Freitag, 19. Mai 2023

Vergütung des Zwangsverwalters bei Weiterführung eines Gewerbebetriebs

Der Zwangsverwalter wurde in einem von der Gläubigerin in 2018 beantragten Zwangsverwaltungsverfahren vom Gericht bestellt. Auf dem der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstück befand sich ein Biomassekraftwerk, welches vom Zwangsverwalter weiter betrieben wurde. Für eine Tätigkeit beantragte er für 2020 die Festsetzung einer Vergütung von € 238.437,55 beantragt und hierbei auf § 18 Abs. 1 ZwVwV eine Regelvergütung von 12% der von ihm erzielten Einnahmen sowie von 2,4% im Hinblick auf vertraglich geschuldete, aber nicht eingezogene Forderungen, ferner eine Auslagenpauschale und die gesetzliche Mehrwertsteuer verwiesen Das Amtsgericht setzte die Vergütung antragsgemäß fest. Dagegen wandten sich die Schuldnerin und die Gläubigerin. Das Landgericht hob den Beschluss des Amtsgerichts auf und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. Die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde wurde vom Zwangsverwalter gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt.

Der BGH gab der Rechtsbeschwerde insoweit statt, als es die Beschwerde der Schuldnerin (über deren Vermögen zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden war) nicht als unzulässig abgewiesen hatte; im Übrigen wurde die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

1. Durch die Insolvenz der Schuldnerin sei das Verfahren nicht nach § 240 ZPO unterbrochen worden. Wenn die Beschlagnahme (wie hier) bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam geworden sei, würde sie gem. § 80 Abs. 2 InsO von der Insolvenz nicht betroffen. Allerdings sei durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger des Insolvenzschuldners Verfahrensbeteiligter kraft Amtes. Das zulässige Rechtsmittel des Schuldners, eingelegt vor der Insolvenzeröffnung, bleibe zwar wirksam, doch an seien Stele trete der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes. Dies habe das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.

2. Der Beschwerde des Gläubigers habe das Landgericht zutreffend stattgegeben. Führe der Zwangsverwalter einen auf dem beschlagnahmten Grundstück befindlichen Gewerbebetrieb fort, bemesse sich seine Vergütung nach Zeitaufwand, § 19 Abs. 1 ZwVwV. § 18 Abs. 1 ZwVwV fände nur bei Nutzung des Grundstücks durch Vermieten und Verpachten Anwendung, nicht bei der Fortführung eines Gewerbebetriebs.

Da der Zwangsverwalter hier nicht vermietete oder verpachtete käme von vornherein im Rahmen des Weiterbetriebs des Biomassekraftwerkes allenfalls eine entsprechende Anwendung des § 18 Abs. 1 ZwVwV in Betracht. Allerdings lägen die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vor, da keine planwidrige Regelungslücke bestünde. § 19 ZwVwV würde zeigen, dass der Verordnungsgeber für den Fall des Nichtgreifens der Regelung des § 18 ZwVwV eine Regelung geschaffen habe. Danach sei eine Vergütung nach Zeitaufwand vorzunehmen, wobei unterschiedliche Stundensätze heranzuziehen seien. Fallen Einnahmen aus Vergütung und Verpachtung nicht an, käme es auf solche nicht an.

Auch habe der Verordnungsgeber nicht übersehen, dass es nicht nur Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung geben könne, sondern auch durch sonstige Verwertungsmaßnahmen.  

§ 5 Abs. 1 ZwVwV sehe vor, dass die Art der Nutzung zum Zeitpunkt der Anordnung der Zwangsverwaltung beibehalte werden soll, was durch § 5 Abs. 2 ZwVwV belegt würde, wonach die „Nutzung“ grundsätzlich durch Vermietung/Verpachtung erfolgt, dies aber nicht zwingend sei. Handele es sich z.B. bei dem der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstück um eine Ton-, Sand- oder Kiesgrube, sei stets anerkannt, dass der Zwangsverwalter die Rohstoffe ausbeuten und verkaufen könne (OLG Hamm, Beschluss vom 28.09.1994 - 15 W 369/93 -). Hier sei anerkannt, dass sich die Vergütung des Zwangsverwalters nach § 19 ZwVwV und damit nach Stundensätzen richte. Entsprechendes gelte auch bei landwirtschaftlicher Zwangsverwaltung, wenn der Zwangsverwalter (bei Abweichung von § 150b ZVG, wonach der Schuldner zum Verwalter bestellt wird) im Wege der Eigenbewirtschaftung die Ernte einbringe und verkaufe. Es könne nicht angenommen werden, dass dem Verordnungsgeberdiese Praxis üblicher Berechnung bei Erlass der Verordnung unbekannt war, was bedeute, dass die Entscheidung in § 18 ZwVwV bewusst auf Vermietung und Verpachtung beschränkt wurde.  

