Samstag, 13. Februar 2021

Haftung des Landes bei Riss von Schafen durch einen Wolf ?

 

Die Kläger, Schafhalter und -züchter, machten gegen das Land Schleswig-Holstein Ansprüche wegen Verlustes von 12 Schaden geltend, der durch mehrere Angriffe eines Wolfs auf deren Schafherde im Zeitraum 25.10 bis 16.11.2018 entstand. Es kam zu Verhandlungen über die Art der Einzäunung bzw. des Zaunmaterials und schließlich zur Errichtung (zusammen mit Mitarbeitern des Landes) mit elektrischen Weidezäunen gesicherten Nachtpferches. Es wurde festgestellt, dass für die Risse der Wolf GW924 verantwortlich war. Nachdem dieser in der Folge bei einem anderen Halter einen als wolfssicher eingestuften Zaun überwand, wurde vom Land im Januar 2019 die Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG zur Tötung des Wolfes erteilt. Er wurde im Januar 2020 überfahren.

Die Kläger behaupteten, durch die Wolfsangriffe sei es zum Verlammen (Abort) bei 140 trächtigen Schafen gekommen. Dafür begehren sie Schadensersatz und weiterhin Feststellung, dass das Land zum Ersatz von Schäden durch Wolfsangriffe verpflichtet sei. Die Klage wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Das OLG erließ einen Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO, demzufolge es beabsichtige, die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (was dann auch in der Folge mit Beschluss vom  03.11.2020 erfolgte.

Wie das Landgericht negierte das OLG einen Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB iVm. Art. 34 GG wegen Amtspflichtverletzung durch das Land. Es gäbe keine gesetzliche Grundlage für eine Verpflichtung, eine Anwesenheit von Wölfen in Schafzuchtgebieten in Schleswig-.Holstein zu verhindern. In Betracht käme nur eine Genehmigung zum Töten von Wölfen auf der Grundlage des § 45 Abs. 7 Nr. 1 BNatSchG als Ausnahme vom hier einschlägigen Tötungsverbot für besonderes geschützte Arten nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Diese Ausnahme greife in Einzelfällen, um ernste landwirtschaftliche Schäden abzuwenden. Eine entsprechende Genehmigung habe das Land nicht pflichtwidrig unterlassen, sondern erteilt.

Ob eine Genehmigung erteilt wird läge im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Zwar hätten die Kläger einen Anspruch auf richtige Ermessensausübung. Diesen sah das OLG hier aber als gegeben an. Die Abschussgenehmigung sie erteilt worden, nachdem der Wolf eine als wolfssicher geltende Schutzmaßnahme überwunden habe. Erst damit fehlten ersichtlich geeignete Maßnahmen, um landwirtschaftliche Schäden durch dieses Tier abzuwenden. Mithin habe auch erst zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzung für die Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG vorgelegen. Das OLG weist (wohl hilfsweise) darauf hin, dass hier eine frühere Genehmigung auch nicht nachweislich geholfen hätte, da selbst nach der Genehmigung eine Tötung des Wolfes nicht gelungen sei.

Ferner würde auch kein Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Enteignung oder des enteignungsgleichen Eingriffs bestehen, da ein solcher seitens des Landes nicht vorgelegen habe. Nicht ein Handeln des Landes habe zu den behaupteten Schäden geführt. Ein positives Handeln sei aber für einen Eingriff im enteignungsrechtlichen Sinne erforderlich; nicht ausreichend sei ein reines Unterlassen und Untätigbleiben. Hier habe das Land nicht getan, um die Wolfspopulation im Land zu fördern. Ferner wäre erforderlich, dass das Land unmittelbar in das Eigentum eingreift, was hier auch nicht erfolgt sei.

