Mittwoch, 25. Mai 2022

Zivilrechtliche Klage zur Einstellung des Betriebs von Windenergieanlagen (Windrädern)

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Unterlassung des Betriebs von drei Windenergieanlagen und hilfsweise Maßnahmen zur Vermeidung einer Beeinträchtigung seines Eigentums und seiner Gesundheit. Das Landgericht wies die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens ab, da die maßgeblichen Richtwerte der TA Lärm eingehalten würden und eine wesentliche Beeinträchtigung durch Infraschall läge auch nicht vor. Im Berufungsverfahren. In dem der Kläger seinen erstinstanzlichen haupt- wie auch Hilfsantrag weiterverfolgte, war unstreitig, dass die Windenergieanlagen bestandskräftig genehmigt sind. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem OLG hat der Kläger wesentliche Teile seiner Berufungsbegründung fallen lassen und machte geltend, es würde ihm einzig um Beeinträchtigungen durch unzulässigen Lärm und „Körperschall“ (Schwingungen in Festkörpern) und um Schlafstörungen gehen. Er rügte, dass Messungen nicht an seinem, haus erfolgt seien und zudem keine Langzeitmessung erfolgt sei.

Das OLG negierte Ansprüche des Klägers nach §§ 1004 Abs. 1 BGB oder § 1004 Abs. 1 iVm. § 823 Abs. 1 BGB. Sei -wie hier - eine Genehmigung des Betriebs der Anlage unanfechtbar, könne aufgrund privatrechtlicher, nicht auf besonderer Titeln beruhender Ansprüche nicht die Einstellung des Betriebs gefordert werden, § 14 S. 1 1 1. Halbs. BImSchG. In diesem Fall könnten nur Vorkehrungen gegen benachteiligende Wirkungen verlangt werden. Seien solche Maßnahmen technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar, könne lediglich Schadensersatz begehrt werden.  § 14 BImSchG statuiere eine Duldungspflicht. Begründet sei dies damit, dass der Schutz des Nachbarn durch seine Beteiligungsmöglichkeit im Genehmigungsverfahren nach § 19 BImSchG vorverlagert sei.

Vorliegend käme es nicht auf die bisher höchstrichterlich nicht geklärte Frage an, ob wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen und des Anspruchs auf körperliche Unversehrtheit gem. § 1004 BGB analog iVm. § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Einstellung des Betriebs der Anlagen besteht. Der Kläger, der sich im Berufungsverfahren nur noch auf Schlafstörungen seit Inbetriebnahme der Anlagen berief, habe nicht hinreichend konkret ausgeführt, im Hinblick auf Häufigkeit, Dauer, Abhängigkeit vom jeweiligen Raum im Haus und der Öffnung von Fenstern vorgetragen. Damit sei unklar, welches Ausmaß und welche Intensität die Schlafstörungen erreichen würden. Ein angebotenes Sachverständigengutachten sei nicht einzuholen, da sich dies als unzulässiger Ausforschungsbeweis darstellen würde.

Auch könne der Beklagte nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 906 BGB sonstige Maßnahmen wegen Einwirkungen auf das in seinem Eigentum stehende Grundstück verlangen. Nach dem erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten würde nicht feststehen, dass die Anlagen mehr als nur unwesentlich iSv. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB die Benutzung des Grundstücks beeinträchtigen würden.

Soweit der Kläger geltend machte, dem Sachverständigen würde es an der notwendigen Neutralität ermangelt haben, könne er damit im Berufungsverfahren nicht gehört werden. Er habe im erstinstanzlichen Verfahren den Sachverständigen wegen Befangenheit abgelehnt. Der Antrag sei zurückgewiesen worden. Dagegen hätte er Beschwerde einlegen können, § 406 Abs. 5 ZPO, was nicht erfolgte. Das Berufungsgericht könne im Rahmen des Berufungsverfahrens nach § 512 ZPO nicht diejenigen Entscheidungen die dem Ersturteil vorausgegangen seien und gesondert mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar seien, überprüfen.

Soweit der Kläger rügte, dass keine Langzeitmessung vorgenommen worden sei, verwies das OLG darauf, dass die TA Lärm keine entsprechende Vorgabe enthalte. Es sei u.a. auf Abschnitt 6.2 der DIN 45645-1 verwiesen, demzufolge Zeit und Dauer der Messungen je nach Aufgabenstellung so zu wählen seien, dass die Messergebnisse für die zu beurteilende Geräuschimmission kennzeichnend sind. Es müsste deshalb keine Messszeit durchgehend über den gesamten Beurteilungszeitraum erfolgen, sondern die Messung müsse nach Zeitpunkt und Dauer aus einem oder mehreren Intervallen bestehen, deren Dauer kürzer als die Gesamtdauer sein könnten. Ausdrücklich würde in Ziffer 6.2 darauf hingewiesen, dass dieses Verfahren sowohl zur Reduzierung des Zeitaufwands und zur Ausgrenzung nicht zu beurteilender Fremdgeräusche zweckmäßig sein könne. Der Sachverständige habe die unterlassene Langzeitmessung auch nachvollziehbar u.a. damit begründet, dass im Bereich des Hauses des Klägers auch in der unbelaubten Jahreszeit bei höheren Windgeschwindigkeiten windinduzierte Fremdgeräusche vorlägen, die das Messergebnis relevant beeinflussen würden. Eine Abtrennung der Fremdgeräusche vom Gesamtgeräusch sei bei einer unbeaufsichtigten Langzeitmessung nicht möglich. Bei der Messung habe er überwiegend windinduzierte Fremdgeräusche festgestellt. In Phasen mit wenig Fremdgeräuschen habe er die Geräuschsituation lediglich mit 43 db(A) abschätzen können (ein nach Anhang A.3.4.1. TA Lärm ausdrücklich zugelassenes Verfahren). Die Messungen und Berechnungen des Sachverständigen habe der Kläger einschließlich von Abstandkorrekturen nicht konkret angegriffen.  

Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren geltend gemacht habe, dass von den Anlagen  durch über den Erdboden vermittelter und auf sein Hausgrundstück treffender „Körperschall“ ausgehen lägen die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO für die Zulassung des neuen Angriffsmittels nicht vor.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 14.12.2021 - 8 U 12/21 -

Sonntag, 22. Mai 2022

Zahlungspflicht im Fitnessstudio bei coronabedingt angeordneter Schließung

Corona hat das Wirtschaftsleben verändert. Betroffen waren letztlich alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die Auflagen (wie Maskenpflicht, Impfung oder Testung) wurden begleitet von weitreihenden Einschränkungen in wirtschaftlichen Bereichen, wie z.B. die Schließung von Ladengeschäften und Verbot von Freizeitveranstaltungen. Betroffen waren auch die Sport- und Fitnessstudios, die bundesweit über Monate schließen mussten. Während die Betreiber von Ladengeschäften bei dem BGH einen Erfolg erringen konnten dahingehend, dass eine Mietanpassung grundsätzlich infolge der pandemiebedingten Kündigung möglich ist (so grundlegend BGH, Urteil vom 12.01.2022 - XII ZR 8/21 -), erlitt die Branche der Fitnessstudiobetreiber eine Schlappe. Der BGH gab in seinem Urteil vom 04.05.2022 - XII ZR 64/21 - einem Nutzer eines Fitnessstudio Recht, der auf Rückzahlung von Beiträgen für die Zeit der Schließung klagte.

1. Der BGH vertrat die rechtsdogmatisch sicherlich richtige Ansicht, dass ein Fall der Unmöglichkeit vorläge, §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB. Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Schuldner (hier der Betreiber des Fitnessstudios, der seine Räume zum Training dem Nutzer zur Verfügung zu stellen hat) die Leistung nicht erbringen kann. Eine objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn diese Leistung von niemanden erbracht werden kann. Dieser Fall lag nach den Feststellungen des BGH vor, da in dem fraglichen Zeitraum vorliegend vom 16.03. bis 04.06.2020 die Fitnesseinrichtungen im örtlichen Bereich coronabedingt aufgrund hoheitlicher Maßnahmen schließen mussten. Es läge auch kein nur vorübergehendes Leistungshindernis vor, da die geschuldete Leistung monatlich zu zahlen war und der Nutzer einen Anspruch darauf habe das Studio regelmäßig und ganzjährig nutzen zu können und dieser Vertragszweck während der Schließungszeit nicht erreichbar sei. Von daher sei die geschuldete Leistung nicht nachholbar.

Diese Ansicht des BGH ist nicht zwingend. Wenn ein Vertrag auf (hier) 24 Monate geschlossen wird und es zu einer objektiven Unmöglichkeit der Zurverfügungstellung von knapp drei Monaten kommt, ist nicht ersichtlich, weshalb eine Nachholbarkeit nach Ende der regulären Vertragslaufzeit nicht gegeben sein sollte, erst recht dann, wenn bei Wiederaufnahme des betriebs der Nutzer die Einrichtung im Rahmen des Vertrages weiter nutzt. Hier müsste jedenfalls zur Negation der Nachholbarkeit geprüft werden, ob dies noch nach dem Vertragszweck, auf den der BGH abstellt, für den Nutzer möglich ist.

2. Einen Anspruch des Betreibers des Fitnessstudios auf Vertragsanpassung nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), den der Senat im Verhältnis Mieter - Vermieter in seinem Urteil vom 12.01.2022 annahm, schloss der BGH hier aus. Liege ein Fall der Unmöglichkeit iSv. §c 275 BGB vor, greife § 313 BGB nicht.

Entgegen einer in der Rechtsprechung abgenommenen Auffassung, dass sich der Vertrag für die Zeit der Schließung verlängert, schließt dies der BGH mit Hinweis darauf aus, dass eine Anpassung nach den Grundsätzen des § 313 Abs. 1 BGB dann nicht in Betracht käme, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimme. Damit scheide § 313 BGB aus, soweit der Tatbestand des § 275 BGB erfüllt sei.

Der vorliegende Fall der rechtlichen Unmöglichkeit der Leistungserbringung sei von der Regelung des § 275 Abs. 1 BGB erfasst mit der Folge, dass der Fitnessstudiobetreiber seinen Vergütungsanspruch nach § 326 Abs. 1 BGB verloren habe. Daneben sei eine Anpassung nach § 313 Abs. 1 BGB nicht möglich. Gegenstand des § 313 Abs. 1 BGB sei eine durch die Veränderung der Geschäftsgrundlage ausgelöste Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Eine Anpassung sei aber nicht mehr möglich, wenn - wie bei §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 BGB - die wechselseitigen vertraglichen Leistungsverpflichtungen entfallen seien. (Anmerkung: In dem Urteil zur Höhe der geschäftsraummiete vom 12.01.2022 hatte der BGH darauf abgestellt, dass dem  Mieter seine Leistungen - Mietzahlungen - nicht rechtlich unmöglich wurden und der Vermieter seiner Leistungspflicht - in Form der Zurverfügungstellung der Räume - weiter nachkam, also kein Fall der Unmöglichkeit nach § 175 Abs.1 BGB gegeben war).

