Mittwoch, 3. Mai 2023

Schadensersatz bei geringen optischen Mangel einer Hofeinfahrt / -fläche ?

Nach einem Verkehrsunfall verlangten die Kläger von der beklagten Versicherung Schadensersatz in Höhe von € 12.550,00 für die Wiederherstellung der gesamten Hofeinfahrt, §§ 7 Abs. 1 StVG iVm. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. VVG, da nur so ein einheitliches Fugenbild zu erreichen sei. Die Beklagte zahlte lediglich Schadensersatz für die (nach ihrer Ansicht ausreichende) Teilerneuerung der betroffenen Pflasterung. Die Berufung der Kläger gegen die Klageabweisung der ersten Instanz wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen. Das verbleibende teilweise uneinheitliche Fugenbild stelle nur eine kaum wahrnehmbare optische Beeinträchtigung dar und ein auszugleichender Minderwert würde dadurch auch nicht entstehen.

Auch wenn der Geschädigte nach § 249 Abs. 1 grundsätzlich die Wiederherstellung des Zustandes verlangen könne, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Insoweit würde dem Geschädigten (auch der Geldersatzanspruch nach § 249 Abs. 2 BGB, sei allerdings nach § 249 Abs. 2 BGB allerdings dann nicht zustehen, wenn die Herstellung dieses Zustandes unverhältnismäßig sei; dann sei der Ersatzberechtigte in Geld zu entschädigen, § 251 Abs. 2 S. 1 BGB.

Zur Feststellung, ob die Wiederherstellung iSv. § 251 Abs. 2 S. 1 unverhältnismäßig sei, dürfe der mit der Nachbesserung erzielbare Erfolg in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür erforderlichen Geldaufwandes stehen. Diese Unverhältnismäßigkeit sei anzunehmen, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung ein ganz erheblicher und deshalb unangemessener Aufwand gegenüberstünde (BGH, Urteil vom 06.12.2001 - VII ZR 241/00 -). Zu berücksichtigen seien der Wert der Sache in einem mangelfreien Zustand und die Bedeutung des Mangels (BGH, Urteil vom 04.04.2014 - V ZR 275/12 -).

Daran ausgerichtet sei eine komplette Neupflasterung der ca. 250 m² großen Hofeinfahrt zum Erreichen eines einheitlichen Fugenbildes unverhältnismäßig. Es würde sich nur um einen optischen Mangel handeln, der den bestimmungsgemäßen Gebrauch nicht beeinträchtige. Zwar handele es sich hier nicht um ein werkvertragliches Vertragsverhältnis zwischen den Parteien (sondern um einen deliktischen Schadenersatzanspruch nach § 7 StVG), doch sei gleichwohl das objektiv geringe Interesse der Klägerin zu berücksichtigen.

Auch bei lediglich optischen Beeinträchtigungen sei ein strenger Maßstab anzulegen (OLG Celle, Urteil vom 01.11.2011 - 14 U 52/11 -). Im Einzelfall sei aber zu differenzieren, wie stark sich diese im Gesamteindruck auswirke. Es handele sich hier um eine Fläche, die dem Rangieren und Abstellen von Fahrzeugen diene. Die nicht ganz gradlinigen Fugen in einem Teilbereich der Pflasterung, die auf den Übersichtsbildern nicht wahrnehmbar seien, würden keine Auswirkungen auf den Gesamteindruck haben. Nur bei vergrößerten Aufnahmen und unter Zuhilfenahme einer Wasserwaage und eines Zollstocks wären die Abweichungen erkennbar. Diese fehlende Einheitlichkeit trete bei der bestimmungsgemäßen Nutzung der Fläche mit parkenden und rangierenden Fahrzeugen im optischen Gesamteindruck soweit zurück, dass sie für den unbefangenen Betrachter nicht mehr wahrnehmbar sei und schon gar nicht zu einer optischen Gesamtbeeinträchtigung der Anlage führe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass besondere ästhetische Anforderungen an die Hoffläche zu stellen seien, denen diese nicht mehr gerecht würde (OLG Celle, Urteil vom 18.07.2002 - 22 U 197/01 -).

Auch sei zu berücksichtigen, dass nach dem eingeholten Sachverständigengutachten die Hoffläche von Anfang an nicht den technischen Regelwerken entsprochen habe und in jedem Fall zu Fugenverschiebungen geführt hätte. Die Kläger stünden bei einer vollständigen Neupflasterung besser als ohne das Schadensereignis, da die sanierte Fläche einen deutlich besseren Aufbau habe und die die nicht sanierte Fläche ohnehin nicht fachgerecht (direktes Aneinanderlegen von Klinkersteinen) verlegt worden sei.

Die Kläger hätten auch keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 251 Abs. 1 S. 2 BGB. Dieser Anspruch richte sich nicht wie bei §§ 249, 250 BGB auf das Integritätsinteresse des Geschädigten und wäre nicht nach den Herstellungskosten zu bemessen, sondern auf Ersatz des Wertinteresse. Zu ersetzen sei daher im Falle der Unverhältnismäßigkeit von Wiederherstellungskosten die Differenz zwischen dem Vermögen, wie es sich ohne das schädigende Intereses darstellen würde, und dem Wert des Vermögens, wie es sich durch das schädigende Ereignis darstelle (BGH, Urteil vom 11.03.2020 - IX ZR 104/08 -).

