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Dienstag, 30. Juli 2019

Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 3 StVG bei Kollision zwischen vorfahrtsberechtigten Überholer und Querverkehr


Der Kläger wollte mit seinem PKW nebst Anhänger nach links auf eine bevorrechtigte Straße einbiegen. Ein Linienbus fuhr (vom Kläger aus gesehen von links kommend) bis zur Einmündung und hielt davor an, da ein anderer Bus hinter der Einmündung in der Bushaltebucht stand. Die Fahrerin des haltenden Busses gab dem Kläger durch Handzeichen zu verstehen, dass er gefahrlos einfahren könne. Der Kläger fuhr daraufhin los. Als  er ein Stück  über die Sichtlinie des Busses hinausragte um auf die Gegenfahrspur einbiegen zu können, kam es zur Kollision mit dem PKW des Beklagten, der den vor der Einmündung stehenden Bus überholte. Der Kläger forderte 40% seines Schadens am Fahrzeug vom Beklagten und verwies darauf, dass der Beklagte trotz unklarer Verkehrslage mit hoher Geschwindigkeit überholt habe und dabei eine durchgezogene Linie auf der Fahrbahn überfahren habe, die lediglich im Einmündungsbereich selbst unterbrochen war.

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung gab das Landgericht dieser teilweise statt, welches eine Haftungsverteilung von 75% zu Lasten des Klägers annahm.

Der Unfall sei nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen (§ 7 StVG) und für beide Fahrzeugführer nicht unabwendbar (§ 17 Abs. 3 StVG). Zutreffend habe das Amtsgericht auch einen Verstoß des Klägers gegen die Vorfahrtsregelung angenommen, § 8 Abs. 2 S. 2 StVO. Käme es im Bereich einer vorfahrtgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem Wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, spreche der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen. Dieser Anscheinsbeweis sei durch den Kläger nicht durch den Nachwies von Tatsachen erschüttert worden, die die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs  ergäben, wie es z.B. der Fall gewesen wäre, wenn sich der Beklagte bei Beginn des Abbiegevorgangs (Einfahrens auf die vorfahrtberechtigte Straße) noch weit entfernt außerhalb der Sichtweite befunden hätte. Der Kläger habe es vielmehr versäumt, sich nach Einfahren auf die Vorfahrtsstraße zu Beginn des eigentlichen Einbiegevorgangs nach Passieren der Front des haltenden Busses  noch einmal nach links bezüglich herrannahenden Verkehrs im erforderlichen Umfang zu vergewissern. Die Vermutung der Kausalität des Sorgfaltsverstoßes hätte der Kläger nur durch den Nachweis er deutlich überhöhten Geschwindigkeit des Beklagten widerlegen können, wenn dadurch die Möglichkeit bestanden hätte, dass noch bei Blickzuwendung von einem gefahrlosen Herausfahren ausgegangen werden könnte oder der Beklagte beim eigentlichen Abbiegebeginn nach Passieren der Front des Busses noch außerhalb der Sichtweite gewesen wäre. Da der Beklagte einen entsprechenden Beweisantrag durch Einholung eines Sachverständigengutachtens im Berufungsrechtszug nicht aufrecht erhielt, blieb er diesbezüglich beweisfällig.

Ein Verschulden des Beklagten  habe nicht vorgelegen. Das Überfahren der durchgezogenen Mittellinie zum Vorbeifahren an dem Bus (§ 41 StVO, Zeichen 295) stelle sich hier nicht als kausales Verschulden dar, da die durchgezogene Mittellinie dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber dem Schutz des nachfolgenden, einbiegenden, kreuzenden oder querenden Verkehr diene. Es ließe sich aus dieser Mittellinie kein allgemeines Überholverbot ableiten; die durchgezogene Mittellinie schütze allenfalls dort, wo sie sich faktisch wegen der Enge der Fahrbahn wie ein Überholverbot auswirke, das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser Stelle nicht überholt zu werden (BGH, Urteil vom 28.04.1987 - VI ZR 66/86 -). Ferner läge auch keine unklare Verkehrslage vor, die ein Überholverbot statuieren würde (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Dies sei nur dann gegeben, wenn der Überholende nach objektiven Umständen des Einzelfalls nicht mit einem gefahrlosen Überholen rechnen könne. Da hier der stehende Bus den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt habe, hätte er nicht mit einem Anfahren des Busses rechnen müssen. Auch wenn der Beklagte die Einmündung nicht habe einsehen können, hätten sich keine Anzeichen dafür ergeben, dass er die Fahrt nicht gefahrlos hätte fortsetzen können. Die reine Möglichkeit, dass andere Verkehrsteilnehmer vor dem stehenden Bus die Fahrbahn queren würden, rechtfertige nicht die Annahme einer unklaren Verkehrslage.

Allerdings würde vorliegend, anders als vom Amtsgericht angenommen, die Betriebsgefahr des PKW des Beklagten nicht hinter das Verschulden des Klägers völlig zurücktreten. Zwar könne die Missachtung der Vorfahrtsregelung die Alleinhaftung des Warepflichtigen rechtfertigen. Allerdings habe sich hier die Betriebsgefahr des PKW des Beklagten verschuldensunabhängig durch den Überholvorgang des stehenden (wartenden) Busses erhöht, der die Sicht auf den davor liegenden Verkehrsraum teilweise versperrt habe, zumal die Linie im Einmündungsbereich unterbrochen gewesen sei. Dies rechtfertige eine Haftungsabwägung von 25% zu Lastend es Beklagten und 75% zu Lasten des Klägers.

LG Saarbrücken, Urteil vom 11.01.2019 - 13 S 142/18 -