Mittwoch, 15. Januar 2020

Private Haftpflichtversicherung: Kein Versicherungsschutz für Schäden beim Entladen eines Fahrzeuges


Mit der vom Amtsgericht zurückgewiesenen Klage des Versicherungsnehmers (VN) negierte das Amtsgericht den Versicherungsschutz aus einer privaten Haftpflichtversicherung bei der Beklagten aus Anlass eines von der VN verursachten Schadens, der dadurch von der VN verursacht wurde, dass sie auf einer Hebebühne des von ihr angemieteten Transporters stehend beim Entladen einer Leiter ein in den Luftraum ragendes Reklameschild beschädigte. Ihre Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen.

Das Amtsgericht hatte sich auf Ziffer 6.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AHB) bezogen. Nach dieser Klausel sei die Haftpflicht des Besitzers eines Kraftfahrzeuges (auch wenn er dieses wie vorliegend nur angemietet habe) wegen Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeuges verursacht werden, nicht versichert. Es habe sich hier das Gebrauchsrisiko verwirklicht.

Das Landgericht sah keine Veranlassung, von der rechtlichen Würdigung des Amtsgerichts abzuweichen. Es handele sich bei der Klausel um die sogen. Benzinklausel, derzufolge die Haftpflicht u.a. des Führers eines Kraftfahrzeuges für Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeuges verursacht würden, nicht über die private Haftpflichtversicherung gedeckt sei. Der Umstand, dass das Fahrzeug zum Schadenszeitpunkt stand, ändere daran nichts. Weiterhin sei der Klägerin (VN) Führer des Fahrzeuges, welches sich in der Entladung befunden habe, gewesen.

Der Ausschluss des Versicherungsschutzes durch die „Benzinklausel“ sei aus sich heraus und eng auszulegen. Er würde nur dann greifen, wenn sich eine Gefahr verwirklicht habe, die gerade dem Fahrzeuggebrauch eigen ist und diesem selbst und unmittelbar zuzurechnen sei. Deshalb müsse der Schaden dem Kraftfahrzeugrisiko näher stehen als dem Privat-/Betriebs-/Tierhalterrisiko, mithin dem Kraftfahrzeugrisiko bei natürlicher Betrachtung zuzuordnen sein. Das sei bei Be- und Entladevorgängen dann der Fall, wenn und solange das Kraftfahrzeug in innerem Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel be- bzw. entladen würde. Dieser Zusammenhang bestünde jedenfalls dann, wenn das Be- oder Entladen mit Hilfe einer speziellen Vorrichtung des Fahrzeuges selbst erfolge (OLG Köln, Urteil vom 06.12.2018 - 3 U 49/18 - zum Betrieb iSv. § 7 StVG). Der BGH würde in dem Entladevorgang einen Gebrauch des Fahrzeuges sehen, solange das Kraftfahrzeug selbst oder eine an oder auf ihm befindliche Vorrichtung daran beteiligt sei. Daher sei ein Schaden beim Hantieren mit dem Ladegut dann “durch den Gebrauch“ des Kraftfahrzeuges entstanden und diesem zuzurechnen, d.h. der Gebrauch für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt würde (BGH, Urteil vom 26.06.1979 - VI ZR 122/78 -).

Hier käme hinzu, dass der Schaden beim Einsatz der Hebebühne als Vorrichtung des Fahrzeuges entstanden sei. Es habe sich nicht das allgemeine Lebensrisiko der Klägerin (VN) verwirklicht, sondern dem Fahrzeuggebrauch eigene Gefahr, da die Klägerin die Reklameeinrichtung nur deshalb habe beschädigen können, da sie auf der Hebebühne stand. Die Entscheidung des OLG Hamm vom 09.08.2017 - 20 U 30/17 - würde dem nicht entgegenstehen, da zum Einen die benannten Grundsätze durch auch benannt worden seien, zum Anderen der Schaden dort deshalb entstand, da durch Ungeschicklichkeit Flaschen heruntergefallen und explodiert seien und sich daher nicht das typische Risiko des Fahrzeuges verwirklicht habe.

LG Wuppertal, Urteil vom 14.11.2019 - 9 S 125/19 -

Samstag, 11. Januar 2020

Nutzungsrisiko und Mangel der Miet-/Pachtsache bei fehlender behördlicher Genehmigung


Mit einem Pachtvertrag hatte der Pächter das Objekt „zur Betreibung von Paint-Ball-Spielen“ gepachtet. Nach einer behördlichen Nutzungsverfügung war der Betrieb einer Paint-Ball-Anlage auf dem Pachtgrundstück unzulässig. Im Pachtvertrag (§§ 1 und 7 Ziffer 2) wurde das Risiko der auch vollständigen Versagung einer Genehmigung zum Betrieb einer Paint-Ball-Anlage dem Pächter auferlegt. Der Kläger (Pächter) machte aus § 536a BGB, § 252 BGB Schadensersatzansprüche wegen entgangenen Gewinns geltend und beantragte Prozesskostenhilfe für die Klage. Das Landgericht wies den Antrag zurück, da es der Klage keine Erfolgsaussichten beimaß. Auf die Beschwerde gab das OLG dem Antrag statt.

