
Ausgangspunkt der Entscheidung
des BAG ist der Umstand, dass eine Willenserklärung (hier Kündigung) unter
Abwesenden gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu dem Zeitpunkt zugeht, sobald sie in
verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers
gelangt und dieser unter gewöhnlichen Verhältnissen von ihr Kenntnis nehmen
kann. Das aber würde besagen, dass bei einem Einwurf in den Hausbriefkasten
bedeuten, dass der Zugang erst bewirkt ist zu dem Zeitpunkt, zu dem nach der
Verkehrsanschauung generalisierend (und im Interesse der Rechtssicherheit nicht
individualisierend auf die Person des Empfängers abstellend) mit einer Entnahme
nach dem Einwurf zu rechnen sei. Das bedeute auch, dass z.B. bei einer
Verhinderung infolge Erkrankung oder zeitweiliger Abwesenheit der Empfänger für
eine Leerung Sorge tragen müsse.
Bei der Feststellung der Verkehrsanschauung
handele es sich um eine Tatfrage. So sei die Annahme einer Verkehrsanschauung,
wonach der Hausbriefkasten im Allgemeinen nach einer üblichen
Postzustellungszeit im Zustellungsbezirk geleert würde, nicht zu beanstanden (BAG,
Urteil vom 22.03.2012 - 2 AZR 224/11 -; BGH, Urteil vom 21.01.2004 - XII ZR 214/00 -). Allerdings könnte auch eine (gewandelte)
Verkehrsanschauung festgestellt werden, die eine spätere Leerung (etwa mehrere
Stunden nach dem üblichen Einwurf – festgestellt werden, wobei die Frage der
Verkehrsanschauung regional unterschiedlich beurteilt werden könnte und sich
diese auch im Laufe der Jahre ändern könne (das Bestehen der Fortdauer der Verkehrsanschauung
könne nicht vermutet werden, BGH, Urteil vom 01.10.1992 - V ZR 36/96 -).
Diese Verkehrsanschauung könne
der Richter durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermitteln oder bei
eigener Sachkunde feststellen. Diese eigene Sachkunde des Richters müsse im
Urteil nicht dargelegt werden, wenn der Richter den angesprochenen
Verkehrskreisen selbst angehört.
Nicht richtig sei aber, wenn das
Landesarbeitsgericht auf „Normalarbeitszeiten während der Tagesstunden eines
erheblichen Teils der Bevölkerung abstelle, da sich daraus für die
Gepflogenheiten zur Leerung des Hausbriefkastens am Wohnort des Klägers nichts
ergäbe. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung sei kernerwerbstätig, darunter 6,8
Mio. geringfügig oder in Teilzeit Beschäftigte mit weniger als 20
Stunden/Woche. Ferner wären die 5% Nachtarbeitnehmer nicht berücksichtigt.
Hinzu kämen flexible Arbeitszeitmodelle und die Homeoffice-Tätigkeit.
Unabhängig davon sei auch nicht
ersichtlich, weshalb es für die Verkehrsanschauung überhaupt auf die
erwerbstätige Bevölkerung ankäme. Es handele sich bei der um eine (wenn auch
große) Minderheit und würde auch nicht berücksichtigen, dass nicht alle
Erwerbstätigen in Single-Haushalten leben würden, also die Leerung des
Hausbriefkastens auch durch Mitbewohner erfolgen könne, die nicht oder zu
anderen Zeiten arbeiten und eine zweite Leerung nicht stattfinde.
Zudem würde hier das Abstellen
auf die Erwerbstätigen nicht berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit dem
01.01.2017 nicht mehr von der Beklagten zur Arbeit herangezogen worden sei.
Das Landesarbeitsgericht hatte
die Leerung von Hausbriefkästen nach der Verkehrsanschauung als „angemessen“
mit 17.00 Uhr angenommen. Dies sei willkürlich; Verhältnismäßigkeitsgrundsätze
seien ungeeignet eine Verkehrsanschauung zu begründen.
BAG, Urteil vom
22.08.2019 - 2 AZR 111/19 -