Weiter merkte der BGH (zustimmend zu der Feststellung im Berufungsurteil) an, dass die vom Fitnessstudiobetreiber begehrte Anpassung des Vertrages im Ergebnis nicht darauf ausgerichtet sei, , den Vertrag den durch COVID-19 veränderten Umständen anzupassen, sondern die für ihn wirtschaftlich nachteiligen Folgen der Unmöglichkeit zu korrigieren, was nicht Zweck der Regelung zur Störung der Geschäftsgrundlage sei.

3. Zudem scheide nach Ansicht des BGH eine Vertragsanpassung gem. § 313 Abs. 1 BGB auch im Hinblick auf Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB aus, da der Gesetzgeber mit dieser Regelung für die Pandemie eine spezielle Vorschrift geschaffen habe, die die wirtschaftlichen Folgen der Unmöglichkeit korrigiere. Eine Anpassung nach § 313 Abs. 1 BGB sei nicht möglich, wenn - wie hier - der Gesetzgeber das Risiko der Vertragsstörung erkannt und eine spezielle Norm geschaffen habe. Danach habe der Betreiber der Einrichtung die Möglichkeit, dem Nutzer einen Gutschein zu übergeben, dessen Wert dem nicht nutzbaren Teil der Berechtigung entspräche. Dies sei - im Interesse der Unternehmer und Kunden eine abschließende Regelung, um die Folgen der Pandemie abzufangen.

Dass dieser Gedanke zu kurz gefasst ist, zeigt sich schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH. Nach Art. 240 § 5 Abs. 5 EGBGB hat der Gutscheinempfänger bei Nichtnutzung des Gutscheins sich dessen Wert jedenfalls nach dem 31.12.2021 auszahlen lassen. Zum Zeitpunkt des Erlasses hatte der Gesetzgeber nämlich schlicht unbeachtet gelassen, dass eine mögliche weitere Schließungswelle pandemiebedingt notwendig werden könnte, die dann auch von November 2020 bis Mai 2021 erfolgte. Der Gutschein brachte dem Betreiber der Einrichtung lediglich für die die Schließungen März bis Juni 2020 eine mittelfristige finanzielle Entlastung, nicht aber für den Zeitraum ab November 2020: Der Gutschein war letztlich sofort auf Wunsch durch Auszahlung einzulösen, weshalb er im Wesentlichen keinen Sinn ergab. Soweit mithin der BGH zur Begründung seiner Entscheidung auf Ausschluss einer Vertragsanpassung nach Maßgabe von § 313 Abs. 1 BGB verweist, greift dies für das erste Lockdown (über welches zu entscheiden war), nicht für das zweite Lockdown, welches der Gesetzgeber ersichtlich nicht beachtet hatte. Nimmt man aber mit dem BGH an, dass die gesetzliche Regelung in Art. 240 § 5 EGBGB die gesetzliche Regelung der Unmöglichkeit modifizieren sollte und damit die Anwendbarkeit des § 313 BGB in ihrem Bereich ausschließen sollte, wäre doch (jedenfalls für das 2. Lockdown) § 313 BGB wieder aufzugreifen, da nach dem vom BGH benannten Willen des Gesetzgeber gerade diese Regelung im Hinblick auf die spezialgesetzliche Regelung ausgeschlossen und eine Modifikation im Interesse des Unternehmers und Kunden getroffen werden sollte.

BGH, Urteil vom 04.05.2022 - XII ZR 64/21 -

Donnerstag, 19. Mai 2022

Sorgfaltsanforderungen: Einfahrer (§ 10 S. 1 StVO) zu Spurwechsler (§ 7 Abs. 5 StVO)

Der klägerische Kleintransporter stand zunächst in einer längs zur Fahrbahn angeordneten Parkbucht auf der rechten Seite der in Fahrtrichtung zweispurig verlaufenden Straße. Die Beklagte fuhr mit ihrem Pkw von der linken auf die rechte Fahrspur. Als sie dies bereits zur Hälfte vollzogen hatte, stieß sie mit dem ausparkenden Fahrzeug der Klägerin zusammen. Amts- und Landgericht haben der Klage nach Maßgabe einer 50%-igen Regulierung stattgegeben. Dabei nahmen sie einen Verstoß der Klägerin gegen § 10 S. 1 StVO, bei der Beklagten gegen § 7 Abs. 5 StVO an.

Der BGH hob das Urteil auf die Berufung der Beklagten, soweit zu deren Nachteil entschieden worden sei, auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Berufungsgericht.

Die Haftungsverteilung nach § 17 StVG sei (ähnlich dem Mietverschulden nach § 254 BGB) Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren käme nur eine Prüfung in Betracht, ob alle maßgeblichen Umstände erfasst und richtig berücksichtigt worden seien. Das Verschulden sei dabei ein Kriterium. Diesbezüglich könne die Entscheidung keinen Bestand haben.

