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Donnerstag, 19. Mai 2022

Sorgfaltsanforderungen: Einfahrer (§ 10 S. 1 StVO) zu Spurwechsler (§ 7 Abs. 5 StVO)

Der klägerische Kleintransporter stand zunächst in einer längs zur Fahrbahn angeordneten Parkbucht auf der rechten Seite der in Fahrtrichtung zweispurig verlaufenden Straße. Die Beklagte fuhr mit ihrem Pkw von der linken auf die rechte Fahrspur. Als sie dies bereits zur Hälfte vollzogen hatte, stieß sie mit dem ausparkenden Fahrzeug der Klägerin zusammen. Amts- und Landgericht haben der Klage nach Maßgabe einer 50%-igen Regulierung stattgegeben. Dabei nahmen sie einen Verstoß der Klägerin gegen § 10 S. 1 StVO, bei der Beklagten gegen § 7 Abs. 5 StVO an.

Der BGH hob das Urteil auf die Berufung der Beklagten, soweit zu deren Nachteil entschieden worden sei, auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Berufungsgericht.

Die Haftungsverteilung nach § 17 StVG sei (ähnlich dem Mietverschulden nach § 254 BGB) Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren käme nur eine Prüfung in Betracht, ob alle maßgeblichen Umstände erfasst und richtig berücksichtigt worden seien. Das Verschulden sei dabei ein Kriterium. Diesbezüglich könne die Entscheidung keinen Bestand haben.

Das Berufungsgericht habe zutreffend einen Verstoß der Klägerin gegen § 10 S. 1 StVO angenommen. Die Klägerin wollte aus einer Parkbucht auf die Fahrbahn einfahren, wobei sie sich so zu verhalten, habe, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dieses Vorrecht gelte für alle auf der Fahrbahn fahrenden Fahrzeuge, unabhängig davon, auf welcher Fahrspur sie sich befänden.

Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte haben gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO verstoßen, sei allerdings verfehlt. Der hier vorgenommene Fahrspurwechsel sei danach nur erlaubt, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Die Norm diene dem Schutz des fließenden Verkehrs. Damit sei mit „anderer Verkehrsteilnehmer“ iSv. § 7 Abs. 5 StVO nur ein Verkehrsteilnehmer gemeint, der auch am fließenden Verkehr teilnehme (wofür auch die Entstehungsgeschichte als auch die systematische Stellung der Norm sprächen). Würden dem Fahrstreifenwechsler gegenüber allen (also auch Einfahrenden) dieselben Sorgfaltsanforderungen treffen wie sie der Einfahrende zu wahren hat, stünden sich gleichartige Sorgfaltsanforderungen gegenüber. Da aber mit § 10 StVO dem fließenden Verehr Vorrang gewährt werden soll, würde dies im Widerspruch dazu stehen. Der Vorrang des fließenden Verkehrs würde sogar mit der besonderen Sorgfaltsanforderung des Einfahrenden begründet (Begründung zur VO zur Änderung der StVO vom 21.07.1980 zu Nr. 1e, VkBl 1980, 511, 515).

Der BGH grenzte hier seine Entscheidung zu seiner Entscheidung vom 15.05.2018 - VI ZR 231/17 - ab, in der er bei einem Zusammentreffen von § 9 Abs. 5 und 10S. 1 StVO gerade keinen Vorrang annahm. In dem Fall hätte sich nach den Normen keiner der Unfallbeteiligten auf einen Vorrang berufen können. Hier aber sei dies der Fall, der der Fahrstreifenwechsel iSv. § 7 Abs. 5 StVO selbst Teil des fließenden Verkehrs sei. Zu beachten sei aber hier von dem Kraftfahrer, der das Vorrecht nach § 7 Abs. 5 StVO habe, § 1 Abs. 2 StVO (Rücksichtnahme). So müsse er auf eine erkennbar bevorstehende Vorrangverletzung reagieren, ein Erzwingen der bevorrechtigten Weiterfahrt sei unstatthaft (§ 11 Abs. 3 StVO). Da es an Feststellungen dazu fehlte, war der Rechtsstreit zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 08.03.2022 - VI ZR 1308/20 -

Donnerstag, 11. März 2021

Umsetzen von Fahrzeugen von Privatparkplätzen in den öffentlichen Straßenverkehrsraum

Der Rechtsstreit betraf eine straßenrechtliche Verfügung, mittels der der gewerblich tätigen Klägerin untersagt wurde, ein auf einem privaten Grundstück geparktes Fahrzeug (im Auftrag des Grundstückseigentümers) in den öffentlichen Raum umzusetzen. Dabei handelte es sich bei der Klägerin um einen privaten Dienstleister zur Parkraumüberwachung auf privaten Grundstücken. Sie verbrachte widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge auf einen freien Parkplatz im öffentlichen Verkehrsraum, der sich in der Nähe des Abschlepportes befand und unterrichte die Abgeschleppten nach Zahlung der Abschleppkosten von dem Standort des Fahrzeuges.

Gegen die Verfügung erhob die Klägerin Klage, der das Verwaltungsgericht (VG) stattgab.

