Freitag, 25. Februar 2022

Ärztliche Aufklärungspflicht zu Behandlungsalternativen und hypothetische Einwilligung

Die Klägerin ließ sich eine Kniegelenksendoprothese implantieren. Zwei der Beklagten waren als Anästhesisten tätig und u.a. für das Anlegen des Schmerzkatheters (eines sogen. Doppelkatheters) zuständig; neben diesen war u.a. das Krankenhaus verklagt. Nach der Operation klagte die Klägerin über Schmerzen und ein Taubheitsgefühl im Fuß sowie Sensibilitätsstörungen in Zehen. Es wurden schließlich irreparable Nervenschädigungen festgestellt. Die Klägerin begehrte materiellen und immateriellen Schadensersatz mit der Behauptung einer fehlerhaften Operation und nicht hinreichenden Aufklärung vor dieser. Das Landgericht wies die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens ab; die Berufung wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen. Der BGH ließ im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision gegen die Anästhesisten und das Krankenhaus zu. Insoweit führte die Revision zur Aufhebung der Entscheidung des OLG und Zurückverweisung an dieses.

Dabei wurde vom BGH darauf abgestellt, dass entgegen der Auffassung des OLG (welches einen Behandlungsfehler ausschloss, der auch im Revisionsverfahren infolge des diesen ausschließenden Sachverständigengutachtens nicht mehr bedeutsam war) auf der Grundlage von dessen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Aufklärung unter dem Gesichtspunkt der hypothetischen Einwilligung ausgeschlossen sei.

Stünden alternative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung sei eine Aufklärung darüber erforderlich, wenn die Alternativen medizinisch sinnvolle und indizierte gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten bieten, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (BGH, Urteil vom 28.08.2018 - VI ZR 509/17 -).  Diese Voraussetzung habe das OLG auf sachverständiger Grundlage in Bezug auf die bloße Gabe von Schmerzmitteln ohne Katheder und in Bezug auf die Anlage eines Femoraliskatheters (einem Zugang zum Nervus fermoralis, über den – auch kontinuierlich – Schmerzmittel gegeben werden können) anstatt des angewandten Doppelkatheters bejaht.

Das OLG habe aber fehlerhaft angenommen, die Klägerin hätte sich auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung für den Einsatz des Doppelkatheters entschieden (sogen. Hypothetische Einwilligung) und daher offen gelassen, ob eine von der Klägerin bestrittene und beklagtenseits behauptete Aufklärung über die Behandlungsalternativen erfolgte.

Zwar könne sich der Behandelnde im Falle unterlassener Aufklärung darauf berufen, dass der Patient auch bei gehöriger Aufklärung in die vorgenommene Behandlung eingewilligt hätte (BGH, Urteil vom 18.05.2021 – VI ZR 401/19 -; jetzt auch § 630h Abs. 2 S. 2 BGB). An den Nachweis dafür seien aber strenge Anforderungen zu stellen, wobei den Arzt die Beweislast treffe, wenn der Patient plausibel mache, dass er – wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ohne dass hierbei an das Substantiierungserfordernis zu hohe Anforderungen gestellt werden dürften (BGH, Urteil vom 18.05.2021 aaO.).

Das OLG habe den echten Entscheidungskonflikt der Klägerin mit der Erwägung verneint, die Angaben der Klägerin seien nicht ausreichend dafür gewesen, dass sich die Klägerin anders entschieden hätte. Ob sich der Patient aber anders entschieden hätte sei für das Kriterium des echten Entscheidungskonflikts nicht erforderlich.

Fehlerhaft habe das OLG die Klägerin in ihrer Anhörung nach § 141 ZPO befragt, wie sie sich entschieden haben würde, wenn ihr erklärt worden wäre, dass ein Doppelkatheter die sicherste Möglichkeit der Schmerzausschaltung mit der Erzielung eines bessern operativen Erfolgs infolge frühzeitiger Mobilisierung sei. Dies bilde keine brauchbare Grundlage zur Aufklärung, ob ein echter Entscheidungskonflikt bestanden hätte. Mit der gestellten Frage würde verkannt, dass es um den Entscheidungskonflikt gehen würde, den die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung, also über die echten Behandlungsalternativen mit ihren Vorteilen (also geringeres Behandlungsrisiko) und Nachteilen (also geringere Schmerzausschaltung und eingeschränkte Mobilität) gehabt haben könnte.

BGH, Urteil vom 07.12.2021 - VI ZR 277/19 -

Dienstag, 22. Februar 2022

Befangenheit des Sachverständigen wegen Ausdehnung des Streitgegenstandes

Der Sachverständige war vom Amtsgericht im Rahmen des Beweisbeschlusses berufen worden, da Bewies über die Behauptung der Klägerin erhoben werden sollte, durch einen Verkehrsunfall sei an dem klägerischen Lkw ein Schaden in Höhe von € 2.875,20 entstanden, wobei sich der Sachverständige mit dem vorgerichtlich von der Klägerin eingeholten Schadensgutachten auseinandersetzen sollte. Der sachverständige kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, der Schaden belaufe sich sogar auf € 3.088,41. Der Sachverständige besichtigte im Übrigen den Schadensort, fertigte Lichtbilder, vermaß ihn und machte im Gutachten Angaben zum Unfallablauf und zur Vermeidbarkeit. Im Rahmen der den Parteien gewährten Frist zur Stellungnahme lehnten die Beklagten den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Gegen den dies ablehnenden Beschluss des Landgerichts legten die Beklagten Beschwerde ein und das Amtsgericht gab das Verfahren zur Entscheidung nach Nichtabhilfe an das Landgericht ab. Idas Landgericht erklärte den Sachverständigen unter Abänderung des amtsgerichtlichen Beschlusses für befangen.