Das Berufungsgericht habe zutreffend einen Verstoß der Klägerin gegen § 10 S. 1 StVO angenommen. Die Klägerin wollte aus einer Parkbucht auf die Fahrbahn einfahren, wobei sie sich so zu verhalten, habe, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dieses Vorrecht gelte für alle auf der Fahrbahn fahrenden Fahrzeuge, unabhängig davon, auf welcher Fahrspur sie sich befänden.

Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte haben gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO verstoßen, sei allerdings verfehlt. Der hier vorgenommene Fahrspurwechsel sei danach nur erlaubt, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Die Norm diene dem Schutz des fließenden Verkehrs. Damit sei mit „anderer Verkehrsteilnehmer“ iSv. § 7 Abs. 5 StVO nur ein Verkehrsteilnehmer gemeint, der auch am fließenden Verkehr teilnehme (wofür auch die Entstehungsgeschichte als auch die systematische Stellung der Norm sprächen). Würden dem Fahrstreifenwechsler gegenüber allen (also auch Einfahrenden) dieselben Sorgfaltsanforderungen treffen wie sie der Einfahrende zu wahren hat, stünden sich gleichartige Sorgfaltsanforderungen gegenüber. Da aber mit § 10 StVO dem fließenden Verehr Vorrang gewährt werden soll, würde dies im Widerspruch dazu stehen. Der Vorrang des fließenden Verkehrs würde sogar mit der besonderen Sorgfaltsanforderung des Einfahrenden begründet (Begründung zur VO zur Änderung der StVO vom 21.07.1980 zu Nr. 1e, VkBl 1980, 511, 515).

Der BGH grenzte hier seine Entscheidung zu seiner Entscheidung vom 15.05.2018 - VI ZR 231/17 - ab, in der er bei einem Zusammentreffen von § 9 Abs. 5 und 10S. 1 StVO gerade keinen Vorrang annahm. In dem Fall hätte sich nach den Normen keiner der Unfallbeteiligten auf einen Vorrang berufen können. Hier aber sei dies der Fall, der der Fahrstreifenwechsel iSv. § 7 Abs. 5 StVO selbst Teil des fließenden Verkehrs sei. Zu beachten sei aber hier von dem Kraftfahrer, der das Vorrecht nach § 7 Abs. 5 StVO habe, § 1 Abs. 2 StVO (Rücksichtnahme). So müsse er auf eine erkennbar bevorstehende Vorrangverletzung reagieren, ein Erzwingen der bevorrechtigten Weiterfahrt sei unstatthaft (§ 11 Abs. 3 StVO). Da es an Feststellungen dazu fehlte, war der Rechtsstreit zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 08.03.2022 - VI ZR 1308/20 -

Freitag, 13. Mai 2022

Liegt prozessual ein Zurückbehaltungsrecht in Aufrechnung mit nicht gleichartiger Gegenforderung vor ?

Der Kläger kündigte dem beklagten Mieter wegen Zahlungsverzugs. Gegen die Kündigung erklärte der Beklagte Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus einer von ihm erbrachten Sicherheitsleistung in Höhe von sieben Milliarden iranischen Rial (umgerechnet € 190.000,00), da diese ohne Rechtsgrund geleistet worden sei.  Nachdem die Parteien nach Beweisaufnahme im erstinstanzlichen Verfahren einen Teilvergleich über die Räumung und die Ablösesumme für Inventar geschlossen hatten, begehrte der Kläger noch Zahlung rückständiger Miete in Höhe von € 113.734,50. Der Beklagte beantragte Klageabweisung und (hilfsweise) widerklagend noch Zahlung von € 76.295,50 durch den Kläger an ihn. Das Landgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von € 1.973,90 und auf die Widerklage den Kläger zur Zahlung von € 76.295,50. Das Oberlandesgericht (OLG) hat auf die Berufung des Klägers unter Abweisung der Klage im Übrigen den Beklagten verurteilt, an den Kläger € 113.704,50 zu zahlen. Auf die Widerklage hat es den Kläger verurteilt, an den Beklagten sieben Milliarden iranische Rial zu zahlen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wurde die Revision vom BGH insoweit zugelassen, als das OLG von einer Zug-um-Zug-Verurteilung abgesehen hatte. In diesem Umfang hatte dessen Revision Erfolg.

Das OLG hatte ausgeführt, der Beklagte habe trotz eines ausdrücklichen Hinweises sich nicht ausdrücklich auf ein Zurückbehaltungsrecht (aus dem bei Erfolg eine Zug um Zug-Verurteilung folgt) berufen. Wenn auch bei Gleichartigkeit der Leistungsgegenstände überwiegend angenommen würde, dass in der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts zugleich die Erklärung der Aufrechnung gesehen werden könne, sei dies umgekehrt nicht der Fall.

Der BGH folgte dem OLG dahingehend, dass es an einer nach § 387 BGB erforderlichen Aufrechnungserklärung fehle. Auch seien eine in ausländischer Währung ausgedrückte Geldschuld (Valutaschuld) und eine (hier) auf deutsche Mark (mithin jetzt Euro) lautende Geldschuld nicht gleichartig (BGH, Urteil vom 07.04.1992 - X ZR 119/20 -).