Das OLG ging in seiner Entscheidung davon aus, dass aufgrund der behördlichen Nutztungsuntersagungsverfügung der Betrieb einer Paint-Ball-Anlage auf dem Pachtgrundstück unzulässig sei. Daher kam es darauf an, ob eine solche Anlage zum vertragsgemäßen Gebrauch gehörte. Dieser richte sich nach Vertragsinhalt und Vertragszweck. Dies würde in gewerblichen Miet-/Pachtverträgen regelmäßig im Vertrag näher dargelegt. Hier sei der Betrieb dieser Anlage ausdrücklich im Vertrag vorgesehen gewesen. Der Verpächter (Vermieter) schulde damit die Eignung des Miet-/Pachtobjekts zu einem entsprechenden Gebrauch.

Das Fehlen der behördlichen Genehmigung stelle sich als Mangel da, da die Nutzung im Hinblick auf die fehlende Genehmigung nicht mehr möglich sei. Es würde sich um durch die baulichen Gegebenheiten bedingte Nutzungseinschränkungen handeln, die, da Gebäudebezogen, grundsätzlich in den Verantwortungs- und Risikobereich des Vermieters fallen würden (BGH, Urteil vom 13.07.2011 - XII ZR 189/09 -).

Zwar hätten hier die Parteien in dem Vertrag das Risiko der Versagung der Genehmigung abweichend von der gesetzlichen Reglung dem Pächter/Mieter (Beklagten) auferlegt. Danach habe sich der Beklagte verpflichtet, alle notwendigen Genehmigungen zum Betrieb von Paint-Ball-Spielen vorzulegen und für sämtliche Genehmigungen und Auflagen zu sorgen. Es sei auch bestimmt worden, dass dem Verpächter/Vermieter für die Einhaltung der Voraussetzungen für den Betrieb keine Haftung übernehme. Derartige Klauseln seien allerdings unwirksam, wenn es sich bei ihnen um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 BGB handele (also um Klauseln, die vom Verwender für mehrere Fälle genutzt würden oder werden sollen).  Nicht nur würden die Klauseln sowohl Gewährleistungsrechte ausschließen, sondern auch das Recht zur (fristlosen) Kündigung wegen des im Fahlen der Genehmigung liegenden Mangels der Miet-/Pachtsache gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB, auch wenn (wie hier) das Risiko in die Sphäre des Vermieters/Verpächters fällt, es sei denn, es läge Arglist des Vermieters/Verpächters vor. Im Rahmen einer AGB-Prüfung würde ein derart weitreichender Haftungsausschluss den Pächter/Mieter entgegen Trau und Glauben unangemessen benachteiligen und sei daher unwirksam.

Die Unwirksamkeit würde dazu führen, dass der Mieter/Pächter wegen des im Fehlen der Genehmigung liegenden Mangels der Miet-/Pachtsache Schadensersatz verlangen können (wozu auch der entgangene Gewinn nach § 252 BGB gehöre); er müsse nicht kündigen, sondern könne am Vertrag festhalten und für die Laufzeit Schadensersatz begehren (BGH, Urteil vom 18.01.1995 - XII ZR 30/93 -); lediglich im Hinblick auf den entgangenen Gewinn würde dieser Anspruch nur bis zu dem Zeitpunkt geltend gemacht werden können, zu dem der Vermieter ordentlich hätte kündigen können.

Dies würde allerdings dann nicht gelten, wenn es sich um individualvertragliche Vereinbarungen handeln würde (OLG Frankfurt, Urteil vom 22.07.2016 - 2 U 144/15 -). Ob es sich um einen formularmäßigen Haftungsausschluss oder eine Individualvereinbarung handelt sei zwischen den Parteien streitig. Da die Möglichkeit besteht, dass es sich um Formularklauseln handelt, sei Prozesskostenhilfe zu gewähren (das Landgericht wird dies im streitigen Verfahren, ggf. nach Beweisaufnahme) zu klären haben.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.04.2019 - 3 W 95/18 -

