Samstag, 27. März 2021

Sorgfaltswidriger Fahrspurwechsel (Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO) verdrängt Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs

Nach den Feststellungen (durch Unfallrekonstruktionsgutachten) verließ der Beklagte mit seinem Fahrzeug den linken Fahrstreifen um auf den rechts daneben befindlichen Fahrstreifen, auf dem der Kläger fuhr, aufzufahren. Dies würde nach Ansicht des Kammergerichts (KG) die alleinige Haftung des Beklagten begründen.

Der Beklagte habe einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen bzw. mit seinem solchen begonnen. Damit sei für die Anforderungen an einen solchen auf § 7 Abs. 5 StVO abzustellen. Die Norm lautet:

„In allen Fällen darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. 2Jeder Fahrstreifenwechsel ist rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen.“

§ 7 Abs. 5 StVO verlange mithin bei einem Fahrstreifenwechsel die Einhaltung der  äußersten Sorgfalt, damit eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Mithin würde eine ausreichende Rückschau verlangt und die Ankündigung des Fahrstreifenwechsels durch rechtzeitiges Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers. Ereigne sich wie hier ein Unfall im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel spräche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass derjenige, der den Spurwechsel vornimmt, den Unfall durch Verstoß gegen diese Pflichten schuldhaft verursachte (KG, Urteil vom 02.10.2003 - 12 U 53/02 -; OLG München, Urteil vom 05.12.2014 - 10 U 323/14 -). Dabei käme es nicht darauf an, ob der Fahrstreifenwechsel bereits vollständig vollzogen sei, da der die Sorgfaltsanforderung mit dem Verlassen des (ggf. auch markierten) Fahrstreifens beginne (OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2016 - I-1 U 158/15 -). Vorliegend habe der Beklagte seinen Fahrstreifen zumindest mit dem rechten Vorderrad und dem vorderen Teil seines Fahrzeugs verlassen. Der sich aus dem begonnene Fahrstreifenwechsel ergebende Anscheinsbeweis sei auch vom Beklagten nicht widerlegt worden.

Derjenige, der unter Verstoß an das Sorgfaltsgebot einen Fahrstreifenwechsel vornehme, hafte in Ansehung der in § 7 Abs. 5 StVO normierten zu beachtenden höchstmöglichen Sorgfalt in der Regel alleine. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten alleine aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs (§ 7 StVG) trete zurück. Derjenige, der den Fahrstreifenwechsel vornehme, müsse Anhaltspunkte für eine Mithaftung des anderen Beteiligten aufgrund gefahrerhöhender Umstände, insbesondere eines Verkehrsverstoßes, darlegen und beweisen. Dies sei vorliegend nicht erfolgt. Der Gutachter habe überzeugend dargelegt, dass der Kläger angesichts der kurzen ihm zur Verfügung stehenden Reaktionszeit den Unfall nicht habe vermeiden können.

Kammergericht, Urteil vom 10.02.2021 - 25 U 160/19 -

Mittwoch, 24. März 2021

Stimmrecht des „werdenden Wohnungseigentümers“ nach alten und neuen Recht

Der Entscheidung des Landgerichts (LG) lagen Beschlüsse einer Eigentümerversammlung von 28.11.2018 zugrunde, die von der Klägerin angefochten wurden. Zu dieser Eigentümerversammlung wurden statt der Klägerin (der Bauträgerin, die das Wohnungseigentum gem. § 8 WEG a.F. geteilt hatte) deren Käufer einer bestimmten Wohnungseinheit eingeladen, denen die Bauträgerin die Wohnung auch bereits übergeben hatte und für die eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen war. Eine im Kaufvertrag enthaltene Stimmrechtsvollmacht zugunsten der Käufer war von der Bauträgerin widerrufen worden. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Dem half das LG im Rahmen der von der Bauträgerin eingelegten Berufung nicht ab.