Eine Regelungslücke ergäbe sich auch nicht im Hinblick auf Insolvenzrechtliche Vergütungsordnung (InsVV). Zwar sei der Zwangsverwalter in seiner Rechtsstellung im Grundsatz einem Insolvenzverwalter vergleichbar (BGH, Urteil vom 05.02.2009 - IX ZR 21/07 -). Dies gelte auch bei einer Betriebsfortführung. Allerdings habe der Verordnungsgeber die Vergütung des Zwangsverwalters anders als jene des Insolvenzverwalters geregelt und gerade nicht an einen bestimmten Prozentsatz einer der Verwaltung unterliegenden Vermögensmasse angeknüpft (so § 2 InsVV), sondern nach §§ 18, 19 ZwVfV danach unterschieden, ob die Zwangsverwaltung durch Vermietung/Verpachtung erfolgt (dann seien die Bruttomieten entscheidend) oder in sonstiger Weise (dann wäre auf Zeitaufwand/Stundensatz abzustellen). Folgerichtig würde es damit an einer Regelung zu einer Berechnungsgrundlage entsprechend § 1 InsVV für eine nach an der Vermögensmasse orientierten Vergütung fehlen.

Die Entscheidung des Verordnungsgebers sei zu respektieren und könne nicht durch eine Analogiebildung abgeändert werden. Da mithin eine Abrechnung gemäß § 18 ZwVwV ausscheide und eine Entscheidungsreife nicht vorläge, habe das Landgericht ermessensfehlerfrei die amtsgerichtliche Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht aufgehoben.

BGH, Beschluss vom 11.01.2023 - V ZB 23/22 -

Montag, 15. Mai 2023

Die virtuelle Mitgliederversammlung des (eingetragenen) Vereins und deren Regelung in der Satzung

Das Vereinsregister hatte die Anmeldung der (einstimmig beschlossenen) satzungsändernden Regelung zur Ausübung von Mitgliedschaftsrechten in einer Mitgliederversammlung im Wege elektronischer Kommunikation des beschwerdeführenden Vereins als zu unbestimmt und daher unzulässig angesehen. Die Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Das OLG wies darauf hin, dass eine Vereinssatzung sehr wohl die Möglichkeit einer virtuellen Versammlung begründet, auch, dass sie alternativ eine reale und eine virtuelle Versammlung vorsehen würde, ebenso wie Mischformen (Teilnahme physisch oder nach Wahl virtuell) denkbar seien. Dies könne mit Begründung des verein sind ei Satzung aufgenommen werden, aber auch nachträglich.

Das OLG stellte auf die Notwendigkeit einer konkreten Fassung der Satzungsregelung ab. Es müssten zwar nicht sämtliche Einzelheiten der virtuellen Durchführung geregelt werden (wie sie der Entscheidung des OLG Hamm vom 27.09.2022 - 27 W 106/11 - zugrunde gelegen hätten), aber es müsse der Satzung der grundsätzliche Durchführungsweg einer virtuellen Mitgliederversammlung entnommen werden können. Dies gelte insbesondere dann, wenn eine Mischform aus realer und virtueller Mitgliederversammlung zugelassen würde, da sichergestellt werden müsse, dass die virtuell anwesenden ebenso wie die physisch anwesenden Mitgliedre partizipieren können.

Die neue Satzungsregelung, dass ein teil der Mitglieder oder alle ihre Mitgliedsrechte im Wege elektronischer Kommunikation und ohne Anwesenheit am Versammlungsort ausüben könnten, sei dahin auszulegen, dass auch eine rein virtuelle Mitgliederversammlung durchgeführt werden könne und sei nicht unbestimmt. Nicht geregelt sei aber, ob es im Rahmen einer virtuellen Mitgliederversammlung erforderlich sei, dass sämtliche Mitgliedre gleichzeitig unter Nutzung der elektronischen Kommunikationsmittel virtuell anwesend sein müssen, oder ob es ausreichend sei, dass diese auf elektronischen Weg Fragen und Anträge stellen und ihre Stimme abgeben könnten, sie aber nicht gleichzeitig virtuell anwesend sein müssten und auch nicht die Möglichkeit einer Diskussion bestehen müsse. Wegen der Wesentlichkeit sei dies aber in der Satzung zu regeln und könne nicht in das Ermessen des Vorstandes gestellt werden.

Weiterhin enthalte die neue Satzungsregelung keine Regelung dazu, wie die vorgesehene Möglichkeit der Wahrnehmung der Mitgliedsrechte auf elektronischen Weg durch den dies nutzenden Teil der Mitglieder umgesetzt werden soll. Letztlich könne es sich entsprechend der Videoverhandlung nach § 128a ZPO nur um eine reale Mitgliederversammlung handeln, bei der den Mitgliedern freigestellt würde, an dieser virtuell teilzunehmen. In diesem Fall der Mischform müsse aber eine vergleichbare Partizipation der virtuell und physisch anwesenden Mitglieder gewährleistet sein. Wie vorliegend die virtuell teilnehmenden Mitglieder ihre Mitgliedschaftsrechte wahrnehmen können, sei aber nicht geregelt. Es würden insbesondere Regelungen dazu fehlen, dass den virtuell Teilnehmenden wie den real Teilnehmenden die Verfolgung der Mitgliederversammlung ermöglicht werden muss und sie Fragen und Anträge stellen und sich an Abstimmungen beteiligen können. Auch das führe zur Unzulässigkeit der Satzungsregelung.

OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 - I-27 W 58/22 -

Samstag, 13. Mai 2023

Durchsetzung der Kindesanhörung im Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts

Die Parteien waren die Eltern des Kindes L., geb. 2018, welches bei der Antragsgegnerin (AG) lebte. Vom Antragsteller wurde die Regelung des Umgangs und der Informationspflicht beim Familiengericht beantragt. Das Familiengericht bestimmte einen Termin zur Kindesanhörung; in der Verfügung wurde das persönliche Erscheinen der Antragsgegnerin angeordnet und diese aufgefordert, „für das Erscheinend es Kindes Sorge zu tragen“. Zudem wurde ein Hinweis auf Zwangsmittel nach § 35 Abs. 3 FamFG erteilt. Die Antragsgegnerin sowie ihr Kind erschienen nicht; mit Anwaltsschriftsatz wurde behauptet, sie habe mit dem Kind vor dem Gerichtsgebäude gestanden, das Kind habe sich aber geweigert, in das Gebäude zu gehen und mit dem Richter alleine zu reden. Das Familiengericht setzte unter Verweis auf § 89 FamFG gegen die Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von € 500,00 fest. Gegen diesen Beschluss legte die Antragsgegnerin erfolgreich (nach Nichtabhilfe durch das Familiengericht) Beschwerde ein.

Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes käme hier nicht in Betracht. Für das persönliche Erscheinen der Antragsgegnerin fehle es an einer eindeutigen Anordnung. Zwar sie sie zunächst angeordnet worden, durch den Zusatz aber deutlich gemacht, dass dies lediglich das Erscheinen des Kindes sichern soll. Es könne daher offen bleiben, ob das Erscheinen des betreuenden Elternteils im Rahmen einer Kindesanhörung überhaupt angeordnet werden dürfe (OLG Celle, Beschluss vom 29.07.2019 - 21 WF 123/19 -) und im Vollstreckungsverfahren nach § 33 FamFG geprüft werden dürfe. Ein Ordnungsgeld nach § 33 Abs. 3 S. 1 FamFG gegen die Mutter wegen des Nichterscheinens des Kindes käme nicht in Betracht, da dies nur für die Beteiligten selbst vorgesehen sei.

Auch die Voraussetzungen für ein Zwangsgeld nach § 35 FamFG lägen nicht vor. Es handele sich dabei, anders als die Ordnungsmittel nach § 33 FamFG, um ein in die Zukunft gerichtetes Beugemittel, durch welches eine Handlung oder Unterlassung erzwungen werden soll, ohne Sanktionscharakter zu haben (BGH, Beschluss vom 06.09.2017 - XII ZB 42/17 -). Dies würde aber eine gerichtliche Anordnung voraussetzen, die in der Zukunft noch durchgesetzt werden soll. Da der (einzige) Termin zur Vornahme der Handlung aber bereits abgelaufen war, läge die Voraussetzung nicht vor (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.08.1997 - 2 WF 71/97 -).

Wie aber soll Verfahren werden, wenn eine verfahrensrechtliche Durchsetzung der Verpflichtung des betreuenden Elternteils, das Kind zur gerichtlichen Anhörung zu bringen, nicht möglich ist ?  Die Norm des § 35 FamFG sei ungeeignet (OLG Celle aaO.; Kammergericht, Beschluss vom 17.05.2019 - 18 UF 32/19 -), da sie sich nur auf einen konkreten Termin beziehe, die Festsetzung und Vollstreckung von Zwangsmitteln aber voraussetze, dass eine Zuwiderhandlung bereits erfolgt sei. Es würde eine Gesetzeslücke bestehen. Auch eine zwangsweise Vorführung des Kindes nach § 33 Abs. 3 S. 3 FamFG käme nicht in Betracht, da ein vierjähriges Kind nicht unentschuldigt fernbleiben würde.

Als Lösungsansatz sieht das OLG bei einer als zwingend vorzunehmenden persönlichen Anhörung des Kindes, welche an der notwendigen Mitwirkung des betreuenden Elternteils scheitere, die verfahrensrechtliche Prüfung, ob nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen ein schwerwiegender Grund für das Absehen von der Kindesanhörung nach § 159 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG vorliege. Sollte dieser Grund nicht angenommen werden können, wäre materiell-rechtlich eine vorläufige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1666 BGB zu überlegen, was häufig die Einleitung eines gesonderten Verfahrens erforderlich mache. Zudem könne - gegebenenfalls in einem gesonderten Verfahren - eine einstweilige Anordnung ohne vorherige Anhörung des Kindes ergehen.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2023 - 5 WF 138/22 -

Donnerstag, 11. Mai 2023

Handyverbot im Fahrzeug - umlagern des Smartphones beim Freitelefonieren

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen zu einer Geldbuße in Höhe von € 250,00, und zwar wegen vorschriftswidriger Benutzung eines elektronischen Geräts (Mobiltelefon) als Führer eines Kraftfahrzeugs. Nach der eigenen „geständigen Einlassung“ des Betroffenen will er ein Mobiltelefon in der linken Hand gehalten haben und über die Freisprechanlage telefoniert haben. Als rechtlich unerheblich sah das Amtsgericht die weitere Angabe des betroffenen an, er habe das Handy nur für eine Umlagerung in die Hand genommen und den Gesprächspartner aufgefordert, während der Umlagerung das Gespräch nicht fortzuführen.