Ebenfalls wäre auch kein Anspruch aus dem Gesichtspunkt gegeben, dass das Eigentum und die Berufsfreiheit der Kläger zu schützen sei. Diesem Schutz sei das Land durch die Leitlinien zur Gewährung von Billigkeitsleistungen im Artenschutz mit den Verwaltungsvorschriften zur Entschädigung von Landwirten für Wolfsangriffe und der Unterstützung bei der Schaffung von Schutzmaßnahmen entsprochen. Aber auch wenn man davon ausgehen wollte, dass eine Schutzpflichtverletzung bestünde, würde dies mangels einer entsprechenden gesetzlichen Norm nicht eine Entschädigungs- oder Ausgleichsanspruch begründen können. Derartiges könne nicht durch Richterrecht eingeräumt werden (BGH, Urteil vom 10.12.1987 - III ZR 220/86 -).

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom 24.09.2020 - 11 U 61/20 -

Freitag, 12. Februar 2021

Unterlassungsanspruch des Nachbarn bei baurechtswidrigem Offenstall

 

Die Beklagte hatte auf ihrem Grundstück mit einer Entfernung von ca. 12m zum Wohnhaus der klagenden Nachbarin. Die von der Beklagten gegründete UG betrieb auf dem Grundstück eine Reitschule. Ein Antrag der Beklagten auf Baugenehmigung wurde im Verwaltungsverfahren als auch im nachfolgenden Klageverfahren abgewiesen. Das Verwaltungsgericht sah in dem Offenstall eine fehlende Rücksichtnahme auf die Interessen der beigeladenen Klägerin, und zwar wegen der Entfernung von ca. 12m zu den Ruheräumen der Klägerin und da die Boxen mit Auslauf zum Wohnhaus der Klägern ausgerichtet seien. Dies wirke auf das benachbarte Wohngrundstück belastend. Das Landgericht verurteilte auf die Klage der Klägerin die Beklagte auf Unterlassung der Pferdehaltung in dem Offenstall. Das OLG sah die Problematik in der Lärmverursachung und beschränkte die Verurteilung auf die Einhaltung der jeweiligen TA Lärm.  Dieser Entscheidung folgte der BGH auf die vom OLG zugelassene Revision hin nicht.

Die Beschränkung übergehe den Umstand, dass der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. § 906 BGB darauf gerichtet sei, die konkrete Lärmbeeinträchtigung zu unterlassen, bzw. auf ein Ma0 zurückzuführen, welches nicht mehr als wesentliche Beeinträchtigung anzusehen sei. Allerdings würde sich daraus auch noch kein Anspruch auf Unterlassen der Pferdehaltung in dem Offenstall ergeben. Vorliegend sei dieser Anspruch, dass die Beklagte die Haltung ihrer Pferde auf ihrem Grundstück unterlässt, aber aus § 1004 Abs. 1 S. 1 analog iVm. § 823 Abs. 2 BGB und dem öffentlich-rechtlichen Gebot der Rücksichtnahme begründet.

Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts würden einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des Nachbarn begründen. Zu diesen Normen würde das Gebot der Rücksichtnahme zählen, wie es z.B. seine Ausprägung in den Normen des § 34 Abs. 1 BauGB (des „Einfügens“) oder des § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB (der „schädlichen Umwelteinwirkungen“) gefunden habe. Im Falle eines solchen Verstoßes bedürfe es für den Unterlassungsanspruch keiner weitergehenden Beeinträchtigung des Nachbarn. Schutzgesetze iSd. § 823 Abs. 2 BGB würden den Schutz des Nachbarn vorverlagern und nicht an einen Verletzungserfolg anknüpfen.

Die bestandskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Versagung der Baugenehmigung habe auch Bindungswirkung für den Rechtsstreit der Klägerin gegen die beklagte zur Frage, ob gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen wurde. Damit sei dies im Zivilverfahren nicht gesondert zu prüfen. Das Urteil binde nach § 121 Nr. 1 VwGO die beteiligten, zu denen nach § 63 Nr. 3 VwGO auch Beigeladene (hier die Klägerin) zähle. Die materielle Rechtskraft binde auch andere Gerichte, mithin auch die Zivilgerichte. Nach den mit der Entscheidung in Rechtskraft erwachsenen tragenden Gründen derselben stünde die materielle Baurechtswidrigkeit des Offenstalls fest.