Das Landgericht verwies darauf, dass die Käufer sogen. „werdende Eigentümer“ gewesen seien. Damit käme es nicht darauf an, weshalb hier ggfls. die Bauträgerin nicht geladen worden sei und wer für einen eventuellen Ladungsmangel die Darlegungs- und Beweislast trage, da den Käufern und nicht der Bauträgerin das Stimmrecht zugestanden habe. Bereits mit Urteil vom 11.05.2012 - V ZR 196/11 - habe der BGH entschieden, dass alleine dem werdenden Wohnungseigentümer das Stimm- und Anfechtungsrecht zustünde. Der BGH stellte darauf ab, dass sich die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft als Vorstufe der Wohnungseigentümergemeinschaft konstuituiere, wenn der erste Käufer sowohl mit einer Auflassungsvormerkung im Grundbuch gewahrt sei und ihm die Wohnung vom Teiler (in der Regel Bauträger) übergeben worden sei und auf werdende Wohnungseigentümergemeinschaft und die werdenden Wohnungseigentümer die Bestimmungen über die Wohnungseigentümergemeinschaft des WEG anzuwenden sei. Mit dem Zeitpunkt, zu dem bei dem ersten Käufer das Eigentum auf diesen umgeschrieben würde, würde die Wohnungseigentümergemeinschaft endgültig entstehen und auch die (noch) werdenden Eigentümer würden darin aufgehen. Damit bleibt der Bauträger nur insoweit stimmberechtigt, als für Käufer noch keine Auflassungsvormerkung im Grundbuch gewahrt wurde und (kumulativ) die Wohnung übergeben wurde.

Der Widerruf der im Kaufvertrag erteilten Vollmacht würde sich hier nicht auswirken können, da der Bauträger (Teiler nach WEG) dem werdenden Eigentümer nicht dem vorgezogenen Schutz des Wohnungseigentumsgesetzes entziehen könne.

Das LG verwies zusätzlich auf das seit dem 01.12.2020 geltende Wohnungseigentumsgesetz. Der Gesetzgeber habe die Rechtsprechung in § 8 Abs. 3 BGB n.F. umgesetzt. Danach sei nach §§ 8 Abs. 3, 10 WEG n.F. der werdende Wohnungseigentümer (also jener, der vom Teiler erwirbt, mit einer Auflassungsvormerkung im Grundbuch gesichert ist und dem die Wohnung übergeben wurde) zwingend zur Eigentümerversammlung zu laden und er habe auch dort das Stimmrecht, nicht der Teilende (Bauträger) in Bezug auf dieses Sonder-/Teileigentum.

Allerdings unterscheidet sich das neue WEG-Recht vom bisherigen dadurch, dass nach § 9a WEG n.F. die Wohnungseigentümergemeinschaft bereits mit Anlegung der Wohnungsgrundbücher entsteht, § 9a Abs. 1 S. 2 WEG n.F., nicht erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der erste Käufer nach Eigentumsumschreibung auf ihn im Wohnungsgrundbuch als Eigentümer gewahrt wurde. Damit wird der Teiler (anders als nach bisherigen Recht) zum ersten Wohnungseigentümer. Eine werdende Wohnungseigentümergemeinschaft gibt es damit nicht mehr. Allerdings noch die werdenden Wohnungseigentümer, wie § 8 Abs. 3 WEG n.F. verdeutlicht.

 LG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.01.2021 - 2-13 S 18/20 -

Sonntag, 21. März 2021

Kein Löschungsanspruch für (Zwangssicherungs-) Hypothek nach Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren

Die Beklagte ließ im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens 2003 wegen Gewerbesteuerschulden von über € 50.000,00 auf ein Grundstück des Klägers eintragen. In 2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. In 2016 wurde ihm Restschuldbefreiung erteilt. Er vertrat die Ansicht, nach der Restschuldbefreiung müsse ihm die Beklagte eine Löschungsbewilligung zwecks Löschung der Zwangssicherungshypothek erteilen. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Die Rechtsgrundlage des Begehrens des Klägers ist § 1169 BGB. Danach kann der Grundstückseigentümer von einem, Hypothekengläubiger einen Verzicht auf die Hypothek oder (nach § 875 Abs. 1 BGB) deren Löschung verlangen, wenn der eine Geltendmachung aus derselben auf Dauer ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzung sah auch der BGH als nicht gegeben an.

