Donnerstag, 20. August 2020

Trittschallschutz bei Änderung des Bodenbelags im Wohnungseigentum



Die Parteien waren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft in einem 1962 errichteten Haus, welches 1965 in Wohnungseigentum aufgeteilt wurde. Der Kläger erwarb eine im 2. OG belegen Wohnung, der Beklagte 2001 die darüber liegende Wohnung. In 2008 ließ der Beklagte den Teppichboden in seiner Wohnung durch Fliesen ersetzen. Nach einem Gutachten aus dem Jahr 2013 entspricht die Wohnungsdecke zwischen den Wohnungen nicht den Anforderungen an den Trittschallschutz der DIN 4109 in der Ausgabe von 1989. Im Rahmen einer Klage gab das Landgericht im Berufungsverfahren dem klägerischen Hilfsantrag statt, nach dem der Beklagte verpflichtet wurde, durch geeignete Maßnahmen einen Normtrittschallpegel des Fußbodens von ≥ 53 dB herzustellen.


Die vom Landgericht zugelassene Revision des Beklagten wurde vom BGH zurückgewiesen. Zu Recht habe das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus § 10044 Abs. 1 BGB und 15 Abs. 3 WEG iVm § 14 Nr. 1 WEG bejaht.

Nach § 14 Nr. 1 WEG sei jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, von dem in seinem Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen (wozu auch der Oberbodenbelag gehöre) nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwachse. Der Wohnungseigentümer stehe insoweit auch für Nutzer/Mieter seiner Wohnung ein, § 14 Nr. 2 WEG. Durch den Austausch des Bodenbelags sei es hier zu einem Nachteil iSv. § 14 Nr. 1 WEG gekommen.

Dabei ergäbe sich das einzuhaltende Schallschutzniveau nicht aus tatsächlichen Umständen, wie hier der vorhandenen Ausstattung der Wohnung mit einem Teppichboden (insoweit erfolgte mit Urteil des BGH vom 27.02.2015 - V ZR 73/14 - eine Rechtsprechungsänderung). Für den im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander zu gewährenden Schallschutz sei die DIN 4109 maßgeblich, wenn wie vorliegend ein vorhandener Bodenbelag durch einen anderen ohne Eingriff in Estrich und Geschossdecke ersetzt würde. Das gelte selbst dann, wenn die Trittschalldämmung des Gemeinschaftseigentums mangelhaft sei und der Trittschall ohne diesen Mangel den schallschutztechnischen Mindestanforderungen entspräche. Auch wenn der Mangel erst durch Austausch des Bodenbelags zu Tage trete, bliebe dies für den von dem Wohnungseigentümer nach Austausch einzuhaltenden Schallschutz ohne Bedeutung.

Anders könnte es nur sein, wenn bei einer mangelhaften Trittschalldämmung des Gemeinschaftseigentums der Wohnungseigentümer keine zumutbare Abhilfemöglichkeit habe, was schon dann nicht der Fall sei, wenn durch Verlegung eines schalldämpfenden Teppichbodens oder eines zusätzlichen Bodenbelags der Schallschutz erreicht würde.

Einzuhalten seien hier bei dem 1962 errichteten und 1995 ausgebauten Gebäude die Anforderungen an den Trittschallschutz gem. DIN 4109 in der Ausgabe von 1989 (BGH, Urteil vom 16.03.2018 - V ZR 276/16 -). Vorliegend würde die darin festgelegte Trittschallgrenze von 53 dB bei einem Pegel von 66 bis 67 dB um 14 dB überschritten.


BGH, Urteil vom 26.06.2020 - V ZR 173/19 -

Dienstag, 18. August 2020

Steht die Scheinehe dem gesetzlichen Erbrecht entgegen ?

Die Beteiligte zu 2. war seit Juni 2019 die Ehefrau des Erblassers, die Beteiligten zu 1. und 3. die Söhne des Erblassers. Bereits mit Testament aus 2016 enterbte der Erblasser den Beteiligten zu 3. Die Beteiligten zu 1. und 2. beantragten einen gemeinschaftlichen Erbschein als Erben zu je ½, den das Amtsgericht am 19.11.2019 erließ. Mit der dagegen erhobenen sofortigen Beschwerde machte der Beteiligte zu 3. geltend, die Beteiligte zu 2. sei die Lebensgefährtin des Beteiligten zu 1. und es habe sich bei der Ehe mit seinem Vater nur um eine Scheinehe gehandelt, um so den Pflichtteilsanspruch von ihm zu minimieren.