Auch wenn damit eine Aufrechnung mangels Gleichartigkeit nicht in Betracht käme, könne die erklärte Aufrechnung aber ein Zurückbehaltungsrecht begründen. Beantrage der Beklagte unter Hinweis auf die von ihm erklärte Aufrechnung Klageabweisung, könne darin die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts liegen und mithin der Antrag gesehen werden, ihn nur zur Erfüllung des klägerischen Leistungsanspruchs Zug um Zug gegen Leistung der zur Aufrechnung gestellten Forderung zu verurteilen (BGH, Urteil vom 28.06.1983 - VI ZR 285/81 -).

Die Klageforderung sei vorliegend unstreitig gewesen. Der Klageabweisungsantrag sei in Ansehung der Gegenforderung erfolgt, die vom Beklagten hilfsweise widerklagend als Restforderung vom Beklagten begehrt worden sei. Es handele sich um einen innerlich zusammengehörigen einheitlichen Lebenssachverhalt mit der Rechtsfolge, dass der Beklagte mit seiner unwirksamen Aufrechnungserklärung auch ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht habe. Damit habe eine Verurteilung nur Zug um Zug gegen Zahlung der Gegenforderung zu erfolgen, was auch den wirtschaftlichen Interessen des Beklagten entspräche.

BGH, Urteil vom 26.01.2022 - XII ZR 79/20 -

Mittwoch, 11. Mai 2022

Wann unterfällt das Gesellschaftsverhältnis einer (nicht eingetragenen) OHG dem Recht der GbR ?

Nicht jede offene Handelsgesellschaft (OHG, § 105 HGB) ist tatsächlich im Rechtsinn eine solche, sondern kann auch nur eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR, § 705 BGB) sein. Das OLG musste sich anlässlich einer Ausschließungsklage eines Gesellschafters (§ 140 Abs. 1 HGB) einer unter Bezeichnung R & M OHG OHG damit auseinandersetzen, da für die GbR zur Ausschließung keine Ausschließungsklage zu erheben ist, sondern dies von den Gesellschaftern zu beschließen (§ 737 BGB) ist (wobei dieser Beschluss gerichtlich angegriffen werden kann).

Kläger und Beklagter waren Gesellschafter der M& R OHG, die nicht im Handelsregister eingetragen war. Sie betrieb ein Naturfreundehaus als Veranstaltungslokal für Events (Seminare, Hochzeitsfeiern u.a.).  Nachdem der Beklagte in der Nähe eine Blockhütte zum Betreib eines entsprechendes Eventlokals anmietet, erhob der Kläger Ausschließungsklage nach § 140 Abs. 1 HGB. Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg, da das Oberlandesgericht (OLG) die R & M OKG als eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach § 705 BGB einstufte, bei der die Ausschließung eines Gesellschafters nicht mittels einer Ausschließungsklage zu erfolgen hat, sondern mittels eines Gesellschafterbeschlusses (§ 737 BGB).

Nicht entscheidend ist, wie die Gesellschaft firmiert, d.h. dass sie hier in der von ihr verwandten Firmierung des Gesellschaftsstatus einer OHG angab. Dies ergab sich bereits aus dem Umstand, dass die Gesellschaft nicht im Handelsregister eingetragen war, wie es § 107 HGB vorsieht. Auf die OHG finden die Vorschriften über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur insoweit Anwendung, soweit nicht in den §§ 105 ff HGB zur OHG abweichendes geregelt ist. Vor diesem Hintergrund prüfte das OLG zutreffend, ob für die Gesellschaft das Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach §§ 705 ff BGB oder jenes der OHG nach §§ 105 ff HGB anzuwenden ist, also tatsächlich eine Ausschließungsklage erhoben werden konnte, da bei der GbR der Gesellschafter nicht durch Gerichtsurteil (Ausschließungsklage), sondern nur durch Gesellschafterbeschluss (§ 737 BGB) ausgeschlossen werden kann.

Grundlage der Überlegung des OLG war, dass es sich bei der OHG ebenso wie bei der GbR um eine Gesellschaft handelt, bei der die Haftung der Gesellschafter nicht beschränkt ist, aber die OHG ein Handelsgewerbe betreibt (§ 105 HGB). Eine GbR, die ein Handelsgewerbe betreibt, ist qua gesetzlicher Definition in § 105 HGB eine offene Handelsgesellschaft, und umgekehrt eine (jedenfalls nicht eingetragene) OHG, die keine solches betreibt, eine GbR. Damit wäre die Ausschließungsklage nach § 140 HGB nur zulässig, wenn die Gesellschaft ein Handelsgewerbe betreibt. Die Legaldefinition für ein Handelsgewerbe entnahm das OLG § 1 Abs. 2 HGB, demzufolge ein Handelsgewerbe jedes Gewerbe ist, es sei denn, es erfordert keine kaufmännische Einrichtung.

Grundsätzlich sei die vorliegende Vermietung einer Lokalität zum Zwecke der Gewinnerzielung ein Gewerbe. Damit spräche die gesetzliche Vermutung dafür, dass es sich um ein Handelsgewerbe handele, weshalb der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trage, dass es sich nicht um ein solches handelt, da er sich darauf berief, dass die Regelung des § 140 HGB zur Ausschließungsklage nicht greift.

Im Hinblick darauf prüfte das OLG die einzelnen Umstände, die für bzw. gegen ein Handelsgewerbe im konkreten Fall sprachen.

