Freitag, 16. Oktober 2020

Fehlende Berufungsanträge und Auslegung der Berufungsbegründung

Die Kläger machten Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus einem Vertragsverhältnis geltend. Nach Erlass eines Versäumnisurteils, gegen welches die Beklagte rechtzeitig Einspruch einlegte, stellten die Kläger den Antrag, das Versäumnisurteil teilweise aufzuheben hob das Landgericht dieses auf und gab der Klage und spezifizierten ihren Leistungsantrag neu. Unter Aufhebung des Versäumnisurteils gab das Landgericht der Leistungsklage nur teilweise statt. Die Kläger legten fristgerecht gegen das Endurteil des Landgerichts Berufung ein, mit der sie ausführten, dass der Berufungsantrag und die Berufungsbegründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten blieben. Mit Schriftsatz vom 07.10.2019 beantragten die Kläger eine Verlängerung der Berufungsbegründungsschrift. Gleichzeitig haben sie bereits Ausführungen zur Begründung der Berufung gemacht. Innerhalb der (verlängerten) Frist zur Berufungsbegründung trugen die Kläger weiter zu Sache vor. Einen Berufungsantrag stellten sie in keinem der Schriftsätze. Nach einem  Hinweisbeschluss das OLG verwarf das OLG die Berufung als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, die Berufung sei gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO unzulässig, da die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO entspreche; beiden Schriftsätzen der Kläger sei nicht zu entnehmen, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angefochten würde und welche Abänderung des Urteils begehrt würde. Es würden Berufungsanträge fehlen und der Begründung ließe sich auch nicht (konkludent) entnehmen, in welchem Umfang das Urteil angefochten würde und welche Abänderung begehrt würde. In den Schriftsätzen hätten die Kläger ausgeführt, das Landgericht habe nur die Erstattung des Vertrauensschadens anerkannt und nicht den „Schadensersatzanspruch unter anderem in den Betriebsverlusten, die durch die Gründung und das Betreiben des Franchise-Outlets … entstanden seien“; die Teilabweisung habe es bezüglich der verschiedenen Positionen unterschiedlich begründet. Zur Teilabweisung sei ausgeführt worden, die Klageforderung sei in dem „weit überwiegenden Teil den Klägern nicht zugesprochen worden, weil angeblich der Schaden nicht konkret berechnet bzw. nicht substantiiert dargelegt worden war“. Wörtlich sei ausgeführt worden: „Diese Abweisung der Klage im Wesentlichen [sic] Umfang ist rechtsfehlerhaft, da zum Einen entgegen der Ansicht des Landgerichts der Schaden in korrekter Weise dargelegt wurde, und überdies das Landgericht nicht in eindeutiger Weise hat im Vorfeld erkennen lassen, wie es den Schadensersatz berechnet wissen möchte.“ Da, so das OLG, nicht erkennbar sei, welche Änderungen der Schadensberechnung die Kläger vorgenommen hätten, wenn das Landgericht weitere Hinweise zur Schadensberechnung vorgenommen hätten, würde sich das Sachbegehren der Kläger nicht erschließen. Es ließe sich nicht erkennen, dass sie ihre Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt hätten. Es erschließe sich daher nicht, weshalb die Teilklageabweisung zu den Schadenspositionen unrichtig sein soll und in welchem Umfang das erstinstanzliche Begehren weiterverfolgt werden soll.

Hiergegen legten die Kläger Rechtsbeschwerde zum BGH ein, mit der sie die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses begehrten und die zuletzt beim Landgericht gestellten Anträge, soweit sie erfolglos geblieben sind, weiterverfolgten. Auf die Rechtsbeschwerde wurde der Verwerfungsbeschluss des OLG aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.

Das OLG habe mit seiner Annahme, die Berufungsbegründung genüge nicht den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO den Klägern den Zugang zu einer der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert. Nach der benannten Norm muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, welche Abänderung des angefochtenen Urteils begehrt würde (Berufungsanträge). Dabei reiche es aber aus, wenn die Berufungsbegründung, ohne dass ein Antrag explizit gestellt wird, den Schluss auf die Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Begehrens zulasse. Dabei sei im Grundsatz davon auszugehen, dass eine Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung gerichtet sei, soweit der Berufungsführer durch diese beschwert wurde.

