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Montag, 24. Oktober 2022

Aussetzung der Vollziehung trotz Verzicht auf Räumungsschutz

Die Beschwerdeführerin (Mieterin) hatte in einem Räumungsrechtsstreit einen gerichtlichen Räumungsvergleich mit der Vermieterseite geschlossen und in diesem eine Räumung zu einem bestimmten Zeitpunkt vollstreckungsfähig erklärt und auf die Stellung von Räumungsschutzanträgen gem. § 794a Abs. 1, 2 ZPO verzichtet. Allerdings ist die Beschwerdeführerin dann nicht ausgezogen und hat einen Räumungsvollstreckungsschutzantrag gestellt über den bisher nicht rechtskräftig entschieden wurde (die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Zurückweisung des Schutzantrages ist noch beim BGH anhängig). Zur Sicherung ihrer Position (des Besitzes an der Wohnung) stellte die Beschwerdeführerin auch einen Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung des Räumungsvergleichs, §§ 570 Abs. 3 1. Halbs., 575 Abs. 4, 794a Abs. 1 ZPO. Der vom Amtsgericht abgelehnte Antrag wurde vom BGH als Rechtsbeschwerdegericht bewilligt unter der Voraussetzung der Zahlung der im Vergleich vereinbarten Bruttomiete durch die Beschwerdeführerin.

Der BGH wies darauf hin, er könne als Rechtsbeschwerdegericht auch im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung einer Entscheidung der ersten Instanz aussetzen, wenn dem Rechtsbeschwerdeführer bei einem Vollzug größere Nachteile drohen würden als dem Gegner, die Rechtsbeschwerde zudem zulässig erscheine und nicht von vornherein ohne Erfolgsaussicht sei.

Hier würden der Beschwerdeführerin bei einer Vollstreckung unwiederbringliche Nachteile durch den Verlust der Wohnung entstehen, vor dem sie in Ansehung eines mittels ärztlichen Attests belegten Schussverletzung am Kopf drei Monate nach Abschluss des Vergleichs und daraus noch andauernden besonderen persönlichen und gesundheitlichen Situation zu schützen sei. Zwar würde der Beschwerdegegner nach vorgelegten Unterlagen auch nicht unerhebliche Nachteile im Falle eines Verbleibs der Beschwerdeführerin in der Wohnung erleiden, doch würden die Nachteile der Beschwerdeführerin vorliegend überwiegen.

Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde gegen die Versagung des Räumungsschutzes sei form- und fristgerecht eingelegt worden (also zulässig). Es könnten ihr auch Erfolgsaussichten nicht abgesprochen werden. Die Frage, ob ein Verzicht auf Räumungsschutz nach § 794a Abs. 1, 2 ZPO in einem gerichtlichen Räumungsvergleich wirksam sei und ob er sich auf zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses unvorhersehbare und unbekannte Härtegründe beziehe, sei umstritten und höchstrichterlich bisher nicht geklärt (BGH, Beschluss vom 28.10.2008 - VIII ZB 28/08 -). Daher könne hier ein Erfolg der Rechtsbeschwerde derzeit nicht verneint werden. Es kämen hier unter Umständen die Unwirksamkeit des Verzichts auf Räumungsschutz aus § 313 BGB (Wegfall vorausgesetzter künftiger Umstände) in Betracht, da nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen sei, dass die Geschäftsgrundlage aufgrund ihrer nachträglich eingetretenen und unvorhersehbaren gesundheitlichen Situation entfallen sei.

BGH, Beschluss vom 03.06.2022 - VIII ZB 44/22 -

Sonntag, 22. Mai 2022

Zahlungspflicht im Fitnessstudio bei coronabedingt angeordneter Schließung

Corona hat das Wirtschaftsleben verändert. Betroffen waren letztlich alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die Auflagen (wie Maskenpflicht, Impfung oder Testung) wurden begleitet von weitreihenden Einschränkungen in wirtschaftlichen Bereichen, wie z.B. die Schließung von Ladengeschäften und Verbot von Freizeitveranstaltungen. Betroffen waren auch die Sport- und Fitnessstudios, die bundesweit über Monate schließen mussten. Während die Betreiber von Ladengeschäften bei dem BGH einen Erfolg erringen konnten dahingehend, dass eine Mietanpassung grundsätzlich infolge der pandemiebedingten Kündigung möglich ist (so grundlegend BGH, Urteil vom 12.01.2022 - XII ZR 8/21 -), erlitt die Branche der Fitnessstudiobetreiber eine Schlappe. Der BGH gab in seinem Urteil vom 04.05.2022 - XII ZR 64/21 - einem Nutzer eines Fitnessstudio Recht, der auf Rückzahlung von Beiträgen für die Zeit der Schließung klagte.