Das VG verwies darauf, dass nicht das Straßenrecht des Landes, sondern zunächst die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zur Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des Umsetzens der Fahrzeuge von einem privaten Grundstück in den öffentlichen Straßenraum maßgeblich sei, auch bei der Beurteilung der Fragen ob das Abstellen im öffentlichen Straßenraum eine zulässige Teilnahme am ruhenden Verkehr sei. § 14 Abs. 1 NStrG gestatte jedermann im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften den gebrauch der Straße (Gemeingebrauch). Im Rahmen dieses Gemeingebrauchs habe der fließende Verkehr Vorrang vor dem ruhenden Verkehr und eine Nutzung über den Gemeingebrauch hinaus sei eine Sondernutzung (§ 18 Abs. 1 S. 1 NStrG). Würde die Straße ohne Erlaubnis genutzt oder komme der berechtigte seinen Verpflichtungen nicht nach könne die zuständige Behörde die Beendigung der Nutzung anordnen oder die Erfüllung von Auflagen fordern (§ 22 NStrG). Die zulässige Teilnahme am Straßenverkehr (einschl. dem ruhenden Verkehr) ergäbe sich aber abschließend nur aus dem bundesrechtlich geregelten Straßenverkehrsrecht. So habe das BVerwG bereits im Urteil vom 03.06.1982 - 7 C 73/79 - entschieden, dass in § 12 Abs. 2 StVO das Parken von Kraftfahrzeugen als verkehrsüblicher und gemeinverträglicher Vorgang des ruhenden Verkehrs geregelt worden sei und nur nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen sei.

Ist damit aber die StVO für das Umsetzen maßgeblich, müsse sich die Verfügung daran orientieren, mit der die Umsetzung in allen Gemeindestraßen untersagt wurde, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet seien. Dass bei dem Umsetzen Verstöße gegen die Vorgaben der StVO durch die umgesetzten Fahrzeuge erfolgt seien, sei nicht geltend gemacht worden. Da das Parken Bestandteil des ruhenden Verkehrs sei, wenn es sich wie hier um zugelassene und betriebsbereite Fahrzeuge handele, könne dies nicht verboten werden, zumal die Fahrzeuge nach Angaben der Klägerin regelmäßig innerhalb von sechs Stunden ausgelöst und wieder in Betrieb genommen würden. Alleine der Umstand, dass die Klägerin gewerbliche handele, sei nicht maßgeblich, zumal hinzu kommen würde, dass es im Interesse der Klägerin sei, dass die Fahrzeuge wieder in Betrieb genommen würden, da so die Klägerin von den Betroffenen die Kosten erstattet bekäme.

VG Hannover, Urteil vom 01.09.2020 - 7 A 5261/18 -

Dienstag, 31. Juli 2018

Haftungsquotelung bei nächtlichem Auffahren auf ein verbotswidrig geparktes Fahrzeug


Der Kläger nahm die Beklagten als Halter/Fahrer und Haftpflichtversicherer  aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, bei dem der Beklagte zu 2. Ungebremst bei Dunkelheit des auf der Fahrbahn rechts im Halteverbot geparkten Fahrzeug des Klägers. Durch die Wucht wurde das klägerische Fahrzeug gegen ein anders und dieses gegen ein weiteres Fahrzeug geschoben.

Das OLG hat der Klage nach Abwägung gem. § 17 Abs. 2 iVm. Abs 1 StVG  in Höhe von 75% stattgegeben.  Das Klägerfahrzeug sei „beim Betrieb“ des Beklagtenfahrzeugs beschädigt worden, und dies sei auch für den Beklagten zu 2. nicht unvermeidbar iSv. § 17 Abs. 3 StVG. Der Beklagte hätte die Stelle, an der das Klägerfahrzeug parkte, umfahren können oder (was nicht vorgetragen wurde), wenn sie zu eng gewesen wäre zum Umfahren auf andere Weise vermeiden können. Der Umfang des Anspruchs hänge von dem beiderseitigen Maß des Verschuldens und der Verursachung ab.

Dabei seien der Verstoß des Beklagten zu 2. gegen die allgemeine Vorsichtspflicht des § 1 Abs. 2 StVO und des Klägers gegen Parkregeln des ruhenden Verkehrs (§ 12 StVG, Zeichen 283 Anlage 2 zur StVO) zu berücksichtigen. Hier stellt das OLG auf den aktiv fahrenden Verkehrsteilnehmer (Beklagten zu 2.) ab, der ein parkendes Fahrzeug bei entsprechender Aufmerksamkeit sähe und damit einen Zusammenstoß leicht vermeiden könne. Damit überwiege sein Verursachungs- und Verschuldensbeitrag deutlich denjenigen des Klägers, der verbotswidrig parke. In diesem Zusammenhang ist das OLG der Ansicht, dass bei einer Kollision bei Tageslicht, stelle das verbotswidrig geparkte Fahrzeug „kein größeres Hindernis für den fließenden Verkehrs dar“, den Fahrer des fahrenden Fahrzeuges die alleinige Haftung treffen würde. Dem ist nicht zu folgen, da damit der Sinn der Verkehrsregelung durch Zeichen 283 bei einer vorzunehmenden Bewertung entfallen würde. Die Mithaftung des Klägers für das verbotswidrig abgestellte Fahrzeug will das OLG hier in Ansehung der Dunkelheit auch lediglich in Höhe der einfachen Betriebsgefahr annehmen, wenn es für den fließenden Verkehr bei Dunkelheit eine Erschwerung bilde. Auch hier kann dem IKG nicht gefolgt werden, da ein Verschulden im verbotswidrigen Abstellen liegt und das Verschulden mehr ist als lediglich eine Haftung aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr.