BGH, Urteil vom 27.11.2020 - V ZR 121/19 -

Dienstag, 9. Februar 2021

Erfasst vereinbarte Umsatzsteuer auf (Gewerberaum-) Miete auch die Nebenkosten ?

Im Gewerberaummietvertrag der Parteien wurde der Mietzins mit € 10.500,00 „zzgl. der jeweils gültigen Umsatzsteuer“ vereinbart. Weiterhin wurde vereinbart, dass die Mieterin (Beklagte die öffentlichen und privaten Lasten des Grundbesitzes, so u.a. Grundsteuer, Versicherungsprämien zu tragen hat. Für 2018 erteilte die Klägerin eine Nebenkostenabrechnung über Grundbesitzabgaben und Versicherungsprämien zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer von 19%. Das Amtsgericht wies die Klage ab, soweit die Klägerin Umsatzsteuer begehrte. Das Landgericht gab der Berufung der Klägerin statt und erkannte ihr auch die geltend gemachte Umsatzsteuer zu. Die zugelassene Revision der Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen.

Betriebskosten seien Bestandteil der Miete. Die von dem Mieter zu erbringenden Leistungsentgelte (Grundmiete und Nebenkosten) seien die Gegenleistung für die von dem Vermieter zu erbringende Gesamtleistung. Es könne auch vereinbart werden, dass der Mieter und Nebenkosten Umsatzsteuer auf die zu zahlende Miete übernimmt. Das Landgericht habe den Vertrag nach §§ 133, 157 BGB so ausgelegt, dass die Beklagte die Umsatzsteuer sowohl auf die Grundmiete wie auch die Betriebskosten, auch in Form von Grundbesitzabgaben und Versicherungsprämien, zu tragen habe. Diese Auslegung sei rechtsfehlerfrei vorgenommen worden.

Die Klägerin habe vorliegend gem. § 9 UstG zur Umsatzsteuer im Rahmen der Vermietung optiert. Damit sei die Umsatzsteuer auf den gesamten Umsatz entstanden, mithin auf Grundmiete und Nebenkosten (OFD Köln, DB 1985, 2227). Der Umstand, dass auf Versicherungsbeiträge bereits Versicherungssteuer erhoben würde, stünde einer Umsatzsteuerpflicht nach § 10 Abs. 2 S. 2 Hs.1 UStG nicht entgegen. Versicherungssteuer sei keine Umsatzsteuer iSd. Umsatzsteuergesetzes (BFH, Beschluss vom 23.11.2010 - V B 119/09 -). Die Steuerpflicht entfalle nicht anteilig insoweit, als einzelne Nebenkosten nicht mit Vorsteuer belastet seien (OFD Köln aaO.). Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Bestandteile des Umsatzes einschl. derer, die die wirtschaftliche Grundlage des Vertragsabschlusses bilden würden, derart eng miteinander verbunden seien, dass sie objektiv eine einzige wirtschaftliche Leistung bilden würden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.

Es würde sich auch bei den Positionen Grundbesitzabgaben und Versicherungsbeiträge nicht um solche handeln, die eine umsatzsteuerrechtliche Sonderrolle einnehmen würden und als „durchlaufende Posten“ nicht zum Entgelt gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 UstG gehören würden. Dies könne nur angenommen werden, wenn der Unternehmer (hier Vermieter) nur als Mittelsperson fungieren würde, ohne selbst Anspruch auf den Betrag gegen den Leistenden (hier Mieter) zu haben und auch selbst nicht zur Zahlung an den Empfänger verpflichtet zu sein. Daran ermangele es hier, da in der direkten Leistungsbeziehung nicht die Mieterin, sondern die Vermieterin verpflichtet sei.