Die sofortige Beschwerde wurde nach Nichtabhilfe durch das Amtsgericht vom OLG als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1. und 2. seien die gesetzlichen Erben des Verstorbenen, da der Verstorbene den Beteiligten zu 3., ohne einen Erben zu bestimmen, von der Erbfolge ausgeschlossen habe, § 1838 BGB.

Das OLG weist zwar darauf hin, dass seitens des Beteiligten zu 3. keine konkreten Anhaltspunkte für die Behauptung der Scheinehe und damit keinen Aufhebungsgrund nach § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB benannt wurde (Einigkeit der Eheleute bei Eheschließung, keine eheliche Lebensgemeinschaft eingehen zu wollen, § 1353 BGB). Allerdings kam es darauf nicht an. Die Beteiligte zu 2. sei als Ehefrau Erbin zu ½ (§§ 1931, 1371 BGB) und ihr Erbrecht nicht nach § 1933 BGB (es müssten die Voraussetzungen für eine Scheidung gegeben sein und der Erblasser diese beantragt oder einer solchen zugestimmt haben) ausgeschlossen. Auch habe der Erblasser keinen Antrag auf Aufhebung der Ehe gestellt; mache aber der Erblasser trotz Kenntnis des Aufhebungsgrundes davon keinen Gebrauch, verbleibe es beim Erbrecht des Ehegatten. Die Ausnahme nach § 1318 Abs. 5 BGB, dass die Kenntnis der Aufhebbarkeit der Ehe wegen Geschäftsunfähigkeit, Bigamie, Verwandtschaft, Formverstoß oder Geistesstörung bei Eheschließung das gesetzliche Erbrecht auch ausschließe, greife hier nicht. Die Aufhebbarkeit wegen Scheinehe falle nicht unter § 1318 Abs. 5 BGB.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 18.03.2020 - 3 W 27/20 -

Sonntag, 16. August 2020

Zwangsversteigerung und Geldwäschegesetz: Besteht eine gerichtliche Prüfungspflicht ?

Die Antragsgegnerin, die ehemalige Eigentümerin der in der Zwangsvollstreckung befindlichen Immobilie, erhob gegen einen Zuschlagsbeschluss des AG Heilbronn, der in öffentlicher Sitzung vom 19.02.2019 verkündet wurde, fristgerecht sofortige Beschwerde. Diese begründete sie u.a. damit, dass unter der Adresse des Erstehers, der für sich als Privatmann auftrat, eine Vielzahl von Unternehmen (GmbHs, KGs, Stiftung bürgerlichen Rechts) ansässig seien und damit der Verdacht bestünde, dass die eingesetzten Mittel aus strafbaren Handlungen herrühren würden und mithin der Ersteher diese durch ihren Einsatz in der Versteigerung vom Makel befreien und legitimieren wolle (Geldwäsche). Die sofortige Beschwerde wurde zurückgewiesen.

Die sofortige Beschwerde kann nach § 100 Abs. 1 ZVG darauf gestützt werden, dass eine Vorschrift der §§ 81, 83 - 85a ZVG verletzt worden sei. In Betracht käme hier insoweit allenfalls § 83 Nr. 6 ZVG (Unzulässigkeit der Zwangsversteigerung oder deren Fortsetzung aus einem sonstigen Grund).

Das Landgericht wies darauf hin, dass hinreichende Anhaltspunkte, die auf eine rechtswidrige Herkunft der finanziellen Mittel des Erstehers schließen liegen, mit der Angabe zu den Unternehmen an der Adresse des Erstehers nicht dargetan worden seien. Von daher ergäbe sich keine Prüf- oder Ermittlungspflicht des Vollstreckungsgerichts. Die Gerichtskasse selbst, die das Geld vereinnahme und die Auszahlungen vornehme, unterläge nicht dem Geldwäschegesetz (BGH, Beshcluss vom 28.02.2013 - V B 164/12 -).

