Die im Dezember 1961 geborene Klägerin schloss mit der damals rechtlich
selbständigen Körperschaft öffentlichen Rechts, die mit dem 01.01.2013 in der
jetzigen Beklagten aufging, am 05.12.2012
einen Vorruhestandsvertrag, nach dessen Inhalt sie unter Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zum 01.04.2013 in den Vorruhestand eintrat. Zur Höhe des Vorruhestandsgeldes,
welches jeweils am 15. eines Monats ab dem auf die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses folgenden Monats gezahlt werden sollte, wurde auf den
Fusionstarifvertrag (Fu-TV/LSV, dort § 11 Abs. 1) Bezug genommen. Die Klägerin
begehrte mit ihrer Klage die Feststellung, dass die Beklagte ab dem 15.01.2017 (mit
Vollendung ihres 55. Lebensjahres) verpflichtet sei ihr statt bisher 75% der
Bezugsgröße als Vorruhestandsgeld ab dann 85% der Bezugsgröße zu zahlen. § 11 Fu-TV/LSV
lautet auszugsweise:
„(1) Kann einem Beschäftigten kein
Arbeitsplatz nach § 5 Abs. 1 angeboten werden, so endet das
Beschäftigungsverhältnis auf Antrag des Beschäftigten mit gleichzeitiger Zusage der Zahlung eines
Vorruhestandsgeldes. Die Höhe des Vorruhestandsgeldes beträgt monatlich
-
75% der
Urlaubsvergütung, wenn der Beschäftigte das 50. Lebensjahr und noch nicht das
55. Lebensjahr vollendte hat,
-
85% der
Urlaubsvergütung, wenn der Beschäftigte das 55. Lebensjahr (bei
Schwerbehinderten das 50. Lebensjahr) vollendet hat.
…
Das Vorruhestandsgeld wir entsprechend den
allgemeinen Vergütungserhöhungen im Bereich des öffentlichen Dienstes erhöht. …
(2) …
Die Zahlung des Vorruhestandsgeldes endet mit
Ablauf des Monats, in dem der Vorruhestandsgeldbezieher das für die
Regelaltersgrenze maßgebliche Lebensjahr vollendet.“
Das Arbeitsgericht Frankfurt
(Oder) gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das
Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg das Urteil ab und wies die Klage
ab.
Das LAG hielt fest, dass nicht
nur keine Zweifel an der Regelung zur Höhe des Vorruhestandsgeldes iSd. § 305c
Abs. 2 BGB bestünden, sondern eine Nichtigkeit auch deshalb nicht gegeben sei,
da die Globalverweisung im Arbeitsvertrag auf den Tarifvertrag gem. § 310 Abs. 4 S. 1 BGB zur Unabwendbarkeit
der Regelungen der §§ 305ff BGB führe. In dem (Ergänzungs-) Arbeitsvertrag aus
2003 hätten die Parteien geregelt, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem
BAT/LSV und den diesen ergänzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden
Fassung richte und diese Globalverweisung auch den Fu-TV/LSV umfasse. Im
übrigen käme die Unklarheitenregelung des § 305c BGB auch deshalb nicht zum
Tragen, da eine entfernte Möglichkeit einer anderweitigen Auslegung (auch hier
durch das LAG) für die Anwendbarkeit des § 395c BGB nicht ausreichend sei.
Vorliegend sei aber eindeutig bei
der Regelung in § 11 Abs. 1 Fu-TV/LSV eine statische Bezugnahme auf das
Lebensalter zum Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses gemeint.
Die Tarifwortwahl differenziere
zwischen „Beschäftigten“ und „Vorruhestandsgeldbezieher“. In § 11 Fu-TV/LSV
hätten die Tarifvertragsparteien geregelt, mit wieviel Prozent einer Bemessungsgrundlage
das Vorruhestandgeld anzusetzen sei, wenn „der Beschäftigte“ ein bestimmtes
Alter erreicht habe. Entscheidend würde auf das Lebensalter des „Beschäftigen“
als jenem abgestellt, der noch im aktiven Arbeitsverhältnis als Arbeitnehmer
stünde. Mit Beginn des Vorruhestandes würde nach dem Tarifwortlaut aus dem
ehemals Beschäftigten der „Vorruhestandsgeldbezieher“. § 1 Abs. 1 S. 2
Fu-TV/LSV regele zwei unterschiedliche Alternativen und sehe weder nach dem
Wortlaut noch nach dem optischen Erscheinungsbild der Regelung eine Ablösung
der 1. von der 2. Alternative vor.