Hier läge ein messbarer Minderwert nicht vor. Die Pflasterfläche stelle nach dem Gutachten, unabhängig vom Fugenverlauf, keinen Wertanteil an dem streitgegenständlichen Objekt dar. Der Gesamtwertanteil der Pflasterfläche betrage 0,7% des Verkehrswertes (€ 2.450,00). Bei Berücksichtigung üblicher Rundungsdifferenzen würde dieser Wertanteil nach dem Gutachten in den Rundungen untergehen.

OLG Celle, Urteil vom 15.02.2023 - 14 U 166/21 -

Sonntag, 30. April 2023

Gefährdet das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ (beA) die Verjährungshemmung ?

§ 130d S. 1 ZPO bestimmt, dass „vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich enzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt … eingereicht werden, … als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. Dabei sind bestimmte Formen zu wahren (so PDF, Signatur). Nur dann, wenn dies „aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften“ (so Post, Telefax) zulässig, § 130d S. 2 ZPO. Entsprechende Regelungen, wie hier zum Zivilverfahren, gelten auch nach den Prozessordnungen anderer Gerichtsbarkeiten (z.B. § 55a VwGO).

Der BGH hat mit seinem Beschluss vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 - (siehe den unten stehenden Beitrag vom 28.04.2023) aufgezeigt, dass bei der Übermittlung von Schriftsätzen an Gerichte höchste Sorgfalt geboten ist. Versehentlich hatte dort der Rechtsanwalt die Berufungsbegründung nicht an das zuständige Oberlandesgericht, sondern an das Landgericht versandt. Die Berufung wurde vom Oberlandesgericht - zu Recht, wo der BGH - verworfen, da mit dem Zugang beim Landgericht nicht ein notwendiger fristgerechter Zugang bei dem Oberlandesgericht gewahrt wurde. Das Verschulden des Rechtsanwalts wird der Partei zugerechnet. In diesem Fall hat allerdings der Mandant einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Rechtsanwalt, vorausgesetzt, die Berufung wäre erfolgreich gewesen (was im Rahmen einer Klage auf Schadensersatz dann von dem darüber zur Entscheidung berufenen Gericht zu klären wäre).

Aber wie steht es um den Anspruch des Mandanten, wenn aus technischen Gründen eine Übermittlung des Schriftstückes an das Gericht nicht möglich ist ? Hier bietet zwar § 130d S. 2 ZPO dem Rechtsanwalt die Möglichkeit, nach den „allgemeinen Vorschriften“ seinen Schriftsatz an das Gericht zu senden. Dies ist allerdings für den Rechtsanwalt mit erheblichen Mehraufwand verbunden: Nach § 130d S. 3 ZPO muss der Rechtsanwalt die vorübergehende Störung glaubhaft machen, selbst dann, wenn sie gerichtsbekannt ist (so ArbG Lübeck, Urteil vom 01.10.2020 - 1 Ca 572/20 -, Rn. 87). Erfolgt die Glaubhaftmachung nicht, nicht ausreichend oder verspätet, kann sich daraus auch eine Schadensersatzpflicht des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten ergeben.

Leider sind Störungen im elektronischen Verkehr mit Gerichten häufig. Nachzulesen sind sie auf der offiziellen Seite des beA zur „beA Verfügbarkeit“.  Dort kann man eine fehlende Verfügbarkeit aber nicht sogleich finden, wenn sie eintritt, sondern mit (unterschiedlicher) zeitlicher Verzögerung), weshalb der gewissenhafte Rechtsanwalt zunächst das Problem bei seiner Anwendung versucht zu finden (verschiedene Versuche, runter- und hochfahren des PC pp.). Interessant wird dies, wenn man ein Problem bei dem Versand feststellt, seinen Softwarespezialisten anruft, dieser Prüfungen vornimmt und dann plötzlich festgestellt wird, dass unter „beA Verfügbarkeit“ plötzlich der Systemausfall eingestellt wird, allerdings mit einer zeitlichen Verschiebung von 15 Minuten, und nach Behebung des Mangels der zeitliche Verzug zur eigenen Feststellung plötzlich mit 20 Minuten deklariert wird (so wie ich es vor einigen Wochen erleben durfte).

Grundsätzlich wäre, folgt aus einer nicht möglichen Versendung aufgrund einer vorübergehenden technischen Störung (sei es am eigenen System oder beim Empfänger) eine Fristversäumung, eine Wiedereinsetzung möglich. Allerdings erfordert dies, dass die Frist oder Notfrist ohne Verschulden nicht eingehalten wurde, § 233 ZPO. Ein verschulden wird man grundsätzlich annehmen können, wenn der Weg des § 130d S. 2 ZPO möglich wäre.

Allerdings ist dem Rechtsanwalt die Möglichkeit des § 130d S. 2 ZPO verwehrt, wenn er den gem. § 130d S. 1 BGB das Schriftstück per beA an das Gerichts- oder Verwaltungspostfach des zuständigen Gerichts sandte und die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisieret Bestätigung (Sendeprotokoll) den erfolgreichen Zugang bei dem adressierten (und zuständigen) Gericht bestätigt. Ergibt mithin die Prüfung des Sendeprotokolls, dass das Schriftstück ordnungsgemäß eingegangen ist, hat er alles getan, um eine Frist zu wahren und für den Fall, dass das Schriftstück bei dem Gericht gleichwohl nicht einging, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er erkennt oder erkennen muss, dass der Bestätigungsvermerk falsch ist und innerhalb der Frist des § 234 ZPO Wiedereinsetzung beantragt.