Ausreichen sei für die Begründetheit des Befangenheitsantrages jede Tatsache, die geeignet sei, ein (auch nur subjektives) Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise zu rechtfertigen. Ein solcher Grund könne vorliegen, wenn der Sachverständige mit seinen Ermittlungen/Ausführungen über die vom Auftrag gezogenen Grenzen hinausgehe und hierdurch ein solches Misstrauen erwachsen könne.

Allerdings sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Formulierung des Beweisbeschlusses „Beweis erhoben werden (soll) über die Behauptung der Klägerin, durch den Verkehrsunfall … sei an dem Lkw ein Schaden iHv. 2.875,20 € entstanden“ die Auslegung zulasse, dass durch Gebrauch des Wortes „durch“ aus Sicht des Sachverständigen auch die Feststellung beauftragt sei, ob bestimmte Schäden auf den Unfall zurückzuführen seien, weshalb dann Feststellungen zum Hergang des Unfalls durch den Beweisbeschluss gedeckt sein könnten. Insoweit folget das Landgericht dem Befangenheitsantrag nicht.

Im Rahmen des Befangenheitsantrages wurde auch geltend gemacht, dass der Sachverständige in Abweichung vom Beweisbeschluss Ausführungen zur Vermeidbarkeit des Unfalls machte. Dem folgte das Landgericht.

Allerdings könnten, worauf das Amtsgericht zutreffend abgestellt habe, alleine aus den Ausführungen des Sachverständigen, die tatsächlich keine Festlegung bei der Beantwortung der Vermeidbarkeit enthalten würden, dies nicht gefolgert werden. Es könne, wenn auch grenzwertig, in seinen Ausführungen im Gutachten noch zu seinen Gunsten angenommen werden, dass diese weit ausgelegt noch zur für die Schadensfeststellung erforderlichen Rekonstruktion des Unfalls gehören würden. Überschritten habe der Sachverständige diese Grenze aber in seiner Stellungnahme zum Befangenheitsantrag, wo er auf die Frage, warum er zur Vermeidbarkeit Stellung genommen habe, ausgeführt habe, dass zur Prüfung der Plausibilität auch zu klären sei, ob den durch Unfall/Schadenshergang „gegebenenfalls Schäden auf der rechten Seite des Lkw entstanden sein können bzw. sind, oder ob lediglich die in dem Gutachten des Sachverständigen … aufgeführten Beschädigungen dem Unfallereignis zuzuordnen sind. Hierzu wurde geprüft, ob der Lkw des Klägers die Fahrbahn verlassen musste bzw. ob der Unfall durch ein Ausweichen auf dem Fahrstreifen vermeidbar war.“ Nach seinen Feststellungen sei ein Ausweichen des Lkw nach rechts auf den Grünstreifen erforderlich gewesen, weshalb auch zu prüfen gewesen wäre, ob nicht auch Schäden an der Achs entstanden seien; diese „Untersuchungen wurden, wie es die Beweisfrage verlangt, vorgenommen“ worden.

Damit habe der Sachverständige zu erkennen gegeben, dass geprüft habe, ob auch nicht in das Verfahren eingeführte und bisher nicht geltend gemachte Schäden vorlägen. Aus der Sicht der Beklagten könne der Sachverständige damit dem Gericht auch vorgeben, wie weiter verfahren werden soll. Beides sei von seiner Stellung als gerichtlich bestellter Sachverständiger und vom Gutachtenauftrag nicht mehr gedeckt und lasse aus Sich eines unbeteiligten Dritten berechtigterweise Misstrauen an der Unparteilichkeit des Sachverständigen entstehen, da das Vorgehen alleine der Klägerin nutze.

Auch wenn der Sachverständige in dem Bestreben in gutem Glauben agiert habe, eine zügige und gerechte Entscheidung herbeizuführen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18.01.2002 - 14 W 45/01 -), der Beweisbeschluss zum eigentlich vom Amtsgericht nachgefragten Schadensumfang nach dem kurz gefassten Beweisbeschluss auslegungsfähig sei, habe er doch erkennbar mit der Formulierung „so dass zu prüfen wäre, ob nicht auch ein Schaden an der Achse … entstanden ist …“ den durch die Klageforderung betreffend Schäden im Bereich Spiegel/Fenster/Tür auf der Fahrerseite beschränkten Streitgegenstand (möglicherweise ungewollt) ausgedehnt und der Klägerin einen einseitigen rat gegeben, weitere Schäden zu suchen. Dies entspräche nicht dem Beweisbeschluss noch dem von der Klägerin festgelegten Streitgegenstand sondern erweitere diesen einseitig zu Lasten der Beklagten, weshalb aus der Sicht der Beklagten Misstrauen in seine Unparteilichkeit gerechtfertigt sei. 