Montag, 16. Dezember 2019

Überbau durch Fassadendämmung versus Veränderungen am Nachbargebäude


Die Parteien sind Eigentümer aneinandergrenzender, in versetzter Bauweise errichteter Reihenhäuser in Hessen. Der Kläger ließ an seinem Reihenhaus eine Fassadendämmung anbringen. Ein Teil der Wand des klägerischen Reihenhauses einschließlich eines schmalen Streifens im Dachbereich blieb allerdings infolge der versetzten Bauweise ungedämmt. Die Außendämmung nebst Putz würde hier  die Grenze des Grundstücks des Beklagten um 11cm überschreiten. Zur Anbringung müssten ein Holzunterstand nebst Verkleidung, die Entlüftung des Außentanks und der Küchenabluft und ein Stromkabel verlegt und der Dachbereich des Hauses des Beklagten geöffnet werden. Der Klage auf Durchführung der erforderlichen Arbeiten durch den Kläger (auf seine Kosten) wurde vom Amtsgericht stattgegeben; die hiergegen vom Beklagten erhobene Berufung zum Landgericht (LG) war erfolgreich und führte zur Abweisung der Klage. Die vom LG zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der Anspruch des Klägers sei, so der BGH, zutreffend auf der Grundlage des § 10a Abs. 1 NachbG HE verneint worden. Die Norm lautet:

„Der Eigentümer und die Nutzungsberechtigten eines Grundstücks haben Bauteile, die auf ihr Grundstück übergreifen, zu dulden, wenn
1. es sich bei den übergreifenden Bauteilen um eine Wärmedämmung handelt, die über die Bauteilanforderungen der Energieeinsparverordnung vom 24. Juli 2007 (BGBl. I S. 1519), geändert durch Verordnung vom 29. April 2009 (BGBl. I S. 954), in der jeweils geltenden Fassung für bestehende Gebäude nicht hinausgeht,
2. eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann und
3. die übergreifenden Bauteile
a) an einer vorhandenen einseitigen Grenzwand auf dem Nachbargrundstück angebracht werden,
b) die Benutzung des betroffenen Grundstücks nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen und
c) öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widersprechen.
Die Duldungspflicht nach Satz 1 erstreckt sich auch auf die mit der Wärmedämmung zusammenhängenden notwendigen Änderungen von Bauteilen.“

Danach erstreckt sich die Duldungspflicht auch auf die mit der Wärmedämmung zusammenhängenden notwendigen Änderungen von Bauteilen.

Unzutreffend sei das LG ohne Überprüfung davon ausgegangen, es habe sich hier um eine Grenzwand (vgl. § 8 Abs. 1 NachbG HE)  gehandelt. Das sei aber unschädlich. Läge nur eine Nachbarwand vor, an die die Reihenhäuser in beiden Richtungen angebaut worden seien, fehle es an dem Vorliegen einer Grenzwand, weshalb sich die Duldungspflicht nicht aus § 10 Abs. 1 S. 1 NachbG HE ergeben könne. Aber auch bei Annahme einer Grenzwand käme eine Duldungspflicht nicht in Betracht, da er durch die Norm nicht zur Hinnahme von baulichen Veränderungen an dem auf seinem Grundstück stehenden Gebäude verpflichtet sei. Dabei könne dahinstehen, ob eine „einseitige“ Grenzwand auch dann besteht, wenn wie hier die Häuser in versetzter Bauweise errichtet worden seien. Selbst wenn die versetzte Bauweise von § 10 Abs. 1 Nr. 3a NachbG HE erfasst worden sein sollte, hätte der Beklagte nur den Überbau durch Bauteile zu dulden, die durch das Anbringen der Wärmedämmung an der Grenzwand auf sein Grundstück hinüberragen; er müsse also notwendige Veränderungen an seinem Gebäude infolge der Wärmedämmung nicht dulden. Dies folge aus S. 1 der Norm. Auch S. 2 erstrecke sich nur auf die Duldungspflicht auf die mir der Wärmedämmung zusammenhängenden erforderlichen Änderung von Bauteilen der (einseitigen) Grenzwand, an der die Wärmedämmung angebracht werden soll. Darunter würden z.B. die Erweiterung des Dachs einer Giebelwand, die Verlängerung der Fensterbänke oder die Verlegung von Fallrohren um die Dämmstoffstärke zählen (Hess. Landtag, Drucks. 18/855 S. 6). S. 2 würde also nur die Duldungspflicht von S. 1 insoweit erweitern, die durch Veränderungen an Bauteilen der Grenzwand erforderlich würden.

