Mittwoch, 5. Juli 2023

Schneefanggitter und sonstige Sicherungen vor Dachlawinen in schneearmen Orten (hier: Essen)

Wann sind Schneefanggitter an Dächern oder sonstige Sicherungsmaßnahmen gegen die Gefahr einer Schneeabgangs (Dachlawine) erforderlich ? Mit dieser Frage musste sich das OLG Hamm in Bezug auf eine Dachlawine in Essen (Nordrhein-Westfalen) auseinandersetzen.

Das Landgericht hatte den Schadensersatzanspruch des Klägers abgelehnt, mit dem dieser einen Schaden an seinem Pkw geltend machte, der durch eine Schneelawine, die vom Dach des Hauses der Beklagten stammte, beschädigt wurde. Er vertrat (auch im Berufungsverfahren) die Rechtsauffassung, die Beklagten hätten Schneefanggitter anbringen müssen.  Auch das Berufungsgericht folget ihm nicht und wies ihn mit dem hier besprochenen Beschluss darauf hin, dass es beabsichtige die Berufung mangels Erfolgsaussichten derselben im beschlussweg zurückwiesen zu wollen (§ 522 ZP). Dies geschah dann mit Beschluss vom 14.03.2023.

Der Kläger vertrag die Ansicht, in Ansehung des unberechenbaren Wetters durch den Klimawandel bestünde die Verpflichtung zum Anbringen von Schneefanggittern. Zu Recht habe das Landgericht darauf abgestellt, dass Essen zu den schneearmen Gegenden Deutschlands zähle, in denen nicht regelmäßig mit Dachlawinen zu rechnen sei und daher die Anbringung von Schneefanggittern „eher unüblich“ sei. Zwar könnte der klägerseits benannten Klimawandel vermehrt lokal zu extremen Wettergeschehen führen, doch haben der der Kläger weder dargelegt noch sei ersichtlich, dass der Klimawandel gerade in Essen zu einer signifikanten Zunahme von Schneefällen geführt hätte, dass deswegen nunmehr auch in Essen regelmäßig mit in den Wintermonaten wiederholt mit Dachlawinen zu rechnen sei. Auch sei vom Kläger nicht dargelegt worden, dass gerade in Bezug auf das Haus der Beklagten die Beschaffenheit des Daches oder Lage eine erhöhte Gefahr für Dachlawinen bestünde.

Das OLG hatte damit zur Frage der Anbringung von Schneefanggittern zur Vermeidung des Abgangs von Dachlawinen primär auf die Region abgestellt und darauf, ob mit solchen in Ansehung des üblichen Schneeaufkommens zu rechnen sei; vereinzelte mögliche „Wetterkapriolen“, die es im Hinblick auf den Klimawandel gibt, sah das OLG erkennbar nicht als ausreichend an, eine Gefährdungslage anzunehmen, die das Anbringen von Schneefanggittern gebietet.

Da das Dach des Hauses der Beklagten und aller Dächer im Ruhrgebiet mit Schnee bedeckt war, stellte der Kläger weiter darauf ab, hätte der Kläger zu seiner Auffassung, die Beklagten hätte einen Dritten mit der Räumung beauftragen müssen (eine Räumung durch die Beklagten selbst sei für diese zu gefährlich), darlegen müssen, dass die Beauftragung eines Dritten mit einer zeitnahen Räumung möglich gewesen wäre. Eines Beweisantrags der Beklagten für die Unmöglichkeit hätte es nicht bedurft. Zudem sei den Beklagten in Ansehung des notwendigen Aufbaus eines Gerüsts bzw. dem Einsatz eines Hubsteigers der Einsatz eines Dritten nicht zumutbar gewesen (OLG Hamm,  Beschluss vom 14.08.2012 - I-9 U 119/12 -). Nur wenn die Beklagten eine besonders hohe Gefahr für einen Schneeabgang festgestellt rechtzeitig vor dem Unfall festgestellt hätten (was hier nicht ersichtlich sei), wäre eine solche Maßnahme geboten gewesen. Allgemeine Warnhinweise auf wetter.de, andere Städte betreffenden Publikationen u.a. in den Ruhr-Nachrichten würden nicht ausreichen. Hier stellte das OLG mithin auf die konkreten, für die Beklagten feststellbaren Umstände an ihrem Haus und den Zeitfaktor ab.