Das rechtliche Problem liegt allerdings darin, dass die Wiedereinsetzung lediglich den Ablauf einer prozessualen Frist betrifft, nicht (auch) den Ablauf einer materiellen Frist. Soll mit einer Klage oder sonstigen Antrag (z.B. ein Antrag auf Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens, § 485 ZPO) die Verjährung gehemmt werden (§ 204 BGB), so ist Voraussetzung der rechtzeitige, vor Ablauf liegende Eingang des entsprechenden Antrages bei Gericht erforderlich (und dessen Zustellung bei der Gegenseite „demnächst“). Problematisch ist dies in dem Fall, wenn zwar nach dem Sendeprotokoll der rechtzeitige Eingang bei Gericht bestätigt wird, dieser aber tatsächlich nicht erfolgte.

beA ist unberechenbar. Man denke an die großflächige Störung im Zeitraum vom 18.04.2023 (18.00 Uhr) bis zum 21.04.2023 (21.20 Uhr) in Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Teilen von Baden-Württemberg (zeitmäßig teilweise anders); Sendungen an Gerichte in diesen Bundesländern waren nicht möglich. Nicht genug damit: Für einige Versender war dies nicht erkennbar, das sie ein Sendeprotokoll mit einem Vermerk über den erfolgreichen Eingang erhielten, obwohl ein solcher nicht vorlag. Insoweit erfolgte unter „beA Verfügbarkeit“ der Eintrag:

„Es kann nicht sichergestellt werden, dass Daten, die im Zeitraum vom 18.04.2023, 18:00 Uhr bis zur Einstellung des Produktionsbetriebs am 20.04.2023 um 8:30 Uhr versendet worden sind, beim adressierten Empfänger angekommen sind. Die in diesem Zeitraum versandten Daten müssten dann erneut eingereicht werden.“

Diese erneute Einreichung mag in Ansehung von § 233 ZPO unproblematisch sein, da ein Verschulden des Versenders nicht angenommen werden kann. Anders stellt sich dies aber dar, wenn mit dem Schriftsatz die Verjährung gehemmt werden sollte. Die Wiedereinsetzung in die abgelaufene Verjährungsfrist ist im Gesetz nicht geregelt. Das Gesetz nennt lediglich Umstände, die zwingend zu einer Hemmung führen, wie z.B. die bei Gericht eingehende Klage oder die Zustellung des Antrages auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens (allerdings rückwirkend auf den Eingang bei Gericht, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt, also nicht durch Verschulden des Antragstellers verzögert wird, § 167 ZPO).

Das hätte zur Konsequent, dass dem Rechtsanwalt, der auf die Richtigkeit des Sendeprotokolls vertrauen durfte, kein Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden kann, ihm gegenüber also Schadensersatzansprüche nicht erfolgreich geltend gemacht werden können. Ein Amtshaftungsanspruch gegen das jeweilige Bundesland gem. § 839 BGB dürfte aber auch nicht erfolgreich sein. Es kann zwar geltend gemacht werden, dass die Gerichte und damit das Bundesland (ebenso wie die Rechtsanwaltschaft) dafür Sorge tragen müssen, dass sie im beA-Verfahren über ihr EGVP erreichbar sind, doch können technische Pannen auftreten, die ein Verschulden (welches auch im Rahmen des § 839 BGB erforderlich) nicht zwingend begründen. Diskutabel wäre allenfalls, ob die grundlegende Verpflichtung zur Nutzung von beA und Einreichung mittels eines elektronischen Dokuments über das EGVP des zuständigen Gerichts angesichts der hohen Instabilität des Systems (wie schon die Auflistung auf „beA Verfügbarkeit“ ergibt) ein zumindest fahrlässiges Verhalten darstellt, welches grundsätzlich für den Amtshaftungsanspruch ausreichend ist. Allerdings sind die Länder nur ausführende Organe; die zwingende Umsetzung (zum 01.01.2022) hat der Bundesgesetzgeber beschlossen.

Danach verbliebe es bei dem Schaden des Mandanten, der keine Ansprüche gegen eine Dritten geltend machen kann. Dieses Ergebnis wäre nicht nur unbillig, es würde auch gegen den Justizgewährleistungsanspruch des Art. 2 Abs. 1 GG sprechen. Dieser ist tangiert, wenn nicht der Staat sicherstellt, dass innerhalb der gesetzlichen Frist (hier der Verjährungsfrist) gerichtliche Maßnahmen eingeleitet werden können. Fällt das dafür vorgesehene elektronische System aus und kann deshalb (unverschuldet) der Anspruch nicht bei Gericht anhängig gemacht werden, kommt der Staat seiner sich aus Art. 2 Abs. 2 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG bestehenden Verpflichtung nicht nach. Zwar hat er den Ausfall des Systems in § 130d S. 2 ZPO berücksichtigt, nicht aber den Fall, dass der Absender entgegen den tatsächlichen Umständen ein den erfolgreichen Eingang bei dem zuständigen Gericht bestätigendes Sendeprotokoll erhält und mithin keine Veranlassung hat, einen alternativen Sendeweg zu wählen. Es wäre § 204 BGB dahingehend zu ergänzen, dass die Hemmungsfristen auch dann als gewahrt gelten, wenn das Dokument nach dem Sendeprotokoll gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO bei dem zuständigen Gericht eingegangen sein soll.

