den Nachweis des bloßen Zugangs iSv. § 189 ZPO erfolgen könne, da zumindest eine konkludente Äußerung vorliegen müsse, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Eine Verweigerung der Empfangnahme im Sinne einer Zustellung könne bei Nichtrücksendung des Empfangsbekenntnisses nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände auf das Gegenteil hinweisen würden. Ein hierbei abweichender oder genteiliger Wille des Adressaten sei unbeachtlich, wenn er nach Außen keinen Ausdruck gefunden habe (BGH, Beschluss vom 13.01.2015 - VIII ZB 55/14 -). 

Vorliegend wurde das Empfangsbekenntnis vom Beklagtenvertreter nicht mit Datum und Unterschrift versehen an das Landgericht zurückgesandt. Anhaltspunkte für eine konkludente Empfangsbereitschaft gäbe es nicht.

 Damit sei gemäß § 189 ZPO von einer Zustellung am 27.12.2022 auszugehen und der Einspruch gegen das Versäumnisurteil rechtzeitig gewesen. 

OLG Koblenz, Urteil vom 13.12.2023 - 10 U 472/23 -

Donnerstag, 21. März 2024

Verwertung des Gutachtens des wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgreich abgelehnten Sachverständigen ?

Es handelte sich um einen Arzthaftungsprozess. In der Verhandlung über ein medizinisches Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen (SV) lehnte die Klägerin diesen wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies in einem späteren Schriftsatz, zu dem der Sachverständige Stellung nahm. Dem Befangenheitsantrag wurde im Beschwerdeverfahren vor dem OLG stattgegeben, allerdings im Hinblick darauf, dass zwischenzeitlich die Klägerin ihren Befangenheitsantrag auf den Inhalt der Stellungnahme des SV stützte. In der Folge wurde die Klage unter Berücksichtigung des Gutachtens des abgelehnten SV abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen, wobei der Senat insoweit die Befangenheitsablehnung (festgestellt durch einen anderen Senat) als unzulässig ansah.  Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG. 

Zunächst stellte der BGH fest, dass gem. § 412 Abs. 2 ZPO die Begutachtung durch einen anderen SV anordnen „kann“, wenn der bestellte Sachverständige erfolgreich abgelehnt worden sei. „Kann“ sei hier dahingehend zu verstehen, dass das Gutachten des abgelehnten SV grundsätzlich nicht mehr verwertet werden dürfe. Gründe, die eine Ausnahme zulassen würden, lägen nicht vor. 

In diesem Zusammenhang setzte sich der BGH mit der Annahme des Berufungsgerichts auseinander, das Ablehnungsgesuch der Klägerin als unzulässig einzustufen. Er verwies zutreffend darauf, dass diese Beurteilung der Bindungswirkung der im Ablehnungsverfahren getroffenen Entscheidung widerspreche. Die Entscheidung des anderen Senats des OLG, mit der dem Ablehnungsantrag stattgegeben worden sei, unterliege gem. §§ 512, 406 Abs. 5 ZPO nicht der Beurteilung des Berufungsgerichts, welches an die rechtskräftige Entscheidung gebunden sei. 

Eine Ausnahme von dem aus § 412 Abs. 2 ZPO verankerten Verwertungsverbot läge vor, wenn die sich auf die Befangenheit des Sachverständigen berufene Partei den Ablehnungsgrund selbst in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert habe und gleichzeitig kein Anlass bestünde, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen sei (BGH, Beschluss vom 26.04.2007 - VII ZB 18/06 -). Die Entscheidung zur weiteren Verwertbarkeit sei nicht Teil des Ablehnungsverfahrens. Welche Folgen die erfolgreiche Ablehnung habe, sei vom Gericht im Rahmen seiner Entscheidung, welche Beweise noch zu erheben sind, zu beurteilen. 

Hier habe das Berufungsgericht schon keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergäbe, dass die Klägerin den Ablehnungsgrund rechtsmissbräuchlich provoziert habe. 

Auch habe es rechtsfehlerhaft angenommen, dass kein Anlass zur Besorgnis bestünde, dass die Unvoreingenommenheit des SV schon bei Erstellung des Gutachtens beeinträchtigt gewesen sei. In seinen Ausführungen habe das Berufungsgericht zunächst nur dargelegt, was die Klägerin als Befangenheitsgrund iSv. § 406 Abs. 1 S. 1 , § 42 Abs. 1 und 2 ZPO angesehen habe. Den fehlenden Anlass zur Besorgnis der beeinträchtigten Unvoreingenommenheit des SV habe das Berufungsgericht mit dem Hinweis darauf begründet. Dass der SV und er Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor der Erstellung des Gutachtens nicht aufeinandergetroffen seien und daher für den SV (anders als ins einer späteren Stellungnahme zum Befangenheitsantrag nach der mündlichen Verhandlung) kein Anlass bestanden habe, das Verhalten des klägerischen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung zu bewerten und zu kritisieren.  Es würden Darlegungen im Urteil fehlen, ob die Unvoreingenommenheit des SV bereits zuvor beeinträchtigt gewesen sein könnte. Dass sich diese mögliche Beeinträchtigung nicht schon früher offenbart hätte, folge nicht, dass sie nicht vorgelegen habe. 