Letztlich könne sich der Kläger auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass keine Absperrung erfolgt sei und auch keine Warnhinweise aufgestellt worden seien. Die Absperrung habe nur für das Haus erfolgen können; der beschädigte Pkw stand aber auf der öffentlichen Straße. Hier aber habe auch keine Verpflichtung zur Aufstellung von Warnhinweisen bestanden. Entsprechende Vorsorgemaßnahmen durch Warnhinweise seien im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht nur geboten, wenn die Gefahrenquelle trotz Anwendung der von Verkehrsteilnehmern zu erwartenden eigenen Sorgfalt nicht rechtzeitig erkannt werden könnten (OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2012 aaO.). Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs hätte bei der gebotenen Sorgfalt selbst die Neigung des Daches und dessen Schneebedecktheit und damit die latente Gefahr einen Dachlawinenabgangs feststellen können; bei derartigen Wetterverhältnissen, wie sie herrschten, müsse grundsätzlich jeder mit der Möglichkeit rechnen, dass von den Dächern Schnee oder Eis herabstürzen könne (OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2012 aaO. mwN.).

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 01.02.2023 - 11 U 67/22 -

Montag, 3. Juli 2023

Haftpflicht: Mitversicherung des volljährigen Kindes mit Berufsausbildung

Der Kläger begehrte von der Beklagten Deckungsschutz in Form der Freistellung zu einem Schadensfall. Bei der Beklagten handelte es sich um die Haftpflichtversicherung der Mutter des Klägers, der bereits volljährig war und eine abgeschlossene Berufsausbildung hatte. Das Landgericht wies seine Klage ab. Auf seine Berufung erließ das OLG einen Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO und wies darauf hin, dass beabsichtigt sei, seine Berufung zurückzuweisen, woraufhin er das Rechtsmittel zurücknahm.

Nach den Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) waren auch volljährige Kinder mit abgeschlossener Berufsausbildung mit in der Haftpflichtversicherung des Versicherungsnehmers (hier der Mutter des Klägers) mitversichert, wenn sie „in häuslicher Gemeinschaft“ mit dem Versicherungsnehmer leben.

In den Entscheidungsgründen wies das OLG darauf hin, dass vom Kläger nicht ausreichend dargelegt worden sei, dass er noch in den Versicherungsschutz der Haftpflichtversicherung seiner Mutter eingeschlossen gewesen sei. Nach den Versicherungsbedingungen sei nach den einschlägigen AHB für die Einbeziehung von volljährigen Kindern mit abgeschlossener Berufsausbildung Voraussetzung, dass sie mit dem Versicherungsnehmer in häuslicher Gemeinschaft leben würden, sie auch dieselbe Meldeadresse wie der Versicherungsnehmer hätten.

Das bestehen derselben Meldeanschrift begründe aber nicht bereits die Annahme der häuslichen Gemeinschaft, wovon der Kläger ausging, der eine entsprechende Meldebescheinigung vorgelegt habe, aber weiteres zu den häuslichen Verhältnissen nicht mitteilte.  Die häusliche Gemeinschaft bestünde bei einem nicht ganz vorübergehenden Verhältnis der Wohngemeinschaft, das vor allem in einer einheitlichen Wirtschaftsführung zum Ausdruck käme; als Indizien benannte das OLG die zumindest teilweise gemeinsame Nutzung von Hausrat und Räumen, die Gewährung von Kost und Logis, die Dauer des gemeinsamen Wohnens und das Befinden persönlicher Gegenstände in der Wohnung.