Der Gesetzgeber hat ersichtlich diesen Fall nicht bedacht. Damit liegt eine Gesetzeslücke vor. In der Gesetzesbegründung zu § 130a Abs. 5 ZPO zu Satz 2 heißt es (BT-Drs. 17/1234 S. 26) heißt es zum Sendeprotokoll:

„Hierdurch soll der Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind.“

Hierdurch soll der Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind.

Es könnte hier der Rechtsgedanke des § 206 BGB zur höheren Gewalt aufgegriffen werden. Nach § 206 BGB wird die Verjährung gehemmt, wenn innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist höhere Gewalt die Rechtsverfolgung hindert. Hier wird aber verlangt, dass innerhalb der letzten sechs Monate vor Eintritt der Verjährung die Rechtsverfolgung gehindert sein muss. Werden z.B. aus einem Werkmangel Ansprüche kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend gemacht und kommt es nun dazu, dass durch Ausfall des elektronischen System bei dem zuständigen Gericht kein Eingang des die Verjährungshemmung bewirkenden Schriftsatzes erfolgt, der Rechtsanwalt gleichwohl ein den Eingang bestätigendes Sendeprotokoll erhält, könnte in Ansehung der 6-Monats-Frist des § 206 nicht auf diesen rekrutiert werden. Der Gläubiger hätte bereits früher den Anspruch geltend machen können; kannte er seien Anspruch früher noch nicht, erfuhr er erst kurz vor Ablauf davon, musste er zwar zunächst den Unternehmer zur Nachbesserung auffordern, um mögliche Kosten des Verfahrens zu ersparen für den Fall, dass der Werkunternehmer die Nachbesserung vornimmt, doch würde dies die fehlende Hemmungswirkung des § 206 BGB nicht tangieren. Der Gesetzgeber hatte bewusst davon Abstand genommen, die Hemmung auf alle Fälle auszudehnen, in denen der Gläubiger ohne Verschulden an der Rechtsverfolgung gehindert war (BT-Drs. 14/6040 S. 119).  

Höhere Gewalt iSv. § 206 BGB wird angenommen, wenn der Gläubiger an der Verfolgung seiner Rechte selbst unter Wahrung der äußersten, billigerweise zu erwartenden Sorgfalt und Anstrengung gehindert worden ist (BAG, Urteil vom 07.11.2002 - 2 AZR 297/01 -; BGH, Urteil vom 06.07.1994 - XII ZR 136/93 - mwN.). Wenn in dem Fall des fehlerhaften Sendeprotokolls schlicht die Durchführung der Versendung des Schriftsatzes an das Gericht nicht möglich gewesen wäre oder als nicht erfolgreich gekennzeichnet worden wäre, hätte der Rechtsanwalt noch einen alternativen Versandweg gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO wählen können. Dem Sendeprotokoll zu vertrauen kann nicht gegen die anzuwendende Sorgfalt und Anstrengung sprechen; es kann nicht erwartet werden, dass stets von der Rechtsanwaltskanzlei bei den entsprechenden Gerichten angerufen wird und nachgefragt wird, ob das Schriftstück eingegangen ist, zumal es dann auch nicht mehr des Sendeprotokolls bedürfte, welches gerade diese Unsicherheit beseitigen und eine Kontrolle des Rechtsanwalts ermöglichen soll.

Der Umstand, dass hier nicht früher der Antrag gestellt wird, kann hier auch nicht (entsprechend § 206 BGB) dem Gläubiger angelastet werden. Er kann - unabhängig davon, ob ihm im Einzelfall eine frühere Antragstellung mit Wirkung der Verjährungshemmung möglich ist -  darauf vertrauen, dass der Justizgewährungsanspruch jederzeit gegeben ist, und mithin auch ein Schriftstück kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist ordnungsgemäß bei dem Gericht eingeht, wenn er ein entsprechendes Sendeprotokoll erhält.

Von daher wäre in diesem Fall nach dem Rechtsgedanken des § 206 BGB zur höheren Gewalt bei einem Fehler des Sendeprotokolls die Verjährungsfrist als gewahrt anzusehen.

Andernfalls bliebe nur die Möglichkeit, soll mittels eines bestimmten Antrages die Verjährung nach § 404 BGB gehemmt werden, den Antrag nicht nur elektronisch zu übermitteln, sondern zusätzlich auch als Telefax oder durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten. Stellt sich dann heraus, dass der elektronisch über beA gesandte Antrag wegen eines Systemfehlers entgegen dem Sendeprotokoll nicht bei Gericht eingegangen ist, unverzüglich die Annahme der richtigen Übertragung glaubhaft zu machen und auf den bereits rechtzeitig dem Gericht auf anderweitigem Weg zugeleiteten Antrag zu verweisen.