Danach sei hier davon auszugehen, dass die Kläger das Urteil insgesamt, soweit zu ihrem Nachteilentschieden wurde, zur Überprüfung durch das OLG stellen wollten. Die benannten Passagen aus den Schriftsätzen der Kläger seien unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze so zu verstehen, dass die das Urteil insgesamt, soweit die Klage abgewiesen wurde, anfechten wollten. Auch wenn die Begründung des Landgerichts in den Schriftsätzen nur unvollständig wiedergegeben worden sei, stehe dies dem nicht entgegen. Es dürften die Anforderungen bezüglich der Berufungsanträge nach § 520 Abs. 3 S. s Nr. 1 ZPO nicht mit den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verknüpft werden. Ob die Berufungsbegründung den erforderlichen Anforderungen an eine solche entsprechen würde, würde nicht zur Entscheidung stehen.

Der Verwerfungsbeschluss könne daher keinen Bestand haben. Die Sache sei nicht zur Entscheidung reif, da es nach einer gebotenen Anhörung der Parteien noch einer weiteren Prüfung der Zulässigkeit und gegebenenfalls der Begründetheit der Berufung bedürfe.

BGH, Beschluss vom 12.08.2020 - VII ZB 5/20 -

Montag, 12. Oktober 2020

Ticketrückzahlungsverpflichtung durch Zwischenhändler bei Terminabsage des Veranstalters wegen Covid-19

Der Beklagte verkaufte als Zwischenhändler Tickets eines Konzertveranstalters, der infolge der Corona-Pandemie die Veranstaltung nicht durchführen durfte. Er wurde von einem Käufer auf Rückzahlung des Ticketentgelts in Anspruch genommen. Die Klage war erfolgreich; das Amtsgericht bejahte gem. §§ 453, 434, 440, 346ff BGB einen Anspruch des Klägers auf Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses.

Der Ticketerwerb stelle sich als Rechtskauf dar (BGH, Urteil vom 23.08.2018 - III ZR 192/17 -). Der Ticketzwischenhändler erfülle seine kaufvertragliche Pflichten nicht bereits durch die bloße Überlassung eines (zum Überlassungszeitpunkt noch gültigen) Konzerttickets. Das Ticket würde ein Teilnahmerecht des Inhabers des Tickets gegenüber dem Veranstalter an der näher bezeichneten Veranstaltung an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit verkörpern (§ 807 BGB). Mit der Überlassung würde lediglich ein Gefahrübergang nach §§ 353, 446 BGB vollzogen. Für die Durchsetzbarkeit des durch das Ticket verkörperten Rechts würde der Ticketzwischenhändler weiterhin haften, ebenso dafür, dass dieses Recht nicht aus Gründen entfällt, die nicht in der Sphäre des Käufers liegen.  

Anders würde es sich lediglich verhalten, wenn der Ticketkäufer (bei stattgefundener Veranstaltung) eine Schlechtleistung geltend machen will. In diesem Fall müsste er sich nach §§ 535, 641 BGB direkt an den Veranstalter wenden, da er damit einen Sachmangel der künstlerischen Leistung als solcher rügt und nicht, wie im vorliegenden Fall (der Absage der Veranstaltung) einen Gewährleistungsanspruch nach §§ 434ff, 453 BGB geltend mache.

Ein Mangel läge vor, da das auf den 06.03.2020 angesetzte Konzert zunächst auf April und schließlich auf Oktober 2020 verlegt worden sei. Eine Teilnahme an dem Konzert am 06.03.2020 sei damit im Zuge einer Nacherfüllung nicht mehr heilbar.

Dem beklagten Ticketzwischenhändler käme auch nicht die sogen. Gutscheinlösung nach Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsbereich und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) [BGBl I 2020, Nr. 22] zugute,  da davon nur Kulturveranstalter, nicht aber Ticketzwischenhändler begünstigt würden (Art. 1 § 5).