Die Entstehungsgeschichte ließe auch
keine andere Auslegung zu. Ein vom festgestellten Wortlaut maßgeblicher Wille
der Tarifvertragsparteien sei nicht feststellbar. Dies gelte auch für ein als „Ergebnisniederschrift“
bezeichnetes Protokoll einer Informationsveranstaltung der Arbeitgeberseite, da
aus diesem eine gemeinsame Erklärung der Verbände nicht ersichtlich wäre. Und
auch ein „Mustervertrag“ der Arbeitgeberseite, der anders als § 11 Abs. 1
Du-TV/LSV von einer Steigerung des Vorruhestandgeldes bei Vollendung des 55.
Lebensjahres ausgehe, sei nicht geeignet hier zur Auslegung beizutragen, da
dieser nicht von den Tarifvertragsparteien entworfen worden sei und
insbesondere nicht als Anlag zum Tarifvertrag genommen worden sei.
Soweit zudem in § 11 Abs. 1 S. 4
Fu-TV/LSV zur Erhöhung des Vorruhestandgeldes auf die Erhöhungen im Bereich des
öffentlichen Dienstes verwiesen würde, erhelle sich auch hier, dass die
Erhöhung nach diesen Parametern erfolgen solle und mithin die Regelung in § 11
Abs. 1 S. 2 zwei statische Alternativen darstelle und nicht eine Erhöhung
während des Vorruhestandes bezwecken würden.
Auch Sinn und Zweck würden nicht
für eine Auslegung im Sinne der Klägerin sprechen. Es sei den Tarifvertragsparteien
um die Minderung der Umstände gegangen, die eintreten würden, wenn kein
Arbeitsplatz nach § 5 Abs. 1 Fu-TV/LSV angeboten werden könne und der
Arbeitnehmer mit der Begründung eines Vorruhestandsverhältnisses einverstanden
sei. Da § 14 Fu-TV/LSV regele, dass die Arbeitsvertragsparteien von den
tariflichen Regelungen ergänzend Gebrauch machen könnten, wenn dies der
Erreichung der Ziele des Tarifvertrages diene, könne hier auch auf sich
beruhen, ob der Klägerin ein Arbeitsplatz nach § 5 Abs. 1 Fu-TV/LSV angeboten
werden konnte. Ziel des Tarifvertrages
sei nach der Präambel die Wahrung der Rechte bei organisatorischen
Veränderungen und die sozialverträgliche Gestaltung bei organisatorischen
Entwicklungen. Die Differenzierung im Alter in § 11 Abs. 1 Fu-TV/LSV habe ihren
Grund darin, dass es jüngeren Beschäftigten eher möglich sei einen neuen
Arbeitsplatz zu finden als älteren Beschäftigten.
Da es eine einheitliche
Tarifübung bei den ehedem selbständigen Körperschaften nicht gegeben habe, läge
auch keine Tarifübung vor, die gegen die statische Anwendung der Regelung in §
11 Abs. 1 Fu-TV/LSV spräche.
Ebenfalls ergäbe sich aus der
betrieblichen Übung nichts anderes. Dies hätte zur Voraussetzung gehabt, dass
ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers vorläge, aus dem
der Arbeitnehmer hätte schließen dürfen, der Arbeitgeber wolle sich zu einer
Leistung auch in Zukunft verpflichten. Weder die Beklagte noch der frühere Arbeitgeber
(die ehedem eigenständige Körperschaft, in der die Klägerin tätig war) hätten
den Mustervertrag angewandt. Die anderweitige Praktizierung bei anderen, damals
rechtlich selbständigen Arbeitgebern würde nicht die betriebliche Übung
begründen können.
Ebenso läge kein Verstoß gegen
den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG bzw. den arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatzes vor. Mit der Regelung hätten die
Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums und ihrer
Einschätzungsprärogative einerseits nach dem Lebensalter und damit der
möglichen Bezugsdauer des Vorruhestandsgeldes und andererseits nach dessen Höhe
differenziert und damit auch die Belastung der Beklagten durch eine fünf Jahre
längere Zahlung ohne Gegenleistung einerseits und die schlechteren Chancen auf
dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer andererseits berücksichtigt.
Eine Altersdiskriminierung nach §
7 Abs. 2 AGG läge auch nicht vor, da die Regelung nach § 10 S. 1 und 2, S.3 Nr.
4 AGG gerechtfertigt sei.
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.03.2018 - 23 Sa 1353/17 -