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Dienstag, 15. Mai 2018

Zur Auslegung einer Verweisklausel auf Tarifverträge / Tarifvertragsklauseln und von Tarifverträgen

Die im Dezember 1961 geborene  Klägerin schloss mit der damals rechtlich selbständigen Körperschaft öffentlichen Rechts, die mit dem 01.01.2013 in der jetzigen Beklagten aufging,  am 05.12.2012 einen Vorruhestandsvertrag, nach dessen Inhalt sie unter Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 01.04.2013 in den Vorruhestand eintrat. Zur Höhe des Vorruhestandsgeldes, welches jeweils am 15. eines Monats ab dem auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgenden Monats gezahlt werden sollte, wurde auf den Fusionstarifvertrag (Fu-TV/LSV, dort § 11 Abs. 1) Bezug genommen. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Feststellung, dass die Beklagte ab dem 15.01.2017 (mit Vollendung ihres 55. Lebensjahres) verpflichtet sei ihr statt bisher 75% der Bezugsgröße als Vorruhestandsgeld ab dann 85% der Bezugsgröße zu zahlen. § 11 Fu-TV/LSV lautet auszugsweise:


„(1) Kann einem Beschäftigten kein Arbeitsplatz nach § 5 Abs. 1 angeboten werden, so endet das Beschäftigungsverhältnis auf Antrag des Beschäftigten mit  gleichzeitiger Zusage der Zahlung eines Vorruhestandsgeldes. Die Höhe des Vorruhestandsgeldes beträgt monatlich
-          75% der Urlaubsvergütung, wenn der Beschäftigte das 50. Lebensjahr und noch nicht das 55. Lebensjahr vollendte hat,
-          85% der Urlaubsvergütung, wenn der Beschäftigte das 55. Lebensjahr (bei Schwerbehinderten das 50. Lebensjahr) vollendet hat.
Das Vorruhestandsgeld wir entsprechend den allgemeinen Vergütungserhöhungen im Bereich des öffentlichen Dienstes erhöht. …
(2) …
Die Zahlung des Vorruhestandsgeldes endet mit Ablauf des Monats, in dem der Vorruhestandsgeldbezieher das für die Regelaltersgrenze maßgebliche Lebensjahr vollendet.“

Das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg das Urteil ab und wies die Klage ab.

Das LAG hielt fest, dass nicht nur keine Zweifel an der Regelung zur Höhe des Vorruhestandsgeldes iSd. § 305c Abs. 2 BGB bestünden, sondern eine Nichtigkeit auch deshalb nicht gegeben sei, da die Globalverweisung im Arbeitsvertrag auf den Tarifvertrag  gem. § 310 Abs. 4 S. 1 BGB zur Unabwendbarkeit der Regelungen der §§ 305ff BGB führe. In dem (Ergänzungs-) Arbeitsvertrag aus 2003 hätten die Parteien geregelt, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT/LSV und den diesen ergänzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung richte und diese Globalverweisung auch den Fu-TV/LSV umfasse. Im übrigen käme die Unklarheitenregelung des § 305c BGB auch deshalb nicht zum Tragen, da eine entfernte Möglichkeit einer anderweitigen Auslegung (auch hier durch das LAG) für die Anwendbarkeit des § 395c BGB nicht ausreichend sei.

Vorliegend sei aber eindeutig bei der Regelung in § 11 Abs. 1 Fu-TV/LSV eine statische Bezugnahme auf das Lebensalter zum Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses gemeint.

Die Tarifwortwahl differenziere zwischen „Beschäftigten“ und „Vorruhestandsgeldbezieher“. In § 11 Fu-TV/LSV hätten die Tarifvertragsparteien geregelt, mit wieviel Prozent einer Bemessungsgrundlage das Vorruhestandgeld anzusetzen sei, wenn „der Beschäftigte“ ein bestimmtes Alter erreicht habe. Entscheidend würde auf das Lebensalter des „Beschäftigen“ als jenem abgestellt, der noch im aktiven Arbeitsverhältnis als Arbeitnehmer stünde. Mit Beginn des Vorruhestandes würde nach dem Tarifwortlaut aus dem ehemals Beschäftigten der „Vorruhestandsgeldbezieher“. § 1 Abs. 1 S. 2 Fu-TV/LSV regele zwei unterschiedliche Alternativen und sehe weder nach dem Wortlaut noch nach dem optischen Erscheinungsbild der Regelung eine Ablösung der 1. von der 2. Alternative vor.

Die Entstehungsgeschichte ließe auch keine andere Auslegung zu. Ein vom festgestellten Wortlaut maßgeblicher Wille der Tarifvertragsparteien sei nicht feststellbar. Dies gelte auch für ein als „Ergebnisniederschrift“ bezeichnetes Protokoll einer Informationsveranstaltung der Arbeitgeberseite, da aus diesem eine gemeinsame Erklärung der Verbände nicht ersichtlich wäre. Und auch ein „Mustervertrag“ der Arbeitgeberseite, der anders als § 11 Abs. 1 Du-TV/LSV von einer Steigerung des Vorruhestandgeldes bei Vollendung des 55. Lebensjahres ausgehe, sei nicht geeignet hier zur Auslegung beizutragen, da dieser nicht von den Tarifvertragsparteien entworfen worden sei und insbesondere nicht als Anlag zum Tarifvertrag genommen worden sei.