Der Ticketzwischenverkäufer hafte als Vermittler im Außenverhältnis, da er den Kaufpreis vereinnahmte und ein hier vorliegendes Kommissionsgeschäft nicht das Außenverhältnis betreffen würde, §§ 383ff HGB.

Damit seien die wechselseitig empfangenen Leistungen zurück zu gewähren, §§ 346 Abs. 1, 348 S. 1 BGB (das Ticket vom Käufer an den Zwischenhändler, der diesem gezahlte Kaufpreis an den Kunden).

AG Bremen, Urteil vom 02.10.2020 - 9 C 272/20 -

Donnerstag, 8. Oktober 2020

Verschuldensunabhängige Haftung bei E-Scootern ?

 

Anlässlich eines Verkehrsunfalls musste sich das LG Münster damit auseinandersetzen, ob für einen am Unfall Beteiligten Fahrer eines E-Scooters die Gefährdungshaftungsnormen der §§ 7, 17 StVG greifen. Der E-Scooter hatte in amtliches Kennzeichen und war über die Beklagte zu 2. zum Unfallzeitpunkt haftpflichtversichert gewesen. Bei dem E-Scooter handelte es sich um ein Elektrokleinstfahrzeug nach der eKFV, welches bauartbedingt nicht schneller als 20km/h auf ebener Strecke fahren kann.

Vorliegend könnte dem Fahrer des E-Scooter nicht nachgewiesen werden, dass er den Unfall schuldhaft verursachte oder mitschuldhaft verursacht hatte. Von daher schied die Haftung der Beklagten nach § 823 BGB aus.

Damit kamen als Anspruchsgrundlage an sich nur §§ 7 und 17 StVG in Betracht. Nach § 7 StVG haftet der Fahrzeughalter für die von seinem Fahrzeug ausgehende Gefährdung; nach § 17 Abs. 3 StVG muss er sich zur Vermeidung einer Mithaftung grundsätzlich dahingehend exkulpieren, dass der Unfall für ihn unabwendbar war. Gelingt die Exkulpation nicht, ist regelmäßig eine quotale Mithaftung anzunehmen. Hier aber verwies das Landgericht zutreffend auf § 8 StVG: Nach § 8 Abs.1 1 StVG greift die in § 7 StVG normierte verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nämlich dann nicht, wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wird, welches auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20km/h fahren kann. Dies sei vorliegend einschlägig.

Gemäß § 1 eKFV sind danach Elektrokleinstfahrzeuge Fahrzeuge mit einem elektrischen Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit zwischen 6km/h und 20km/h, weshalb sie aus der Gefährdungshaftung gem. § 8 StVG herausfallen. Der E-Scooter als batteriegetriebener Roller ist damit zwar ein Kraftfahrzeug, für ihn ist aber bei einer Geschwindigkeit nach Maßgabe des § 1 eKFV die gefährdungshaftungsnorm des § 7 StVG gem. § 8 StVG nicht einschlägig.

LG Münster, Urteil vom 09.032020 - 08 O 272/19 -

Sonntag, 4. Oktober 2020

Wann liegt eine ein Notwegerecht hindernde Willkür vor, §§ 917, 918 BGB ?

 

Der Kläger bebaute ein Grundstück, welches keinen eigenen Anschluss an einen öffentlichen Weg hatte. Sein Notwegerecht wurde vom Landgericht abgelehnt, da das Verlangen willkürlich sei. Dem folgte das OLG nicht.

Das Notwegerecht ergibt sich aus § 917 BGB:

(1) Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Wege, so kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden. Die Richtung des Notwegs und der Umfang des Benutzungsrechts werden erforderlichenfalls durch Urteil bestimmt.

(2) Die Nachbarn, über deren Grundstücke der Notweg führt, sind durch eine Geldrente zu entschädigen. Die Vorschriften des § 912 Abs. 2 Satz 2 und der §§ 913, 914, 916 finden entsprechende Anwendung.