Der BGH verwies auf die Akzessorietät der Hypothek, also deren unbedingte Abhängigkeit von der durch sie gesicherten Forderung. Es können daher die Einreden geltend gemacht werden, die auch gegen die gesicherte Forderung erhoben werden können. Allerdings gäbe es auch Einreden und Einwendungen gegen die gesicherte Forderung, die der Inanspruchnahme der Hypothek nicht entgegenstehen würden. Soi könne sich beispielsweise der Eigentümer nach dem Tod des Forderungsschuldners nicht wie der Erbe auf eine beschränkte Erbenhaftung berufen (§ 1137 Abs. 1 S. 2 BGB) und die Einrede der Verjährung stehe ihm auch nicht zu (§ 216 Abs. 1 BGB). Im Insolvenzverfahren berechtige die Hypothek zur abgesonderten Befriedigung (§ 49InsO), obwohl die gesicherte Forderung nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung verfolgt werden könne (§ 87 InsO) und eine Einzelzwangsvollstreckung ausgeschlossen sei (§ 89 InsO). In den benannten Fällen habe der Eigentümer die Zwangsvollstreckung aus der Hypothek in das Grundstück zu dulden, ohne sich auf eine mangelnde Durchsetzbarkeit der gesicherten Forderung berufen zu können.

Daran ändere auch die Restschuldbefreiung nichts, die dazu diene, den Schuldner von seinen im Insolvenzverfahren über sein Vermögen nicht befriedigten Verbindlichkeiten zu befreien (§§ 1 S. 1, 286 InsO). Dies wirke nur gegen die Insolvenzgläubiger und führe nicht, wie sich aus § 302 Abs. 3 InsO ergebe, nicht zum Erlöschen der von ihr betroffenen Forderungen. Diese Forderung bleibe erfüllbar, aber nicht erzwingbar. Damit würde eine eine Insolvenzforderung sichernde Hypothek durch die Restschuldbefreiung nicht nach § 1163 Abs. 1 S. 2 BGB auf den Eigentümer übergehen und nach § 301 Abs. 2 S. 1 InsO würden die Rechte aus einem Recht, welches im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, durch die Restschuldbefreiung nicht berührt.

Für eine Zwangssicherungshypothek würde nichts anderes gelten. Sie falle auch unter § 49 InsO.  

BGH, Urteil vom 10.12.2020 - IX ZR 24/20 -

Samstag, 20. März 2021

Verkehrssicherungspflicht: Sturz eines Radfahrers infolge eines Schlaglochs auf Wirtschaftsweg

Der Kläger machte gegen die Stadt Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend, da er nach seiner Behauptung am Unfalltag gegen Mittag mit seinem Fahrrad in der Mitte des Wirtschaftsweges in ein ca. 6 – 8cm tiefes und in seiner Fahrtrichtung 50 – 60cm langes Schlagloch geraten sei und dadurch bedingt zu Fall gekommen sei. Das Schlagloch sei für ihn wegen eines Schattenwurfs nicht zu erkennen gewesen. Das Landgericht wies die Klage ab. In seinem Hinweisbeschluss wies das OLG den Kläger darauf hin, dass es beabsichtige seine Berufung nach § 522 Abs. Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.

Grundsätzliche umfasse die Straßenverkehrssicherungspflicht die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung bzw. Aufrechterhaltung eines für den Benutzer sicheren Zustandes. Allerdings besage dies nicht, dass die Straßen und Wege völlig gefahrlos und frei von jeglichen Mängeln sein müssten, da auf die Zumutbarkeit abzustellen sei und eine vollständige Gefahrlosigkeit mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen sei. Entscheidend seien für den Umfang der Sicherungspflicht der Charakter des Weges, Art und Ausmaß seiner Inanspruchnahme und die vernünftige Erwartungshaltung des Benutzers unter Berücksichtigung von dessen Verkehrsbedeutung. Vom Grundsatz her habe der Benutzer einer Straße diese so hinzunehmen, wie sie sich ihm darbiete und sich darauf einzustellen. Gefahren müssten nur ausgeräumt werden (bzw. vor ihnen gewarnt werden), vor denen sich der sorgsame Verkehrsteilnehmer nicht selbst schützen könne (z.B. da sie völlig überraschend eintrete oder nicht rechtzeitig erkennbar sei).