Zudem sei zu berücksichtigen, dass das Bargebot nebst Zinsen, welches der Ersteher zahlen müsse, durch Überweisung zu erbringen sei. Dieser Betrag würde der Gerichtskasse vor dem Verteilungstermin gutgeschrieben und ein Nachweis hierfür spätestens im Verteilungstermin vorgelegt werden könne, §§ 107 Abs. 2, 49 Abs. 3 ZVG. Durch die zwingende Einbindung von Banken/Kreditinstituten, die dem Geldwäschegesetz unterliegen und Verpflichtete nach § 2 GwG seien, würde die gesetzeskonforme Überwachung des Zahlungsverkehrs sichergestellt. Lediglich in Eilfällen sei nach dem Landeshinterlegungsgesetz eine Bareinzahlung möglich, der hier aber nicht angesichts der Zahlung vom 21.09.2019 nicht vorgelegen habe, da der Verteilungstermin der 12.04.2019 war.

LG Heilbronn, Beschluss vom 02.04.2019 - 1 T 82/19 - 

Mittwoch, 12. August 2020

Formlose Änderung des Grundstückskaufvertrages nach Auflassung für Nutzungsbeschränkungen


Grundsätzlich bedarf der Grundstückskaufvertrag der notariellen Form, § 311b Abs. 1 S. 1 BGB. Ohne diese Form ist er nichtig. Eine Änderung des (notariell) abgeschlossenen Grundstückskaufvertrages bedarf daher grundsätzlich auch dieser Form, es sei denn, die Vereinbarung erfolgt nach der Auflassung zu einem Zeitpunkt, zu dem diese bindend geworden ist (§ 873 Abs. 2 BGB; BGH, Urteil vom 14.09.2018 - V ZR 213/17 -). Allerdings gilt diese Formfreiheit dann auch nicht, wenn mit der Änderung Erwerbs- oder Veräußerungspflichten geändert oder neu begründet werden (BGH aaO.). Das ist dann der Fall, wenn die Verpflichtung zur dinglichen Rechtsänderung verändert oder neu begründet wird, da in diesen Fällen die bei der Beurkundung erklärte Auflassung noch nicht eine Erledigung gefunden hat. Ein solcher Fall liegt z.B. vor, wenn nach der Auflassung die Parteien eine Rückkaufverpflichtung des Verkäufers vereinbaren (BGH, Urteil vom 06.05.1988 - V ZR 50/87 -).

In dem vorliegend vom BGH behandelten Fall wurde nach Abschluss des notariellen Kaufvertrages mit Auflassung ein Milchverarbeitungsverbot auf dem Grundstück ohne Wahrung der Form des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB getroffen. Nach dieser war dem Erwerber untersagt, selbst auf dem Grundstück Milchverarbeitung vorzunehmen und es sollte auch für Mieter und Pächter gelten; ferner war dem Käufer die Pflicht auferlegt worden, dieses Verbot auch für Rechtsnachfolger des Käufers gelte. Für den Rechtsstreit war entscheidend, ob deshalb der notarielle Kaufvertrag wegen Nichtwahrung der Form nichtig ist. Anders als das OLG sah der BGH in der nachträglichen Vereinbarung eine Nutzungsbeschränkung, die nicht zur Änderung oder Neubegründung der Erwerbs- oder Veräußerungspflichten führen würde und daher nicht der Formvorschrift des § 311b BGB unterfalle, sondern formlos möglich sei.

Auch wenn ein Verstoß gegen das Verbot den Käufer schadensersatzpflichtig mache und auch ggf. ein recht des Verkäufers zum Rücktritt vom Kaufvertrag nach § 323 Abs. 1 BGB begründen könnte, bliebe doch die Verpflichtung zur dinglichen  Rechtsänderung davon unberührt.  Es träte auch keine neue (Rück-) Übertragungsverpflichtung hinzu, da im Falle eines Rücktrittsrechts sich dies aus der gesetzlich angeordneten Rechtsfolge (§§ 346ff BGB) ergeben würde. Auch der Umstand, dass die Nutzungsbeschränkung mit einer Minderung des Grundstückswertes einhergehen könne würde an der Formfreiheit nichts ändern, da eine nach der Auflassung vereinbarte Erhöhung oder Ermäßigung des Kaufpreises auch formfrei möglich sei (BGH, Urteil vom 14.09.2018 aaO.), was ebenfalls das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung betreffe.

