Freitag, 25. September 2020

Räumungsfrist (-verlängerung) und Beschaffung von Ersatzwohnraum

Die gekündigte Mieterin beantragte die Verlängerung einer Räumungsfrist auf die Zeit ab dem 01.08.2020. Das Amtsgericht (AG) hatte den Antrag zurückgewiesen; auf die Beschwerde erfolgte durch das Landgericht (LG) eine Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG, soweit das AG den Antrag für den Zeitraum vom 01.08. – 18.10.2020 zurückgewiesen hatte.

Ein Anspruch auf Verlängerung der Räumungsfrist würde gem. § 721 Abs. 3 ZPO u.a. dann bestehen, wenn während der eingeräumten Räumungsfrist die Suche nach Ersatzwohnraum trotz von der Mieterin nachzuweisender hinreichender Bemühungen erfolglos sei. Diese Bemühungen sollen hier nicht nur im Hinblick auf gesundheitliche Umstände erschwert gewesen, sondern auch bedingt durch die Corona-Pandemie erfolglos geblieben sein. Dieser Vortrag sei vom AG nicht hinreichend zur Kenntnis genommen worden, da in den Entscheidungsgründen darauf abgestellt würde, dass der gesundheitliche Zustand der Schuldnerin „weniger maßgeblich“ gewesen sei, obwohl doch ausgeführt worden sei, auch wegen der eigenen gesundheitlichen Situation zur erfolgreichen Anmietung einer Ersatzwohnung nicht in der Lage gewesen zu sein. Das AG habe bei der erneuten Beurteilung (ggf. nach einer Beweisaufnahme) zu befinden, ob es der Mieterin bei hinreichender intensiver Suche tatsächlich nicht möglich war, sich zum Zeitpunkt des Ablaufs der Räumungsfrist am 31.07.2020 Ersatzwohnraum zu beschaffen. Es seien die persönlichen Verhältnisse der Mieterin ebenso wie behauptete pandemiebedingte Erschwernisse zu berücksichtigen, und auch zu prüfen, ob der Mieterin Beweiserleichterungen deshalb zugute kommen würden, da die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in Berlin der der Mietenbegrenzungsverordnung vom 28.04,2015 besonders gefährdet sei.

Zurückgewiesen wurde die Beschwerde, soweit die Mieterin eine Räumungsfristerstreckung über den 18.10.2020 hinaus begehrte. Dies beruhte auf formalen Umständen: Eine Räumungsfrist darf nicht mehr als ein Jahr, berechnet vom Tag der Rechtskraft des Räumungsurteils an,  betragen, § 721 Abs. 4 S. 1 und S. 2 ZPO. Diese Frist würde aber am 18.10.2020 auslaufen.

LG Berlin, Beschluss vom 23.06.2020 - 67 T 57/20 -


Aus den Gründen:

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 29. Mai 2020 - 13 C 241/18 -, soweit darin zum Nachteil der Beklagten erkannt und der Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist für den Zeitraum 1. August 2020 bis 18. Oktober 2020 abgewiesen worden ist, aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die gemäß §§ 721 Abs. 6 Nr. 2, 567 ff. ZPO statthafte sofortige Beschwerde hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg.

Die Kammer hat von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückweisung gemäß § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch gemacht, da das Amtsgericht den von der Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Verlängerung der im erstinstanzlichen Urteil gewährten Räumungsfrist, soweit es zu deren Nachteil entscheiden hat, verfahrensfehlerhaft verneint hat.

Ein Anspruch auf Verlängerung einer gerichtlich gewährten Räumungsfrist kann gemäß § 721 Abs. 3 ZPO insbesondere dann bestehen, wenn die Suche nach Ersatzwohnraum während der gewährten Räumungsfrist - trotz hinreichender Bemühungen des Mieters - erfolglos war (vgl. Kammer, Beschl. v. 5. April 2018 - 67 T 40/18, WuM 2018, 383 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nach dem bisherigen Vortrag der Beklagten erfüllt:

Die Beklagte hat - unter Vorlage eines fachärztlichen Attests - behauptet, die von ihr entfalteten Bemühungen zur Anmietung von Ersatzwohnraum seien nicht nur aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sondern auch pandemiebedingt nicht unerheblich erschwert. Sie seien deshalb bislang trotz intensiver Bemühungen erfolglos geblieben. Das Amtsgericht hat eine Verlängerung der Räumungsfrist über den 31. Juli 2020 hinaus verneint, da der „gesundheitliche Zustand der Schuldnerin für die Entscheidung weniger maßgeblich“ sei. Damit allerdings hat es den Vortrag der Beklagten nicht hinreichend zur Kenntnis genommen, bislang auch gesundheitsbedingt nicht zur erfolgreichen Anmietung von Ersatzwohnraum in der Lage gewesen zu sein.

Bei der neuerlich im Rahmen des § 721 Abs. 3 ZPO vorzunehmenden Interessenabwägung wird das Amtsgericht den gesamten Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen und - erforderlichenfalls nach Durchführung einer Beweisaufnahme über ihren von den Klägern bestrittenen Vortrag - darüber zu befinden haben, ob der Beklagten auch bei hinreichend intensiver Suche tatsächlich die Anmietung von Ersatzwohnraum bis zum Ablauf des 31. Juli 2020 möglich wäre. Dabei werden nicht nur die besonderen persönlichen Verhältnisse der Beklagten zu berücksichtigen sein. Es wird auch zu erwägen sein, ob ihr mit Blick auf die zwischen den Parteien streitige Möglichkeit zur rechtzeitigen Beschaffung von Ersatzwohnraum nicht nur wegen der zusätzlichen pandemiebedingten Erschwernisse (vgl. dazu Kammer, Beschl. v. 26. März 2020 – 67 S 16/20, COVuR 2020, 428, beckonline Tz. 3; LG Berlin, Beschl. v. 5. April 2020 - 65 S 205/19, WuM 2020, 301, beckonline Tz. 6), sondern auch deshalb Beweiserleichterungen zu Gute kommen, weil die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in Berlin ausweislich der Mietenbegrenzungsverordnung des Senats vom 28. April 2015 (GVBl. 2015, S. 101) besonders gefährdet ist (vgl. BGH, Urt. v. 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, NJW 2019, 2765, beckonline Tz. 52 (zu § 574 Abs. 2 BGB); Kammer, Beschl. v. 5. April 2018 - 67 T 40/18, WuM 2018, 383 (zu § 721 Abs. 3 ZPO)).

Keinen Erfolg hatte die Beschwerde, soweit mit ihr eine Erstreckung der Räumungsfrist über den 18. Oktober 2020 hinaus begehrt wird. Denn gemäß § 721 Abs. 5 Satz 1 und 2 ZPO darf die Räumungsfrist, gerechnet vom Tage der Rechtskraft des Urteils an, nicht mehr als ein Jahr betragen. Diese Frist läuft an dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Tag ab.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestanden nicht, § 574 Abs. 2, Abs. 3 ZPO.



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