Anders als die herrschende Meinung, die eine Verkehrssicherungspflicht bei Schlaglöchern von mindestens 15cm Tiefe auf verkehrswichtigen Straße annehme, würde der Senat bei Radfahrern eine Tiefe von bis zu 4cm, als noch beherrschbar annehmen wollen. Allerdings verbiete sich die Fixierung auf einen bestimmten Wert und käme es auf die o.g. Kriterien an und damit die Umstände des Einzelfalls an.  

Vorliegend handele es sich nach der Verkehrsbedeutung um einem in einem landwirtschaftlichem gebiet belegenen Wirtschaftsweg. An die Sicherung eine solchen seien geringe Anforderungen zu stellen. Hier trete die Eigenvorsorge des Nutzers in den Vordergrund.

Zu Art und Lage hielt das OLG fest, dass der Weg 5m breit sei. Die Lage und die Größe des Schlaglochs, wie vom Kläger behauptet,  als richtig unterstellt, würde ein gewisses Gefahrenpotential für den Radfahrer bedeuten, der hier hineingerät. Das OLG wies darauf hin, dass der Radfahrer hätte rechts fahren müssen, § 2 Abs. 1 StVO, weshalb der Radfahrer nicht erwarten dürfe, dass der Weg nicht nur rechts, sondern auch in der Mitte gefahrlos befahren werden könne. Ferner ergäbe sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung, dass bei einer Benutzung von Wirtschaftswegen grundsätzlich mit Fahrbahnunebenheiten zu rechnen sei, da diese Wege regelmäßig mit schweren landwirtschaftlichen Gerät befahren würden und dadurch Straßenschäden entstünden. Der Kläger sei also gem. § 3 Abs. 1 S. 2 und 4 StVO zu schnell gefahren; die Geschwindigkeit hätte er so herabsetzen müssen, dass er rechtzeitig das Schlagloch sieht, weshalb es Warnhinweise nicht bedurft habe.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 11.11.2020 - 11 U 126/20 -

Freitag, 19. März 2021

Waschstraße: Unfall durch Abbremsen auf dem Transportband und Mitverschulden

Der Kläger nutzte eine Waschstraße. Das Fahrzeug des Beklagten zu 2. vor ihm fuhr nach Abschluss des Waschvorgangs an der Ausfahrt, obwohl die Lichtzeichenanlage bereits auf grün gesprungen war, nicht an. Erst bei einem zweiten Startversuch gelang es dem Beklagten zu 2. wegzufahren. Da der PKW des Klägers zwischenzeitlich vom Schleppband weiter in Richtung Beklagtenfahrzeug gezogen wurde und er aus Sorge um eine Kollision abbremste, rutschte sein Fahrzeug vom Transportband und kollidierte mit Teilen der Waschstraße.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers war teilweise erfolgreich.

Das Fahrzeug des Beklagten sei zum Unfallzeitpunkt iSv. § 7 StVG „im Betrieb“ gewesen. Zwar würde eine Beförderung des Fahrzeugs auf einem Förderband der Waschstraße bei ausgeschalteten Motor von der Rechtsprechung einem Betrieb entgegenstehen können, doch sei hier zu berücksichtigen, dass der Waschvorgang bereits vollständig abgeschlossen gewesen wäre und das Fahrzeug zur Weiterfahrt zu starten gewesen wäre. Damit ging die Gefahr nicht mehr von der Waschstraße aus, sondern vom Fahrzeug und seinem Fahrer.

Der Schaden am klägerischen Fahrzeug sei auch durch den Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten mitverursacht worden. Das verzögerte Anfahren des Beklagten zu 2. sei für die Reaktion des Klägers die Ursache gewesen. Es bestand ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang. Der Ursachenbeitrag bestand nicht nur in der bloßen Anwesenheit des Beklagtenfahrzeuges, sondern in der sich für den Kläger (verständlich) als kritisch darstellenden Situation. Der Umstand, dass es zwischen den Fahrzeugen nicht zur Kollision kam, ließe einen Zurechnungszusammenhang nicht entfallen. Auch hier ist maßgeblich die verzögerte Abfahrt des Beklagten zu 2. Ein eigener Ursachenzusammenhang sei durch den Kläger selbst dann nicht gebildet werden, wenn seine Reaktion als voreilig oder übertrieben bewertet würde.