Die Voraussetzungen lagen hier vor, da eine Verbindung zwischen dem im Streitbefindlichen Grundstück des Klägers und einem öffentlichen Weg fehlte. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH (so Urteil vom 24.04.2015 - V ZR 138/14 -), so das OLG, müsse der Hauseingangsbereich dabei zwar mit einem Kraftfahrzeug nicht selbst erreicht werden; ausreichend sei vielmehr, wenn dieses unmittelbar an das Wohngrundstück heranfahren könne und von dieser Stelle aus der Eingangsbereich in zumutbarer Weise (auch mit sperrigen Gegenständen) erreicht werden könne.

Der Kläger könne auch nicht auf eine anders verlaufende Zuwegung verwiesen werden. Aus dem Gesetz selbst ergebe sich nicht, welche Kriterien für die Wahl des Notwegeberechtigten maßgebend seien, wenn eine Mehrzahl denkbarer Möglichkeiten bestünde. Allerdings sei der Berechtigte verpflichtet die Verbindung zu wählen, die nach den örtlichen Gegebenheiten naturgemäß in Betracht käme, wobei er keinen Anspruch darauf habe, dass dabei stets der für ich kürzeste Weg maßgebend wäre. Daher käme es bei mehreren Möglichkeiten zu einer Abwägung der Interessen an der geringsten Belastung durch den Notweg einerseits und denjenigen an der größten Effektivität des Notweges andererseits. Vorliegend sah das OLG den vom Kläger vorgesehenen Notweg als alternativlos an, da die benannte Alternative nicht Möglichkeit verschaffe, mit dem Fahrzeug direkt an das Grundstück heranzufahren. Zudem handele es sich nach den örtlichen Gegebenheiten um den naturgemäß in Betracht kommenden Weg, da dort bereits ein ausgebauter Privatweg vorhanden sei.

Der Duldungsanspruch nach § 917 BGB sei auch nicht nach § 918 BGB

(1) Die Verpflichtung zur Duldung des Notwegs tritt nicht ein, wenn die bisherige Verbindung des Grundstücks mit dem öffentlichen Wege durch eine willkürliche Handlung des Eigentümers aufgehoben wird.

(2) Wird infolge der Veräußerung eines Teils des Grundstücks der veräußerte oder der zurückbehaltene Teil von der Verbindung mit dem öffentlichen Wege abgeschnitten, so hat der Eigentümer desjenigen Teils, über welchen die Verbindung bisher stattgefunden hat, den Notweg zu dulden. Der Veräußerung eines Teils steht die Veräußerung eines von mehreren demselben Eigentümer gehörenden Grundstücken gleich.

ausgeschlossen. Ein Ausschluss wäre bei einer willkürlichen Handlung des Berechtigten gegeben, § 918 Abs. 1 BGB. Es könne von daher kein Anspruch geltend gemacht werden, wenn der Berechtigte den maßgeblichen Zustand durch Maßnahmen an seinem Grundstück erst herbeigeführt habe (BGH, Urteil vom 05.05.2006 - V ZR 139/05 -; vgl. auch § 118 Abs. 2 BGB). Willkür erfordere eine freiwillige Handlung, mit der eine bestehende Verbindungsmöglichkeit aufgegeben würde und die einer ordnungsgemäßen Grundstücksbenutzung unter Beachtung der Rücksichtnahme den Interessen des Nachbarn widerspreche. Dies wäre z.B. auch der Fall, wenn er bei einer Bebauung seines Grundstücks nicht darauf achte, dass die Verbindung sämtlicher Teile des Grundstücks zu dem öffentlichen Weg erhalten bleibe.