LG Verden, Beschluss vom 18.01.2022 - 11 T 5/22 -

Montag, 21. Februar 2022

Abgrenzung des wirtschaftlichen vom Idealverein – Gaststättenbetrieb als Vereinszweck

Der Antragsteller, ein Verein, wurde am 27.03.2021 mit dem Zweck des Betriebs einer Gaststätte errichtet und beantragte am 19.04.2021 seine Anmeldung zum Vereinsregister. Nach vorangegangenen Hinweisen wies das Registergericht die Anmeldung mit der Begründung zurück, der Betrieb einer Gaststätte stelle keinen zulässigen (Haupt-) Zweck eines Idealvereins nach § 21 BGB dar.

Die dagegen eingelegte zulässige Beschwerde des Antragstellers wurde als unbegründet zurückgewiesen. Obwohl der Verein mangels Eintragung im Register nicht rechtsfähig sei, sei er doch, so das OLG, als „Vorverein“ berechtigt Rechtsmittel einzulegen (OLG Hamm, Beshcluss vom 11.07.2017 – 27 W 144/16 -).

Der Antragsteller sei (abweichend von der in der Beschwerde benannten Ansicht des Antragstellers) nicht als Idealverein nach § 21 BGB anzusehen, dessen Zweck also nicht auf den wirtschaftlichen Betrieb einer Gaststätte gerichtet sei (Fall des § 22 BGB).

Dazu verwies das OLG darauf, dass der Antragsteller („insbesondere“) eine „Doppelkneipe“ betreiben wolle und in einer Gastwirtschaft hauptsächlich alkoholische und nicht alkoholische Getränke konsumiert würden, was sich als „Paradefall“ eine wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nach § 22 BGB darstelle. Dass die Beschreibung des Vereinszwecks sin § 2 der Satzung idealisierend in die Nähe der Daseinsvorsorge rücke, ändere daran nichts.

Nur dann, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ein zulässiger, untergeordneter und lediglich ein Hilfsmittel zur Errichtung des nicht wirtschaftlichen Hauptzwecks darstellender Nebenzweck wäre (wie die Vereinsgaststätte eines Sportvereins) käme die Eintragung als Idealverein in Betracht.

Erfolgs sei der Verweis auf die Kita-Beschlüsse des BGH (16.05.2017 zu II ZB 7/16 und II TB 9/16), mit denen der BGH die entgeltliche wirtschaftliche Unternehmertätigkeit als zulässigen Nebenzweck vor dem als entscheidend eigestuften Hintergrund angesehen habe, dass der Verein steuerlich gemeinnützig iSv. §§ 51ff AO war; eine steuerliche Gemeinnützigkeit des Antragstellers läge nicht vor und bei einer Gast-/Schankwirtschaft auch nicht deren Anerkennung als gemeinnützig anzunehmen.

Der Umstand, dass die Satzung keine Ausschüttung der Gewinne an die Mitglieder vorsehe ließe eine Gleichstellung meinem als gemeinnützig aberkannten Verein nicht zu. Für die wirtschaftliche Betätigung sei die Verschaffung von vermögenswerten Vorteilen für den Verein ausreichend.

OLG Celle, Beschluss vom 06.10.2021 - 9 W 99/21 -

Samstag, 19. Februar 2022

Bindung des Testamentsvollstreckers an Beschränkungen des Vor- gegenüber dem Nacherben ?

Die Beteiligten waren testamentarische Erben. Nach dem Testament waren die Beteiligte zu 1. zu ½ und die Beteiligte zu 1. mit dem Beteiligten zu 2. zusammen in Erbengemeinschaft mit ½ zu Erben bestimmt. Der Beteiligte zu 2. war nur Vorerbe; Nacherbfolge sollte insoweit mit seinem Ableben eintreten und zu Nacherben wurden seien Abkömmlinge bestimmt. Ferner wurde Testamentsvollstreckung für die Vorerbschaft angeordnet und die Beteiligte zu 1. zur Testamentsvollstreckerin berufen. Am 12.02.2021 bewilligte die Beteiligte zu 1., auch in ihrer Eigenschaft als Testamentsvollstreckerin die Eintragung einer Auflassungsvormerkung mit Wirksamkeitsvermerkt beim Grundbuchamt. Dieser Antrag wurde vom Grundbuchamt zurückgewiesen, da es für den Wirksamkeitsvermerkt an einer Mitwirkung der Nacherben fehlen würde, für die gemäß § 1913 BGB ein Pfleger zu bestellen sei. Die dagegen von der Beteiligten zu 1. eingelegte Beschwerde war erfolgreich.

Das Kammergericht (KG), das zuständige Oberlandesgericht in Berlin, hielt fest, dass bei der Bestellung einer Vormerkung, die bei Eintritt der Nacherbfolge wirksam bleibe, verlangt werden könne, durch einen Vermerk klargestellt würde, dass der (hier auch) eingetragene Nacherbenvermerk gegenüber diesem Recht keine Unwirksamkeit iSv. § 2113 BGB anzeige. Dies sei vorliegend der Fall; die bewilligte Vormerkung sei auch gegenüber den Nacherben bei Eintritt des Nacherbfalls voll wirksam; die Verfügungsbefugnis der Beteiligten zu 1. Als Testamentsvollstreckerin ergebe sich aus § 2205 S. 2 und 3 BGB, die nicht den Beschränkungen des § 2113 Abs. 1 BGB (Grundstücksübertragungen) unterliegen würden.