Die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 10a Abs. 1 NachbG HE hebe hervor, dass ein Eingriff in das Eigentumsrecht des Nachbarn auf ein Mindestmaß beschränkt und die Nutzung seines Grundstücks nicht oder allenfalls geringfügig beeinträchtigt werden soll. Auch ginge der Gesetzgeber davon aus, dass keine geringfüge Beeinträchtigung bei einer grenzübergreifenden Wärmedämmung dann vorliege, wenn der Nachbar zulässig bis zur gemeinsamen Grundstücksgrenze bauen darf. Auch in diesem Fall sei ein mit der Aufbringung der Wärmedämmung verbundener Überbau nicht oder allenfalls bis zur Realisierung einer zulässigen Grenzbebauung zu dulden. Folgerichtig sei es daher, bereits vorhandene Gebäudeteile vor Eingriffen in deren Substanz zu schützen.

Selbst sollte es sich bei der streitgegenständlichen Wand um eine gemeinsame Grenzeinrichtung handeln, wäre der Anspruch des Klägers nicht begründet. Bei dieser würde sich nach § 921 BGB - mangels abweichender Regelungen in §§ 921, 922 S. 1 bis 3 BGB – die Rechtslage gem. § 924 S. 4 BGB nach den Vorschriften über die Gemeinschaft bestimmen. Nach § 745 Abs. 2 BGB würde sich mangels einer Verwaltung und Nutzung durch Vereinbarung oder Mehrheitsbeschluss nach dem Interesse aller Teilhaber an einer billigem Ermessen entsprechenden Verwaltung und Benutzung orientieren. Die Anbringung der Wärmedämmung auf einer gemeinsamen Grenzeinrichtung stelle eine Verwaltungsmaßnahme in diesem Sinne dar. Der Teilhaber einer gemeinsamen Giebelwand (Nachbarwand) könne nach § 745 Abs. 2 BGB aber nicht die Duldung des anderen Teilhabers zur Duldung  baulicher Eingriffe in nicht der gemeinsamen Verwaltung unterliegende Gebäudeteile verlangen, wie es hier z.B. in Bezug auf die Abzüge für die Öltankanlage und die Küche der Fall sei.

BGH, Urteil vom  14.06.2019 - V ZR 144/18 -

Freitag, 13. Dezember 2019

Abgrenzung allgemeiner Familiensache von sonstiger Zivilsache


Der BGH hatte eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Hamburg deshalb als unzulässig angesehen, da es sich um eine Familiensache handele. Während in Familiensachen Nichtzulassungsbeschwerden unzulässig sind, wäre sie auch bei einer Entscheidung durch das Familiengericht zulässig, wenn es sich tatsächlich um eine Familiensache handele, was vorliegend verneint wurde. Damit hatte sich der BGH mit der notwendigen Abgrenzung auseinandergesetzt.

Zugrunde lag dem folgender Sachverhalt: Die Parteien des Verfahrens waren seit 2002 getrennt und das Scheidungsverfahren war seit 2008 rechtshängig. Der Antragsgegner (AG) war bis 2011 alleiniger Gesellschafter der T GmbH, Geschäftsführer von 2003 bis 2008 die Antragstellerin (AS) sowie über 2008 hinaus die neue Lebensgefährtin  des AG, der der AG in 2011 seine Gesellschaftsanteile übertrug.   Die Parteien hatten der Gesellschaft in 2002 Kredite gewährt, deren Rückzahlung „auf erstes Anfordern“ erfolgen sollte. Im März 2014 forderte die AS den AG auf, gemeinsam mit ihr die Kündigung der Kredite gegenüber der Gesellschaft zu erklären, worauf der AG nicht reagierte. Mit ihrer 2014 erhobenen Klage forderte die AS die Abgabe der erforderlichen Willenserklärung vom AG. Der AG verteidigte sich damit, dass er in 2003 der AS die Hälfte des Kredites in bar ausgezahlt habe. Das Landgericht hatte nach Hinweis auf Antrag beider Parteien den Rechtsstreit an das Amtsgericht – Familiengericht – verwiesen, welches den Antrag der AS zurückwies. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor dem OLG (während dem die Scheidung der Ehe ausgesprochen wurde und der AG seine Lebensgefährtin heiratete) stellte die AS als Hilfsantrag einen Zahlungsantrag, dem das OLG stattgab. Dagegen richtete sich die Nichtzulassungsbeschwerde des AG.

Da die Nichtzulassungseschwerde in Familiensachen nicht gegeben sei und eine Rechtsbeschwerde nur bei hier nicht vorliegender Zulassung nach § 70 Abs. 1 FamG statthaft sei, käme es darauf an, ob es sich tatsächlich um eine sonstige Familiensache nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handele.