1. Der BGH vertrat die rechtsdogmatisch sicherlich richtige Ansicht, dass ein Fall der Unmöglichkeit vorläge, §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB. Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Schuldner (hier der Betreiber des Fitnessstudios, der seine Räume zum Training dem Nutzer zur Verfügung zu stellen hat) die Leistung nicht erbringen kann. Eine objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn diese Leistung von niemanden erbracht werden kann. Dieser Fall lag nach den Feststellungen des BGH vor, da in dem fraglichen Zeitraum vorliegend vom 16.03. bis 04.06.2020 die Fitnesseinrichtungen im örtlichen Bereich coronabedingt aufgrund hoheitlicher Maßnahmen schließen mussten. Es läge auch kein nur vorübergehendes Leistungshindernis vor, da die geschuldete Leistung monatlich zu zahlen war und der Nutzer einen Anspruch darauf habe das Studio regelmäßig und ganzjährig nutzen zu können und dieser Vertragszweck während der Schließungszeit nicht erreichbar sei. Von daher sei die geschuldete Leistung nicht nachholbar.

Diese Ansicht des BGH ist nicht zwingend. Wenn ein Vertrag auf (hier) 24 Monate geschlossen wird und es zu einer objektiven Unmöglichkeit der Zurverfügungstellung von knapp drei Monaten kommt, ist nicht ersichtlich, weshalb eine Nachholbarkeit nach Ende der regulären Vertragslaufzeit nicht gegeben sein sollte, erst recht dann, wenn bei Wiederaufnahme des betriebs der Nutzer die Einrichtung im Rahmen des Vertrages weiter nutzt. Hier müsste jedenfalls zur Negation der Nachholbarkeit geprüft werden, ob dies noch nach dem Vertragszweck, auf den der BGH abstellt, für den Nutzer möglich ist.

2. Einen Anspruch des Betreibers des Fitnessstudios auf Vertragsanpassung nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), den der Senat im Verhältnis Mieter - Vermieter in seinem Urteil vom 12.01.2022 annahm, schloss der BGH hier aus. Liege ein Fall der Unmöglichkeit iSv. §c 275 BGB vor, greife § 313 BGB nicht.

Entgegen einer in der Rechtsprechung abgenommenen Auffassung, dass sich der Vertrag für die Zeit der Schließung verlängert, schließt dies der BGH mit Hinweis darauf aus, dass eine Anpassung nach den Grundsätzen des § 313 Abs. 1 BGB dann nicht in Betracht käme, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimme. Damit scheide § 313 BGB aus, soweit der Tatbestand des § 275 BGB erfüllt sei.

Der vorliegende Fall der rechtlichen Unmöglichkeit der Leistungserbringung sei von der Regelung des § 275 Abs. 1 BGB erfasst mit der Folge, dass der Fitnessstudiobetreiber seinen Vergütungsanspruch nach § 326 Abs. 1 BGB verloren habe. Daneben sei eine Anpassung nach § 313 Abs. 1 BGB nicht möglich. Gegenstand des § 313 Abs. 1 BGB sei eine durch die Veränderung der Geschäftsgrundlage ausgelöste Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Eine Anpassung sei aber nicht mehr möglich, wenn - wie bei §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 BGB - die wechselseitigen vertraglichen Leistungsverpflichtungen entfallen seien. (Anmerkung: In dem Urteil zur Höhe der geschäftsraummiete vom 12.01.2022 hatte der BGH darauf abgestellt, dass dem  Mieter seine Leistungen - Mietzahlungen - nicht rechtlich unmöglich wurden und der Vermieter seiner Leistungspflicht - in Form der Zurverfügungstellung der Räume - weiter nachkam, also kein Fall der Unmöglichkeit nach § 175 Abs.1 BGB gegeben war).

Weiter merkte der BGH (zustimmend zu der Feststellung im Berufungsurteil) an, dass die vom Fitnessstudiobetreiber begehrte Anpassung des Vertrages im Ergebnis nicht darauf ausgerichtet sei, , den Vertrag den durch COVID-19 veränderten Umständen anzupassen, sondern die für ihn wirtschaftlich nachteiligen Folgen der Unmöglichkeit zu korrigieren, was nicht Zweck der Regelung zur Störung der Geschäftsgrundlage sei.