Damit schloss sich das OLG den Urteilen des BGH vom 12.11.1985 - VI ZR 234/84 - und des Brandenburgischen OLG vom 18.08.2016 - 12 U 134/15 - an.  Der BGH hatte die Problematik der "häuslichen Gemeinschaft" in einem Fall des § 67 Abs. 2 VVG (heute: § 86 Abs. 2 VVG) getroffen, in dem er klären musste, ob die Person, gegen die sich der auf den Versicherer übergehende Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers richtet, mit dem Versicherungsnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebt, da die häusliche Gemeinschaft den Regress des Versicherers hindert. Der BGH wandte die vom OLG in der besprochenen Entscheidung benannten Merkmale an, um die Kriterien für eine solche festzustellen. Im Hinblick auf das Familienprivileg im Rahmen des Entschädigungsanspruchs des Sozialversicherers nach § 116 SGB X, welches die Geltendmachung des Anspruchs durch den Sozialversicherer hindert, setzte sich das Brandenburgische OLG auch mit der häuslichen Gemeinschaft als Kriterium des Familienprivilegs im obigen Sinne auseinander.

Da es an einer substantiierten Darlegung des Klägers zu der „häuslichen Gemeinschaft“ ermangelte, sah auch das OLG die Klage als nicht begründet an.  

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 04.04.2023 - 4 U 2595/22 -

Freitag, 30. Juni 2023

Grundpfandrechtserstreckung bei interner Miteigentumsanteilsübertragung in WEG

Die Beteiligten Wohnungseigentümer einigten sich, dass das für die Beteiligte 2 eingetragene (und frei von Belastungen in Abt. III befindliche) Sondereigentum Gemeinschaftseigentum wird und der Miteigentumsanteil der Beteiligten zu 2. auf den Grundbuchblättern von weiteren Beteiligten anteilsmäßig übertragen wird. Das Grundbuchamt erließ eine Zwischenverfügung, mit der es in Bezug auf die begünstigten Grundbuchblätter eine Nachverpfändung der in diesen Grundbuchblättern eingetragenen Grundbuchrechte forderte, ferner die jeweiligen betroffenen Eigentümer aufforderte, sich auch in Ansehung der neuen Miteigentumsanteile in Ansehung der Belastungen in Abt. III deren Grundbücher (Grundschulden) sich auch insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwerfen müssten. Zudem forderte es Unbedenklichkeitsbescheinigungen. Nachgereicht wurden von den Beteiligten die Unbedenklichkeitsbescheinigungen. Im Übrigen kamen sie den Anforderungen in der Zwischenverfügung nicht nach. Das Grundbuchamt wies daraufhin die Eintragungsanträge (sowie den Antrag auf Schließung des Teileigentumsgrundbuchblattes der Beteiligten zu 2.) zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde war erfolgreich. Weder sei eine Nachverpfändung notwendig noch eine Vollstreckungsunterwerfung.

Zur Problematik: Das in Abteilung III mit einer Grundschuld belastete Sondereigentum kann vom Gläubiger regelmäßig z.B. durch einen Zwangsversteigerungsantrag in Anspruch genommen werden. Doch bezieht sich die Grundschuld nur auf das Sondereigentum, wie es zum Zeitpunkt dessen Eintragung bestand. Werden dem Sondereigentum nach Wahrung der Grundschuld Miteigentumsanteile zugeschlagen, würden die Rechte des Grundschuldgläubigers tangiert, wenn sich die Grundschuld nach Übertragung von anderen Miteigentumsanteilen nicht mehr auf alle Miteigentumsanteile erstrecken würde; in diesem Fall würden im Falle einer Zwangsversteigerung nicht alle Miteigentumsanteile versteigert werden können. Dies zugrundelegend hatte das Grundbuchamt die Nachverpfändung der hinzukommenden Miteigentumsanteile und die Vollstreckungsunterwerfung gefordert.

Grundsätzlich hielt das OLG fest, dass die interne Übertragung von Miteigentumsanteilen ohne gleichzeitige Übertragung von Sondereigentum als zulässig angesehen würde, allerdings streitig sei, ob sich Belastungen des Wohnungseigentums, dem die Miteigentumsanteile zugefügt würden, auch auf die hinzugefügten Miteigentumsanteile beziehen würden (so z.B. LG Wiesbaden, Beschluss vom 08.01.2004 - 4 T 652/03 -), oder aber diesbezüglich eine Nachverpfändung erforderlich sei (BayObLG, Beschluss vom 26.09.1958 - 2 Z 104/58 -).