Der Umstand, dass der Kläger hier seine Grundstücke südlich des streitbefangenen Grundstücks, die eine Verbindung zu einem öffentlichen Weg hatten, bebaute und von daher eine Anbindung nicht mehr möglich sei, sei keine Willkür iSv. § 918 Abs. 1 BGB. Das OLG stellt dabei darauf ab, dass es sich jeweils um verschiedene Grundstücke gehandelt habe und entscheidend sei, dass das fragliche Grundstück nie eine direkte Anbindung gehabt habe. Die bestimmungsgemäße Bebauung des fraglichen Grundstücks habe daher keine direkte Verbindung zu einem öffentlichen Weg unterbrochen oder erschwert. Der Kläger sei auch nicht verpflichtet gewesen, seine südlichen Grundstücke so einschränkend zu bebauen, dass über diese ein Weg zu dem streitbefangenen Grundstück verlaufen könne. Der Umstand, dass er Eigentümer mehrerer zusammenhängender Grundstücke sei, könne ihn im Rahmen der wirtschaftlichen Nutzung nicht schlechter stellen als einen etwaigen unbeteiligten Dritteigentümer dieser Grundstücke, jedenfalls dann nicht, wenn, wie hier, bereits ein Privatweg vorhanden sei, der von Dritten rechtmäßig genutzt würde.

OLG Rostock, Urteil vom 11.06.2020 - 3 U 24/19 -

Mittwoch, 30. September 2020

Streitwert und fehlerhafte Antragstellung im Rahmen der WEG-Beschlussanfechtung (hier: Jahresabrechnung)

Angefochten wurde die Jahresabrechnung der Wohnungseigentümergemeinschaft. Mit der Beschwerde wurde vom Kläger eine Streitwertreduzierung mit der Begründung geltend gemacht, in der Begründung der Anfechtungsklage gegen die Jahresabrechnung seien lediglich Ausführungen zu einzelnen Punkte der Abrechnung erfolgt. Darauf aber, so das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung, kommt es nicht an.

Zum Zeitpunkt des Ablaufs der Anfechtungsfrist nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG müsse erkennbar sein, in welchem Umfang welche Beschlüsse angefochten würden. Insoweit würden sich die Anforderungen der Anfechtungsklage an § 253 ZPO orientieren. Es sei also ein bestimmter Klageantrag erforderlich, aus dem sich ergeben würde, welche Beschlüsse inwieweit angefochten würden (BGH, Beschluss vom 16.02.2017 - V ZR 204/16 -). Vorliegend seien aber die angefochtenen Beschlüsse in der Klage im Wortlaut widergegeben worden, so der Beschluss zu TOP 3 zur Jahresabrechnung. Auch wenn Klageanträge der Auslegung zugänglich seien, würde sich dies nur auf Umstände beziehen, die zum Zeitpunkt der Klageeinreichung erkennbar sind. Aus der Klageschrift würden sich aber keine Umstände ergeben, die auf eine beabsichtigte Begrenzung des Streitgegenstandes hindeuten würden, da lediglich Daten der Versammlung und der Beschlussfassung benannt worden seien und sodann eine Begründung der Klage angekündigt wurde.

Nach § 46 Abs. 2 S. 2 WEG muss die Anfechtungsklage binnen eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben und binnen zwei Monaten nach der Beschlussfassung begründet werden. Aus der Entscheidung des Landgerichts ist zu erkennen, dass die (umfassende) Klage gegen die Jahresabrechnung zwar in der Monatsfrist erhoben, aber nicht gleichzeitig begründet wurde. Damit sei die Jahresabrechnung mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Rahmen der Klage insgesamt und nicht nur hinsichtlich einzelner Positionen angefochten worden (LG Itzehoe, Beschluss vom 07.01.2019 - 11 T 46/18 -). Wenn sodann im Rahmen der Klagebegründung der Klageantrag nur noch eingeschränkt (auf einzelne Positionen der Jahresabrechnung) weiterverfolgt werden soll, ist dies nach Darlegung des Landgerichts nur im Rahmen einer Teilklagerücknahme möglich.

Vorliegend sei außerdem auch der Klageantrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht eingeschränkt, sondern wie ursprünglich formuliert gestellt worden. Für die Gerichtskosten sei eine Teilklagerücknahme ohnehin unbeachtlich, da nach § 63 GKG eine spätere Streitwertreduzierung keinen Einfluss auf die Gerichtskosten habe (OLG München, Beschluss vom 13.12.2016 - 15 U 24907/16 -).