Die Gesellschaft verfügte über kein Personal, was gegen das Erfordernis einer kaufmännischen Einrichtung spräche.  Zur Kapitalstruktur stellte das OLG fest, dass die Gesellschaft ohne Fremdkapital arbeitete und das Anlagevermögen mit einer Geschirrspülmaschine, einem Laubbläser, einem Pkw und einem „Sammelposten“ im Wert von € 891,00 überschaubar sei und auch keine kaufmännische Einrichtung erfordere. Zur Lagerhaltung stellte es fest, dass die Käufe sich im dreistelligen, selten im vierstelligen Bereich bewegt hätten, die Kunden zwar Getränke von der Gesellschaft erwerben konnten (weshalb sich der Anlieferverkehr auf Getränke beschränke, die Verköstigung im Übrigen über einen Caterer erfolge, weshalb hier für Veraltung des Getränkelagers auch keine kaufmännische Einrichtung erforderlich sei. Da auch keine weiteren Leistungen neben der Zurverfügungstellung der Räume und Getränke nicht angeboten worden seien (allenfalls der Caterer unter Vermittlung der Gesellschaft), sei das Angebot nicht vielfältig sondern überschaubar, was eher gegen das Erfordernis einer kaufmännischen Einrichtung spräche. Da auch das Werbevolumen meist nur zweistellige Beträge ausweise, erfordere dies auch keine kaufmännische Einrichtung. Auch die klägerseits benannte Internetpräsenz ließe keinen Rückschluss auf eine Kaufmannseigenschaft zu, auch wenn „heutzutage jeder Kaufmann im Internet präsent sei“, da man für den Internetauftritt nur PC und Internetzugang benötige (den notwendigen Provider benennt das OLG nicht, doch dürfte es darauf auch nicht ankommen). Die Kundenzahl von 706 (auch mit namhaften Firmen), bei der auch nicht ersichtlich sei, dass es sich um Stammkunden handeln würde, sei nicht entscheidend, da die Vermietung bedinge, dass immer nur ein Kunde pro Zeiteinheit buchen könne und von daher auch keine kaufmännische Einrichtung erforderlich sei. Es würde kein schriftlicher Gesellschaftsvertrag existieren, keine ausdrücklichen Regelungen über die Vertretungsmacht (sondern nur eine konkludente Einigung zur Einzelvertretung durch stillschweigende Handhabung), keine Prokuristen (was mangels Eintragung im Handelsregister auch nicht möglich ist) und keine Bevollmächtigten bestellt sein, was für ein kaufmännisches Unternehmen untypisch sei.

Als Resümee fasste das OLG zusammen, dass allenfalls die Kundenzahl und die Umsatzzahl in den Grenzbereich eines Handelsgewerbes fallen würden, wobei die Buchführungspflicht aus steuerlichen Gründen nichtssagend sei. Kapitalstruktur, fehlende Angestellte und das überschaubare Angebot der Gesellschaft würden hingegen eindeutig gegen die Notwendigkeit einer kaufmännischen Einrichtung sprechen. Es würde sich der Eindruck aufdrängen, dass die Gesellschafter den Geschäftsbetrieb möglichst schlank halten wollten und möglichst viel in Eigenregie bzw. durch Fremddienstleister erledigen wollten. Von daher wurde die Gesellschaft vom OLG als GbR und nicht als OHG angesehen, weshalb eine Ausschließungsklage unzulässig war.

OLG München, Urteil vom 19.01.2022 - 7 U 3250/20 -

Montag, 9. Mai 2022

Paktdienstleister: Allgemeine Geschäftsbedingungen zum Weisungsrecht des Versenders und zur Art der Zustellung

Der BGH hatte sich in einem Verfahren der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. (Klägerin) mit deren Antrag auf Unterlassung von bestimmten Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eines Paktdienstleisters gegenüber Verbrauchern auseinanderzusetzen. Zwei dieser Klauseln sind Gegenstand dieser Darstellung, von denen eine Klausel für wirksam, die andere Klausel für unwirksam angesehen wurde.

1. Wirksam ist nach Auffassung des BGH die Klausel 2.3 der AGB:

„Weisungen, die nach Übergabe der Pakete vom Versender erteilt worden sind, müssen nicht befolgt werden. Die §§ 418 Abs. 1 bis 5 und 419 HGB finden keine Anwendung.“

Das OLG Frankfurt hatte Ergebnis diese Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des Verbrauchers als unwirksam angesehen. Zutreffend habe das OLG nach Ansicht des BGH die Regelung unter Klausel 2.3 im Ergebnis als vollständige Abbedingung des Weisungsrechts des Absenders eingestuft. Anders als vom OLG angenommen, käme es hier nicht auf die kundenfeindlichste Auslegung an, da schon nach dem klaren Wortlaut ein vollständiger Ausschluss der in §§ 418, 419 HGB benannten Rechte des Absenders gegeben sei.