Freitag, 28. April 2023

Fehlerhafte Übermittlung per beA an unzuständiges Gericht und Wiedereinsetzung

Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.09.2021 verlängert worden war, leitete der Klägervertreter die Berufungsbegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versehentlich an das Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Landgerichts, welches diese erst am 11.10.2021 an das Berufungsgericht weiterleitete. Unter Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) verwarf das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig. Dagegen wandte sich der Kläger erfolglos mit seiner Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH).

Der BGH hielt die Rechtsbeschwerde zwar nach §§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 1 S. 1 ZPO für statthaft, aber wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO für unzulässig. So sei hier weder das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) verletzt noch der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG).

Die Berufungsbegründung hätte bis zum 30.09.2021 bei dem Berufungsgericht eingehen müssen. Dies sei nicht erfolgt. Die Übersendung an das EGVP des Landgerichts könne die Frist nicht wahren. § 130a Abs. 5 S. 1 ZPO bestimme, dass das elektronische Dokument, dessen sich der Rechtsanwalt bedienen muss, erst wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen sei, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden sei, was mit der Übermittlung an das EGVP des Landgerichts nicht erfüllt würde. Das EGVP des Landgerichts sei nicht für den Empfang von Dokumenten für das Berufungsgericht bestimmt. Der Umstand, dass sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht als Intermediär die Dienste des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen in Anspruch nähme könne daran nichts ändern, da beide Gerichte kein gemeinsames EGVP unterhalten, vielmehr durch entsprechende separate Posteingangsschnittstellen gesichert sei, dass der „Client“ eines Gerichts jeweils nur auf die an dieses Gericht adressierten Nachrichten zugreifen könne.

Der Kläger sei auch nicht ohne Verschulden iSv. § 233 S. 1 ZPO verhindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, weshalb keine Wiedereinsetzung erfolgen könne; der Kläger habe sich das Verschulden seines Rechtsanwalts zurechnen zu lassen. Der Rechtsanwalt habe sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der laufenden Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten würden denjenigen bei (wie früher noch möglicher) Übersendung per Telefax entsprechen, weshalb es auch bei Nutzung des beA notwendig sei, den Versandvorgang zu überprüfen. Die nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelte automatisierte Bestätigung müsse kontrolliert werden und so geprüft werden, ob nach dem Sendeprotokoll die Übersendung an den richtigen Empfänger erfolgte. Diese Kontrolle habe der Rechtsanwalt selbst vorzunehmen, wenn er die Versendung des fristwahrenden Schriftsatzes übernehme. Vorliegend habe aber der Klägervertreter lediglich geprüft, ob die Übermittlung „erfolgreich“ gewesen sei (was im Sendprotokoll auch ausgewiesen wird), nicht aber, ob die Versendung an das richtige Gericht vorgenommen wurde.

Eine Wiedereinsetzung käme schon dann nicht in Betracht, wenn die Möglichkeit bestünde, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht. Im fall der irrtümlichen Übermittlung der Berufungsbegründung an das erstinstanzliche Gericht wirke sich das Verschulden einer Partei bzw. ihres Verfahrensvertreters nicht aus, wenn der Schriftsatz so zeitig bei dem falschen Gericht eingehen würde, dass eine fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden könne. Hier sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, der Kläger (Klägervertreter) habe nicht erwarten könne, dass bei einer nur einen Tag vor Fristablauf eingehenden Berufungsbegründung im EGVP eines unzuständigen Gerichts der Schriftsatz rechtzeitig an das Berufungsgericht weitergeleitet würde; diese Erwägung würde keinen Rechtsfehler erkennen lassen.

BGH, Beschluss vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22 -

Donnerstag, 27. April 2023

Anhörungsrüge gegen Beschluss zur vorangegangenen Anhörungsrüge ?

Die Berufung des Klägers gegen ein Urteil eines Arbeitsgerichts wurde vom Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen. Das Landesarbeitsgericht hatte die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wurde vom Kläger Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) zum Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. Diese wurde vom BAG nicht angenommen. Gemäß § 78a ArbGG erhob der Kläger Anhörungsrüge, die vom BAG zurückgewiesen wurde. Gegen den Zurückweisungsbeschluss erhob der Kläger ebenfalls Anhörungsrüge; diese wurde vom BAG als unzulässig zurückgewiesen.

Die Anhörungsrüge gem. § 78a ArbGG entspricht der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO und nach § 178a SGG, 152a VwGO, 133a FGO. Das BAG zeigte die Grenzen der Anhörungsrüge auf, die sich auch aus Sinn und Zweck der Normen erklärt. Sie kann von dem Rechtssuchenden erhoben werden, wenn gegen eine Entscheidung eines Gerichts kein ordentliches Rechtsmittel mehr möglich ist und r der Ansicht ist, die Entscheidung beruht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs (so dem Übergehen von Vortrag und/oder Beweisangeboten).

Vom BAG wurde ausgeführt, dass die weitere Anhörungsrüge unzulässig sei, da ein erneuter Rechtsbehelf gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhörungsrüge als unzulässig verworfen bzw. als unbegründet zurückgewiesen wurde, unanfechtbar sei und von daher die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses gem. § 78a Abs. 4 S. 4 ArbGG der erneuten Rüge entgegenstehen würde (BAG, Beschluss vom 19.11.2014 - 10 AZN 618/14 (A); entsprechend zu § 321a Abs. 4 S. 4 ZPO BGH Beschluss vom 02.03.2015 - V ZR 219/13 -). Dies sei auch vom Bundesverfassungsgericht so gesehen worden (BVerfG, Beschluss vom 26.04.2011 - 2 BvR 597/11 -).