Sonstige Familiensachen seien Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateter oder ehedem verheirateter Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe beträfen, sowie nicht die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) bis k) ZPO genannten Sachgebiete, Wohnungseigentumsrecht oder Erbrecht betroffen sei und sofern es sich nicht nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handele. Ordnungskriterium sei die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand, welches im Interesse der Beteiligten alle durch den sozialen Verband der Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten entscheiden soll. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG müsse ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen, was dann der Fall sei, wenn das Verfahren vor allem der wirtschaftlichen Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten diene. Für die Prüfung käme es nicht lediglich auf den klägerischen Vortrag, sondern auch auf jenen des Beklagten an.   

Die AS habe hier das Ziel der Auflösung einer Mitgläubigerschaft mit dem AG (§ 432 BGB) verfolgt. Streitig sei hier lediglich gewesen, ob durch eine Barzahlung des AG die Entflechtung bereits erfolgt sei. Dass der Anspruch seinen Rechtsgrund nicht unmittelbar in der Ehe habe oder aus dieser herrühre, sei unschädlich. Der Begriff des Zusammenhangs mir der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft sei großzügig zu beurteilen. Dies sei nur dann nicht der Fall, wenn ein familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet sei, was nicht der Fall sei, wenn Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsfolge (wie hier) ursächlich sei.

Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde in der Folge zurückgenommen.

BGH, Hinweisbeschluss vom 22.08.2018 - XII ZB 312/18 -

Montag, 9. Dezember 2019

Arbeitsrecht: Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung bei Einwurf in Hausbriefkasten


Ein Mitarbeiter der Beklagten warf das Kündigungsschreiben am 27.01.2017 (Freitag)  gegen 13.25 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers ein. Gewöhnliche Postzustellungen erfolgen hier in der Regel gegen 11.00 Uhr. Der Kläger, der eingehend beim Arbeitsgericht am 20.02.2017 Klage erhob, machte geltend, das Kündigungsschreiben sei ihm erst am 30.01.2017 zugegangen. Streitig war, aber der Kläger die 3-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG eingehalten hatte. Die Vorinstanzen hatten dies negiert und die Klage deshalb abgewiesen. Auf die Revision das die klägerische Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil zurückweisenden Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. 

Ausgangspunkt der Entscheidung des BAG ist der Umstand, dass eine Willenserklärung (hier Kündigung) unter Abwesenden gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu dem Zeitpunkt zugeht, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt und dieser unter gewöhnlichen Verhältnissen von ihr Kenntnis nehmen kann. Das aber würde besagen, dass bei einem Einwurf in den Hausbriefkasten bedeuten, dass der Zugang erst bewirkt ist zu dem Zeitpunkt, zu dem nach der Verkehrsanschauung generalisierend (und im Interesse der Rechtssicherheit nicht individualisierend auf die Person des Empfängers abstellend) mit einer Entnahme nach dem Einwurf zu rechnen sei. Das bedeute auch, dass z.B. bei einer Verhinderung infolge Erkrankung oder zeitweiliger Abwesenheit der Empfänger für eine Leerung Sorge tragen müsse.

Bei der Feststellung der Verkehrsanschauung handele es sich um eine Tatfrage. So sei die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach der Hausbriefkasten im Allgemeinen nach einer üblichen Postzustellungszeit im Zustellungsbezirk geleert würde, nicht zu beanstanden (BAG, Urteil vom 22.03.2012 - 2 AZR 224/11 -; BGH, Urteil vom 21.01.2004 -  XII ZR 214/00 -).  Allerdings könnte auch eine (gewandelte) Verkehrsanschauung festgestellt werden, die eine spätere Leerung (etwa mehrere Stunden nach dem üblichen Einwurf – festgestellt werden, wobei die Frage der Verkehrsanschauung regional unterschiedlich beurteilt werden könnte und sich diese auch im Laufe der Jahre ändern könne (das Bestehen der Fortdauer der Verkehrsanschauung könne nicht vermutet werden, BGH, Urteil vom 01.10.1992 - V ZR 36/96 -).

Diese Verkehrsanschauung könne der Richter durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermitteln oder bei eigener Sachkunde feststellen. Diese eigene Sachkunde des Richters müsse im Urteil nicht dargelegt werden, wenn der Richter den angesprochenen Verkehrskreisen selbst angehört.

Nicht richtig sei aber, wenn das Landesarbeitsgericht auf „Normalarbeitszeiten während der Tagesstunden eines erheblichen Teils der Bevölkerung abstelle, da sich daraus für die Gepflogenheiten zur Leerung des Hausbriefkastens am Wohnort des Klägers nichts ergäbe. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung sei kernerwerbstätig, darunter 6,8 Mio. geringfügig oder in Teilzeit Beschäftigte mit weniger als 20 Stunden/Woche. Ferner wären die 5% Nachtarbeitnehmer nicht berücksichtigt. Hinzu kämen flexible Arbeitszeitmodelle und die Homeoffice-Tätigkeit.