Das OLG verwies in seinem Beschluss auf einen Beschluss des BGH vom 18.06.1976 - V ZR 156/76 -. Der BGH sähe in der Änderung der mit einem bestimmten Sondereigentumsanteil verbundenen Miteigentumsquote eine Inhaltsänderung iSv. § 877 BGB. Damit würden sich die auf den bisherigen Miteigentumsanteilen lastenden Grundpfandrechte kraft Gesetzes auch auf den inhaltlich geänderten Miteigentumsanteil erstrecken. Da dies für den Grundpfandrechtsgläubiger rechtlich vorteilhaft sei, bedürfe es nicht seiner Zustimmung.

OLG Hamm, Beschluss vom 29.11.2022 - 15 W 271/22 -

Mittwoch, 28. Juni 2023

Ausschlusstatbestand Erkrankung bei Versicherungsbeginn in der Tieroperations- und -krankenversicherung

Die Kläger hatten bei der Beklagten eine Tieroperations- und Tierkrankenversicherung für ihren Hund am 01.04.2021 abgeschlossen. In den vereinbarten Versicherungsbedingungen (AVB-TO/TKV) wurde in Ziffer 3.2. darauf hingewiesen, dass grundsätzlich nur gesunde Tiere versichert werden könnten. Zusätzlich wurde in Z. 2.1 geregelt, dass für Hunde mit Anzeichen oder Symptomen einer rassespezifischen Erkrankung eine Versicherung ausgeschlossen sei.

Die Kläger machten ihre Aufwendungen für Operationen im Juli und August 2021 geltend und trugen vor, diese seien infolge einer hochgradig schmerzhaften Patellaluxation Grad 3 erforderlich gewesen. Mit der Begründung, bei der Patellaluxation handele es sich um eine der häufigsten Knieerkrankungen bei Hunden und diese rühre von einer angeborenen Veranlagung her.  Das Amtsgericht hat durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Beweis erhoben und die Klage abgewiesen.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Ursache für die operierten Patellaluxationen angeboren ist und somit der Ausschlussgrund der Z. 3.2 der AVB-TO/TKV der Beklagten, die unstreitig Vertragsbestandteil geworden seien, vorläge. Sämtliche Anzeichen würde dafür sprechen, dass es sich nicht um eine traumatische Schädigung handele, sondern um eine angeborene: So sei eine traumatische Luxation in der Regel nur einseitig, hier aber sei die Luxation zweiseitig, die zudem auch fast zeitgleich und im ersten Lebensjahr aufgetreten wären, was bei der angeborenen Erkrankung typisch sei; eine im OP-Bericht benannte Knorpelläsion ließe sich nicht feststellen.

Das Amtsgericht ging von einer Beweislast der Kläger aus, die unter Bestreiten einer angeborenen Erkrankung ein traumatisches Geschehen behaupteten (insoweit wurde mit dem Beweisbeschluss auch der Kostenvorschuss von den Klägern eingefordert).

Amtsgericht Schwabach, Urteil vom 26.06.2023 - 4 C 766/22 -

Samstag, 24. Juni 2023

COVID-19-bedingte fristlose Kündigung des Fitnessstudio-Vertrages durch Nutzer

Der BGH musste sich hier erstmals mit der Frage auseinandersetzen, ob die Coronapandemie den Nutzer das Recht zu einer außerordentlichen Kündigung gibt, Corona also ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung sein kann, oder ob der Nutzer erst zum Ende der vertraglich vereinbarten Vertragslaufzeit kündigen kann. Dieses Recht hat der BGH sowohl in Ansehung der hoheitlichen Schließungsanordnungen, von hoheitlich angeordneten Nutzungsbeschränkungen für Sauna und Duschen, als auch der Möglichkeit der Ansteckung verneint.