Hinweis: Auch wenn die Klageschrift nach § 46 WEG noch keine Begründung des (Anfechtungs-) Antrages enthalten muss, muss sich der Kläger vorher Gedanken darüber machen, inwieweit er einen Beschluss tatsächlich anfechten will. Er kann die Entscheidung nicht auf den Zeitpunkt der Klagebegründung hinausschieben, will er nicht Kostennachteile hinnehmen.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 03.03.2020 - 2-13 T 19/20 -

Freitag, 25. September 2020

Räumungsfrist (-verlängerung) und Beschaffung von Ersatzwohnraum

Die gekündigte Mieterin beantragte die Verlängerung einer Räumungsfrist auf die Zeit ab dem 01.08.2020. Das Amtsgericht (AG) hatte den Antrag zurückgewiesen; auf die Beschwerde erfolgte durch das Landgericht (LG) eine Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG, soweit das AG den Antrag für den Zeitraum vom 01.08. – 18.10.2020 zurückgewiesen hatte.

Ein Anspruch auf Verlängerung der Räumungsfrist würde gem. § 721 Abs. 3 ZPO u.a. dann bestehen, wenn während der eingeräumten Räumungsfrist die Suche nach Ersatzwohnraum trotz von der Mieterin nachzuweisender hinreichender Bemühungen erfolglos sei. Diese Bemühungen sollen hier nicht nur im Hinblick auf gesundheitliche Umstände erschwert gewesen, sondern auch bedingt durch die Corona-Pandemie erfolglos geblieben sein. Dieser Vortrag sei vom AG nicht hinreichend zur Kenntnis genommen worden, da in den Entscheidungsgründen darauf abgestellt würde, dass der gesundheitliche Zustand der Schuldnerin „weniger maßgeblich“ gewesen sei, obwohl doch ausgeführt worden sei, auch wegen der eigenen gesundheitlichen Situation zur erfolgreichen Anmietung einer Ersatzwohnung nicht in der Lage gewesen zu sein. Das AG habe bei der erneuten Beurteilung (ggf. nach einer Beweisaufnahme) zu befinden, ob es der Mieterin bei hinreichender intensiver Suche tatsächlich nicht möglich war, sich zum Zeitpunkt des Ablaufs der Räumungsfrist am 31.07.2020 Ersatzwohnraum zu beschaffen. Es seien die persönlichen Verhältnisse der Mieterin ebenso wie behauptete pandemiebedingte Erschwernisse zu berücksichtigen, und auch zu prüfen, ob der Mieterin Beweiserleichterungen deshalb zugute kommen würden, da die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in Berlin der der Mietenbegrenzungsverordnung vom 28.04,2015 besonders gefährdet sei.

Zurückgewiesen wurde die Beschwerde, soweit die Mieterin eine Räumungsfristerstreckung über den 18.10.2020 hinaus begehrte. Dies beruhte auf formalen Umständen: Eine Räumungsfrist darf nicht mehr als ein Jahr, berechnet vom Tag der Rechtskraft des Räumungsurteils an,  betragen, § 721 Abs. 4 S. 1 und S. 2 ZPO. Diese Frist würde aber am 18.10.2020 auslaufen.

LG Berlin, Beschluss vom 23.06.2020 - 67 T 57/20 -

Montag, 21. September 2020

Neben- und/oder Hauptforderung: Die vorgerichtlichen Kosten des Anwalts

Der Kläger machte Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Hierauf nahmen die Beklagten eine Teilregulierung (€ 526,96 von € 1.053,91) vor; eine Ausgleichung der Kosten des Klägers für dessen außergerichtliche anwaltliche Vertretung erfolgte nicht. Der von den Beklagten nicht ausgeglichene Restbetrag wurde vom Kläger klageweise geltend gemacht. Weiterhin beantragte er seine Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Anwaltsgebühren aus einem Wert von € 1.053,91 mit € 201,71. Das Amtsgericht wies die Klage ab; die Berufung des Klägers wurde als unzulässig zurückgewiesen, da die notwendige Beschwer von über € 600,00 (§ 511 Abs. 2 ZPO) nicht erreicht sei. Die Rechtsbeschwerde wurde vom BGH als unbegründet zurückgewiesen. 