Vorliegend hatte der Käufer seine Rechte aus dem Grundstückskaufvertrag nebst Auflassung an einen Dritten weiterveräußert und abgetreten, ohne diesen allerdings die die Nutzungsbeschränkung selbst aufzuerlegen, die er nach der Auflassung mit dem Verkäufer vereinbart hatte. Daraus aber habe hier der Kläger (Verkäufer) keine rechte ableiten können, da in der Vereinbarung nicht ausdrücklich eine Übertragung der Beschränkung auf Rechtsnachfolger geregelt sei und das OLG rechtsfehlerfrei die Vereinbarung dahingehend ausgelegt habe, dass der Käufer sich eine Milchverarbeitung durch Mieter, Pächter und Käufer habe zurechnen lassen wollen. Es sei daher eine Nebenpflicht des Käufers dafür zu sorgen, dass dieser Personenkreis keine Milchverarbeitung auf dem Grundstück vornimmt, ohne das geregelt worden wäre, wie dem der Käufer nachzukommen hat.  

BGH, Urteil vom 11.10.2019 - V ZR 7/19 -

Sonntag, 9. August 2020

WEG: Zur Pflichtwidrigkeit bei Feststellung eines für ungültig zu erklärenden Beschlusses über bauliche Veränderungen

Auf der Eigentümerversammlung, an der u.a. die Kläger nicht teilnahmen, wurden unter TOP 2 jeweils mit einer Gegenstimme zwei Beschlüsse gefasst, die von der Beklagten, die zum damaligen Zeitpunkt Verwalterin der WEG war, als angenommen festgestellt wurden. Einer der Beschlüsse betraf bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums, die für eine von einer Teileigentümerin geplanten Umbaumaßnahme ihres Einkaufszentrums erforderlich waren, der weitere Beschluss eine Sonderumlage für die brandschutztechnische Ertüchtigung des Gemeinschaftseigentums. Das Landgericht wies diesbezüglich die Anfechtungsklage zu den Umbaumaßnahmen ab, gab ihr im Hinblick auf die Sonderumlage statt. Die Kläger legten Berufung ein, soweit die Klage abgewiesen wurde. Während des Berufungsverfahrens kam es zur Erledigung der Hauptsache. Das Landgericht entschied, dass die gesamten Kosten des Verfahrens von der WEG zu tragen seien, da mit hoher Wahrscheinlichkeit die Berufung Erfolg gehabt hätte, da durch die Umbaumaßnahme das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes verändert worden wäre, weshalb es der Zustimmung aller Eigentümer bedurft hätte, die nicht vorlag.

Gestützt darauf verlangte die WEG nunmehr von der Beklagten Schadensersatz für die ihr durch das vorgenannte  Verfahren entstandenen Kosten und machte geltend, die Beklagte hätte den Beschluss über die Genehmigung der Umbaumaßnahmen nicht verkünden dürfen. Amts- und Landgericht hatten die Klage abgewiesen; das Landgericht ließ die Revision zu. Der BGH wies die Revision als zurück.

In der Verkündung des Beschlusses zu den Umbaumaßnahmen habe keine Pflichtwidrigkeit der Beklagten nach § 280 BGB gelegen, auch wenn davon auszugehen sei, dass der Beschluss im Hinblick auf § 22 Abs. 1 WEG rechtswidrig war, da bei beabsichtigten baulichen Veränderungen jeder Wohnungseigentümer zustimmen müsse, dessen Recht über das in § 14 Nr. 1 WEG benannte Maß beeinträchtigt sein kann. Zunächst würde mithin eine einfache Mehrheit ausreichend sein. Daneben bedürfe es aber der Zustimmung derjenigen Eigentümer, die über das in § 14 Nr. 1 WEG benannte Maß hinaus beeinträchtigt würden. Hier wäre dies nach der Auffassung des Landgerichts derjenige Sondereigentümer gewesen, der mit Nein gestimmt habe. Der Beschluss sei dann aber nicht nichtig, könne aber im Beschlussanfechtungsverfahren für ungültig erklärt werden.  

Damit käme es konkret auf die Pflichten des Verwalters in seiner Funktion als Versammlungsleiter an.

Der Verkündung des Beschlussergebnisses komme konstitutive und inhaltsfixierende Bedeutung zu. Der Versammlungsleiter müsse die Gültigkeit der abgegebenen Stimmen prüfen, das Abstimmungsergebnis ermitteln und es anhand des Mehrheitserfordernisses  (wozu auch die Ermittlung gehört, on eine qualifizierte Mehrheit erreicht ist, wenn dies im Gesetz oder der Gemeinschaftsordnung vorgesehen sei) beurteilen, um auf dieser Grundlage dann ein (positives oder negatives) Ergebnis zu verkünden.