3. Zudem scheide nach Ansicht des BGH eine Vertragsanpassung gem. § 313 Abs. 1 BGB auch im Hinblick auf Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB aus, da der Gesetzgeber mit dieser Regelung für die Pandemie eine spezielle Vorschrift geschaffen habe, die die wirtschaftlichen Folgen der Unmöglichkeit korrigiere. Eine Anpassung nach § 313 Abs. 1 BGB sei nicht möglich, wenn - wie hier - der Gesetzgeber das Risiko der Vertragsstörung erkannt und eine spezielle Norm geschaffen habe. Danach habe der Betreiber der Einrichtung die Möglichkeit, dem Nutzer einen Gutschein zu übergeben, dessen Wert dem nicht nutzbaren Teil der Berechtigung entspräche. Dies sei - im Interesse der Unternehmer und Kunden eine abschließende Regelung, um die Folgen der Pandemie abzufangen.

Dass dieser Gedanke zu kurz gefasst ist, zeigt sich schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH. Nach Art. 240 § 5 Abs. 5 EGBGB hat der Gutscheinempfänger bei Nichtnutzung des Gutscheins sich dessen Wert jedenfalls nach dem 31.12.2021 auszahlen lassen. Zum Zeitpunkt des Erlasses hatte der Gesetzgeber nämlich schlicht unbeachtet gelassen, dass eine mögliche weitere Schließungswelle pandemiebedingt notwendig werden könnte, die dann auch von November 2020 bis Mai 2021 erfolgte. Der Gutschein brachte dem Betreiber der Einrichtung lediglich für die die Schließungen März bis Juni 2020 eine mittelfristige finanzielle Entlastung, nicht aber für den Zeitraum ab November 2020: Der Gutschein war letztlich sofort auf Wunsch durch Auszahlung einzulösen, weshalb er im Wesentlichen keinen Sinn ergab. Soweit mithin der BGH zur Begründung seiner Entscheidung auf Ausschluss einer Vertragsanpassung nach Maßgabe von § 313 Abs. 1 BGB verweist, greift dies für das erste Lockdown (über welches zu entscheiden war), nicht für das zweite Lockdown, welches der Gesetzgeber ersichtlich nicht beachtet hatte. Nimmt man aber mit dem BGH an, dass die gesetzliche Regelung in Art. 240 § 5 EGBGB die gesetzliche Regelung der Unmöglichkeit modifizieren sollte und damit die Anwendbarkeit des § 313 BGB in ihrem Bereich ausschließen sollte, wäre doch (jedenfalls für das 2. Lockdown) § 313 BGB wieder aufzugreifen, da nach dem vom BGH benannten Willen des Gesetzgeber gerade diese Regelung im Hinblick auf die spezialgesetzliche Regelung ausgeschlossen und eine Modifikation im Interesse des Unternehmers und Kunden getroffen werden sollte.

BGH, Urteil vom 04.05.2022 - XII ZR 64/21 -

Montag, 17. Januar 2022

COVID-19: Geschäftsschließung wegen COVID-19 und Einfluss auf Mietverhältnis

Lange wurde eine grundlegende Entscheidung des BGH ersehnt: Wie wirkt sich eine COVID-19 bedingte hoheitliche Maßnahme, die die Schließung von Geschäftslokalen zur Folge hat, auf das Mietverhältnis aus ? Der BGH hat sich der Ansicht angeschlossen, die darin  keinen Mietmangel sehen, auch keine Unmöglichkeit des Vermieters,  die Mietsache in einem Zustand zum vertragsgemäßen Gebrauch zu überlassen. Er stellt auf § 313 Abs. 1 BGB ab und räumt dem Mieter von gewerblichen Räumen das grundsätzliche Recht ein, eine Anpassung der Miete zu begehren. Allerdings soll eine Prüfung des Einzelfalls erfolgen, ob für den Mieter eine Unzumutbarkeit besteht, ab dem unveränderten Vertrag festzuhalten, wobei im Rahmen der Prüfung auch finanziell Vorteile des Mieters (z.B. staatliche Hilfen zum Ausgleich der pandemiebedingten Leistungen ) berücksichtigt werden sollen.

Die Leitsätze der Entscheidung des BGH vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 – lauten:

„1. Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.

2. Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.

3. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.“

Nachfolgend sollen die wesentlichen Erwägungen des BGH aufgezeigt werden, die der BGH für eine Anpassung des Mietzinses ausführte und welche Konsequenzen dies für die Darlegungs- und Beweislast der Parteien des Mietverhältnisses hat.

1.

Der BGH stellt klar, dass die Regelungen zur Leistungsstörung, so insbesondere in § 313 Abs. 1 BGB (Regelungen zur Veränderung der Geschäftsgrundlage nach Vertragsabschluss) entgegen einer in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansicht nicht von Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen würden, mit dem der Gesetzgeber Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters wegen eine (coronabedingten) Leistungsverzugs ausschloss.  Er schließt sich der Gegenansicht an und verwies darauf, dass die Regelung in Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB nur eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters bei coronabedingter Nichtleistung enthalte, die Pflicht zur Mietzahlung aber nicht tangiert würde. Zudem sei nach dem Gesetzeszweck den Mietern ein Moratorium für einen bestimmten Zeitraum eingeräumt worden. Entgegen einem in Art. 240 § 1 EGBGB enthaltenen Grundsatz habe der Gesetzgeber aber davon Abstand genommen dem Mieter ein Leistungsverweigerungsrecht einzuräumen. Würde es sich um eine abschließende Regelung handeln, würde sich diese zum Nachteil der Mieter auswirken, da diese auch bei einer coronabedingten Schließung zur Zahlung der vollständigen Miete verpflichtet blieben. Das Risiko, die Räume nutzen zu können, sei in diesem Fall alleine auf den Mieter verlagert, weshalb in der Konsequenz sich diese Norm dann als Schutz des Vermieters darstellen würde. Es lägen aber keine Anhaltspunkte vor, dass hier der Gesetzgeber das Nutzungsrisiko alleine auf den Mieter verlagern wollte.

a)

Soweit teilweise ein Minderungsrecht des Mieters nach § 536 Abs. 1 BGB angenommen würde, sei dem aber zu folgen. Betriebsschließungen, die durch Allgemeinverfügungen des Staates veranlasst wurden, würden keinen Mangel der Mietsache darstellen. Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und -beschränkungen könnten nur dann einen Mangel der Mietsache nach §§ 536ff BGB begründen, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen würden und nicht ihre Ursache in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters ihre Ursache hätten. Gesetzgeberische Maßnahmen währen des Gebrauchs der Mietsache könnten nur dann zu einem Mangel der Mietsache führen, wenn diese Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der geschäftlichen Lage des Mietobjekts in Zusammenhang stünde. Dies sei aber bei den coronabedingten Allgemeinverfügungen nicht der Fall, da diese nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des der Mietsache beruhen würden, sondern an den Geschäftsbetrieb des Mieters anknüpfen. Zwar sei der Zugang zu den entsprechenden Einrichtungen untersagt und der ungehinderte Zugang gerade bei der Vermietung von Gewerberäumen Voraussetzung für eine vertragsgemäße Nutzung, wenn dieser auf den Kundenverkehr angewiesen sei. Allerdings verbiete sich eine Ausuferung des Mangelbegriffs, weshalb auch in diesen Fällen die Zugangsbeschränkung nur dann als Mangel anerkannt werden könne, wenn  die Zugangsbeschränkung mit der Lage oder der Beschaffenheit des Mietobjekts zusammenhängen würde (so bei Baumaßnahmen der öffentlichen Hand im Umfeld der Mietsache), nicht aber wenn die Zugangsbeschränkung allgemein coronabedingt für Geschäfte in dem betroffenen Gebiet ein Öffnungsverbot gilt. Die weitergehende Frage, ob bei einer Beschränkung des Öffnungsverbotes nur für einzelne Geschäftsbereiche (z.B: Gaststätten, Fitnessstudios) anders gelten müsste, ging der BGH nicht ein; man wird aber in Ansehung seiner einschränkenden Darlegung des Mangelbegriffs davon auszugehen haben, dass auch für diesen Fall ein Mangel nicht angenommen werden kann, da es nicht um das Geschäft im Einzelnen gehen würde, sondern um eine unbestimmte Anzahl von Geschäften in dem betroffenen Gebiet. Im Hinblick auf eine Entscheidung des Reichsgerichts zu einem Mangel der Mietsache wegen Verbots von Tanzveranstaltungen während des 1. Weltkriegs für eine Gaststätte mit vorwiegend Tanzveranstaltungen (RGZ 87, 277, 280; RGZ 89, 203, 205) verwies der BGH darauf, dass zum Einen der damalige der Mangelbegriff vom BGH fortentwickelt worden sei, zudem erst später die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage entwickelt wurden.