Der Beklagte zu 2. hafte als Fahrer nach § 18 Abs. 1 StVG verschuldensunabhängig. Er sei gehalten gewesen, nach Abschluss des Waschvorgangs und bei Umschalten der Ampel auf „grün“ unmittelbar wegzufahren; dies ergäbe sich bereits aus den Regeln des Betreibers der Waschstraße als auch der Gefährlichkeit des Stehenbleibens. Dass die Verzögerung auf ein vom Beklagten zu 2. Nicht zu vertretendes Versagen der Betriebseinrichtung zurückzuführen wäre, sie nicht geltend gemacht worden.

Allerdings habe der Kläger den Unfall im erheblichen Umfang mitzuverantworten. Zwar scheide für ihn eine Mitverantwortlichkeit nach §§ 17, 18 StVG aus, da sich sein Fahrzeug noch im Waschvorgang und damit nicht „im Betrieb“ nach § 7 StVG befunden habe. Es greife aber ein Mitverschulden gem. §§ 9 StVG, 254 BGB. Er habe diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines Schadens anzuwenden pflege. Es hätte ihm klar sein müssen, dass er in der Situation nicht hätte bremsen dürfen. Des sei allgemein bekannt, dass ein regelwidriges Abbremsen des in der Waschstraße automatisch transportierten Fahrzeuges dazu führen kann, dass die Vorwärtsbewegung verzögert (evtl. auch gestoppt) wird, wodurch es zu Beschädigungen des Fahrzeugs durch die sich weiterbewegende Reinigungsanlage oder auch Kollision mit nachfolgenden Fahrzeugen kommen könne und hier auch zur Schädigung des PKW geführt habe; zudem würden auch die Warnhinweise des Waschstraßenbetreibers ein Abbremsen untersagen.

Der Mietverursachungsanteil des Klägers an dem Schaden betrage daher 70%.

OLG Zweibrücken, Urteil vom 27.01.2021 - 1 U 63/19 -

Sonntag, 14. März 2021

Wegeunfall als Arbeitsunfall abgelehnt bei Gehen nach Unfall um 100m entgegen Fahrtrichtung

Der Kläger verunfallte mit seinem Fahrrad auf der Fahrt zu seiner Arbeit. Als er verkehrsbedingt auf dem Radweg anhielt, bog unversehens ein seitlich links von ihm stehender PKW nach rechts in eine Straße ein und streifte dabei das Vorderrad des Fahrrads. Der Kläger kam nicht zu Fall und wurde nicht verletzt. Der PKW hielt verkehrsbedingt an einer ca. 100m entfernten Kreuzung, weshalb sich der Kläger entschloss ihm nachzufahren um zur Sicherung etwaiger Schadensersatzansprüche ein Foto von dem Kennzeichen zu machen. Er lief die etwa 100m zurück. Der Fahrer und die Beifahrerin stiegen aus dem PPKW aus und der Fahrer schlug den Kläger, nach einer verbalen Auseinandersetzung, mit der Faust in das Gesicht. Der Kläger war daraufhin mehrere Wochen arbeitsunfähig. Die beklagte Sozialversicherung negierte einen Arbeitsunfall. 

Das Sozialgericht gab der gegen den ablehnenden Bescheid erhobenen Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten wurde die Klag abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) bejahte zwar 8wie auch die Beklagte), dass der Kläger zum Zeitpunkt, als der PKW das Fahrrad touchierte, als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unfallversichert war, da er sich auf dem direkten Weg zu seiner Arbeitsstätte befand. Zu diesem Zeitpunkt habe er aber keinen Gesundheitsschaden erlitten. Der Versicherungsschutz nach § 8 SGB VII (Arbeitsunfall) in Form des Wegeunfalls nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII würde sich lediglich auf den unmittelbaren Weg zwischen dem Ort der versicherten Tätigkeit (Arbeitsstelle) und die Wohnung beziehen. Hier aber habe der Kläger diesen verlassen, indem er die Straße ca. 100m zurückgelaufen sei (und damit entgegen der Fahrtrichtung zur Arbeitsstelle lief).