Für die Beschlussfeststellung bei einer baulichen Änderung wies der BGH darauf hin, dass das Zustimmungserfordernis der nach § 14 Nr. 1 WEG Betroffenen der ordnungsgemäßen Verwaltung zuzuordnen sei, wofür u.a. spräche, dass dies einer zusätzlichen Prüfung der tatsächlichen baulichen Auswirkung auf die einzelnen Eigentümer bedürfe. Damit handele der Versammlungsleiter nicht pflichtwidrig, wenn er bei einfacher Mehrheit einen positiven Beschluss verkünde. Er sei zu dessen Verkündung verpflichtet, auch wenn er den Beschluss als der ordnungsgemäßen Verwaltung widersprechend ansehen sollte, da er nicht Aufsichtsorgan der Wohnungseigentümer sei.

Allerdings sei der Verwalter als Versammlungsleiter (jedenfalls als gewerblich tätiger Verwalter) im Vorfeld der Beschlussfassung über bauliche Veränderungen gem. § 22 Abs. 1 WEG prüfen, ob einzelne Wohnungseigentümer (und ggf. welche( ihre Zustimmung erteilen müssen, und er habe die Eigentümerversammlung vor der Beschlussfassung über das Ergebnis seiner Prüfung und ein ggf. bestehendes Anfechtungsrisiko zu informieren. Ein Unterlassen würde sich als Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 BGB darstellen. Einen Rechtsirrtum hätte er allerdings nur dann zu vertreten, wenn seine Einschätzung offenkundig falsch sei. Der Verwalter könne die Eigentümerversammlung auch auf aus seiner Sicht verbleibende Rechtsunsicherheiten hinweisen.

Der BGH wies auf die sich aus der Sonderstellung des § 22 Ab1. 1 WEG ergebende Situation hin, dass die Gemeinschaft erst nach der Stimmabgabe erkennen könne, dass erforderliche Zustimmungen fehlen, auch wenn eine Information des Verwalters vorlag, da z.B. der Eigentümer, der zustimmen müsste, vor der Abstimmung nicht zu erkennen gibt, zuzustimmen. In einem solchen Fall könne (müsse aber nicht) der Versammlungsleiter 8ebenso wie die Eigentümer) einen Geschäftsordnungsbeschluss einholen bzw. beantragen, ob der Versammlungsleiter den Beschluss zu dem Abstimmungsergebnis einen positiven Beschluss verkünden soll.

Damit käme es für den Schadensersatzanspruch nur noch darauf an, ob ein Hinweis durch die beklagte als Versammlungsleiterin erfolgte. Hier schloss sich der BGH der Auffassung des Landgerichts an, dass die Kläger (Wohnungseigentümer) für eine Verletzung der Informations- und Hinweispflicht darlegungs- und beweisbelastet seien, wobei dieser Beweis nach Würdigung des Landgerichts nicht erbracht worden sei.

BGH, Urteil vom 29.05.2020 - V ZR 141/19 -

Donnerstag, 6. August 2020

Engstelle: Vorrang und Verständigungspflicht bei Unfall in der Engstelle

An einer Engstelle war die Durchfahrt mit Zeichen 208 geregelt, demzufolge der Verkehr aus einer Richtung gegenüber dem Verkehr aus der anderen Richtung bevorrechtigt ist. Die beteiligten Fahrzeuge fuhren beide in die Engstelle ein und es kam zur Kollision. Die Haftung wurde im Verhältnis von 30% zu Lasten desjenigen, der bevorrechtigt hatte einfahren dürfen zu 70% zu Lasten desjenigen, der wartepflichtig war. Diese Entscheidung wurde mit der Berufung angefochten. Das OLG wies gem. § 522 ZPO darauf hin, dass es gedenke, die Berufung mangels Erfolgsaussicht im Beschlussweg zurückzuweisen.

Zeichen 208


Nach § 17 Abs. 1 StVG sei auf die Umstände des Einzelalls abzustellen, also insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Dabei seien nur unstreitige, bewiesene oder zugestandene Tatsachen zu berücksichtigen. Jeder Beteiligte habe danach diejenigen Tatsachen zu beweisen, die dem anderen Beteiligten zum Verschulden gereichen würden und aus denen er für die Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG für sich günstige Rechtsfolgen herleiten  will.