Das gelte auch dann, wenn die (erste) Anhörungsrüge wegen Fristversäumnis (es gilt hier eine Notfrist von zwei Wochen, die mit Kenntnis [Zustellung] der Entscheidung, zu der die Anhörungsrüge erhoben wird) zurückgewiesen worden sei und damit keine inhaltliche Entscheidung getroffen wurde.

§ 78a ArbGG (und entsprechendes gilt auch für § 321a ZPO) trage dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung, demzufolge dem Rechtssuchenden die Möglichkeit gewährt werden müsse, eine behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht (also eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG) einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Käme dies nicht zum Tragen, da es dem Rechtssuchenden nicht gelinge, die gesetzlich vorgeschriebene Formalien einzuhalten, sei das vom Gesetzgeber eröffnete Mindestmaß an Rechtsschutz gewahrt und trete nunmehr das auch im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Rechtssicherheit in den Vordergrund (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 -).

Der Beschluss des BVerfG vom 30.04.2003 war Auslöser für die Einfügung der §§ 321a ZPO und 78a ArbGG, da das BVerfG - wohl in Ansehung der Flut von Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Fachgerichte - darauf verwies, dass das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe im Falle der Verletzung rechtlichen Gehörs fordere und insoweit dem Gesetzgeber eine Frist setzte, dies zu schaffen. Nimmt mithin der Rechtssuchende an, eine Entscheidung eines Gerichts beruhe auf der Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nach den nunmehr in den einschlägigen Gesetzen geregelten Gehörsrüge der Rechtssuchende gehalten, eine Anhörungsrüge zu erheben, in der er unter Einhaltung der Frist darlegen muss, worin die Verletzung rechtlichen Gehörs liegt und welche Auswirkungen diese angenommene Verletzung auf den Ausgang des Prozesses hat. Eine Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs ist demgegenüber subsidiär, kann also nur erhoben werden, wenn zuvor (erfolglos) die Anhörungsrüge erhoben wurde. Wird der Anhörungsrüge vom Fachgericht nicht stattgegeben, gleich aus welchen Gründen, ist damit auch dann eine weitere Anhörungsrüge ausgeschlossen, wenn das Fachgericht tatsächlich auch bei dieser das rechtliche Gehör verletzt haben würde (was aber dann nicht der Fall wäre, wenn die Anhörungsrüge nicht Frist- und Formgericht erhoben wurde du deshalb zurückgewiesen wurde). Auch weiterhin ist mithin eine Verfassungsbeschwerde gegen eine nicht rechtmittelfähige Entscheidung eines Fachgerichts möglich (§ 13 Nr. 8a BVerfGG iVm. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Wird also im Rahmen der Anhörungsrüge durch das Fachgericht dem Erfordernis des rechtlichen Gehörs nicht entsprochen oder beruht die Zurückweisung der Anhörungsrüge als unbegründet (neuerlich) auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nunmehr grundsätzlich für den Rechtssuchenden die Verfassungsbeschwerde eröffnet.

BAG, Beschluss vom 21.03.2023 - 6 AZN 56/23 (F) -

Montag, 24. April 2023

Finanz-Vollmacht zwischen Eheleuten: Auftragsverhältnis oder Gefälligkeit

Die Eheleute hatten sich nach über 50-jähriger Ehe eineVollmacht erteilt. Die Klägerin ist deren Tochter. Nach dem Tod der Mutter war sie Miterbin derselben und machte gegen ihren Vater klageweise einen auf §§ 662, 666 BGB gestützten Auskunftsanspruch geltend. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht (LG) wies die Klägerin darauf hin, dass es gedenke, ihre Berufung als offenbar unbegründet zurückzuweisen, § 522 ZPO.

Ein Auftragsverhältnis ist ein Vertragsverhältnis. Dies zugrundelegend wies das OLG darauf hin, dass die Klägerin ein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis zwischen ihren Eltern nicht bestritten habe. Es nahm nunmehr die Abgrenzung zwischen einem (rechtsgeschäftlichen) Auftragsverhältnis und einem reinen Gefälligkeitsverhältnis vor, da lediglich im Rahmen des Auftrages nach § 662 BGB eine Auskunftsanspruch des Auftraggebers (hier der Ehefrau und in deren Rechtsnachfolge der Klägerin) bestehen würde. Entscheidend sei für die Abgrenzung der Rechtsbindungswille. Dieser sei im Einzelfall nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände und der Verkehrssitte zu ermitteln (BGH, Urteil vom 22.06.1956 - I ZR 198/54 -). Abzustellen sei dabei darauf, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste, mithin darauf, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden dargestellt habe.