Die dagegen vom Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.

Die entscheidende Fragestellung lautete, ob nach der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO der Tatbestand auch dann erfüllt ist, wenn der Fahrzeugführer während des Betriebs des Fahrzeugs sein Mobiltelefon aufnimmt, während er es über eine Freisprecheinrichtung nutzt. Oder bedarf es im Zusammenhang mit einer Nutzung einer Bedienfunktion ?

Es sei nicht mit dem Wortlaut von § 23 Abs. 1a StVO vereinbar, einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO anzunehmen, wenn das Gerät nur gehalten würde. Deshalb müsse eine über das Halten hinausgehende Benutzung des Geräts erfolgen. § 23 Abs. 1a S. 1 Nr. 1 StVO bestimme, dass der Fahrzeugführer ein elektronisches Gerät, welches der Kommunikation, Information oder Organisation diene oder dazu bestimmt sei, nur benutzen dürfe, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten würde. Das Aufnehmen / Halten des Geräts sei mithin nur im Zusammenhang mit dessen Bedienung (Nutzung) untersagt. Eine Ortsveränderung des Geräts sei unter Berücksichtigung der Grenzen zulässiger richterlicher Interpretation dem Wortsinn des Begriffs „Benutzen“ nicht zu entnehmen (Art. 103 Abs. 2 GG; BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 - 2 BvR 2559/08 -). Die Begründung des Änderungsentwurfs für den heutigen § 23 Abs. 1a StVO bezieht sich auch darauf, dass statt dem bisherigen  Verbot nunmehr ein Gebot, unter welchen Voraussetzungen eine Gerätenutzung zulässig sei, aufgenommen worden sei (BR-Drs. 556/17 S. 25). Es wäre nicht einsichtig, eine funktionsneutrale Tätigkeit wie das Umlegen des Gerätes anders zu bewerten als bei sonstigen im Fahrzeug mitgeführten Gegenständen, unabhängig auch davon, ob eine  - von der Benutzung entkoppelte - Verbindung zuvor beendet wurde oder über die Freisprecheinrichtung fortgeführt würde.

Allerdings weist das Oberlandesgericht unter Verweis auf den Beschluss des OLG Stuttgart vom 25.04.2016 4 Ss 212&16 -) auch darauf hin, dass der Verordnungsgeber mit der Regelung eine Regelungslücke habe schließen wollen, in denen das Gerät in der Hand gehalten würde, obwohl dies nicht notwendig sei, da das Gespräch über eine Freisprecheinrichtung geführt würde. Daher sei es ausreichend für die Verwirklichung des § 23 Abs. 1a StVO, wenn Halten und Benutzung tatsächlich zusammenfallen würden, ohne dass das Halten für die Nutzung relevant sei. Allerdings: Es sei nicht ersichtlich, dass die Absicht bestanden hätte, ein generelles Verbot des Aufnehmens oder Haltens elektronischer Geräte (ohne einen Zusammenhang mit der Bedienfunktion) einzuführen. Wäre es Ziels Ziel des Verordnungsgebers gewesen, die Hände des Fahrzeugführers vollständig von fahrfremden Tätigkeiten freizuhalten (oder immer neue Beweisschwierigkeiten im Hinblick auf Schutzbehauptungen auszuräumen), wäre das spezifische Verbot für elektronische Geräte unverständlich. Die Begründung mache deutlich, dass der Verordnungsgeber gerade in der Kombination von Halten und Bedienen einer Nutzungsfunktion eine erhöhte Gefährdung der Verkehrssicherheit gesehen hat, im Gegensatz zu andren fahrfremden Tätigkeiten (wie essen).

Das Amtsgericht würde zu klären haben, ob eine Umlegung oder ein Halten im Zusammenhang mit einer Bedienung vorgelegen habe. Abschließend wies das Oberlandesgericht noch darauf hin, dass eine den Ordnungswidrigkeitstatbestand erfüllende Nutzung auch dann vorläge, wenn die Umlegung (auch) erfolge, um störungsfrei weitertelefonieren zu können.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.04.2023 - 1 ORbs Ss 151/23 -

Dienstag, 9. Mai 2023

Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) und Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache

Nachdem ein über ihren anwaltlichen Bevollmächtigten Widerspruch gegen eine Entscheidung über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch das Jobcenter ein. Daraufhin erging ein Abhilfebescheid, mit dem der angegriffene Bescheid aufgehoben wurde. Im Abhilfebescheid entschied das Jobcenter, dass der Widerspruchsführerin (und jetzigen Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - BVerfG -) auf Antrag die Kosten des Widerspruchsverfahrens erstattet würden, soweit sie notwendig, nachgewiesen und der Widerspruch erfolgreich gewesen wäre. Am 05.11.2020 stellte der Bevollmächtigt der Widerspruchsführerin Antrag auf Kostenfestsetzung. Am 07.05.2021 erhob er wegen Nichtverbescheidung Untätigkeitsklage zum Sozialgericht. Am 18.05.2021 erließ das Jobcenter den Kostenfestsetzungsbescheid, woraufhin die Widerspruchsführerin ihre Untätigkeitsklage in der Hauptsache für erledigt erklärte und beantragte, ihr die notwendigen Kosten ihre außergerichtlichen Kosten (entstanden im Verfahren vor dem Sozialgericht) zu erstatten. Dieser Antrag auf Kostenerstattung wurde vom Sozialgericht abgelehnt mit der Begründung, es sei durch das Gericht nach billigen Ermessen zu entscheiden und der Zuspruch der Kosten würde nicht der Billigkeit entsprechen. Zwar habe das Jobcenter nicht innerhalb der Frist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG über den Antrag entschieden. Anders als das HessLSG im Beschluss vom 15.02.2008 - L 7 B 184/07 AS - sehe es eine Obliegenheit hier der klagenden ehemaligen Widerspruchsführerin, die Beklagtenseite (Jobcenter) vor Schäden zu bewahren (Grundsatz Treu und Glauben aus dem Sozialrechtsverhältnis), weshalb sie sich vor Erhebung der Untätigkeitsklage noch einmal an das Jobcenter hätte wenden müssen und die Entscheidung über die Kostenfestsetzung hätte anmahnen und die Erhebung einer Untätigkeitsklage ankündigen müssen. Dies sei nicht geschehen. Daher erscheine die Untätigkeitsklage mutwillig.

Gegen die (mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht angreifbare) Entscheidung erhob die Beschwerdeführerin wegen Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) und Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) Verfassungsbeschwerde. Die Verfassungsbeschwerde wurde zur Entscheidung angenommen und ihr wurde stattgegeben.

Es läge ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot vor. Dies sei denn zu bejahen, wenn gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür verstoßen würde, was der Fall sei, wenn der Inhalt einer Norm in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewandt würde. Das sei hier bei Anwendung des § 193 SGG durch das Sozialgericht der Fall gewesen.

Richtig sei, dass im vorliegenden Fall der Hauptsacheerledigung das Sozialgericht nach billigen Ermessen aufgrund allgemeiner Grundsätze über die Kosten zu entscheiden gehabt habe. Grundlage sei der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung (Rechtsgedanke der § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 154 Abs. 1, 2 und 4 VwGO, § 155 Abs. 1 und 2 VwGO). Würde die Untätigkeitsklage vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist erhoben und erginge der Bescheid noch innerhalb der Frist., würde keine Kostenerstattung erfolgen, da die Klage unzulässig gewesen wäre.  Sei aber die Untätigkeitsklage zulässig und begründet käme grundsätzlich eine Kostenerstattung in Betracht, wenn die Behörde nicht innerhalb der gesetzlichen Wartefrist über den Antrag entschieden habe und kein zureichender Grund für die Verspätung vorläge (s. § 88 Abs. 1 S. 1 SGG). Vorliegend war die Wartefrist bei Erhebung der Klage abgelaufen gewesen, der Bescheid erst danach erlassen worden und ein zureichender Grund für die Verzögerung nicht ersichtlich.

Allerdings könne auch bei einer zulässigen und begründeten Untätigkeitsklage das Gericht in Ausübung nach dem ihm in § 193 SGG eingeräumten Ermessen eine Kostenerstattung ablehnen. Dieses Ermessen habe aber das Sozialgericht in nicht mehr nachvollziehbarer Weise gehandhabt. Der Gedanke, der Leistungsempfänger habe (jedenfalls bei anwaltlicher Vertretung) vor Erhebung der Untätigkeitsklage die Behörde noch einmal zu mahnen und die Untätigkeitsklage anzudrohen, könne nicht nachvollziehbar aus dem geltenden Recht abgeleitet werden. Ohne Anlass bestünde vor der Erhebung der Untätigkeitsklage keine generelle Notwendigkeit, den Sachstand zu erfragen; diese Pflicht könne nur unter besonderen Umständen des Einzelfalls bestehen. Solche besonderen Umstände seien vom Sozialgericht nicht benannt worden, die eine Mutwilligkeit der Klageerhebung begründen könnten.

Weder aus dem Wortlaut des § 88 SGG noch aus dem Wortlaut des § 193 SGG ergäbe sich eine generelle Pflicht zu Sachstandsanfrage vor Erhebung der Untätigkeitsklage oder eine Pflicht, eine solche anzukündigen. Es seien auch keine systematischen oder entstehungsgeschichtlichen Anhaltspunkte dafür ersichtlich. Die Ausnutzung einer nach Ablauf der Wartefrist gegebenen formalen Rechtsposition verstoße grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Gesetzgeber habe durch die Wartefrist von drei bzw. sechs Monaten selbst geregelt, wie lange der betroffene zuwarten müsse. So wie sich die Bürger/innen die Versäumung einer Frist selbst strikt entgegen halten müssen, dürfe auch der Staat grundsätzlich nicht darauf vertrauen, auf den Ablauf einer gesetzlichen Frist erneut hingewiesen zu werden. Zudem könnten Bürger/innen dem Staat keine Fristen setzen, die das Gesetz nicht vorsehe. Sie könnten auch nicht über Rechtsfolgen disponieren; diese ergäben sich aus dem Gesetz. Die Kostenpflicht einer Untätigkeitsklage nach Ablauf der Wartefrist sei eine prozessrechtlich vorgesehene Konsequenz und die Herbeiführung derselben grundsätzlich nicht treuwidrig.