Allerdings sei dieser Ausschluss hier entgegen der Annahme des OLG wirksam. Dies vor dem Hintergrund, dass es sich bei der in Rede stehenden Besorgung von Paketversendungen um ein Massengeschäft handele. § 418 Abs. 1 S. 1 HGB eröffne dem Absender die Möglichkeit über das Gut nach Übergabe an den Frachtführer zu verfügen. So könne er u.a. könne nach § 418 Abs. 1 S. 2 HGB verlangen, dass das Gut nicht weiterbefördert wird oder an einen anderen Bestimmungsort und/oder Empfänger befördert wird. Allerdings sei der Frachtführer nach diesen Regelungen nur insoweit verpflichtet der Weisung zu folgen, als deren Ausführung weder Nachteile für den Betrieb seines Unternehmens noch Schäden für die Absender oder Empfänger anderer Sendungen bringe (§ 418 Abs. 1 S. 3 HGB) und zudem Ersatz der durch die Weisung entstehenden Aufwendungen sowie einen Vorschuss darauf verlangen. Ähnliches gelte auch im Rahmen des § 419 HGB, der eine Nachfrageobliegenheit des Frachtführers vorsieht.

Durch den Ausschluss der Rechte nach §§ 418, 419 HGB würde der Verbraucher bei der Versendung von Paketen im Massengeschäft nicht unangemessen benachteiligt. Eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB läge vor, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen würde, nicht zu vereinbaren sei. Sei die Abweichung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck anderweitig sichergestellt, läge Unangemessenheit nicht vor.

Zwar stünde die Regelung in den AGB im Widerspruch zu § 418 Abs. 1 HGB. Allerdings läge eine sachliche Rechtfertigung vor. Die Regelungen in §§ 418, 419 HGB seien auf ein praktisches Bedürfnis bei Transporten längerer Dauer ausgerichtet, bei denen sich während der Transportdauer des Gutes Veränderungen gegenüber den Umständen bei Absendung ergeben könnten. Hier allerdings würde ein Massentransport von kurzer Dauer (möglichst innerhalb von 24 Stunden) zu niedrigen Preisen erfolgen. Daher sei offenkundig, dass nachträgliche Weisungen bei der Vielzahl von Absendern und der großen Anzahl von Paketsendungen Nachteile für den Betrieb der Beklagten die Folge wären und ebenso die Schnelligkeit der Transporte beeinträchtigen würde. Deshalb sei zur Vereinfachung der Betriebsabläufe der Ausschluss eines nachträglichen Weisungsrechts geeignet und verhältnismäßig; auch erweise sich eine Befolgung von nachträglichen Weisungen während des laufenden Beförderungsvorgangs angesichts der kurzen Beförderungsdauer als tatsächlich nahezu unmöglich. Es würde mit der Klausel bei dem von der Beklagten betriebenen Pakettransport für jedermann und Auslegung dieser Transporte auf eine schnelle und kostengünstige Beförderung nicht in wesentliche Rechte des Verbrauchers eingegriffen, da - im Gegenteil - die Prüfung von nachträglichen Weisungen den Vertragszweck gefährden würde.

2. Die Klausel 2.5.5

„Hat der Empfänger G. eine Abstellgenehmigung erteilt, gilt das Paket als zugestellt, wenn es an der in der Genehmigung bezeichneten Stelle abgestellt worden ist.“

hatte das OLG als wirksam angesehen. Anders der BGH.

Zwischenanmerkung: Es handelt sich hier nicht um einen der häufig vorkommenden Fälle, dass der Paktzusteller (ohne dass eine Einwilligung des Empfängers vorliegt) das Paket vor der Haus-, Wohnungs- oder Geschäftsraumtür (im Treppenhaus) abstellt, ein leider immer wieder vorkommender Fall. Vielmehr hat der Empfänger in dem der Klausel zugrunde liegenden Fall dem Paketzusteller eine bestimmte Stelle angegeben, an der das Paket, wenn er nicht angetroffen wird, abstellen kann.

Dass das Abstellen des Pakets an irgendeiner Stelle vor dem Haus oder in einem Mehrparteienhaus unzulässig ist, bedarf keiner Erörterung. Unabhängig davon hält der BGH aber auch die hier fragliche Klausel, nach der ein Abstellen an einem mit dem Empfänger vereinbarten Ort als Zustellung (Zugang) gilt, für unwirksam, da diese Regelung nach Empfänger nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB entgegen dne Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige.

Die Klausel als solche sei klar und verständlich und verstoße daher nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Allerdings würde sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, da sie nicht vorsähe, dass der Empfänger von der Bereitstellung des Pakets an der Ablieferungsstelle und dem Zeitpunkt der Abstellung in Kenntnis gesetzt würde.

Grundsätzlich seien Pakete nach § 3 Nr. 3 S. 1 PUDLV zuzustellen, sofern der Empfänger nicht erklärt habe, dass er die Sendung abholen wolle. Die Zustellung habe an der in der Anschrift benannten Wohn- oder Geschäftsadresse durch Aushändigung an den Empfänger oder einen Ersatzempfänger zu erfolgen, soweit nicht gegenteilige Weisungen des Absenders oder Empfängers vorlägen (§ 3 Nr. 3 S. 2 PUDLV). Nach § 3 Nr. 3 S. 2 PUDLV würden aber Absender oder Empfänger die Weisung erteilen, dass auch in anderer Weise als durch persönliche Aushändigung an den Empfänger oder eine empfangsberechtigte Person an der in der Anschrift genannten Wohn- oder Geschäftsadresse zustellen.