Der Beklagten sie die Umsatzsteueroption der Klägerin bekannt gewesen, was schon aus der Vereinbarung ersichtlich sei, dass die Miete „zuzüglich der jeweils gültigen Umsatzsteuer“ vereinbart worden sei. Damit aber se der Beklagten auch bewusst gewesen, dass sie eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erhält (vgl. § 14 UstG) und den Vorsteuerabzug nutzen könne. In Ansehung der Einheitlichkeit der Leistungsentgelte Grundmiete und Nebenkosten würde damit feststehen, dass die Klägerin auch auf die Umlage der Grundbesitzabgaben und Versicherungskosten Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen habe und damit in ihren Rechnungen auszuweisen habe. diese an das Finanzamt abzuführen habe.

Würde man den Vertrag so auslegen, dass auf die Nebenkosten keine Umsatzsteuer geltend gemacht werden kann, würde dies für die Klägerin als Vermieterin einen ersichtlich nicht gewollten Verlust darstellen, da sie dann nur die Nettobeträge erhalten würde, davon aber an das Finanzamt Umsatzsteuer abführen müsse (zudem dies gegenüber der Mieterin zum Zwecke des Vorsteuerabzugs auch ausweisen müsse).

BGH, Urteil vom 30.09.2020 - XII ZR 6/20 -

Samstag, 6. Februar 2021

Obligatorische Angabe „Herr“ oder „Frau“ im Internetbestellformular rechtfertigt Unterlassungsbegehren

 

Die Entscheidung ist schon deshalb interessant, da nicht von dem Kläger oder der Klägerin und auch nicht von der Beklagten oder dem Beklagten gesprochen wird, sondern von der beklagten Person bzw. der klagenden Person. Die geschlechtsneutrale Formulierung hängt mit dem Sachverhalt und dem Begehren der „klagenden Person“ zusammen. Diese wollte via Internet bei der Beklagten Person etwas kaufen und musste dort bei dem Bestellvorgang expressis verbis zwischen den Anredeformen „Herr“ und „Frau“ wählen. Gleiches war der Fall bei der Registrierung; ohne die entsprechende Angabe wurde weder der Bestellvorgang noch die Registrierung fortgesetzt. Daraufhin begehrte sich zum Einen Unterlassung und zum Anderen eine Geldentschädigung in Höhe von € 5.000,00. Während der Anspruch auf Geldentschädigung abgewiesen wurde, war der Unterlassungsantrag erfolgreich.

Das Landgericht (LG) negierte einen Verstoß gegen § 21 AGG (Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes [AGG]). Eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, 2 AGG liege wegen eines fehlenden Bezuges zur vertraglichen Leistung nicht vor. Von daher scheide auch eine Geldentschädigung auf der Grundlage von § 21 Abs. 2 S. 2 AGG aus.