Ein Rechtsbindungswille könnet sich bei erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung (die hier in Ansehung der Vermögensverhältnisse zweifelhaft erscheine) ergeben. Bedeutung könne dagegen gewinnen, dass mit notarieller Urkunde vom 27.06.1958 eine Vereinbarung der Gütertrennung getroffen wurde, und zum Zeitpunkt der Generalvollmacht nebst Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung die Ehe bereits über 50 Jahre bestanden habe. Ferner sei von Bedeutung, dass weder vorgetragen noch ersichtlich sei, das die Erblasserin zwischen Vollmachtserteilung und ihrem Tod jemals wegen mit der Vollmacht getätigter Geschäfte Auskunft und Rechenschaft vom Beklagten verlangt hätte. In diesem Fall könne ein Abrechnungsverlangen durch Erben gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen (OLG Hamm, Urteil vom 18.10.2018 - 10 U 91/17 -).

In einem Beschluss des OLG Koblenz vom 10.06.2020 - 12 U 7/20 - sei ein Gefälligkeitsverhältnis negiert worden, wenn eine Vertrauensperson ohne verwandtschaftlichem Verhältnis EC-Karte nebst PIN übergeben würden und damit diese Vertrauensperson über erhebliche Vermögenswerte (Bankguthaben von mehr als € 50.000,00) verfügen könne. Dies läge vorliegend anders. Gerade bei Eheleuten könne die Annahme eines Vertragsverhältnisses und damit die Annahme des § 666 BGB unangemessen erscheinen (BGH, Urteil vom 05.07.2000 - XUU ZR 26/98 -; OLG Köln Urteil vom 19.09.2012 - 16 U 196/11 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.03.2006 - 4 U 10/05 -).

Zudem käme auch eine konkludente Freistellung von Auskunftspflichten nach § 666 BGB in Betracht, da § 666 BGB dispositiv sei.

Mit Beschluss vom 08.02.2023 wies das OLG die Berufung zurück.

OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2023 - 6 U 89/22 -

Sonntag, 23. April 2023

Abdingbarkeit der Verpflichtung zur steuerlichen Zusammenveranlagung ?

Der Antragsteller (AS) begehrte von seiner von ihm seit 2019 getrennt lebenden Ehefrau (Antragsgegnerin, AG) die Zustimmung zur steuerlichen Zusammenveranlagung. Das Familiengericht gab seinem Antrags nicht statt; die dagegen eingelegte Beschwerde des AS wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Während des Zusammenlebens erledigte die AG die steuerlichen Belange der Eheleute. Nachdem die Eheleute vom Finanzamt zur Abgabe der Einkommenssteuererklärung für die Jahre 2013 bis 2019 aufgefordert wurden, wandte sich die AG an den AS und erbat von diesem die erforderlichen Unterlagen und wies den AS mehrfach darauf hin, dass eine gemeinsame steuerliche Veranlagung gegenüber einer Einzelveranlagung der Eheleute wirtschaftlich günstiger wäre. Zu dieser Zusammenveranlagung verweigerte der AS allerdings seine Zustimmung. Seit dem 17.12.2020 sind die im Rahmen der Einzelveranlagung gegenüber der AG ergangenen Steuerbescheide (mit Erstattungen von rund € 10.900,00) rechtskräftig. Die mit einer Nachzahlung von rund € 23.000,00 gegenüber dem AS ergangenen Steuerbescheide waren noch nichts bestandkräftig.

Das OLG führte aus, dass sich aus dem Wesen der Ehe grundsätzlich die Verpflichtung ergeben würde, die finanziellen Belastungen des anderen Teils möglichst zu vermindern, soweit dies ohne Verletzung der eigenen Interessen möglich sei. Von daher bestünde für beide Eheleute jeweils die Verpflichtung, einer Zusammenveranlagung zuzustimmen, wenn dadurch die Steuerschuld des anderen Ehegatten verringert würde, der in Anspruch genommene keinen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sei (BGH, Urteil vom 13.10.1976 - IV ZR 104/74 -). Diese Pflicht würde auch nach einer Scheidung als Nachwirkung der Ehe bestehen bleiben (BGH, Urteil vom 12.06.2002 - XII ZR 288/00 -).

Allerdings sei hier die Verpflichtung wirksam abbedungen worden. Aus dem Schriftverkehr ergäbe sich, dass der AS nicht bereit war, einer Zusammenveranlagung zuzustimmen und die Nachteile einer Einzelveranlagung hinnehmen wollte. Dem habe die AG zugestimmt. Damit habe zwischen den Parteien Einvernehmen bestanden, keine Zusammenveranlagung vorzunehmen, sondern die Steuererklärungen getrennt im Sinne einer Einzelveranlagung abzugeben. Am Rechtsbindungswillen würden Zweifel nicht bestehen. Der AS sei von der AG darauf hingewiesen worden, dass er bei einer Einzelveranlagung mehr nachzahlen müsse, er habe aber auf eine Beendigung seiner Betreuung durch den (von der AG beauftragten) Lohnsteuerhilfeverein bestanden, wobei beide Parteien davon ausgegangen wären, dass sich die AG dort weiter betreuen lassen würde. Damit lägen die Voraussetzungen für eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zur Einzelveranlagung vor und liege nicht nur eine einfache Erklärung des AS vor, keine Zusammenveranlagung zu wollen.

Der grundsätzliche Anspruch aus der ehelichen Verbundenheit und Fürsorgepflicht auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung die aufgrund der rechtsgeschäftlichen Absprache der Beteiligten erloschen. Dies erfasse sowohl die Geltendmachung der Zusammenveranlagung gegenüber dem Finanzamt, wie auch Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis der Beteiligten. Gegen die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung würden keine Bedenken bestehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.11.2005 - 19 W 52/05 -). Während das OLG Frankfurt eine konkludente Vereinbarung als ausreichend ansah, läge hier sogar eine tatsächliche vor.