Aus einem Gebot der Rücksichtnahme könne sich zwar unter besonderen Umständen die Pflicht zur Erinnerung der Behörde an den Fristablauf ergeben, doch ergäbe sich daraus keine allgemeine Nachfragepflicht. Es läge auch fern davon auszugehen (wie es das Sozialgericht tat), bei einem regelmäßigen Vorliegen der formalen Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage und bei Berücksichtigung deren Erfolgsaussichten mit der Folge der regelmäßigen Kostenhaft der Beklagten in der Erhebung der Klage (ohne Nachfrage oder Hinweis) einen evidenten Widerspruch zum Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG zu sehen. Den Bürger/n/innen dürfe die Kostenerstattung nicht mit der Begründung verweigert werden, dass ihre Klage gegen ein rechtswidriges Verhalten des Staates offensichtlich zulässig und begründet sei.

Das Sozialgericht habe auch keine besonderen Umstände aufgezeigt, die hier im Einzelfall die Erhebung er Klage als missbräuchlich erscheinen ließen, indem nach Ablauf der Frist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGB ohne Nachfrage oder Nachfristsetzung Untätigkeitsklage erhoben worden sei. Es habe angemerkt, das Verhaltend er Beschwerdeführerin sei „nichts anderes als die Ausnutzung einer formal bestehenden Rechtsposition“ zur „Erzielung eines anders nicht erreichbaren Gebührenvorteils“. Zwar könne es Konstellationen geben, bei den eine Fristsäumnis der Behörde treuwidrig zur Erhebung einer Untätigkeitsklage ausgenutzt würde, auch um Kostenvorteile zu erlangen. Das könne sich aus dem konkreten Geschehen vor Klageerhebung ergeben. Aus der (hier vorliegenden) anwaltlichen Vertretung alleine könne eine derartige Mutwilligkeit aber nicht gefolgert werde.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.02.2023 - 1 BvR 311/22 -

Sonntag, 7. Mai 2023

Schlichtungsverfahren (§ 15a EGZPO) und durch Eigentümerwechsel Parteiwechsel im Prozess

§ 15a EGZPO sieht (in Verbindung mit den landesrechtlich dazu ergangenen Gesetzen (hier: § 53 Abs. 2 JustG NRW) sieht für bestimmte Verfahren vor, dass dem gerichtlichen Verfahren ein Schlichtungsverfahren vorzuschalten ist. Die gilt z.B. bei Nachbarschaftsstreitigkeiten; die Kläger verlangten vorliegend von der Mutter der Beklagten, die noch Eigentümerin des Grundstücks war, den Rückschnitt von Sträuchern und Ästen pp. auf deren Grundstück vorzunehmen. Da sich die Beteiligten nicht einigten, kam es in 2016 zu einem erfolglosen Schlichtungsverfahren zwischen den Klägern und der Mutter der Beklagten. In 2016 übertrug die Mutter der Beklagten ihr Eigentum an dem Grundstück auf die Beklagte. In Unkenntnis dieses Umstandes erhob der Kläger zunächst gegen die Mutter, erklärten dann einen Parteiwechsel, weshalb anstelle der Mutter die Beklagte Prozessbeteiligte wurde.

Das Amtsgericht hat, dem folgend das Landgericht im Rahmen der Berufung der Kläger, die Klage als unzulässig angewiesen. Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass zwischen den Parteien dass für ie Zulässigkeit der Klage notwendige Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Dem folgte der BGH nicht und hob die Urteile von Amts- und Landgericht unter Zurückverweisung an das Amtsgericht auf.

Vom BGH wurde darauf verwiesen, dass er bereits für die ehemalige nordrhein-westfälische Regelung zu § 15a EGZPO in § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchts. E) GüSchlG NRW entschieden habe, dass das Ziel des § 15a EGZPO in der Entlastung der Zivilgerichts bestünde und bei einem Parteiwechsel auf Klägerseite kein neuer Schlichtungsversuch erforderlich sei, da das Ziel der Entlastung nicht mehr erreicht werden könne, wenn die erfolgte Schlichtung erfolglos geblieben sei und der Rechtsstreit bei Gericht anhängig geworden sei (Urteil vom 18.06.2010 - V ZR 9/10 -). Für den heutigen § 53 Abs. 1 JustG NRW gelte nichts anderes; offen geblieben sei allerdings, on bei einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite anderes gelten würde.

Nunmehr entscheid der BGH, dass auch bei einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite sich die Entlastung der Gerichte nicht mehr erreichen ließe und von daher der Parteiwechsel auch auf Beklagtenseite kein neues Schlichtungsverfahren erfordere.