Der Unterlassungsanspruch sei aber nach § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB begründet. Zu den geschützten Rechtspositionen würde nach § 823 Abs. 1 BGB auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gehören. Dieses würde auch die geschlechtliche Identität umfassen (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017 - 1 BvR 2019/17 -). Die Anreden „Herr“ und „Frau“ würden jeweils dem männlichen bzw. weiblichen Geschlecht zugeschrieben. Wenn wie hier die klagende Person gezwungen würde, eine dieser Anreden zu wählen, was aber nicht der Identität der klagenden Person entspräche. Die beklagte Person habe darauf auch keinen Anspruch, da dies für die von ihr zu erbringenden Dienstleistungen (wie sie selbst einräumte) völlig irrelevant sei. Eine individuelle Entscheidung eines Menschen zu seiner Geschlechtsidentität sei zu respektieren (BVerfG, Beschluss vom 15.08.1996 - 2 BvR 1833/95 -). Die Geschlechtsidentität würde auch über die Anrede zum Ausdruck kommen. Wenn eine Änderung des Namens nach dem Transsexuellengesetz bereits geändert wurde, sei dies zu berücksichtigen. Allerdings ei dies nicht nur auf diesen Fall begrenzt. Die Anrede sei nach dem Selbstverständnis der betroffenen Person zu ihrer selbstempfundenen Geschlechtszugehörigkeit auszurichten. Die Entscheidung des BGH vom13.03.2018 - VI ZR 143/17 - würde dem nicht entgegenstehen, da sich dort der BGH auf Vordrucke und Formulare beschränkte und festhielt, dass kein Anspruch bestünde, dort mit den generischen Maskulinum angesprochen zu werden; hier würde es um die Anrede einer bestimmten Person in konkret an diese gerichtete Erklärungen gehen. Der Umstand, dass es noch keine Anredeform für Personen aus dem heterogenen Kreis der Personen nicht nicht-binärer Geschlechtsidentität gäbe, sei nicht entscheidend.

Allerdings würde sich aus § 823 BGB kein Anspruch auf Entschädigung ableiten lassen. Eine Geldentschädigung könne nur verlangt werden, wenn die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen schwerwiegenden Eingriff bedeuten würde und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden könne. Auch wenn hier bei der Rechnung die Anrede „Herr“ erfolgte, sei zu berücksichtigen, dass dieses Schreiben nur an die klagende Person gerichtet worden sei und der beklagten Person keine Böswilligkeit zur Last gelegt werden könne.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.12.2020 - 2-13 O 131/20 -

Mittwoch, 3. Februar 2021

Urteilstenor „früherer Zustand wieder herzustellen“ nicht vollstreckungsfähig

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass ein Antrag bei Gericht einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. Was hilft es dem Kläger, wenn er obsiegt, dann aber den erwirkten Titel nicht durchsetzen kann, da es an dem vollstreckungsfähigen Inhalt ermangelt. Unabhängig davon, dass an sich das Gericht bei fehlender Vollstreckbarkeit eines begehrten Titels darauf hinweisen muss und die Klage im Hinblick auf ein deshalb zu negierendes Rechtschutzbedürfnis abzuweisen hätte, kommt es immer wieder vor, dass der erkennende Richter auf diesen Umstand nicht achtet. 

So auch in dem vom LG Frankfurt am Main zu beurteilenden Fall. Der Gläubiger hatte gegen den Schuldner ein Versäumnisurteil erwirkt, demzufolge der Schuldner „den Anbau/Überbau im Bereich des Gemeinschaftseigentums … zu beseitigen/zurückzubauen und den früheren Zustand wieder herzustellen“ habe. Das Versäumnisurteil wurde rechtskräftig, der Schuldner aber nicht tätig. Nunmehr wollte der Gläubiger im Rahmen der Ersatzvornahme vorgehen und beantragte die Festsetzung eines Kostenvorschusses in Höhe von € 25.000,00, dem das Amtsgericht stattgab. Der dagegen vom Schuldner eingelegten Beschwerde gab das Landgericht (zutreffend) statt.

Zwar ergibt sich ein Anspruch auf Ersatzvornahme in Fällen, in denen der Schuldner zu einer „vertretbaren Handlung“ (§ 887 ZPO), also einer Handlung, die auch durch einen Dritten durchgeführt werden kann, verurteilt wird. Allerdings sah sich hier das Landgericht veranlasst, den Antrag auf die Beschwerde des Schuldners hin zurückzuweisen, da Grundlage nur ein vollstreckungsfähiger Titel sein kann (§ 704 ZPO). Um festzustellen, ob der Titel vollstreckungsfähig ist kann neben dem Tenor auch zur Auslegung des Versäumnisurteils auf die Klageschrift zurückgegriffen werden und das Prozessgericht könne, so das Landgericht, als Vollstreckungsgericht sein Wissen auch aus dem Erkenntnisverfahren mit heranziehen. Verblieben allerdings dann immer noch Unklarheiten im Titel, mit dem dem unbestimmten Antrag gefolgt worden sei, fehle es aber an der Vollstreckungsfähigkeit.