Der BGH konnte sich in diesem Verfahren mit den außergerichtlichen Anwaltsgebühren auseinandersetzen. Handelt es sich bei diesen um eine Nebenforderung, so haben sie keinen Einfluss auf den Streitwert; sollte es sich bei ihnen um eine Hauptforderung handeln, erhöhen sie sie Streitwert. 

Der Wert wird nach §§ 3ff ZPO bemessen. Der geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von vorgerichtlich angefallenen Anwaltsgebühren erhöht als Nebenforderung dann nicht den Wert des Beschwerdegegenstandes (und damit entsprechend den Streitwert), soweit er neben der Hauptforderung geltend gemacht wird, für deren Rechtsverfolgung vorgerichtlich die Anwaltsgebühren angefallen sind (§ 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO). Wenn aber die Hauptforderung, für die die Anwaltsgebühren vorgerichtlich anfiel, nicht selbst Prozessgegenstand ist, handelt es sich bei diesen nicht um eine Neben- sondern um eine eigenständige Hauptforderung. Der BGH verweist darauf, dass entscheidend sei, dass die Hauptforderung selbst Prozessgegenstand sein muss, damit die darauf beruhenden Anwaltsgebühren als Nebenforderung anzusehen sind. 

Daraus folgt nach der nachvollziehbaren Entscheidung des BGH, dass der Freistellungsantrag des Klägers den Wert des Beschwerdegegenstandes (Streitwert) insoweit erhöht, soweit dieser Anspruch denjenigen Teil des vorprozessualen Sachschadens von € 1.053,91 betrifft, den die Beklagten vor Klageerhebung beglichen hatten und der damit nicht mehr streitgegenständlich war. 

Da der Kläger seinen gesamten Sachschaden ersetzt haben wollte, machte er auch aus diesem Wert seinen Freistellungsanspruch geltend. Da allerdings ein Teil des Sachschadens vorgerichtlich reguliert wurde sei der Wert des Anteils der Anwaltsgebühren durch eine Differenzberechnung zu ermitteln um festzustellen, inwieweit der Freistellungsantrag eine eigenständige Hauptforderung darstellt. Hierbei seien von den vorgerichtlich angefallenen Anwaltsgebühren diejenigen (fiktiven) Kosten abzuziehen, die entstanden wären, wenn der Anwalt auch vorprozessual den Anspruch auf Schadensersatz wegen des Sachschadens nur in der Höhe geltend gemacht hätte, wie er nunmehr Gegenstand der Klage ist.  Richtig sei zwar der Hinweis der Rechtsbeschwerde, dass dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger der Gegenstandswert zugrunde zu legen sei, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspräche (BGH, Urteil vom 05.12.2017 - VI ZR 24/17 -) und dass bei einer nicht begründeten Zuvielforderung keine anteilige Kürzung der zuzusprechenden Anwaltsgebühren erfolge sondern eine Berechnung auf Basis der zugesprochenen Hauptforderung, doch würde sich daraus kein Schluss zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenforderung ziehen lassen. 

Das Landgericht hatte den Wert der für die Nebenforderung zugrundezulegenden Anwaltsgebühren aus dem Wert der Klageforderung von € 526,96 mit (richtig) € 147,56 angenommen. Bei einem Wert von € 1.053,92 würden Anwaltsgebühren von € 201,71 anfallen. Die Differenz bei den Anwaltsgebühren beträgt damit € 54,15. Dieser Betrag von € 54,15 würde damit auch nach Auffassung des BGH den Wert des Streitgegenstandes im Klageverfahren erhöhen (Sachschaden € 526,96 zuzüglich Freistellungsanspruch für vorgerichtliche Anwaltsgebühren mit € 54,15), weshalb die notwendige Beschwer (entsprechend dem Streitwert) unter der Beschwer von über € 600,00 nach § 511 Abs. 2 ZPO liegt. Die Berufung war mithin unzulässig.

BGH, Beschluss vom 07.07.2020 - VI ZB 66/19 -