In der Rechtsprechung sei die Frage der Auswirkung des Parteiwechsels auf Beklagtenseite umstritten. Während (wie vorliegend) das AG Neumünster (Urteil vom 09.06.2006 - 35 V 1341/05 -) ein neues Schlichtungsverfahren als erforderlich ansehe, da ansonsten dem nunmehrigen Beklagten die Möglichkeit der Schlichtung genommen würde), würde überwiegend die Ansicht vertreten, dass nach dem Zweck des § 15a EGZPO auch in diesem Fall kein erneutes Schlichtungsverfahren erforderlich sei. Dieser überwiegenden Auffassung würde sich der BGH anschließen.

Mit dem obligatorischen Schlichtungsverfahren sei nach der Gesetzesbegründung zu § 15a EGZPO (BT-Drs. 14/980 S 5 zu § 15a EGZPO, LT-Drs. 12/4614 S. 27 zum nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetz) beabsichtigt, die Zivilgerichte zu entlasten und Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen. Dieses Ziel ließe sich nicht erreichen, wenn die Schlichtung erfolglos geblieben sei und ein Gerichtsverfahren anhängig geworden sei. Das Gerichtsverfahren müsse in diesem Fall wie jedes andere Verfahren nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) durchgeführt werden. Die Klage könne also erweitert (§ 264 Nr. 2 ZPO) oder (nach Maßgabe von § 263 ZPO) geändert werden, ohne dass die Zulässigkeit der Klage (auch im Hinblick auf § 15a EGZPO) tangiert sei (BGH, Urteil vom 22.10.2004 - V ZR 47/04 -). Daher ändere auch der Parteiwechsel auf Klägerseite, der sich als Klageänderung iSv. § 263 ZPO darstelle, nichts an der Zulässigkeit (BGH, Urteil vom 18.06.2020 - V ZR 9/10).

Auch der Parteiwechsel auf Beklagtenseite stelle sich als Klageänderung entsprechend § 263 ZPO dar, wenn der neue Prozessgegner dem zustimme (was bei einem Parteiwechsel nach einer Verhandlung zur Hauptsache zwingend erforderlich sei) oder das Gericht den Wechsel als sachdienlich zulasse.

Stimme der neue Beklagte dem Parteiwechsel zu, würde ein neues Schlichtungsverfahren dem Ziel des § 15a EGZPO zuwiderlaufen. Denn mit der Weiterverfolgung des Klageabweisungsantrages gäbe der neue Beklagte zu erkennen, dass er auch nicht bereit sei, die Klageforderung zu erfüllen. Das Verlangen eines neuen Schlichtungsverfahrens würde damit dem Ziel des § 15a EGZPO zuwiderlaufen.

Nichts anderes würde aber auch bei einem als sachdienlich zugelassenen Parteiwechsel gelten. Diese Zulassung diene dazu, einen neuen Prozess zu vermeiden. Es käme nicht darauf an, ob der neue Beklagte freiwillig in den Prozess eingetreten ist. Selbst wollte man nicht ausschließen, dass die Schlichtung mit dem neuen Beklagten Erfolg haben wird, würde das primäre gesetzgeberische Ziel des Schlichtungsverfahrens der Verringerung der Belastung der Zivilgerichte, nicht mehr erreichbar sein. Ziel des § 13a EGZPO sei nicht, dem Parteien die Möglichkeit eines nicht offenkundig aussichtslosen vorprozessualen Schlichtungsversuchs zu eröffnen; eine gütliche Streitbeilegung sei auch in einem anhängigen Verfahren möglich. [Anm.: Auch in einem nach erfolglosen Schlichtungsverfahren nachfolgenden gerichtlichen Verfahren 1. oder auch 2. Instanz werden häufig noch Mediationsverfahren gem. § 278a ZPO, die dem Schlichtungsverfahren ähneln, durchgeführt.]

Die Überlegung des Berufungsgerichts im vorliegenden Verfahren, der Beklagtenwechsel sei wie eine subjektive Klagehäufung zu behandeln (§§ 59 ff ZPO) bei der gegen jeden Beklagten das Schlichtungsverfahren durchzuführen sei (BGH, Urteil vom 13.07.2010 - VI ZR 111/09 -), trat der BGH nicht bei. Bei der Klagehäufung würde die konsequente Auslegung des § 15a EGZPO erreicht, dass die Rechtssuchenden in den durch das Gesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssten und diesen Einigungsversuch nicht einfach umgehen könnten. Bei dem Beklagtenwechsel würde diese Umgehungsgefahr nicht bestehen, da - anders als bei der einfachen Streitgenossenschaft - nicht mehrere Prozessrechtsverhältnisse begründet würden, sondern ein gegen den Beklagten geführtes Verfahren, dem das obligatorische Schlichtungsverfahren  hier vorausgegangen sei.

BGH, Urteil vom 16.12.2022 - V ZR 34/22 -

Freitag, 5. Mai 2023

Wohnungseigentum: Gestreckte Begründung des Sondernutzungsrechts

Das Grundbuchantrag hatte eine beantragte Eintragung eines Sondernutzungsrechts als Inhalt des Sondereigentums (§ 5 Abs. 4, § 19 Abs. 3 S. 1 WEG) mit der Begründung zurückgewiesen, die notariell vorgenommene Zuordnungserklärung vom 20.02.2018, bei Grundbuchamt noch 2018 eingegangen, sei nicht ausreichend. Zugrunde lag dem eine im Grundbuch gewahret Teilungserklärung, bei der Sondernutzungsrechte an Stellplätzen noch nicht bestimmten Sondereigentumseinheiten zugewiesen waren und sich der Teiler/Bauherr die Zuordnung vorbehielt und eine notarielle Bewilligung für die Zuordnung noch vor dem eigenen Ausscheiden aus der Wohnungseigentümergemeinschaft und Veräußerung der letzten Sondereigentumseinheit vornahm.