Diese Unbestimmtheit ergab sich vorliegend aus der Formulierung, dass der „frühere Zustand“ wieder hergestellt werden müsse. Es sei schon nicht ersichtlich, welche Veränderungen durch den beanstandeten Anbau/Überbau erfasst seien, erst Recht nicht, wie der frühere zustand gewesen sei, dessen Wiederherstellung erfolgen solle. In der Klageschrift sei die Rede von vom Schuldner entfernten Fenstern, Erweiterung der Außenmauer und Errichtung einer neuen Mauer. Allerdings ließe sich nicht zweifelsfrei feststellen, welche Maßnahmen in welchem Umfang zur Wiederherstellung des früheren Zustandes erforderlich seien. Das Landgericht verwies auf eine Entscheidung des BGH im Urteil vom 24.02.1978 - V ZR 95/75 -, wonach die notwendige Konkretisierung fehle. wenn lediglich eine Wiederherstellung  begehrt würde und die Prüfung des Sollzustandes damit unzulässig vom Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren verlagert würde. Es wäre dem Gläubiger im Erkenntnisverfahren durch Vorlage von Plänen, Bildern, Beschreibungen möglich gewesen, den gewollten Zustand eindeutig zu definieren. Lediglich kleinere Auslegungsschwierigkeiten könnten im Vollstreckungsverfahren behoben werden.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 04.11.2020 - 2-13 T 73/20 -

Freitag, 29. Januar 2021

Kostenerstattung für zwei Anwälte bei Klage und Widerklage nach einem Verkehrsunfall ?

 

Der Kläger verklagte den Beklagten nach einen Verkehrsunfall auf Schadensersatz. In der Folge erhob der Beklagte gegen den Kläger Widerklage. Während sich der Kläger im Rahmen der Klage von den Rechtsanwälten W vertreten ließ, wurde er im Rahmen der Widerklage von den Rechtsanwälten F vertreten. Im Rahmen der Kostenfestsetzung versagte der Rechtspfleger einen Kostenerstattungsanspruch für zwei Anwälte, da such nach seiner Ansicht der Kläger bei Klage und Widerklage vom gleichen Anwalt hätte vertreten lassen können (was auch kostenmäßig günstiger gewesen wäre).  Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde war begründet.

Allerdings, so das OLG, sei es vom Grundsatz her richtig, dass in dem Fall, dass (wie hier) der beklagte eine Widerklage erhebt, der Kläger nicht deshalb einen Anspruch auf Erstattung von Mehrkosten habe, da er mit der Verteidigung gegen die Widerklage einen anderen Anwalt betraut. Grundsätzlich seien in einem solchen Fall leidglich die fiktiven Kosten eines Anwalts erstattungsfähig.  Dies würde grundsätzlich auch dann gelten, wenn der Kläger nach den Versicherungsbedingungen mit seinem Haftpflichtversicherer im Falle eines gegen ihn gerichteten Rechtsstreits die Führung desselben dem Versicherer überlassen müsse und dem von diesem beauftragten Rechtsanwalt Vollmacht erteilen müsse.

Die Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten durch Beauftragung von zwei Anwälten im Falle eines „normalen Verkehrsunfalls“ scheide aus. Anders verhalte es sich aber bei dem Vorwurf eines manipulierten Unfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 20.01.2004 - VI ZB 76/03 -), bei dem eine Interessenskollision bestünde. Zur Begründung des Erstattungsanspruchs könne deshalb nicht auf ein Prozessführungsrecht des Haftpflichtversicherers oder ein besonderes Vertrauensverhältnisses verwiesen werden, um derartige Mehrkosten gegen den Gegner festsetzen zu lassen.