Unabhängig davon sei auch nicht ersichtlich, weshalb es für die Verkehrsanschauung überhaupt auf die erwerbstätige Bevölkerung ankäme. Es handele sich bei der um eine (wenn auch große) Minderheit und würde auch nicht berücksichtigen, dass nicht alle Erwerbstätigen in Single-Haushalten leben würden, also die Leerung des Hausbriefkastens auch durch Mitbewohner erfolgen könne, die nicht oder zu anderen Zeiten arbeiten und eine zweite Leerung nicht stattfinde.

Zudem würde hier das Abstellen auf die Erwerbstätigen nicht berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit dem 01.01.2017 nicht mehr von der Beklagten zur Arbeit herangezogen worden sei.

Das Landesarbeitsgericht hatte die Leerung von Hausbriefkästen nach der Verkehrsanschauung als „angemessen“ mit 17.00 Uhr angenommen. Dies sei willkürlich; Verhältnismäßigkeitsgrundsätze seien ungeeignet eine Verkehrsanschauung zu begründen.

BAG, Urteil vom 22.08.2019 - 2 AZR 111/19 -

Dienstag, 3. Dezember 2019

Wann ergreift die Beschlagnahme nach § 20 Abs. 2 ZVG die Forderung gegen den Gebäudeversicherer nicht ?


Die Beklagte zu 1. (eine Wohnungseigentümergemeinschaft, nachfolgend WEG) hatte eine Gebäudeversicherung gegen die Risiken Feuer, Sturm und Leitungswasser abgeschlossen.  Der Kläger wurde im Rahmen einer Zwangsversteigerung durch Zuschlagsbeschluss am 17.06.2013 Mitglied derselben. Voreigentümer des durch Zuschlagsbeschluss auf den Kläger übergegangenen Sondereigentums war zunächst die A & F KG, die nach einem Brand in ihrem Teileigentum (26.0ß6.2002) dieses an die W KG (Eigentumsübergang im Grundbuch am 05.08.2002) ohne Abtretung der Ansprüche gegen den Gebäudeversicherer veräußerte. In der Folge erfolgte die Zwangsversteigerung des im Eigentum der W KG befindlichen Sondereigentums. Zum Zeitpunkt des Zuschlags hatte der Gebäudeversicherer noch nicht den Brandschaden reguliert. Dies erfolgte erst am 16.08.2013 durch Zahlung der Schäden an die Beklagte zu 1. Von dieser und der mitverklagten Verwalterin verlangte der Kläger die Auszahlung des vom Versicherer gezahlten Betrages an sich. Die Klage war in allen Instanzen erfolglos.

Es handele es sich bei der von der WEG für das ganze Gebäude abgeschlossenen Gebäudeversicherung um eine Versicherung um eine Versicherung auf fremde Rechnung, weshalb, so der BGH,  die WEG verpflichtet sei eine hieraus erhaltene Versicherungsleistung an denjenigen auszuzahlen sei, dessen Sonder- oder Teileigentum betroffen sei und dem danach die Leistung zustehe. Nach § 95 Abs. 1 VVG würde der Leistungsanspruch, der vor dem Eigentumsübergang entstanden sei, nicht auf den Erwerber übergehen (BGH, Urteil vom 16.09.2016 - V ZR 29/16 -). Auf den Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherungsleistung käme es nicht an.

Etwas anderes würde sich hier auch nicht aus dem Umstand ergeben, dass der Kläger das Eigentum durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung erwarb. Zwar könne ein solcher Anspruch im Rahmen der Zwangsversteigerung auf den Ersteher übergehen (§§ 90 Abs. 2, 55 Abs. 1 20 Abs. 2 ZVG). Durch den Zuschlag erwerbe der Ersteher mit dem Grundstück zugleich die Gegenstände, auf welche sich die Zwangsversteigerung erstreckt habe (§ 90 Abs. 2 ZVG). Dies seien alle Gegenstände, deren Beschlagnahme noch wirksam seien (§ 55 Abs. 1 ZVG).  Abgesehen von den hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen des § 21 ZVG erstrecke sich die Beschlagnahme nach § 20 Abs. 2 ZVG auf die Gegenstände, auf die sich bei einem Grundstück eine Hypothek erstrecke. Dies sei nach § 1127 Abs. 1 BGB bei einer Forderung gegen einen Versicherer dann der Fall, wenn die der Hypothek unterliegenden Gegenstände für den Eigentümer oder Eigenbesitzer des Grundstücks versichert worden wären, weshalb grundsätzlich (mit Ausnahme eines Vorgehens nach § 65 ZVG) auch der Anspruch gegen den Gebäudeversicherer der Beschlagnahme unterläge. Deshalb würde in Ermangelung anderweitiger Regelungen in den Versicherungsbedingungen auch die Forderung gegen den Versicherer auf den Ersteher übergehen. Der Ersteher erhalte das Geld für die Beseitigung der Schäden, die Mitversteigerung der Versicherungsleistung erhöhe den Erlös für den Grundpfandgläubiger.