Offen ließ der BGH, ob die Verwertbarkeit des Gutachtens auch dann in Betracht kommen könne, wenn die sich auf die Befangenheit berufene Partei dem Ablehnungsgrund nicht rechtsmissbräuchlich provoziert habe. Auch dann käme eine Verwertung des Gutachtens nur in Betracht, wenn kein Anlass zu der Besorgnis bestünde, dass die Unvoreingenommenheit des SV schon bei dessen Erstellung (und ggf. Erläuterung) beeinträchtigt gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall. 

BGH, Urteil vom 05.12.2023 - VI ZR 34/22 -

Montag, 18. März 2024

Löschung negativer Bewertungen im Arbeitgeber-Bewertungsportal

Die Antragstellerin beschäftigte etwa 22 Mitarbeiter und unterhielt in Hamburg ein Ladengeschäft. Von der Antragsgegnerin wurde eine Arbeitgeber-Bewertungsportal betrieben. Bewertungen auf dem Portal können von (auch ehemaligen) Mitarbeitern. Bewerbern und Auszubildenden in verschiedenen Kategorien abgegeben werden.

U.a. wurden Bewertungen im Portal eingestellt, gegen die sich die Antragstellerin mit anwaltlichen Schreiben wandte. Darin hieß es jeweils: „Der genannte Bewerter hat unsere Mandantschaft negativ bewertet, Der Bewerber- und Mitarbeiter-Kontakt wird mit Nichtwissen bestritten, da er nicht zugeordnet werden kann.“ Die Antragsgegnerin forderte eine Substantiierung der unwahren Tatsachenbehauptungen und Rechtsverletzungen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegnerin wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Die dagegen von der Antragstellerin eingelegte sofortige Beschwerde führte zu deren Erlass. Rechtsgrundlage sei § 1004 BGB analog iVm. § 823 Abs. 1 BGB und dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs.1, 18 Abs. 3 GG) auf Unterlassung des weiteren Zugänglichmachens der beanstandeten Bewertung zu. Die Grundsätze würden auch bei einem Internet-Bewertungsportal greifen (BGH, Urteil vom 09.08.2022 - VI ZR 1244/20 -). Die Betreiberin sei mittelbare Störerin und hafte als solche eingeschränkt. Bei Beanstandungen eines Betroffenen die so konkret gefasst seien, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung unschwer bejaht werden könne, sei eine Ermittlung durch den Betreiber erforderlich, unabhängig davon, ob die Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil (aufbauend auf einem Tatsachenurteil) zu qualifizieren sei. Grundsätzlich sei (bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs) die Rüge ausreichend, dass der Bewertung kein tatsächlicher Kontakt zugrunde läge, wobei der Bewertete diese Rüge solange aufrechterhalten dürfe, bis ihm gegenüber der Bewerter soweit individualisiert würde, dass er das Vorliegen geschäftlicher Kontakte überprüfen könne. Das OLG trug damit dem Umstand Rechnung, dass der Bewerter anonym im Portal in Erscheinung tritt und von daher der Bewerte nichts zu Einzelheiten eines möglicherweise tatsächlichen Kontakts sagen kann, da er den Vorgang grundsätzlich nicht ohne Kenntnis des angebliche beteiligten Bewerters identifizieren können muss.

Eine solche Rüge wurde hier von der Antragstellerseite erhoben. Eine weitere Übermittlung von Informationen zu den Inhalten der Bewertungen, habe es von daher nicht bedurft. Da es sich hier überwiegend um Werturteile gehandelt habe, hätte der Antragsgegnerin die Übermittlung von weiteren Informationen durch die Antragstellerin kaum ermöglicht,  alleine aufgrund diese Informationen unschwer einen eventuellen Rechtsverstoß zu erkennen, weshalb die Antragsgegnerin auch in diesem Fall nicht darum herum gekommen wäre zu ermitteln, ob den Bewertungen tatsächliche geschäftliche Kontakte zugrunde gelegen hätten und insoweit Stellungnahmen von den Urhebern der Bewertungen einzuholen.