Vorliegend sei als Besonderheit zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Haftpflichtversicherer des Klägers auch um den Haftpflichtversicherer des Beklagten handelte, den der Kläger bei seiner Klage auch aus dem Haftpflichtverhältnis zum Beklagten mitverklagt hatte.  Daraus resultiere eine Interessenskollision: Der vom Kläger beauftragte Anwalt würde den Kläger mitvertreten bei der Klage gegen den eigenen Haftpflichtversicherer in dessen Eigenschaft als Versicherer des Beklagtenfahrzeuges. Würde er nun den Kläger im Rahmen der Widerklage mitvertreten, müsste er Ansprüche abwehren, die Wiederum vom Haftpflichtversicherer des Klägers als Haftpflichtversicherer auch des Beklagten zu tragen hätte. Da er damit auch in der Abwehrrolle zugunsten des verklagten Haftpflichtversicherers wäre, würde er im gleichen Verfahren sowohl auf Seiten Versicherers als auch gegen diesen stehen. In diesen Fällen sei bei einer Streitgenossenschaft von Fahrer/Halter und Versicherer ausnahmsweise die Beauftragung verschiedener Anwälte gerechtfertigt.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.08.2020 - 8 W 143/20 -

Sonntag, 24. Januar 2021

Kaskoversicherung: Muss der Versicherer Nutzungsausfall bei Verzug zahlen ?

Der Kläger machte gegen seinen Kaksoversicherer einen Anspruch auf Nutzungsausfall geltend. Zwar war dies nicht in dem Versicherungsvertrag der Parteien geregelt, doch vertrat der Kläger die Ansicht, er habe, da sich der Versicherer mit der Leistung ach dem Schadensfall in Verzug befand, einen Anspruch nach §§ 286 Abs. 1, 280 BGB auf Nutzungsausfall. Landgericht und Oberlandesgericht (OLG) folgten ihm nicht. Das OLG wie den Kläger darauf hin, dass es gedenke seine Berufung nach § 522 ZPO zurückzuweisen.

Das OLG wies darauf hin, dass Nutzungsausfallentschädigung nicht nur als Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall zugesprochen würde, sondern u.a. auch dann, wenn der mit dem Verkauf eines Kraftahrzeuges beauftragte Vermittler nach Kündigung des Vertrages  Vermittlung eines Kraftahrzeuges Beauftragte nach Kündigung des Auftrages die geschuldete Herausgabe des Fahrzuges verzögere (BGH, Urteil vom 14.07.1982 - VIII ZR 161/81 -). Allerdings ließe sich der Anspruch nicht auf einen rein versicherungsvertraglichen Anspruch ausdehnen, da unverzichtbare Voraussetzung für die Zuerkennung des Nutzungsausfallanspruchs eine unmittelbare nachteilige Einwirkung auf das Fahrzeug selbst sei (BGH aaO.). Dies sei auch bei einer unterlassenen Herausgabe der Fall.

Auf das Fahrzeug aber vorliegend aber ausschließlich der Unfallgegner, nicht aber der eigene Kaskoversicherer eingewirkt. Bei der Kaskoversicherung ginge es ausschließlich um die Erfüllung einer Geldschuld. Wenn durch den Verzug des Kaskoversicherers mit seiner Leistung ggfls. dem Versicherungsnehmer eine Nutzungsmöglichkeit (der Sache, d.h. des Fahrzeuges) entgehe, würde dies keinen ersatzfähigen Schaden darstellen (so auch z.B. OLG Hamm, Urteil vom 15.12.2010 - 20 U 108/10 -). Den Versicherer würden nur die normalen Verzugsfolgen treffen, so dass er die Verzugszinsen gem. § 288 BGB zu tragen habe.

Die Berufung wurde nach dem Hinweis zurückgenommen.

OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 07.10.2020 - 12 U 1161/20 -