Die vom OLG angenommene Erschwerung sei vorliegend darin zu sehen, dass sich  kurz vor der Stelle, an der das Fahrzeug geparkt worden sei, eine der Verkehrsberuhigung dienende Verkehrsinsel befände, durch der die Fahrstreifen in jede Richtung verengt worden seien. Nach der Verkehrsinsel habe der Beklagte mit seinem Fahrzeug bei weiter verengten Fahrstreifen eine leichte Biegung nach links vornehmen müssen, da einige Meter nach der Verkehrsinsel sich wieder Parkflächen befunden hätten. In diesem gefährdeten, vor den beginnenden Parkflächen befindlichen Bereich sei vom Kläger sein Fahrzeug abgestellt worden. Die Gefahr für den fließenden Verkehr bestünde darin, dass ein an der Verkehrsinsel vorbeifahrender Fahrer es zu spät bemerke und damit nicht rechtzeitig nach links lenken würde. Das würde einen Verschuldens- und Mitverursachungsbeitrag von 25% rechtfertigen (hier nun stellt das OLG doch auf ein Verschulden ab, obwohl es eingangs nur eine einfache Betriebsgefahr annahm). Unstreitig sei, dass genügend Platz zum Vorbeifahren gewesen sei.

Im Ergebnis wird man dem OLG zustimmen können, obwohl mit dieser Begründung auch eine Mithaftung von 1/3 angenommen werden könnte. Der Umstand, dass sich der Vorfall nachts ereignete, erscheint demgegenüber aber nicht so gravierend, da hier auch für den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs die Pflicht zum Fahren auf Sicht bestand, § 3 Abs. 1 S. 4 StVO.

OLG Frankfurt, Urteil vom 15.03.2018  - 16 U 212/17 -

Samstag, 9. Juli 2016

Abschleppen vom Kundenparkplatz nach Überschreiten der Höchstparkzeit

Etliche Discounter haben eigene Parkplätze, die sie ihren Kunden kostenfrei zur Verfügung stellen. Häufig ist die Parkdauer zeitlich limitiert. Und was geschieht, wenn die Parkdauer überschritten wird ?

Die Beklagte hatte ihr Fahrzeug auf dem Kundenparkplatz von 8.00 – 10.05 Uhr abgestellt. Die Höchstparkdauer war gemäß Beschilderung auf 90 Minuten beschränkt. Von der Klägerin wurde das Fahrzeug umgesetzt. Die Klägerin war auf Grund eines Rahmenvertrages mit dem Discounter verpflichtet, unberechtigt abgestellte Fahrzeuge zu entfernen.  Mit der Klage machte die Klägerin neben den Kosten der Halteranfrage und Mahnkosten im wesentlichen die Abschleppkosten geltend. Das Amtsgericht gab der Klage statt, das Landgericht, welche die Revision gegen seine Entscheidung zuließ, wies sie ab. Der BGH stellte das erstinstanzliche Urteil zu Gunsten der Klägerin wieder her.

Der BGH sieht hier die Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag durch den Discounter als gegeben an; die Klägerin kann hier aus abgetretenen Recht auf Zahlung klagen.

Zunächst ist Voraussetzung, dass die Geschäftsführung dem Interesse des Geschäftsherrn entspricht. Dies, so der BGH, sei immer dann der Fall, wenn der Schuldner von einer Verbindlichkeit befreit würde. Entsprechendes gelte, wenn ein Grundstückseigentümer eine Eigentumsbeeinträchtigung selbst beseitige.

Die Entfernung des Fahrzeuges wäre auch für die Beklagte vorteilhaft. Denn dadurch würde sie von ihrer eigenen Verpflichtung zur Beseitigung der Störung nach §§ 861 Abs. 1 bzw. 862 Abs. 1 S. 1 BGB befreit worden. Für die Beklagte bestanden auch keine kostengünstigeren Möglichkeiten, da zu berücksichtigen ist, dass der Discounter die sofortige Beseitigung verlangen konnte und den Anspruch im Wege der Selbsthilfe durchsetzen durfte. Die Beklagte bzw. der Fahrer des Fahrzeugs war aber mangels Anwesenheit gar nicht in der Lage gewesen, zu handeln.

Da sich ein wirklicher Wille der Beklagten für eine Durchführung der Maßnahme durch den Discounter resp. die Klägerin nicht ergibt, ist auf den mutmaßlichen Willen abzustellen. Da die Entfernung des Fahrzeuges im Interesse der beklagten lag, würde auch ihr mutmaßlicher Wille darauf gerichtet sein.


BGH, Urteil vom 11.03.2016 – V ZR 102/15 -