Entsprechend negierte auch der BGH eine Befreiung von der Mietzahlungspflicht, da dem Vermieter seine vertragliche geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand ganz oder teilweise unmöglich geworden sei (§§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB). Ob diese Regelungen durch das mietrechtliche Gewährleistungsrecht ((§§ 536ff BGB) ausgeschlossen seien, könne dahinstehen. Dem Vermieter sei es nach den obigen Grundsätzen nicht unmöglich, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem Mietzweck zu gewähren und seine geschuldete Leistung auch während der Zeit der hoheitlich angeordneten Schließung erbracht. Er habe keine (mangels Vereinbarung) keine Einstandspflicht für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie.

b)

In Betracht käme allerdings eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 Abs. 1 BGB.

Die Anpassung könne verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert hätten. Diese Anpassung könne nur insoweit gefordert werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der gesetzlichen und vertraglichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könne.

Die durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufene weitreichende Beschränkung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens habe den abgeschlossenen Mietvertrag (für die betroffen Geschäfte) schwerwiegend geändert, da bei Abschluss des Vertrages keine der Parteien an eine derartige Pandemie und deren verbundenen erheblichen hoheitlichen Eingriffen gedacht habe.  Wegen der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie (Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen) und der damit verbundenen Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben während des 1. Lockdown im Frühjahr 2020 sei die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Unter der großen Geschäftsgrundlage verstünde man die Erwartung der Vertragsschließenden, dass die die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des Vertrages nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder (Natur-) Katastrophen ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert würde.  Durch die Schließung des Geschäftslokals durch die coronabedingte hoheitliche Maßnahme sei eine derartige Störung eingetreten.

Allerdings sei für die Anwendung des § 313 BGB insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände gehen würde, die nach der vertraglichen Vereinbarung in den Risikobereich lediglich einer Partei fallen würden. Der Mieter habe aber im vorliegenden Fall nicht alleine das Verwendungsrisiko, wenn nichts anderes vereinbart wurde, wobei derartige Vereinbarungen auch eng auszulegen seien. Es sei auch davon auszugehen, dass die Parteien, hätten sie bei Abschluss des Vertrages eine Pandemie mit der Gefahr hoheitlich angeordneter Schließungen bedacht, den Vertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten.  Es sei davon auszugehen, dass „redliche Mietvertragsparteien“ das Risiko nicht einseitig zu Lasten des Mieters geregelt hätten, sondern in diesem Fall eine Möglichkeit zur Mietanpassung vorgesehen hätten.

Auch wenn die Geschäftsgrundlage danach entfallen ist, bedeutet dies nicht notwendig eine Öffnung für eine Vertragsanpassung, wie der BGH feststellt. § 313 Abs. 1 BGB erfordere weiterhin, dass dem betroffenen Vertragspartner (hier Mieter) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden könne. Das Festhalten müsste zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führen. Ein Festhalten des Mieters am Vertrag zu der dortigen Miethöhe käme damit dann in Betracht, wenn ihm dies nach Abwägen aller Umstände einschließlich der Risikoverteilung zumutbar sei.

Im Verhältnis Vermieter und Mieter trage grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko. Dazu gehöre auch, mit der Mietsache Gewinne erzielen zu können. Erfülle sich dies aufgrund nachträglich eingetretener Umstände nicht, handele es sich um ein typisches Risiko des Mieters; dies würde auch für nachträgliche gesetzgeberische oder hoheitliche Maßnahmen gelten, die zu einer Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs führen. Wenn aber die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Eindämmung der COVID-19-Pandemi in Form einer zeitweiligen Betriebsschließung beruhe, gehe dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko hinaus. Die wirtschaftlichen Nachteile würden nicht auf unternehmerischen Entscheidungen beruhen und auch nicht auf enttäuschten Vorstellungen. Sie seien Folge umfassender staatlicher Eingriffe. Es habe sich damit ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne entsprechende Regelung nicht erfasst sei. Es sei eine Systemkrise mit weitreichenden Folgen, die zur Störung der großen Geschäftsgrundlage geführt habe.

2.