Allerdings sei Voraussetzung, dass sich das Grundpfandrecht noch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beschlagnahme auf die  Versicherungsforderung erstreckt (§§ 20 Abs. 2, 22 Abs. 1 ZVG). Das setze voraus, dass die Versicherungsforderung in den Haftungsverband der Hypothek fällt, was bedeutet, dass der versicherte Gegenstand bei Eintritt des Schadens zum Haftungsverband gehört habe und Begünstigter der Eigentümer oder Eigenbesitzer des Grundstücks gewesen wäre. Das wäre nicht der der Fall, wenn das Grundstück ohne die Forderung veräußert würde. Während bei einer anderen als Gebäudeversicherung der Eigentümer bis zur Beschlagnahme verfügungsbefugt bleibe, sei er bei einer Gebäudeversicherung auch vor einer Beschlagnahme gehindert, zum Nachteil des Hypothekengläubigers darüber zu verfügen (§ 1128 Abs. 3 BGB). Allerdings sei der Eigentümer nicht gehindert, das Grundstück bei bestehenbleibender Hypothek an einen Dritten ohne Übertragung der Forderung gegen den Versicherer zu veräußern. Das führe dazu, dass die Forderung entsprechend § 1124 Abs. 3 BGB aus dem Haftungsverbund des Grundpfandgläubigers fällt, unter Fortbestand der durch § 1128 BGB begründeten Stellung des Grundpfandgläubigers. Ohne die Auflösung des Haftungsverbundes  würde der Eigentümer, der sein Grundstück unter Fortbestand der eingetragenen Grundpfandrechte veräußern will,  bei verbliebener Inhaberschaft  die Gefahr eingehen, diese Forderung im Rahmen einer Zwangsvollstreckung in das nunmehr fremde Grundstück zu verlieren.

Es gäbe keinen sachlichen Grund, dass die Forderung aus einer Gebäudeversicherung dauerhaft mit dem Grundpfandrecht verbunden bliebe. Die Trennung des Haftungsverbundes schmälere nicht des Schutz des Hypothekengläubigers gem. § 1128 BGB, der auch auf eine Beschlagnahmewirkung des § 20 Abs. 2 ZVG nicht angewiesen sei, da die Forderung aus der Versicherung ohnehin als an ihn verpfändet gilt.  §§ 1127 und 1128 BGB würden nicht die Interessen des Erstehers schützen.

Daraus folge, dass im Rahmen der Zwangsversteigerung eine Forderung gegen den Gebäudeversicherer nicht von der Beschlagnahmewirkung des § 20 Abs. 2 ZVG erfasst wurde. Die A & F KG habe ihre Versicherungsforderung bei Übertragung des Eigentums an die W KG nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht an diese abgetreten.

BGH, Urteil vom 12.04.2019 - V ZR 132/18 -

Donnerstag, 28. November 2019

Wegeunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung: Der Einwurf eines (privaten) Briefes


Ein Wegeunfall des Arbeitnehmers ist in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert, § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Es handelt sich dabei um einen Unfall auf dem Weg vom Wohnort zur Arbeitsstelle bzw. zurück. Vorliegend verließ die Klägerin ihre Arbeitsstelle nach Ende ihrer Arbeitszeit um nach Hause zu fahren. Auf dem Weg zu ihrem Wohnort mit ihrem PKW hielt sie an, um einen Privatbrief in einen Briefkasten zu werfen. Beim Verlassen des Fahrzeuges stürzte die Klägerin und das Fahrzeug rollte über ihren linken Fuß, wodurch sie eine Läsion der Fußwurzel erlitt. Die Beklagte (der gesetzliche Unfallversicherung) lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Das Sozialgericht gab der dagegen erhobenen Klage mit Gerichtsbescheid statt. Auf die Berufung zum Landessozialgericht (LSG) wurde der Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der dagegen gerichteten Revision machte die Klägerin geltend, dass Versicherte nicht nur auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zur Arbeitsstätte schützt seien, sondern auch kleine Unterbrechungen, auch wenn sie privaten Zwecken dienen würden, für den Versicherungsschutz unschädlich seien. Dem folgte das Bundessozialgericht (BSG) nicht.