Die Anzahl mit gleicher Begründung des fehlenden geschäftlichen Kontakts sei auch nicht rechtsmissbräuchlich, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass auf einem solchen Portal eine Vielzahl von nicht auf konkreten Kontakten beruhenden Bewertungen eingestellt würden. Auch die Vertretung der Antragstellerin durch eine Kanzlei, die offensiv damit werbe, gegen Festhonorar gegen Einträge in Bewertungsportalen vorzugehen, sei nicht rechtsmissbräuchlich, da das Bestreiten des Vorliegens eines geschäftlichen Kontakts durch die Antragstellerin keinen Rückschluss in jedem einzelnen Fall zuließe, ob das Bestreiten in der Sache begründet sei oder nicht. Der Umfang des Geschäftsbetriebs der Antragsgegnerin könne diese nicht von ihrer Überprüfungsobliegenheit entbinden, die jeden Betreiber eines Bewertungsportals treffe.

Von der Antragsgegnerin seien die Bewerter nicht identifizierbar gemacht worden, weshalb der Antragstellerin eine Prüfung tatsächlicher Kontakte nicht möglich gewesen sei.  Zwar könnten die eingereichten Unterlagen aus dem Geschäftsbereich der Antragstellerin stammen. Doch ließe sich für die Antragstellerin nicht erkennen, wer die betreffenden Mitarbeiter gewesen sein könnten, auf den sie sich beziehen, weshalb nicht überprüfbar sei, ob diese Urkunden wirklich die Urheber der Bewertungen betreffen und ob es sich tatsächlich um Personen handele, die für sie arbeiten oder gearbeitet hatten. Der Portalbetreiber dürfe die Überprüfung des geschäftlichen Kontakts durch den Betroffenen nicht in der Weise verhindern, dass er deren Vorliegen für sich selbst prüft und lediglich dessen positives Ergebnis bestätige. Dies würde eine effektive Verteidigung des Betroffenen verhindern.

Auch im Hinblick auf die (geringe) Anzahl von Mitarbeitern der Antragstellerin (22) ergäbe sich nichts anderes. Eine Kritik könne sich auf konkrete Einzelfälle beziehen die auf ihre tatsächliche Gegebenheiten vom Betroffenen nur geprüft werden könnten, wen die Person des angeblichen Arbeitnehmers bekannt sei oder jedenfalls die konkrete Situation die geschildert wird, bekannt wäre (so die Angabe „Einarbeitung? Fahlanzeige!  Am ersten Tag bekommt man ein paar Dokument(e), die man sich auf eigene Faust aneignen soll(m) und dann wird bitte losgelegt“, „Abmachungen wurden nicht eingehalten“), und sich auch aus allgemein gehaltenen Meinungsäußerungen wie zum Betriebsklima oder Betriebsmitteln (hier z.B. „Vorgesetztenverhalten … Empathie ist ein Fremdwort“, „Software auf Hobby-Niveau“ nicht ziehen ließen.

Auch wenn es für den Arbeitgeber-Bewertungsportal-Betreiber schwierig sein könne, Bewerter zu bewegen, sich zu erkennen zu geben da sie im Gegensatz zu Nutzern, die einmalige Geschäftskontakte wie Hotelbesuch, einen singulären Arztbesuch, oder den Ankauf von Ware bewerten, die Befürchtung hätten, Repressalien des negativ bewerteten Arbeitgebers ausgesetzt zu sein, rechtfertige nicht, dass ein betroffener Arbeitgeber diese öffentliche Kritik hinnehmen müsse, ohne die Möglichkeit zu erhalten, dies zu prüfen und sich dazu zu positionieren.

Aus diesem Grund könne sich auch die Antragsgegnerin nicht darauf berufen, dass sie ohne Zustimmung des Bewerters aus Datenschutzgründen diesen nicht namhaft machen dürfe. Auch wenn § 21 TTDSG in Ansehung des Erfordernisses des Verfahrens nach dessen Absätzen 2 bis 4 diese Konsequenz haben sollte, dürfe das nicht dazu führen, dass eine öffentliche Bewertung zugänglich gehalten werden dürfe, solange dem Bewerteten die Möglichkeit der Prüfung eines geschäftlichen Kontakts genommen ist. Bei der Verbreitung von Äußerungen trage der Verbreiter das Risiko, ob er den Urheber namhaft machen könne. Gesche die Verbreitung (wie hier) im Rahmen eines Geschäftsbetriebs, gehöre dieses Risiko zu den typischen Geschäftsrisiken, die jeden Unternehmer bei seiner Tätigkeit treffe.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 08.02.2024 - 7 W 11/24 -