Das Testament, aus dem sich die Erbfolge und Anordnung der Testamentsvollstreckung ergeben, müssten nicht der Form des § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 1, Abs. 2 Hs. 2 GBO. Sei ein Testamentsvollstreckerzeugnis (§ 2368 BGB) erteilt (wie hier), so könne die Verfügungsbefugnis und die sonstige Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers alleine durch dieses nachgewiesen werden. Das Grundbuchamt sei nicht zu einer eigenen, ergänzenden oder berichtigenden Auslegung des Testaments befugt.

Aus dem Testamentsvollstreckerzeugnis folge, dass die Beteiligte zu 1. Nicht gemäß § 2222 ernannt wurde, bis zum Eintritt der Nacherbfolge die Rechte des Nacherben auszuüben und dessen Pflichten wahrzunehmen. In dem Zeugnis seien die in § 354 Abs. 2 FamFG benannten Sonderfälle und Abweichungen gegenüber der gesetzlichen Grundregel (§§ 2203 – 2206 BGB) zu benennen. Die Nacherbenvollstreckung nach § 2222 BGB sei eine solche Sonderaufgabe, die nicht benannt worden sei.

Aus dem Testamentsvollstreckerzeugnis ergebe sich, dass die Beteiligte zu 1. nach § 2205 S. 1 Alt. 2 BGB befugt sei, über alle Nachlassgegenstände voll wirksam zu verfügen. Eine Abweichung von der gesetzlichen Verfügungsbefugnis ergebe sich nicht. Insbesondere sei die Beteiligte nicht als reine Vorerbenvollstreckerin eingesetzt worden, der nur die Rechte des (nicht befreiten) Vorerben wahrnehmen könnte und von den Beschränkungen des § 2113 Abs. 1 nicht befreit wäre.  Das Grundbuchamt habe davon auszugehen, dass im Testamentsvollstreckerzeugnis nicht benannte Verfügungsbeschränkungen nicht bestehen, § 2365 iVm. § 2368 S. 2 BGB.

Der Umstand, dass nach dem Zeugnis die für den Erbteil des Beteiligten zu 2. Angeordnete Dauervollstreckung gem. § 2209 BGB (mit oder nach dem Tod des Beteiligten zu 2. (§ 2010 GB) enden soll, begründe keine Abweichung. Der nur für die Vorerbschaft eingesetzte Testamentsvollstrecker sei nach Gesetz nicht an Beschränkungen gebunden, die den Vorerben gegenüber den Nacherben in §§ 2113, 2114 BGB auferlegt seien. Er könne mehr Rechte haben als der Vorerbe, da er sein Recht nicht aus dem Recht des Vorerben ableite. Er übe sein Amt gemäß dem letzten Willen des Erblassers aus.

§ 2222 BGB lasse auch keine Abweichung zu. Diese Sonderform diene dazu, den Vorerben im Interesse des Nacherben zu beaufsichtigen. Die Ernennung eines Nacherbenvollstreckers könne u.a. eine Pflegschaft für die unbekannten Nacherben ersetzen (§ 1913 BGB) und lasse das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung entfallen. Sie komme im Betracht, wenn der Erblasser im Übrigen keinen Testamentsvollstrecker bestelle.

Dass sich die Verfügungsbefugnis der Beteiligten zu 1. nur nach § 2205 S. 2 und 3 BGB richte würde allgemeiner Ansicht entsprechen, wonach eine Beschränkung nach § 2113 Abs. 1 BGB auch nicht greife, wenn der Testamentsvollstrecker auch für den Nacherben eingesetzt worden sei. Dies gelte nicht nur für den Fall, dass der Nacherbenvollstrecker währen der Vorerbschaft mit Wirkung für den Nacherben handeln könne, sondern auch dann, wenn eine gewöhnliche Testamentsvollstreckung angeordnet wurde, die für den Nacherben erst mit dem Eintritt der Nacherbfolge beginne. Die Zustimmung zur Veräußerung (ggf. nach § 2120 BGB) wäre während der Vorerbschaft zu erteilen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem nicht feststehen würde, ob auch die Nacherbschaft der Verwaltung des handelnden Testamentsvollstreckers unterliege. Auch das spreche dafür, dass der für die Vorerbschaft ernannte Testamentsvollstrecker in Ermangelung einer im Testamentsvollstreckerzeugnis anzugebenen Beschränkung auf das dem Vorerben zustehende Verfügungsrecht nach §§ 2112ff BGB unbeschränkt verfügungsbefugt nach §§ 2205 S. 2 und 3 BGB sei

KG, Beschluss vom 11.01.2022 - 1 W 252/21 -

Samstag, 12. Februar 2022

Voraussetzung für die Amtslöschung einer Gesellschaft im Handelsregister von Amts wegen, § 394 FamFG

Bei der Gesellschaft handelte es sich um eine Unternehmergesellschaft (UG gem. § 5a GmbHG, umgangssprachlich auch als „Mini-GmbH“ bezeichnet), die am 04.10.2019 im Handelsregister eingetragen wurde. Am 21.05.2021 erfolgte im Handelsregister der Vermerk: „Die vermögenslose Gesellschaft ist auf Grund des § 394 FamFG von Amts wegen gelöscht.“ Der Beschwerdeführer, eingetragener Geschäftsführer und Alleingesellschafter, legte dagegen Beschwerde ein und führte u.a. aus, die Gesellschaft sei nicht vermögenslos, sondern Aktionärin einer S. AG. Das Amtsgericht half dieser mit Beschluss vom 21.06.2021 nicht ab, verwies auf eine Nachtragsliquidation bei noch vorhandenen Vermögen, und legte die Beschwerde dem Kammergericht (KG) zur Entscheidung vor. Nach Hinweis des KG legte der Beschwerdeführer ferner Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 21.06.2021 ein, soweit ein Amtslöschungsverfahren abgelehnt worden sei.