Zum Sachverhalt: Der Nutzungsvertrag wurde am 06.12.2019 mit einer Laufzeit von 100 Wochen, beginnend 11.12.2019, geschlossen. Im ersten Lockdown vom 17.03.2020 bis Mitte Mai 2020 war das Studio geschlossen, zog aber die beklagte Betreiberin das Nutzungsentgelt weiterhin ein; sie einigte sich mit der klagenden Nutzerin darauf, dass dieser Zeitraum nach dem Lockdown dann kostenfrei sei. In einer Vereinbarung vom 31.05.2020 wurde eine Ruhezeit von zehn Wochen, um die sich der Vertrag nach dessen regulärer Laufzeit verlängern sollte (also bis zum 25.01.2022), festgehalten. Bei Wiedereröffnung des Studios nach dem 1. Lockdown gab es hoheitlich angeordnete Nutzungseinschränkungen (so für Duschen und Sauna). Vom 30.10.2020 bis 31.05.2021 musste das Studio infolge des 2. Lockdowns wieder schließen.  Am 25.11.2020 kündigte die Klägerin zum 30.11.2020, dem die Beklagte widersprach. Die Klägerin erhob Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass durch ihre Kündigung das Nutzungsverhältnis zum 30.11.2020, hilfsweise zum 16.11.2021, hilfs-hilfsweise zum 25.01.2022 endete. Das Amtsgereicht gab der Klage im Hinblick auf das Vertragsende 25.01.2022 statt. Die Berufung beider Parteien wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision beantragte die Klägerin erfolglos weiterhin die Feststellung des Vertragsendes zum 30.11.2020.

Der BGH sh keinen Grund für eine außerordentliche Kündigung vor dem Zeitpunkt der vertraglich vereinbarten und auf den 25.01.2022 verlängerten Laufzeit zum 25.01.2022.

Es handele sich bei dem Nutzungsverhältnis um ein Dauerschuldverhältnis (BGH, Urteil vom 04.05.2016 - XII ZR 62/15 -). Unabhängig von der rechtlichen Einordnung als Miet-, Dienst- oder typengemischter Vertrag würde die außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnis voraussetzen, dass es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden könne, bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist zuzuwarten (§§ 626 Abs. 1, 543 Abs. 1, 314 Abs. 1 BGB). Dies könne allgemein nur angenommen werden, wenn die die Kündigung rechtfertigenden Umstände in der Sphäre des Kündigungsgegners lägen.

Für das Mietrecht habe der BGH bereits entscheiden, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie regelmäßig weder in die Sphäre des Mieters noch des Vermieters fallen würden. Dies gelte auch für Fitnessstudioverträge. Keine der Vertragsparteien sei für die umfassenden Maßnahmen und staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der Pandemie verantwortlich. Damit kämen Betriebsschließungen und -beschränkungen nur in Ausnahmefällen zur Begründung der außerordentlichen Kündigung in Betracht (Bacher, Die Coronapandemie und allgemeinen Regeln über Leistungsstörungen, in MDR 2020, 514, 519).

Konkret verwies der BGH darauf, dass der Klägerin durch die Schließung keine wirtschaftlichen Belastungen entstünden, da sie während dieser Zeit von einer Zahlungspflicht befreit sei und evtl. erfolgte Zahlungen zurückfordern könne (bereits entschieden im Urteil des BGH vom 04.05.2022 - XII ZR 64/21 -). Sowohl der Betreiber des Studios als auch der Nutzer würden während dieser zeit leistungsfrei. Damit würde ein Festhalten am Vertrag zumutbar sein.

Auch dem Argument der Klägerin, sie sei an einem für sie sinnlos gewordenen Vertrag gebunden und eine Umorientierung zu anderen sportlichen Aktivitäten und Freizeitbeschäftigungen würde blockiert, schloss sich der BGH nicht an. Zwar läge der Zweck eines Fitnessstudiovertrages in der regelmäßigen sportlichen Betätigung, weshalb gerade die regelmäßige und ganzjährige Öffnung und Nutzbarkeit des Studios von entscheidender Bedeutung sei. Dieser sei mit einer pandemiebedingten Schließung nicht mehr erreichbar und bei dem 2. Lockdown auch dessen Dauer nicht voraussehbar gewesen. Allerdings hätte die Klägerin auf andere Fitnessstudios nicht ausweichen können. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit der (für die Schließungszeit entgeltlos gestellte Vertrag) andere sportliche Betätigungen zur Erreichung eines Fitnessziels entgegenstehen würde.