Die Art und Weise der Zustellung in einem Fall des § 3 Nr. 3 PUDLV sei dort nicht geregelt. Die Zulassung der Form der Zustellung entspräche grundsätzlich den Interessen des Versenders, Beförderers und Empfängers, da dies die Zustellung beschleunige und vereinfache. Sie bedeute aber auch die Gefahr, dass ein Unbefugter die Sendung an sich nehme; es läge in der Natur der Sache, dass als Abstellort ein allgemein zugänglicher Ort - da er auch für den Frachtführer erreichbar sein müsse - gewählt würde. Das Risiko sei dann besonders groß, wenn die Abstellgenehmigung nicht nur für eine konkrete Lieferung erfolge, sondern für eine Vielzahl von Fällen. In diesen Fällen müsse gewährleistet werden, dass der Empfänger von einer bestimmten Sendung erfahre und in Kenntnis gesetzt würde, dass er sie an der in der Genehmigung benannten Stelle in Besitz nehmen könne. Nur so sei gewährleistet, dass der Empfänger in der Lage ist, die Sendung bald an sich zu nehmen, bevor es ein unberechtigter Dritter tut.

Die Erfüllung dieser Verpflichtung sei der Beklagten auch möglich. Nach der Lebenserfahrung würden dem Paketzusteller Abstellgenehmigungen elektronisch erteilt, weshalb er in der Lage sei, auf demselben Weg eine Benachrichtigung dem Empfänger zuzuleiten.  

BGH, Urteil vom 07.04.2022 - I ZR 212/ 20 -

Mittwoch, 4. Mai 2022

Titelersetzendes außergerichtliches Anerkenntnis eines Schadensersatzanspruchs und Feststellungsinteresse

Hat der Gläubiger (hier aus einem Schadensfall) ein Feststellungsinteresse für eine Klage auf Feststellung der Ersatzverpflichtung des Schuldners, wenn der Schuldner (außergerichtlich) bereits ein Anerkenntnis abgegeben hat ? Antwort: Nein, wenn der Gläubiger durch das Anerkenntnis ausreichend geschützt ist. Ob hier der klagende Gläubiger durch das außergerichtliche Anerkenntnis des beklagten Haftpflichtversicherers ausreichend geschützt, war im Streit.

Das Oberlandesgericht (OLG) wies darauf hin, dass ein außergerichtliches schriftliches Anerkenntnis dann das Feststellungsinteresse an einem Urteil entfallen lassen würde, wenn der Schuldner seine Ersatzpflicht für bereits eingetretene und künftige noch entstehende Schäden dem Grunde nach mit Wirkung eines Feststellungsurteils anerkenne und zugleich uneingeschränkt auf die Einrede der Verjährung verzichte (so die herrschende Rechtsprechung, z.B. OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.03.2006 - 4 U 117/05 -; KG, Urteil vom 19.01.2004 - 22 U 71/03 -; OLG Hamm, Urteil vom 10.02.2000 - 6 U 208/99 -). Das Feststellungsinteresse entfalle nämlich dann, wenn die für ein Feststellungsurteil erforderliche Unsicherheit, die dem Recht oder der Rechtslage des Klägers (Gläubigers) bei einem Bestreiten durch den Beklagten (Schuldner) drohe, ausgeräumt würde.

Im konkreten Fall sei das Anerkenntnis der beklagten Haftpflichtversicherung aber nicht ausreichend gewesen, diese Unsicherheit auszuräumen. Das Anerkenntnis von dieser habe sich auf „den unfallbedingten zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden ab dem 28.02.2020“ bezogen. Es sei damit zeitlich eingeschränkt gewesen, da es nur die (etwaig weiteren) Schäden ab dem 28.02.2020 (Tag des Anerkenntnisses) erfasst habe, nicht auch die Schäden (einschließlich der immateriellen Schäden), die ab dem 13.10.2019 (bis zum 28.02.2020) bereits entstanden gewesen seien.

Auch aus dem Umstand, dass die Beklagten (der Haftpflichtversicherer und der versicherte Versicherungsnehmer) die Auffassung vertraten, ein zur Beendigung ausreichendes Anerkenntnis abgegeben zu haben, folge nichts anderes. Das OLG wies darauf hin, dass eine Erklärung nach §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden könne/müsse und ein eventuelles Redaktionsversehen berücksichtigt werden könne. Der Wortlaut sei vorliegend eindeutig im Hinblick auf das Anerkenntnis des lediglich zukünftigen materiellen und immateriellen Schadensersatzes. Mit der Erklärung, ein ausreichendes Anerkenntnis abgegeben zu haben, sei nicht erklärt worden, dass auch die bereits ab dem Unfall vom 13.10.2019 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden einbezogen werden sollten. Damit sei nicht davon auszugehen, dass das abgegebene Anerkenntnis vom 28.02.2020 anders als formulier auch auf Schäden ausgedehnt werden könne, die vor diesem Tag lägen.

Damit musste sich das OLG mit der Frage auseinandersetzen, ob im Umfang des Anerkenntnisses (hier im Hinblick auf künftige, ab dem 18.02.2020 eintretende Schäden) dieses im Tenor eines Urteils zu berücksichtigen sei. Das wurde vom OLG verneint. Es verwies darauf, dass die Aufgabe des Bestreitens das Feststellungsinteresse nur entfallen lasse, wenn der Kläger endgültig gesichert sei. Die endgültige Sicherung beträfe aber den gesamten geltend gemachten Anspruch, also ab dem Unfallereignis vom 13.10.2019. Da das vorliegend nicht der Fall gewesen sei, sei der umfassende Antrag weiterhin gerechtfertigt.

OLG Hamm, Urteil vom 17.12.2021 - I-7 U 99/20 -