Arbeitsunfälle seien, so das BSG, solche Unfälle, die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründeten Tätigkeit (der versicherten Tätigkeit) durch zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse erleide, die zu einem Gesundheitsschaden oder den Tod erleiden würden. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Das Aussteigen aus dem PKW, um einen privaten Brief einzuwerfen, habe nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden.

Die Arbeitszeit sei beendet gewesen, weshalb es sich nicht um einen Unfall auf einem Betriebsweg handeln könne. Aber auch ein Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII scheide aus. Zwar bestünde währende des Weges von der Arbeitsstelle zur Wohnung dieser Versicherungsschutz, doch der Versuch, einen privaten Brief in einen Briefkasten einzuwerfen, führe zur Unterbrechung dieses Weges, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet gewesen sei, weshalb der Unfall nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem versicherten Weg stünde. Dieser innere Zusammenhang sei im Gesetz mit der Formulierung „des mit der versicherten Tätigkeit im Zusammenhang stehenden unmittelbaren Weges“ zum Ausdruck gebracht, wobei nicht der Weg sondern das Zurücklegen, also das Sichfortbewegen auf einer Strecke, die durch Ausgangs- und Zielpunkt begrenzt sei, versichert sei. Maßgeblich für den sachlichen Zusammenhang sei, ob nach der objektiven Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges dies zum direkten Erreichen der Areitsstelle bzw. zur Wohnung erfolge.  

Hier habe sich der Unfall auf dem Weg von der Arbeitsstelle zur Wohnung ereignet. Während der Autofahrt sei damit die objektive Handlungstendenz, vom Ort der Beschäftigung zu Wohnung zu gelangen, gegeben gewesen, wobei es sich nach den Feststellungen des LSG auch um den unmittelbaren Weg gehandelt habe. Dieser versicherte Weg sei durch die dem beabsichtigten Briefeinwurf dienende Handlung aber unterbrochen worden. Der Briefeinwurf habe einer reiner privaten Handlung gedient (anders wäre es, wenn der Einwurf eine ihrer Beschäftigung geschuldete Tätigkeit gewesen wäre). Damit war hier die objektive Handlungstendenz der Klägerin nicht auf die Erfüllung einer versicherten Verrichtung aus dem Beschäftigungsverhältnis gerichtet gewesen.  Auch habe es sich dabei nicht um eine versicherte Vorbereitung einer versicherten Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 SGB VII) gehandelt, da es sich bei den Vorbereitungshandlungen um Maßnahmen handele, die einer versicherten Tätigkeit vorangehen und ihre Durchführung erleichtern oder erst ermöglichen.

Allerdings könne bei einer privat veranlassten Unterbrechung der Versicherungsschutz gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 DGB VII fortbestehen, wenn die Unterbrechung nur geringfügig ist. Eine Geringfügigkeit könne aber nur dann angenommen werden, wenn die es zu keiner erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf das ursprünglich geplante Ziel (hier: Wohnung) käme, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung „im Vorbeigehen“ oder „ganz nebenher“ erledigt werden könne. Dies sei hier deshalb nicht der Fall, da das geplante Handeln des Einwurfs nicht nur nebenbei erledigt werden könnte. Die Klägerin habe das Fahrzeug verlassen müssen, was sich klar von dem versicherten Vorgang des „nach Hause Fahrens“ abgrenzen ließe. Das Verlassen des Fahrzeugs sowie der Weg über den Bürgersteig zum Briefkasten und zurück seien nicht mehr als „nur nebenbei“ erfolgte Handlungen anzunehmen; vielmehr läge eine klare Zäsur vor. Auch wenn der Zeitaufwand als solcher gering sein möge. Eine Ungleichbehandlung mit Fußgängern läge hier in der Natur der Sache vor dem Hintergrund, dass dort in der Regel (mit Ausnahme deines Richtungswechsels, Wechsel der Straßenseite) keine äußeren, objektiv wahrnehmbaren Grenzen, wie sie in PKW darstelle, existieren würden (Einwurf im Vorbeigehen).

Die nicht versicherte Tätigkeit habe begonnen, in dem die Klägerin nach außen sichtbar ihre subjektive Handlungstendenz in ein für Dritte beobachtbares „objektives“ Handeln umgesetzt habe, wobei auf sich beruhen könne, ob dies bereits im Abbremsen des PKW gelegen hat, da es jedenfalls im Beginn des Aussteigens läge. Zum Zeitpunkt des Vorfalls sei die Unterbrechung auch noch nicht beendet gewesen. Erst wenn die Klägerin objektiv (durch Weiterfahren) das Ende der Unterbrechung verdeutliche, würde der Versicherungsschutz wieder entstehen.

BSG, Urteil vom 07.05.2019 - B 2 U 31/17 R -