Soweit zudem in § 11 Abs. 1 S. 4 Fu-TV/LSV zur Erhöhung des Vorruhestandgeldes auf die Erhöhungen im Bereich des öffentlichen Dienstes verwiesen würde, erhelle sich auch hier, dass die Erhöhung nach diesen Parametern erfolgen solle und mithin die Regelung in § 11 Abs. 1 S. 2 zwei statische Alternativen darstelle und nicht eine Erhöhung während des Vorruhestandes bezwecken würden.

Auch Sinn und Zweck würden nicht für eine Auslegung im Sinne der Klägerin sprechen. Es sei den Tarifvertragsparteien um die Minderung der Umstände gegangen, die eintreten würden, wenn kein Arbeitsplatz nach § 5 Abs. 1 Fu-TV/LSV angeboten werden könne und der Arbeitnehmer mit der Begründung eines Vorruhestandsverhältnisses einverstanden sei. Da § 14 Fu-TV/LSV regele, dass die Arbeitsvertragsparteien von den tariflichen Regelungen ergänzend Gebrauch machen könnten, wenn dies der Erreichung der Ziele des Tarifvertrages diene, könne hier auch auf sich beruhen, ob der Klägerin ein Arbeitsplatz nach § 5 Abs. 1 Fu-TV/LSV angeboten werden konnte.  Ziel des Tarifvertrages sei nach der Präambel die Wahrung der Rechte bei organisatorischen Veränderungen und die sozialverträgliche Gestaltung bei organisatorischen Entwicklungen. Die Differenzierung im Alter in § 11 Abs. 1 Fu-TV/LSV habe ihren Grund darin, dass es jüngeren Beschäftigten eher möglich sei einen neuen Arbeitsplatz zu finden als älteren Beschäftigten.

Da es eine einheitliche Tarifübung bei den ehedem selbständigen Körperschaften nicht gegeben habe, läge auch keine Tarifübung vor, die gegen die statische Anwendung der Regelung in § 11 Abs. 1 Fu-TV/LSV spräche.

Ebenfalls ergäbe sich aus der betrieblichen Übung nichts anderes. Dies hätte zur Voraussetzung gehabt, dass ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers vorläge, aus dem der Arbeitnehmer hätte schließen dürfen, der Arbeitgeber wolle sich zu einer Leistung auch in Zukunft verpflichten. Weder die Beklagte noch der frühere Arbeitgeber (die ehedem eigenständige Körperschaft, in der die Klägerin tätig war) hätten den Mustervertrag angewandt. Die anderweitige Praktizierung bei anderen, damals rechtlich selbständigen Arbeitgebern würde nicht die betriebliche Übung begründen können.

Ebenso läge kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG bzw. den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes vor. Mit der Regelung hätten die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums und ihrer Einschätzungsprärogative einerseits nach dem Lebensalter und damit der möglichen Bezugsdauer des Vorruhestandsgeldes und andererseits nach dessen Höhe differenziert und damit auch die Belastung der Beklagten durch eine fünf Jahre längere Zahlung ohne Gegenleistung einerseits und die schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer andererseits berücksichtigt.

Eine Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 2 AGG läge auch nicht vor, da die Regelung nach § 10 S. 1 und 2, S.3 Nr. 4 AGG gerechtfertigt sei.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.03.2018 - 23 Sa 1353/17 -

Mittwoch, 10. Juni 2015

Arbeitsrecht: Qua Regelung im Vorruhestandsvertrag Zwang zur Rente mit 63

Das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) musste in einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitgeber und dessen ehemaliger Arbeitnehmerin entscheiden, die mit ihrem Arbeitgeber im Dezember 2012 einen Vorruhestandsvertrag abgeschlossen hatte, in dem zum einen auf die geltenden Tarifverträge Bezug genommen wurde, zum anderen aber auch festgehalten wurde, dass sie verpflichtet ist, die frühest mögliche ungekürzte Altersrente nach den Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung zu beanspruchen. Der Vorruhestand sollte zu dem Zeitpunkt enden, zu dem die klagende Arbeitnehmerin die Regelaltersrente resp. die benannte ungekürzte Altersrente beanspruchen kann.

Nachdem mit Einfügung des § 236b SGB VI unter bestimmten Umständen die Rente mit 63 bezogen werden konnte, verwies die beklagte Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin, bei der die gesetzlichen Voraussetzungen für diesen Bezug unstreitig vorlagen, auf diese Rente. Die Arbeitnehmerin erhob Klage, da die Altersrente mit 63 betragsmäßig niedriger war als das Vorruhestandsgeld, welches sie von der Beklagten bezog. Sie war der Auffassung, nach dem Tarifvertrag könne sie nicht auf die abschlagsfreie Rente mit 63 nach § 236b SGB VI verwiesen werden.

Ihre Klage wurde abgewiesen. Das Arbeitsgericht ließ offen, ob hier nach dem Tarifvertrag ein entsprechender Verweis der Klägerin auf die Rente mit 63 ausgeschlossen ist. Denn jedenfalls wäre dieser Verweis nach dem zwischen ihr und der Beklagten abgeschlossenen Vorruhestandsvertrag zulässig. Der Vertrag halte auch einer AGB-Kontrolle nach §§ 305ff BGB stand. 

ArbG Frankfurt (Oder), Urteil vom 07.05.2015 - 6 Ca 1381/14 -