Richtig sei zwar, dass das Verlangen der Beklagten, die Schließungszeit an ein vorgesehenes Vertragsende anzuhängen (und damit die Vertragslaufzeit um die Zeit der Schließung zu verlängern), rechtlich nicht geschuldet würde und mit dem Verlangen die beklagte eine Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt habe. Die Verletzung vertraglicher Pflichten würde aber bei einem Dauerschuldverhältnis nur eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn sie derart schwerwiegend sei, dass dadurch das Vertrauensverhältnis in einem Maß beeinträchtigt wird, dass dem Kündigendem ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zumutbar sei.  Ein solcher Fall könne hier nicht angenommen werden, da die instanzgerichtliche Rechtsprechung in der Zeit des 2. Lockdown verbreitet die Annahme vertrat, dass gemäß § 313 Abs. 1 BGB der Vertrag dahingehend angepasst werden könne, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit der Schließung verlängert. Das Zueigenmachen dieser Rechtsansicht stelle keine schwerwiegende Vertragsverletzung dar. Dass der BGH mit Urteil vom 04.05.2022 - XII ZR 64/21 - diese Rechtsprechung zur Vertragsanpassung verwarf, würde nicht nachträglich in dem Verlangen eine schwerwiegende Vertragsverletzung begründen.

Aus Rechtsgründen sei auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht mögliche Hygiene- und Abstandsregeln nicht für eine außerordentliche Kündigung als ausreichend ansah. Durch die Einhaltung derartiger regeln sei die Klägerin nicht so schwer belastet, dass ihr ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar gewesen wäre. Auch wenn Duschen pandemiebedingt nicht nutzbar gewesen sein sollten, würde dies keine Kündigung rechtfertigen; in diesem Fall käme allenfalls ein angemessener Interessensausgleich durch Anpassung des Vertrages gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht (z.B. Herabsetzung des Entgelts), was eine außerordentliche Kündigung ausschließt.

Ebenso könne sich die Klägerin nicht auf ein Ansteckungsrisiko berufen. Die Gefahr einer Infizierung mit dem Corona-Virus habe im November 2020 zum allgemeinen Lebensrisiko gehört. Die Klägerin habe auch davon ausgehen können, dass eine Wiedereröffnung des Fitnessstudios erst erlaubt wird, wenn das Infektionsrisiko, ggf.- durch entsprechende Hygienemaßnahmen, auf ein vertretbares Maß reduziert ist. Entschlösse sich die Klägerin dann aus Angst vor einer Infektion gleichwohl, das Studio nicht zu nutzen, würde die ihr Verwendungsrisiko betreffen.

BGH, Urteil vom 19.04.2023 - XII ZR 24/22 -

Mittwoch, 21. Juni 2023

Offenlegung des Gründungsaufwandes als Inhalt des GmbH-Gesellschaftsvertrages

§ 18 des zur Anmeldung einer GmbH beim Handelsregister eingereichten Gesellschaftsvertrages sah vor, dass die Gesellschaft die Kosten und Steuern des Vertrages und einer Durchführung trage, allerdings begrenzt auf einen Höchstbetrag von € 2.500,00. Mit Zwischenverfügung verlangte das Handelsregister des Amtsgerichts die Änderung dahingehend, dass die von der Gesellschaft zu übernehmenden Gründungskosten näher aufzuschlüsseln seien. Die dagegen von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Das OLG sah einen durch die Antragstellerin behebbares Eintragungshindernis, § 382 Abs. 4 S. 1 FamFG, welches mit der Zwischenverfügung zu Recht beanstandet worden sei. Die Prüfung des Registergerichts erstrecke sich auf die Rechtmäßigkeit und inhaltliche Richtigkeit des Eintragungsgegenstandes. Von besonderer Bedeutung sei dabei nach § 9c Abs. 2 Nr. 2 GmbHG, ob eine Verletzung von Vorschriften vorliege, die überwiegend dem Gläubigerschutz dienen würden (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.06.2013 - 3 W 28/13 -). Die Regelungen des § 26 Abs. 2 AktG würden nach gefestigter Rechtsprechung (u.a. BGH, Beschlüsse vom 20.02.1989 - II ZV 19/99 - und vom 29.09.1997 - II ZR 245&96 -) auf die Gründung der GmbH analog angewandt. Dort sei vorgesehen, dass der Gesamtaufwand, der zu Lasten der Gesellschaft an Gesellschafter oder Dritte gewährt würde, in der Satzung gesondert festzusetzen sei.