Das LSG stellte auf die Handlungstendenz ab. Diese sei maßgeblich für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung (zur Arbeitsstelle bzw. zur Wohnung) diene, wobei das Handeln subjektiv (zumindest auch) auf Erfüllung dieses Tatbestandes ausgerichtet sein müsse. Die subjektive Handlungstendenz müsse sich in objektiven Umständen widerspiegeln. Diese Voraussetzungen seien bei dem Zurücklaufen nicht gegeben.

Soweit der Kläger vorgetragen habe, er sei nur ca. 25m zurückgelaufen und habe sich damit noch in einem räumlich zusammenhängenden Unfallbereich befunden, folgte dem das LSG nicht, da der PKW an einer Kreuzung ca. 100m entfernt angehalten habe und die Auseinandersetzung im unmittelbaren Bereich des PKW stattgefunden habe. Es läge damit kein Unfallversicherungsschutz eine Versicherten vor, der bei üblichen Regulierungsgesprächen nach einem Verkehrsunfall einen (eventuell weiteren) Schaden erleide, da sich für ihn eine Gefahr realisierte, der er im Wesentliche infolge des Zurücklegens des versicherten Weges ausgesetzt gewesen sei.

Zudem sei die Handlungstendenz des Klägers ersichtlich von dem Willen geprägt gewesen, das Nummernschild des PKW zu fotografieren. Ob auch die Absicht bestand, den Fahrer des PKW zur Rede zu stellen, könne auf sich beruhen, da auch dies lediglich von dem persönlichen Motiv der Anspruchssicherung geprägt gewesen wäre, es also dem Kläger jedenfalls nicht darum gegangen sei, seinen Arbeitsweg zügig fortzusetzen, da dies einem Nachstellen bis zum PKW nicht bedurft hätte.

Ein Versicherungsschutz sei nicht bereits deshalb gegeben, wenn ein Versicherter bei üblichen Regulierungsgesprächen einen (weiteren) Unfall erleide, da er einer Gefahr erlegen sei, der er wesentlich infolge des Zurücklegens des versicherten Weges ausgesetzt sei. Der Schutzzweck der Norm schütze vor Risiken eines Unfalls bei der Ausübung einer dem Beschäftigungsunternehmen dienenden Verrichtung, wozu Auseinandersetzungen aus Anlass einer Verkehrsgefährdung nicht gehören würden.

Würde der Arbeitsweg aus Gründen wie hier unterbrochen, entfalle der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Nur bei einer geringfügigen Unterbrechung des Arbeitsweges würde der Versicherungsschutz fortbestehen, die dann vorliege, wenn der zeitliche und räumliche Zusammenhang mit dem Arbeitsweg noch bestünde. Das setze voraus, dass keine erhebliche Zäsur in der Richtung auf das Ziel vorläge, da sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung „im Vorbeigehen“ oder „ganz nebenher“ erledigt werden könne. Das läge bei dem Absteigen vom Fahrrad und entfernen in entgegengesetzter Richtung von 100m nicht vor.

Auch eine Verkehrssicherungspflicht nach § 34 StVO käme hier nicht zugunsten des Klägers zum Tragen. § 34 StVO belehre die Verkehrsteilnehmer über ihre Pflichten nach einem Verkehrsunfall und schütze das private Interesse der Unfallbeteiligten und Geschädigten an einer möglichst umfassenden Aufklärung des Unfallgeschehens sowie die Anspruchssicherung. Dies ei dem privaten Bereich zuzurechnen, womit nicht mehr die Fortsetzung des Zurücklegens des Arbeitsweges verbunden sei.