Nach der Beweisaufnahme sie das Landgericht davon ausgegangen, dass beide beteiligten Fahrer gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen hätten. Die Fahrzeuge hätten nebeneinandergestanden, doch habe ein Austausch darüber nicht stattgefunden, wie die Situation, dass ein gemeinsames passieren nicht möglich war, gelöst werden könnte.  Dies sei zutreffend, da bei einer derartigen Situation eine Verständigung darüber stattfinden müsse, wer die Fahrt fortsetzt (OLG Hamm, Urteil vom 07.06.2016 - I-9 U 59/14 -).

Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Fahrerin des klägerischen Fahrzeuges den durch Zeichen 208 angeordneten Vorrang des gegnerischen Fahrzeuges nicht beachtet habe, wobei auf sich beruhen könne, ob sie dieses bei Einfahren in die Engstelle gesehen haben kann. Der Regelungsgehalt ginge weiter: Da hier die Bäume die Sicht auf entgegenkommende Fahrzeuge behinderten, nicht aber völlig beseitigten, hätte sie durch Anpassen der Geschwindigkeit vor Einfahren in den dortigen Kurvenbereich sicherstellen müssen, dass kein vorrangiges Fahrzeug entgegenkomme. Ansonsten würde die Pflicht zum Fahren mit angepasster Geschwindigkeit gem. § 3 Abs. 1 S. 2 StVO verletzt.

Weiterhin sei für das klägerische Fahrzeug auch eine erhöhte Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Die Fahrerin des klägerischen Fahrzeuges hätte, als sie den Unfallgegner erstmals wahrnahm, anhalten und ggf. zurücksetzen müssen. Dafür spreche nicht nur der durch Verkehrszeichen angeordnete Vorrang des Unfallgegners, sondern auch die im Vergleich zum Unfallgegner geringere Wegstrecke bis zur Haltebucht.

Von daher sei hier für den Kläger eine Haftung von 70% anzunehmen.

OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 24.04.2020 - 7 U 225/19 -


Sonntag, 2. August 2020

Ist vor Erlass einer einstweiligen Verfügung dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ?


Der Betroffene mahnte die Beschwerdeführerin wegen eines in ihrer Zeitschrift „W“ am 10.05.2020 veröffentlichten Artikels  zu einem J., der an der Veröffentlichung eines Videos beteiligt gewesen sein sollte, das zum Rücktritt des österreichischen Politikers Strache führte, am 11.05.2020 mit einem 15-seitigen Schreiben ab; gegen J. wird seit der Veröffentlichung in Österreich strafrechtlich ermittelt. Der Beschwerdeführer reagierte am Abend des gleichen Tages auf die Abmahnung und wies diese unter Darlegung der Gründe und Beifügung von Anlagen zurück. Am Morgen des 12.05.2020 beantragte er eine einstweilige Verfügung mit einer bei dem LG Berlin eingereichten 26-seitigen Antragsschrift, die gegenüber der Abmahnung ausgebaut wurde, auf Argumente der Abmahnerwiderung reagierte und zwei eidesstattliche Versicherungen des Betroffenen ergänzte. Nach dem Abruf des Schutzschriftregisters gegen Mittag erließ das LG Berlin im Wege der einstweiligen Verfügung einen Beschluss (ohne Begründung), mit dem der Beschwerdeführerin die weitere Verbreitung des Artikels (so über digitale Kanäle, insbesondere auch im Online-Archiv) untersagt wurde. Gegen diesen Beschluss lehnte die Beschwerdeführerin nach Zustellung am 14.05.2020 am 19.05.2020 die erkennenden Richter des LG Berlin als Befangen ab und legte am 20.05.2020 gegen den Beschluss Widerspruch zusammen mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ein. Sodann erhob die Beschwerdeführerin mit der Begründung, es läge eine offenkundige und bewusste Verletzung ihrer prozessualen Waffengleichheit vor und begehrte die Aussetzung der einstweiligen Verfügung.


Nach Anhörung des Betroffenen (des Antragstellers im Verfahren vor dem LG Berlin) gab das BVerfG dem Antrag der Beschwerdeführerin statt.