Diesem Erfordernis trage die Angabe eines Gesamthöchstbetrages, wie hier angegeben, nicht Rechnung.

Erforderlich sei, dass die Gesamtkosten in einer Summe (Gesamtbetrag) als Endsumme erfasst werden müssten, wobei die Beträge, die noch nicht genau beziffert werden könnten, geschätzt werden müssten (BGH, Beschluss vom 20.02.1989 aaO.). Dass in dem Musterprotokoll in Ziffer 5 der Anlage 2 zu § 2 Abs. 1a GmbHG ohne nähere Ausführungen enthalten sei, dass die Gründungskosten bis zu einem Gesamtbetrag von € 300,00 die Gesellschaft trage, stehe dem nicht entgegen:  Eine vereinfachte Gründung nach diesem Muster erfordere, dass über das Musterprotokoll hinaus keine vom Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen würden. Entsprechende Abweichungen lägen aber vor, was schon deutlich würde angesichts der vorgesehenen maximalen Kosten von € 2.500,00 statt nur € 300,00).

Weiter sei erforderlich, dass die von der Gesellschaft zu tragenden Gründungskosten im Einzelnen aufgelistet werden müssten (OLG Hamburg, Beschluss 18.03.2011 - 11 W 19/11 -; OLG Celle, Beschluss 11.02.2016 - 9 W 10/16 -; BGH, Urteil vom 29.09.1997 - II ZR 245/96 -). Der Gläubigerschutz des § 28 Abs. 2 AktG soll maßgeblich durch Offenlegung erreicht werden. Ohne diese Darlegung der einzelnen Kotenpositionen bestünde nicht die erforderliche Transparenz und bestünde auch die Gefahr einer Schmälerung des Haftungskapitals durch zweifelhafte Gründungskosten. An dieser Aufschlüsselung fehle es hier auch.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 21.02.2023 - 2 Wx 50/22 -

Sonntag, 18. Juni 2023

Sturz bei begleiteten Spaziergang in Tagespflegeeinrichtung

Die Klägerin ist Erbin ihrer verstorbenen Mutter (Geschädigte). Sie machte materielle und immaterielle Schadenersatzansprüche im Hinblick auf einen Sturz der Geschädigten geltend. Die Geschädigte befand sich in einer Tagespflgeeinrichtung der Beklagten. Bei einem Spaziergang der Geschädigten mit einer weiteren Seniorin in Begleitung der bei der Einrichtung beschäftigten Praktikantin stürzte die Geschädigte und zog sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zu. Die Klägerin vertrat die beklagtenseits bestrittene Auffassung, der Spaziergang hätte wegen Glätte und des körperlichen Zustandes der Geschädigten nicht durchgeführt werde dürfen, zudem sei die Praktikantin nicht ausreichend qualifiziert gewesen und eingewiesen worden. Die Geschädigte hätte allenfalls untergehakt laufen dürfen, was nicht erfolgte. Es läge ein der Beklagten zuzurechnendes Pflege- bzw. Organisationsverschulden vor. Das Landgericht wies, nach Beweiserhebung zu den Witterungsverhältnissen, die Klage ab. Die dagegen eingelegte Berufung beabsichtigte das Oberlandesgericht (OLG) mit dem hier besprochenen Beschluss nach § 522 ZPO zurückzuweisen.

Es sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon auszugehen, dass die Geschädigte wegen witterungsbedingter Glätte stürzte. Eine allgemeine Glättegefahr ließe noch keine Schlussfolgerung zu, dass an einer bestimmten Stelle Glätte war. Nach Angaben u.a. der Praktikantin sei bereits der städtische Winterdienst tätig gewesen. Der Sturz selbst belege keine Glätte an der Unfallstelle, da auch andere Ursachen möglich wären und die Praktikantin ein Stolpern der Geschädigten über ihre eigenen Beine geschildert habe. Da im Bereich der Unfallstelle auch Glatteisbildung nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden könne, läge für Glätte an der Unfallstelle auch kein Beweis des ersten Anscheins vor.