Auch ein Anspruch gegen die beigeladene nach § 1 Abs. 1 Nr. 13c SGB VII käme nicht in Betracht. Hier würden Personen dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unterfallen, die sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer einer Straftat verdächtigen Person persönlich einsetzen. Der Einsatz müsste von der Handlungstendenz getragen sein, für das Gemeinwohl und die Rechtsordnung tätig zu werden. Das war nicht der Fall, da der Kläger nur seine persönlichen Ansprüche auf Schadensersatz habe sichern wollen.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.10.2020 - L 3 U 134/19 -

Donnerstag, 11. März 2021

Umsetzen von Fahrzeugen von Privatparkplätzen in den öffentlichen Straßenverkehrsraum

Der Rechtsstreit betraf eine straßenrechtliche Verfügung, mittels der der gewerblich tätigen Klägerin untersagt wurde, ein auf einem privaten Grundstück geparktes Fahrzeug (im Auftrag des Grundstückseigentümers) in den öffentlichen Raum umzusetzen. Dabei handelte es sich bei der Klägerin um einen privaten Dienstleister zur Parkraumüberwachung auf privaten Grundstücken. Sie verbrachte widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge auf einen freien Parkplatz im öffentlichen Verkehrsraum, der sich in der Nähe des Abschlepportes befand und unterrichte die Abgeschleppten nach Zahlung der Abschleppkosten von dem Standort des Fahrzeuges.

Gegen die Verfügung erhob die Klägerin Klage, der das Verwaltungsgericht (VG) stattgab.

Das VG verwies darauf, dass nicht das Straßenrecht des Landes, sondern zunächst die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zur Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des Umsetzens der Fahrzeuge von einem privaten Grundstück in den öffentlichen Straßenraum maßgeblich sei, auch bei der Beurteilung der Fragen ob das Abstellen im öffentlichen Straßenraum eine zulässige Teilnahme am ruhenden Verkehr sei. § 14 Abs. 1 NStrG gestatte jedermann im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften den gebrauch der Straße (Gemeingebrauch). Im Rahmen dieses Gemeingebrauchs habe der fließende Verkehr Vorrang vor dem ruhenden Verkehr und eine Nutzung über den Gemeingebrauch hinaus sei eine Sondernutzung (§ 18 Abs. 1 S. 1 NStrG). Würde die Straße ohne Erlaubnis genutzt oder komme der berechtigte seinen Verpflichtungen nicht nach könne die zuständige Behörde die Beendigung der Nutzung anordnen oder die Erfüllung von Auflagen fordern (§ 22 NStrG). Die zulässige Teilnahme am Straßenverkehr (einschl. dem ruhenden Verkehr) ergäbe sich aber abschließend nur aus dem bundesrechtlich geregelten Straßenverkehrsrecht. So habe das BVerwG bereits im Urteil vom 03.06.1982 - 7 C 73/79 - entschieden, dass in § 12 Abs. 2 StVO das Parken von Kraftfahrzeugen als verkehrsüblicher und gemeinverträglicher Vorgang des ruhenden Verkehrs geregelt worden sei und nur nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen sei.

Ist damit aber die StVO für das Umsetzen maßgeblich, müsse sich die Verfügung daran orientieren, mit der die Umsetzung in allen Gemeindestraßen untersagt wurde, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet seien. Dass bei dem Umsetzen Verstöße gegen die Vorgaben der StVO durch die umgesetzten Fahrzeuge erfolgt seien, sei nicht geltend gemacht worden. Da das Parken Bestandteil des ruhenden Verkehrs sei, wenn es sich wie hier um zugelassene und betriebsbereite Fahrzeuge handele, könne dies nicht verboten werden, zumal die Fahrzeuge nach Angaben der Klägerin regelmäßig innerhalb von sechs Stunden ausgelöst und wieder in Betrieb genommen würden. Alleine der Umstand, dass die Klägerin gewerbliche handele, sei nicht maßgeblich, zumal hinzu kommen würde, dass es im Interesse der Klägerin sei, dass die Fahrzeuge wieder in Betrieb genommen würden, da so die Klägerin von den Betroffenen die Kosten erstattet bekäme.

VG Hannover, Urteil vom 01.09.2020 - 7 A 5261/18 -