Die gegen die Eintragung der Löschung wegen Vermögenslosigkeit eingelegte Beschwerde wurde als unzulässig verworfen. Bei der Eintragung handele es sich um eine Endentscheidung, die das amtswegige Verfahren abschließe. Die grundsätzliche Beschwerdefähigkeit nach § 58 Abs. 1 FamFG sei durch die gesetzliche Anordnung nach § 383 Abs. 3 FamFG ausgeschlossen. Ob mit der Erklärung des Beschwerdeführers nicht eine Löschung der Eintragung über die Löschung der Gesellschaft als vermögenslos gemeint sei, wovon in der Regel auszugehen sei (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 0.03.2016 - I-3 Wx 191/15 -, Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 10.04.2015 - 11 W 17/15 -) verneinte das KG, da die Erklärung notariell beglaubigt abgegeben worden sei, die von dem Notar als Registeranmeldung abgegeben und ausdrücklich nach § 378 Abs. 3 FamFG geprüft worden sei. Damit sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer über die Bedeutung informiert worden sei.

Erfolg habe aber die weitere Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Ablehnung eines Löschungsverfahrens nach § 395 Abs. 1 FamFG angriff. Sie sei nach § 58 Abs. 1 FamFG zulässig und in der Sache begründet.

Die Beschwerdebefugnis ergäbe sich daraus, dass der Beschwerdeführer unmittelbar in seinen Rechten als eingetragener Geschäftsführer der GmbH und auch als (alleiniger) Gesellschafter derselben beeinträchtigt sei. Da der Beschluss vom 21.06.2021 nicht zugestellt worden sei, sei die Beschwerde auch nicht verfristet. Auch der Beschwerdewert nach § 61 Abs. 1 FamFG (€ 600,00) sei erreicht, auch wenn die Gesellschaft nur ein Stammkapital von € 500,00 habe, da nach dem zugrunde zu legenden Vortrag des Beschwerdeführers der Wert der gehaltenen Aktien wesentlich höher sei.

Die Eintragung der Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit sei wegen eines wesentlichen Mangels unzulässig, weshalb die Voraussetzungen für die Durchführung eines Löschungsverfahrens nach § 395 Abs. 1 FamFG vorlägen.

Löschungen seien Eintragungen und unterlägen § 395 FamFG. Alleine das nachträglich bekannt gewordene Vorhandensein von Vermögen rechtfertige allerdings eine Löschung der Eintragung nach § 394 FamFG nicht. Insoweit sei – wie das Amtsgericht bereits ausführte – eine weitere Abwicklung durch eine Nachtragsliquidation durchzuführen (vgl. z.B. § 66 Abs. 5 GmbHG).

Offenbleiben könne, on eine Löschung der Löschung bereits dann zu erfolgen habe, wenn das Registergericht bei der Ermittlung der Vermögenslosigkeit Verfahrensfehler begangen habe (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.06..2017 - I-3 Wx 35/17 -), beispielhaft die Vermögensverhältnisse gar nicht geprüft hat, könne dahinstehen. Die Löschung sei wegen eines wesentlichen Mangels unzulässig, wenn es nicht nur an einer Vermögenslosigkeit fehlte, sondern darüber hinaus eine noch werbend tätige Gesellschaft betreffe.

Nach der Darlegung des KG habe die Gesellschaft über 9,43% der Aktien der S AG verfügt. Das Eigenkapital der Gesellschaft decke nach der vorgelegten Bilanz nicht den Fehlbetrag. Der Beschwerdeführer habe aber nicht nur dargelegt, dass es sich bei dem Unternehmen um ein Start-up-Unternehmen handele, dass sich in ihrem Bereich einen Namen mache, sondern durch Vorlage von Unterlagen vorgetragen, dass die Gesellschaft über eine aktuelle Finanzierungszusage der Investitionsbank Berlin verfüge. Die IHK habe mitgeteilt, dass sie keine Informationen über eine Vermögenslosigkeit der Gesellschaft habe. Die Nachforschungen des Amtsgerichts beim Finanzamt seien nicht weiterführend, da die Gesellschaft dort bisher keine Bilanzen eingereicht habe. Auch soweit nicht die vom Amtsgericht angeforderten Unterlagen vorgelegt worden seien, könne sich darauf die Annahme der Vermögenslosigkeit nicht beziehen. Es seien alle Tatsachen heranzuziehen, Beweismittelbeschränkungen seien nicht vorgesehen.