Obwohl grundsätzlich zunächst vor einer Verfassungsbeschwerde der Rechtsweg ausgeschöpft sein muss, sieht hier das BVerfG die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde als gegeben an. Dies begründet es mit der Besonderheit des Verfahrens und die darauf bezogene Begründung: Geltend gemacht würde eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung durch (bewusstes) Übergehen ihrer prozessualen Rechte. Insbesondere könne sie mit dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss die Missachtung des Verfahrensrechts nicht geltend machen (BVerfG, Beschluss vom 03.06.2020 - 1 BvR 1246/20 -), da dieser Antrag von der Erfolgsaussicht des Widerspruchs abhängig sei. Auch i übrigen gäbe es keine Rechtsmittel, mit denen die Verletzung der prozessualen Waffengleichheit geltend gemacht werden könne, weshalb es hier ausnahmsweise zulässig sei, unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung Verfassungsbeschwerde zu erheben.  Da die Rechtsbeeinträchtigung durch den Unterlassungstitel fortdaure, benötige die Beschwerdeführerin auch kein besonders gewichtiges Feststellungsinteresse (BVerfG aaO.).

Die von der Beschwerdeführerin benannte Verletzung der prozessualen Waffengleichheit wurde vom BVerfG als grundrechtsgleiches Recht bejaht. Auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung, selbst wenn eine Verfügung wegen besonderer Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung ergehen dürfe, bedürfe es der Einbeziehung der Gegenseite im verfahren (BVerfG, Beschluss vom 30.09.2018 - 1 BvR 1783/17 -; BVerfG, Beschluss vom 03.06.2020 aaO.). Diese Einbeziehung des Gegners sei nur entbehrlich, wenn der eingereichte Antrag mit der Abmahnung identisch sei und die Erwiderung des Gegners auf die Abmahnung mit eingereicht würde. Läge erkennbar eine Identität nicht vor, da der Betroffene auf die Erwiderung der Gegenseite in seiner Antragsschrift inhaltlich eingehen würde und repliziere, müsse das Gericht dem Antrag zu Gehör der Gegenseite bringen (BVerfG vom 30.09.2018 aaO.; BVerfG vom 03.06.2020 aaO.).

An diese Vorgaben habe sich das LG Berlin nicht gehalten und deshalb das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Es habe die Gleichwertigkeit seiner prozessualen Stellung gegenüber der Beschwerdeführerin als Verfahrensgegner nicht mehr gewährleistet. Die Antragsschrift sei ausdrücklich auf die Einwände der Beschwerdeführerin in deren außergerichtlicher Stellungnahme eingegangen, woraus sich bereits für das Gericht im Sinne gleichwertiger Äußerungs- und Verteidigungsmöglichkeit hätte ergeben müssen, der Beschwerdeführerin (evtl. auch fernmündlich oder E-Mail) Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Hinzu käme, dass die Antragsbegründung – unabhängig von unterschiedlichen Anforderungen an ein anwaltliches Schreiben im Vergleich zu einem Verfahrensschriftsatz – umfassender und differenzierter war als das Abmahnschreiben, welches auch neue Gesichtspunkte enthielt. Erstmals sei zudem hier auch ausdrücklich die Tatsachengrundlage der im Artikel benannten Vorwürfe bestritten, demgegenüber im Abmahnschreiben noch auf deren Nachweislichkeit anhand der Aktenlage verwiesen worden sei. Damit habe keine Kongruenz zwischen dem Abmahnschreiben und der Antragsschrift bestanden.

Auch kann nach Ansicht des BVerfG der Beschwerdeführerin nicht vorgeworfen werden, keine Schutzschrift im elektronischen Schutzschriftregister zu hinterlegen. Es könne dem Gegner nicht zugemutet werden, auf einen ihn unbekannten Vortrag vorsorglich zu erwidern.

Auch wenn die Frist zu einer Stellungnahme der Beschwerdeführerin im Verfahren über die einstweilige Verfügung hätte kurz bemessen werden können, sei es unzulässig,  wegen dadurch bedingter Verzögerungen gänzlich von einer Einbeziehung der Gegenseite abzusehen und ihn bis zu einer auf den Widerspruch hin anzuberaumenden mündlichen Verhandlung  mit einer einseitig erstrittenen gerichtlichen Unterlassungsverfügung zu belasten und die zudem auch ohne Begründung ist (Anm.: und nicht haben muss), weshalb der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich sei, ob ihr Vortrag überhaupt Berücksichtigung gefunden habe bzw. unter welchen Gesichtspunkten er hintenangestellt worden sei.  

BVerfG, Beschluss vom 17.06.2020 - 1 BvR 1380/20 -