Der BGH lehnt eine schematische Teilung des Risikos durch Halbierung der Miete ab, da das Risiko der pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung keine der Mietvertragsparteien alleine träfe.

a)

Bei der vorzunehmenden Abwägung sei zunächst von Bedeutung, welche Nachteile der Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer habe. Diese lägen bei dem gewerblichen Mieter im Umsatzrückgang, wobei auf den Geschäftsumsatz und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen sei. Auch sei zu berücksichtigen, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat bzw. ergreifen könnte, um die möglichen Verluste der Geschäftsschließung zu vermindern.

Um eine Überkompensation von derartigen Verlusten zu vermeiden, seien weiterhin bei der Prüfung der Unzumutbarkeit die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat oder hätte erlangen können, wozu auch Leistungen einer evtl. einstandspflichtigen Betriebsversicherung zählen würden. Hingegen würden staatliche Leistungen, die nur als Darlehen gewährt würden, außer Betracht zu bleiben haben, da durch solche Darlehen keine Kompensation (infolge der Rückzahlungspflicht) entstünde. Für die Anpassung sei aber eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters nicht erforderlich.

Ferner seien bei der Abwägung auch die Interessen des Vermieters zu berücksichtigen. Welche das im Einzelnen sind, wird vom BGH nicht weiter ausgeführt. Zu denken wäre an den laufenden Unterhalt der Immobilie (Steuern, Versicherungen, Abgaben für Müllabfuhr pp., evtl. Tilgung von Darlehen).

Derjenige, der sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufe, müsse den Nachweis erbringen, dass ihm ein Festhalten am Vertrag zu den bisherigen Konditionen unzumutbar sei. Er müsse daher im Falle einer pandemiebedingten Schließung darlegen und (im Falle des Bestreitens) nachweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung für diesen Zeitraum unzumutbar machen, ferner, welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet er, keine staatliche Unterstützung erhalten zu haben, müsse er darlegen und evtl. beweisen, um welche Hilfeleistungen er sich vergeblich bemühte; gelänge ihm dies nicht, müsste er so behandelt werden, als hätte er die staatliche Unterstützung erhalten. Wenn der Vermieter einwendet, die Verluste würden nicht auf der COVID-19-Pandemie beruhen, so müsse dies der Vermieter darlegen und beweisen. 

b)

Mit der hoheitlichen Maßnahme der Schließung von Geschäften für eine bestimmte Zeit tritt an sich bereits der Zeitpunkt ein, zu dem ersichtlich ist, dass kein Umsatz mehr erzielt werden kann, ggf. Ersatzmaßnahmen getroffen werden müssen. Wann aber soll nun der Mieter sein Verlangen auf Anpassung der Mietkonditionen wegen Wegfalls der großen Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB stellen ?

In seiner Entscheidung geht der BGH auf die Dauer der Schließung und den Verlust währen dieser Zeit ein, ebenso auf die möglichen Unterstützungen durch den Staat, eine Betriebsversicherung pp. Ob und inwieweit staatliche Stellen Zahlungen leisten, ob eine Betriebsversicherung zahlt oder zahlen muss, wird sich regelmäßig erst im Laufe der Zeit feststellen lassen, ebenso wie sich der Erfolg möglicher Ersatzmaßnahmen erst im Laufe der Zeit zeigen wird. Soll nun der Mieter weiter zahlen oder es auf einen Mietrückstand ankommen lassen (der bei dem ersten Lockdown noch - so der BGH - nach Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB ein Kündigungsrecht des Vermieters ausschloss (nicht aber im zweiten Lockdown) ?

In dem vom BGH abgehandelten Fall hatte der Mieter lediglich die Miete für April 2020 nicht gezahlt, alle anderen Mieten in 2020 hatte er gezahlt. Das hätte dem Berufungsgericht nach Auffassung des BGH Veranlassung geben müssen, sich die Frage zu stellen, ob der durch die Geschäftsschließung bedingte Umsatzrückgang tatsächlich so erheblich war, dass für den Mieter die vollständige Bezahlung der Miete für den streitgegenständlichen Zeitraum unzumutbar war.

Es ist sicherlich im Nachhinein leicht festzustellen, welcher Umsatz ausgefallen ist, welche Maßnahmen hätten ergriffen werden können, um eine n Umsatzverlust einzudämmen oder gar zur verhindern, welche staatlichen Leistungen möglich gewesen wären und ob eine Betriebsversicherung hätte zahlen müssen. Zweifelhaft ist aber, ob dies bereits zu Beginn der pandemiebedingt angeordneten Schließung für einen längeren Zeitraum möglich ist.

BGH, Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 -