Zudem sei die Gesellschaft als werbend tätig anzusehen. Sie sei im Bereich des Erwerbs, der Verwaltung und Veräußerungen von Beteiligungen und anderen Vermögenswerten tätig. Derartige Beteiligungen halte sie an der A. AG. Diese Betätigung als Investor bedeute auch, dass sie nicht zwingend einen Geschäftsrum unterhalten müsse, weshalb ihre zeitweise Nichterreichbarkeit nicht den Schluss auf eine Unternehmenshülle zulasse.  

Damit sei die Sache nach § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG an das Amtsgericht zur Durchführung des Amtslöschungsverfahrens zurückzuverweisen. Dieses habe bei seiner notwendigen Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, dass die Eintragung zu Unrecht erfolgt war und die Gesellschaft daher wegen Wegfalls ihres Vertretungsorgans handlungsunfähig sei; die Ausübung der Aktionärsrechte bei der A AG sei für sie nicht möglich, was für sie und dem Gesellschafter nachteilig sein könne.

KG, Beschluss vom 04.10.2021 - 22 W 63/21 -

Freitag, 11. Februar 2022

Betriebskosten: Gewährung der Einsichtnahme in Originalbelege oder Kopie / Scan ?

Streitbefangen war (noch) das im Rahmen einer Widerklage geltend gemachte Verlangen der Beklagten als Mieter einer Wohnung in die den Betriebskostenabrechnungen 2017 – 2019 zugrunde liegenden Originalbelege. Statt Einsicht zu gewähren, sandte die Vermieterin (Klägerin) ihn lediglich Belegkopien. Das Amtsgericht hatte der Widerklage stattgegeben; auf die Berufung der Klägerin hob das Landgericht das Urteil auf und wies die Klage ab. Mit der zugelassenen Revision begehrten die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Der BGH wies darauf hin, dass die Abrechnung nach § 556 Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 BGB dazu diene, die im Abrechnungsjahr erfassten Betriebskosten zusammenzustellen und unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen auf die Mieter zu verteilen. Nach § 259 Abs. 1 Halbs. 1 BGB habe die Abrechnung eine aus sich selbst heraus verständliche Zusammenstellung der im Abrechnungsjahr zu den umzulegenden Betriebskosten getätigten Einnahmen und Ausgaben zu enthalten, um so dem Mieter die Möglichkeit zu geben, die zu verteilenden Kostenpositionen zu erkennen und den auf ihn entfallenden Anteil an diesen gedanklich und rechnerisch nachzuprüfen. Dementsprechend gehöre die Gewährung einer begehrten Einsichtnahme in die Abrechnungsunterlagen nach § 259 Abs. 1 Halbs. 2 BGB zur ordnungsgemäßen Abrechnung, soweit dies zur sachgerechten Überprüfung der Abrechnung oder zur Vorbereitung etwaiger Einwendungen erforderlich sei.

Bereits aus dem Wortlaut des § 259 Abs. 1 Halbs. 2 BGB folge das Einsichtsrecht in Originalbelege. Dabei könnten Originalbelege unter Umständen nicht nur solche in Papierform sein; dazu gehören auch Belege in digitaler Form, wenn der Vermieter solche von seinen Dienstleistern übermittelt erhielt. Kopien, die der Vermieter gefertigt habe, würden aber nicht den Originalbelegen gleichzusetzen sein. Entsprechendes würde auch für preisgebundenen Wohnraum deutlich, bei dem in § 28 Abs. 2 S. 1 NMV 1970 zwischen „Berechnungsunterlagen“ und „Ablichtungen davon“ unterschieden würde. Zudem seien zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Verwaltung, über die Rechenschaft abzulegen sei, in erster Linien Originalunterlagen uneingeschränkt geeignet, auch wenn diese durch Kopien ersetzbar wären.

Damit bestünde grundsätzlich ein Anspruch auf Einsicht in die Originalunterlagen. Dies sei nicht davon abhängig, ob dies allgemein oder zu bestimmten Belegen üblich sei.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts müsse der Mieter auch kein besonderes Interesse an der Einsicht in Originalbelege dartun. Schon allgemein für das Einsichtsrecht müsse der Mieter kein besonderes Interesse darlegen. Es würde das allgemeine Interesse genügen, den Vermieter zu kontrollieren. Daraus ergäbe sich, dass auch kein besonderes Interesse an der Einsicht in Originalbelege dargetan werden müsse. Also müsse er auch – wenn ihm wie hier Kopien überlassen worden seien – keinen begründeten Verdacht aufzeigen, dass Kopien manipuliert seien oder Unstimmigkeiten aufweisen würden.

Dem begehren auf Einsicht in Originalunterlagen statt Kopien könne nur das (vom Vermieter dann darzulegende und zu beweisende) Schikaneverbot entgegenstehen. Dazu sei aber erforderlich, dass vom Vermieter aufgezeigt würde, dass das Begehren nur erfolge, um den Vermieter zu schaden, also kein schutzwürdiges Eigeninteresse des Mieters zugrunde liegen würde oder das recht nur geltend gemacht würde, um eine anders, vertragsfremdes oder unlauteres Ziel zu erreichen. Dafür sei nichts ersichtlich.