Der vertraglichen Absprache stünde nicht entgegen, dass der AS im Nachhinein versucht habe, sich von dieser wieder zu lösen, als er von der im Rahmen der Einzelveranlagung entfallenden Nachzahlung erfahren habe. Es würde sich dabei um einen anfechtungsrechtlich unbeachtlichen Motivirrtum handeln. Dem AS seien die erheblichen steuerlichen Nachteile einer Einzelveranlagung durch Erläuterungen der AG und eines Mitarbeiters des Lohnsteuerhilfevereins bekannt gewesen, war aber aus Verärgerung über die AG sowie Unstimmigkeiten über die Kostentragung der Tätigkeit des Lohnsteuerhilfevereins bereit gewesen, etwaige finanzielle Nachteile hinzunehmen.

Die jetzige Verweigerungshaltung der AG sei auch nicht treuwidrig. Der AS habe mit der geschlossenen Vereinbarung auf die sich aus der nachehelichen Solidarität ergebenden Pflichten der AG verzichtet.

OLG Bamberg, Beschluss vom 10.01.2023 - 2 UF 212/22 -

Schadensersatz: Darf sich Tiefbauunternehmer auf Kabelpläne verlassen ?

Das Beklagte Tiefbauunternehmen holte bei der Klägerin wegen eines Auftrages, Tiefbauarbeiten in einer Innenstadtstraße von Rostock vorzunehmen, bei der Klägerin eine Leitungsauskunft ein. Darin war ein Kabelverlauf mit einer grünen Linie eingezeichnet und angeben „Kabelbestand in Fremdtrasse“, „Die genaue Lage ist durch Probeschlitze zu ermitteln !“ und „Tiefenlage der Kabel ca. 0,7 m.“. Bei den Arbeiten wurde ein Kabel in einer Tiefe von 3,30 m beschädigt.

Das Landgericht wies die Schadensersatzklage ab. Ein Verschulden der Beklagten, welches nach § 823 BGB erforderlich sei, läge nicht vor. Zwar würde die Rechtsprechung hohe Anforderungen an Tiefbauunternehme stellen, sich vor der Durchführung von Erdarbeiten an öffentlichen Straßenflächen nach der Existenz und dem Verlauf von unterirdisch verlegten Versorgungsleitungen zu erkundigen und sich Gewissheit im Boden zu verschaffen. In Ansehung einer unverhältnismäßig hohen Gefahr durch Beschädigungen an Strom-, Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen sei mit äußerster Vorsicht vor allem bei Verwendung von Baggern und anderem schweren Arbeitsgerät vorzugehen. Der Unternehmer habe sich über deren Verlauf vorab zu erkundigen und sich im Rahmen der allgemeinen technischen Erfahrung die Kenntnisse zu verschaffen, welche die sichere Ausführung der Arbeiten voraussetzt. Da die Bauämter regelmäßig Versorgungsleitungen nicht verlegen würden, müsse sich der Unternehmer bei den Versorgungsunternehmen erkundigen und, wenn dies nicht weiterhilft, andere Maßnahmen (wie z.B. Probebohrungen oder Ausgrabungen von Hand in dem Bereich, in dem er ausheben will, vorzunehmen (BGH, Urteil vom 20.12.2005 - VI ZR 33/05 -).

Dem sei die Beklagte hier nachgekommen. Danach habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass sich ein Kabel in einer Tiefe von ca. 0,7 m befindet. Der Umstand, dass sich die in einer Fremdtrasse befand habe für den Beklagten keine Veranlassung geben müssen, dass sich die Tiefenangabe nicht auf die Kabel in der Fremdtrasse beziehe; auch bei einem solchen Kabel könne die Klägerin davon Kenntnis haben und Angaben machen, so dann, wenn der Betreiber der Fremdtrasse dies ihr mitteile. Davon habe die Beklagte in Ansehung der konkret mit ca. 0,7 m erfolgten Angabe ausgehen dürfen. Bei fehlender Kenntnis der Tiefenlage hätte die Klägerin die Angabe nicht tätigen dürfen; erst dann hätte sich die Beklagte bei dem Betreiber der Fremdtrasse erkundigen müssen.

Zum Auffinden des Kabels in einer Tiefe von mehr als 3 m habe die Beklagte auch keine Suchschachtung (Probeschlitze) vornehmen müssen, da sie nach der Leitungsauskunft in dieser Tiefe nicht mit Kabeln hätte rechnen müssen. Auch habe es für die Beklagte keine sonstigen Anhaltspunkte gegeben, die auf ein Kabel in dieser Tiefe gedeutet hätten und die Leitungsauskunft falsch sein könnte. Alleine der Umstand, dass die Beklagte (nach klägerischer Angabe) in einer Tiefe von ca. 0,7 m kein Kabel gefunden haben soll, ändere daran nichts. Denn es bestand auch die Möglichkeit, dass sich das Kabel außerhalb des ausgebaggerten Bereichs in einer Tiefe von 0,7 m befinden konnte.

LG Rostock, Urteil vom 20.01.2023 - 2 O 260/22 -