Das sah das Kammergericht (KG) , welches nach Nichtabhilfe der Beschwerde durch das Grundbuchamt über diese entscheiden musste, sah das zutreffend anders als das Grundbuchamt. Dies folgerte das KG aus der darin enthaltenen und gemäß §7 Abs. 3 WEG im Grundbuch gewahrten Ermächtigung, durch Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt für einen einzelnen Wohnungseigentümer ein die übrigen Wohnungseigentümer ausschließendes Sondernutzungsrecht an den Stellplätzen zu begründen.

Offen könne bleiben, ob die beantragte Eintragung lediglich eine Klarstellung sei, da das verdinglichte Sondernutzungsrecht durch die Zuordnungserklärung bereits vollständig entstanden sei. Durch die Erklärung seien die bisher zum Mitgebrauch berechtigten übrigen Wohnungseigentümer (§ 16 Abs. 1 S. 3 WEG) gemäß § 10 Abs. 3 WEG von der Nutzung ausgeschlossen worden (negative Komponente). Der Ausschluss aller nicht begünstigten Wohnungseigentümer durch die Teilungserklärung würde unter der aufschiebenden Bedingung der Zuweisungserklärung stehen und (gem. § 158 Abs. 1 BGB) mit dieser wirksam. Gleiches könnte (als positive Komponente) gelten, wenn die Ermächtigung dahingehend verstanden werden sollte, dass für jeden Wohnungseigentümer ein gesondertes, jeweils durch eine ihn begünstigende (erste) Zuordnungserklärung aufschiebend bedingtes Recht zum alleinigen Gebrauch bestimmt würde.

Selbst wenn man von einer rechtsändernden Eintragung ausgehen würde. Auch in diesem Fall würde es keine Bewilligung der übrigen Wohnungseigentümer gem. § 19 GBO notwendig sein. Sie wären von der Wahrung des Sondernutzungsrechts im Grundbuch des begünstigten Wohnungseigentümers nicht betroffen, da die negative Komponente bereits mit dem Eintritt der aufschiebenden Bedingung der Zuordnungserklärung als Inhalt des Sondereigentums in allen Wohnungsgrundbüchern der Wohnungseigentümergemeinschaft eingetragen sei.

Der zwischenzeitliche Zeitablauf seit 2018 würde ebenfalls keine Mitwirkung der übrigen Wohnungseigentümer gem. § 19 GBO erfordern. Die Eintragung nach § 10 Abs. 3 S. 1 WEG sei nur für die Wirkung gegen den Sondernachfolger relevant. Hätte der Berechtigte (zwischenzeitlich)  schuldrechtlich über das Sondernutzungsrecht (hier an einem Stellplatz) zugunsten eines anderen Sondereigentümers verfügt,  wäre dieser andere Wohnungseigentümer sachenrechtlich (iSv. § 19 GBO) nicht betroffen. Denn seine Nutzungsbefugnis wäre mangels Wahrung im Grundbuch zu seinem Sondereigentum nicht zum Inhalt desselben geworden. Ein schuldrechtlicher Anspruch eines Dritten könne daher das Bewilligungserfordernis nicht begründen (entgegen OLG München, Beschluss vom 22.12.2017 - 34 Wx 139/17 -).

Das Grundbuchamt habe auch nicht bloßen Zweifeln nachzugehen, das Grundbuch könne bei einer bewilligten Eintragung unrichtig werden. In der Zuordnungserklärung läge regelmäßig die Eintragungsbewilligung. Für die W. ergäbe sich aus dem entsprechenden Vorbehalt in der Teilungserklärung die Bewilligungsberechtigung. Für diese Bewilligungsermächtigung käme es aber nicht darauf an, dass ihr Zuweisungsrecht mit der Veräußerung der letzten Sondereigentumseinheit enden soll. Die W. sei erst 2019 aus der Wohnungseigentümergemeinschaft ausgeschieden. Sie habe aber, und das sei ausreichend (OLG Hamm, Beschluss vom 16.06.2017 - 15 W 474/16 -), zuvor noch durch Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt ihr Zuweisungsrecht ausgeübt. Mit dem Zugang dieser Erklärung habe die Ermächtigung der W. zur (anderweitigen) Zuweisung geendet (BGH, Urteil vom 02.12.2011 - V ZR 74/11 -). Diese so noch zur Zeit, als die W. noch Eigentümerin war und nicht alle Sondereigentumseinheiten veräußert waren, konkretisierte Bewilligungsberechtigung wirke bis zur Eintragung der positiven Komponente (also Umsetzung durch Wahrung im Grundbuch des Sondereigentums) fort.

Kammergericht, Beschluss vom 07.02.2023 - 1 W 213/22 -