Letztlich prüfte der BGH, ob § 242 BGB (Treu und Glauben) dem Begehren der Mieter auf Einsicht in Originalbelege entgegen stehen könne. Dabei verwies er darauf, dass der Senat einen Anspruch des Mieters auf Überlassung von Kopien statt Einsichtnahme in die Originalbelege vor Ort dann bejahe, wenn dem Mieter die Einsichtnahme vor Ort nicht zumutbar sei (z.B. wegen der Entfernung). Mithin könne sich nach Treu und Glauben das Recht zur Einsichtnahme auch auf die Zurverfügungstellung von Kopien oder Scans beschränken. Habe der Vermieter durch seine Dienstleister Belge nur in digitaler Form erhalten, könne ein derartiger Ausnahmefall vorliegen. Nach den Umständen des Einzelfalls könnten auch andere, vom Tatrichter zu würdigende Umstände in Betracht kommen, die allerdings hier nicht vorlägen. Der BGH beließ damit ein breites Spektrum für möglicherweis phantasievolle Überlegungen eines solchen Ausnahmefalls. Ein solcher sollte nach Auffassung der Klägerin vorliegen, da die Belge vernichtet worden seien und damit eine Unmöglichkeit nah § 275 Abs. 1 BGB vorläge. Der BGH verwies für diesen Fall auf die dem Vermieter obliegende Beweislast für eine solche Behauptung, wie auch darauf, dass nach den (nicht mit Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffenen) Feststellungen des Berufungsgerichts eine Vernichtung nicht vorläge.; von daher musste er sich nicht mit den Konsequenzen einer eventuellen Unmöglichkeit auseinandersetzen, weder in Bezug auf das Einsichtsrecht noch im Hinblick aus den daraus zu ziehenden Folgen für die Abrechnung und  die wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dieser.

Anm.: In der Sache hat sich der BGH nicht mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen die Unmöglichkeit der Einsichtsgewährung in Originalbelege infolge einer Vernichtung keine Auswirkung auf die Abrechnung selbst hat, also insbesondere auch nicht damit, ob bei einer schuldhaften Nichtgewährung der Einsicht durch den Vermieter (z.B. wegen Verrichtung durch ihn) die Vorauszahlungen zurückverlangen kann. Dies wäre an sich die Konsequenz: Soll mit der Prüfung dem Mieter ermöglicht werden, die Richtigkeit der Abrechnung zu prüfen, mithin auch die in derselben dargestellten Ansätze mit den Belegen vergleichen können, und kann dafür grundsätzlich nicht auf Kopien verwiesen werden, so muss bei schuldhaft bedingter Unmöglichkeit der Vorlage die Abrechnung als nicht erteilt angesehen werden mit dem Anspruch auf Rückerstattung der Vorauszahlungen.

Danach war die Klage auf Einsichtnahme in die Originalbelege als Teil der geschuldeten Abrechnung der Betriebskosten im Revisionsverfahren erfolgreich.

BGH, Urteil vom 15.12.2021 - VIII ZR 66/20 -

Donnerstag, 10. Februar 2022

Anwaltliche Pflichten bei Vergleichsabschluss und Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs

Der Versicherungsnehmer der Klägerin, einer privaten Krankenversicherung, nahm eine Ärztin in einem Arzthaftungsprozess wegen eines angeblichen Aufklärungsfehlers in Anspruch. Die Beklagten hatten ihn anwaltlich vertreten. Ihm wurde ein Schmerzensgeld von € 200.000,00 zugesprochen und die Klage im Übrigen festgestellt, dass alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden von der Ärztin zu tragen sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen. Nach Rechtskraft schlossen die Ärztin und der Versicherungsnehmer einen Vergleich, nach dem die Ärztin dem Versicherungsnehmer zur Abgeltung Ansprüche, aller ob bekannt oder unbekannt pp., mit Ausnahme von übergegangenen Ansprüchen auf Dritte, gegen Zahlung von € 580.000,00 erledigt sind.

Die Klägerin macht geltend, sie habe nach Vergleichsschluss Aufwendungen für Behandlungskosten des Versicherungsnehmers gehabt, die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs nicht von der Ärztin ersetzt verlangen könne. Es sei von den Beklagten verabsäumt worden, einen Vorbehalt für künftig übergehende Forderungen zu machen. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab ihr das OLG statt. Auf die Revision wurde das Urteil des OLG aufheben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.

Vom Grundsatz her bejaht der BGH eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten bei deren Vertretung des Versicherungsnehmers. Doch sei dadurch kein Schaden verursacht worden. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den Vergleich abgegolten worden, sei verfehlt.

Der Wortlaut des Vergleichs beziehe sich auf alle Ansprüche des Versicherungsnehmers, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen seien, abgegolten und erledigt, ob bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell. Er beziehe sich auf Ansprüche des Versicherungsnehmers, die diesem zustünden und nicht auf Ditte übergangen seien. Erfasst würden auch Ansprüche des Versicherungsnehmers, die zukünftig auf Dritte übergehen würden. Auch seien Aufwendungen des Versicherungsnehmers für Heilbehandlungskosten erfasst, die kausal dem Versicherungsnehmer entstanden seien und nicht auf Dritte übergegangen seien oder noch entstehen würden.