Danach könne auch keine Pflichtverletzung der beklagten in der Durchführung des Spaziergangs festgestellt werden. Es ermangele an einem von der Klägerin zu beweisenden haftungsbegründenden Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen einem (hier unterstellend zugunsten der Klägerin) pflichtwidrig trotz Glatteis durchgeführten Spaziergang und dem zum Schaden führenden Sturzgeschehen, da (wie oben festgestellt) nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Geschädigte wegen des Glatteises stürzte.

Auch mit dem Vorwurf, dass die Praktikantin die Geschädigte zum Zeitpunkt des Sturzes nicht untergehakt habe, konnte die Klägerin nicht durchdringen. Es sei nicht dargetan, weshalb das Landgericht hätte davon ausgehen müssen, dass die Geschädigte nur untergehakt hätte gehen dürfen.

Die Beweiserleichterung des § 630h Abs. 1 BGB, die auch im Bereich der Pflege Anwendung fände, greife hier nicht. Nach § 630h Abs. 1 BGB würde ein Fehler des Behandlers vermutet, wenn sich ein allgemeines und für den Behandelnden voll beherrschbares Behandlungsrisiko verwirkliche. Ein Sturz bei einem begleiteten Spaziergang im Rahmen der Betreuung in einer Tagespflegeeinrichtung stelle kein „voll beherrschbares Behandlungsrisiko iSv. § 630h Abs. 1 BGB dar. Zwar sah das OLG neben den typischen Fallgestaltungen der Fehlerhaftigkeit von medizinischen Geräten und von Hygienemängeln grundsätzlich auch die Gefahr von Stürzen im Rahmen von pflegerischen Maßnahmen als ein vollbeherrschbares Risiko an. Vorliegend sei es aber nicht um pflegerische Maßnahme im engeren Sinne gegangen, sondern ein begleiteter Spaziergang, bei dem kein voll beherrschbarer Gefahrenbereich vorläge. Voll beherrschbare Risiken seien dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik-/Praxisbetrieb gesetzt würden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden könnten und müssten. Diese seien abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen seien. Denn die Vorgänge im lebenden Organismus könnten auch vom besten Arzt bzw. hier der besten Pflegekraft nicht immer so beherrscht werden, dass der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten würde (BGH, Beschluss vom 16.08.2016 - VI ZR 634/15 -). Danach stelle sich der Spaziergang, auch wenn er in Begleitung einer Pflegekraft erfolge, nicht als ein spezifisch durch den Pflegebetrieb gesetztes Risiko dar, welches durch eine ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden könne oder ausgeschlossen werden müsse. Der begleitete Spaziergang setze ein zwar unterstütztes aber eigenständiges Laufen der betreuten Person voraus, weshalb die Sturzgefahr durch die begleitende Person zwar minimiert, aber nicht ausgeschlossen würde (zur ähnlichen Problematik bei einer Gangschulung durch einen Physiotherapeuten OLG Frankfurt, Urteil vom 29.08.2017 - 8 U 172/16 -).

Nach der Auffassung des OLG käme es vorliegend nicht darauf an, ob die Praktikantin hinreichend qualifiziert gewesen sei, da nicht ersichtlich sei, weshalb eine nicht ausreichende Qualifikation für den Sturz kausal gewesen sein sollte. Die Beweiserleichterung des § 640h Abs. 4 BGB, die auch für den nichtärztlichen Bereich anwendbar sei, greife hier nicht. Danach würden dieser Beweiserleichterung nur solche (für den Schaden kausal gewordenen) Handlungen unterfallen, für die auch tatsächlich eine spezifische Ausbildung erforderlich sei. Das begleitete Spaziergehen, welcher offenkundig (§ 291 ZPO) von jeder gesunden erwachsenen Person mit einem durchschnittlichen Maß an Verantwortungsgefühl ausgeübt werden könne (das OLG wies darauf hin, dass auch die Klägerin selbst mit der geschädigten regelmäßig spazieren gegangen sei), sei keine spezifische Ausbildung erforderlich.

OLG Bamberg, Beschluss vom 21.02.2023 - 4 U 222/22 -