Hier setzte die Überlegung des BGH für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit an:

Es ergäben sich Zweifel an einem solche weitreichenden Regelungsinhalt des Vergleich, da der Versicherungsnehmer selbst keine Behandlungskosten mit der Klage geltend gemacht habe, lediglich Zuzahlungen, die nicht von der Klägerin erstattet wurden. Sinn und Zweck des Vergleichs sei die Beendigung des Rechtstreits gewesen, weshalb sich eine Auslegungsbedürftigkeit des nach dem Wortlaut umfassenden Vergleichs.

Es sei zudem zu berücksichtigen, dass nach dem erstinstanzlichen Grund- und Teilurteil eine Verpflichtung der Ärztin festgestellt wurde, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien oder übergehen würden, demgegenüber im Vergleich die Ansprüche ausgenommen wurden, die auf Dritte übergegangen seien.

Da die Reichweite der Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert sei, begründe die Verletzung der dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegenden Pflicht des Beklagten zur Gewährleistung eines unmissverständlichen Vergleichsabschlusses. Er habe die Aufgabe gehabt, Auslegungszweifel und damit Rechtstreitigkeiten zu vermeiden. Dieses Auslegungsrisiko habe sich hier verwirklicht. Der Beklagte habe berücksichtigen müssen, dass ein Forderungsübergang auf den privaten Krankenversicherer nach § 67 VVG a.F. (heute: § 86 VVG) nicht beeinträchtigt wird, da nach § 11 der Musterbedingungen für die private Krankenversicherung der Versicherungsnehmer verpflichtet sei, Ansprüche gegen Dritte an den Versicherer abzutreten; diese Verpflichtung des Vertretenen Versicherungsnehmers habe er beachten und wahren müssen. (Anm.: Dies hat nichts damit zu tun, dass der Versicherungsnehmer vor einem Schadensfall für den Fall eines solchen den potentiellen Schädiger von einer Haftung im zulässigen Umfang von einer Haftung befreien kann und damit auch Ansprüche des [privaten sowie gesetzlichen] Krankenversicherers aus übergegangenen Recht nicht geltend gemacht werden können). 

Allerdings sei der Klägerin kein Schaden entstanden, da nach der Auslegung des Vergleichs deren Ansprüche nicht tangiert worden seien. 

Vorliegend sei die Auslegung des OLG, nach dem eindeutigen Wortlaut des Vergleichs sei auch auf Ansprüche verzichtet worden, soweit sie nicht bereits auf Dritte übergegangen seien, nicht wortsinnwidrig, berücksichtige aber nicht hinreichend den festgestellten Sachverhalt und den übereinstimmenden Willen der Parteien und verstoße auch gegen das Gebot der nach beiden Seiten interessensgerechten Auslegung.

Heilbehandlungskosten, mit Ausnahme der Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, seien nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen. Nach der Rechtskraft des Grund- und Teilurteils habe der Versicherungsnehmer seinen Schaden mit rund € 660.000,00 beziffert, ohne Heilbehandlungskosten zu berücksichtigen. Danach wurde der Vergleich geschlossen. Es läge unter diesen Umständen fern, dass auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten. Zwar gebe es, wie das OLG zutreffend ausgeführt habe, keinen Erfahrungssatz noch eine Vermutung, dass sich ein Vergleich immer im Rahmen der streitgegenständlichen Ansprüche halte. Der Regelungsinhalt könne individuell gestaltet werden. Aber es gäbe auch keinen Erfahrungssatz oder eine Vermutung, dass mit einem Vergleich immer alle denkbaren Ansprüche abschließend geregelt werden sollen. 

Das OLG habe den Regelungswillen der Parteien des Arzthaftungsprozesses verkannt. Sowohl Klageantrag als auch Urteilstenor im Vorprozess hätten Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger übergehen würden, ausgenommen worden seien. Es habe festgestellt, dass die Parteien des Arzthaftungsprozesses darin übereinstimmen würden, dass über den Wortlaut hinaus auch Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf die Klägerin als private Krankenversicherung zukünftig übergehen würden. Dass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs ein hiervon abweichendes Verständnis gehabt haben sollten sei vom OLG nicht festgestellt worden.  Bestehe ein übereinstimmender Wille, sei es auch im Rahmen des § 133 BGB dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Das Gewollte habe Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (BGH, Urteil vom 07.12.2001 – V ZR 65/01 -).

Zudem habe das OLG die Interessenslage nicht hinreichend berücksichtigt. Diese fordere, dass im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führe. Hier habe das OLG lediglich das Interesse des Schädigers, alle Ansprüche abzugelten, berücksichtigt. Somit wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Versicherungsnehmer mit Abschluss des Vergleichs nicht über die rechtshängig gemachten Ansprüche hinausgehen wollte, wie sie auch vom OLG selbst festgehalten worden seien. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber seinem privaten Krankenversicherer habe verletzen wollen. Da nach den Feststellungen des OLG mit dem Feststellungsantrag und dem Teil- und Grundurteil in dem Arthaftungsprozess jeweils ein Vorbehalt aufgenommen war, der nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auch die die künftig auf den privaten Krankenversicherer übergehenden Ansprüche ausnehmen sollte, wäre vom Versicherungsnehmer mit dem Vergleich nicht beabsichtigt worden, die auszunehmenden Ansprüche der Abgeltungsregelung dem Vergleich zu unterwerfen.

BGH, Urteil vom 16.12.2021 - IX ZR 223/20 -