Nach den Feststellungen (durch Unfallrekonstruktionsgutachten) verließ der Beklagte mit seinem Fahrzeug den linken Fahrstreifen um auf den rechts daneben befindlichen Fahrstreifen, auf dem der Kläger fuhr, aufzufahren. Dies würde nach Ansicht des Kammergerichts (KG) die alleinige Haftung des Beklagten begründen.
Der Beklagte habe einen
Fahrstreifenwechsel vorgenommen bzw. mit seinem solchen begonnen. Damit sei für
die Anforderungen an einen solchen auf § 7 Abs. 5 StVO abzustellen. Die Norm
lautet:
„In allen Fällen darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. 2Jeder Fahrstreifenwechsel ist rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen.“
§ 7 Abs. 5 StVO verlange mithin bei einem Fahrstreifenwechsel die Einhaltung der äußersten Sorgfalt, damit eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Mithin würde eine ausreichende Rückschau verlangt und die Ankündigung des Fahrstreifenwechsels durch rechtzeitiges Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers. Ereigne sich wie hier ein Unfall im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel spräche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass derjenige, der den Spurwechsel vornimmt, den Unfall durch Verstoß gegen diese Pflichten schuldhaft verursachte (KG, Urteil vom 02.10.2003 - 12 U 53/02 -; OLG München, Urteil vom 05.12.2014 - 10 U 323/14 -). Dabei käme es nicht darauf an, ob der Fahrstreifenwechsel bereits vollständig vollzogen sei, da der die Sorgfaltsanforderung mit dem Verlassen des (ggf. auch markierten) Fahrstreifens beginne (OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2016 - I-1 U 158/15 -). Vorliegend habe der Beklagte seinen Fahrstreifen zumindest mit dem rechten Vorderrad und dem vorderen Teil seines Fahrzeugs verlassen. Der sich aus dem begonnene Fahrstreifenwechsel ergebende Anscheinsbeweis sei auch vom Beklagten nicht widerlegt worden.
Derjenige, der unter Verstoß an das Sorgfaltsgebot einen Fahrstreifenwechsel vornehme, hafte in Ansehung der in § 7 Abs. 5 StVO normierten zu beachtenden höchstmöglichen Sorgfalt in der Regel alleine. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten alleine aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs (§ 7 StVG) trete zurück. Derjenige, der den Fahrstreifenwechsel vornehme, müsse Anhaltspunkte für eine Mithaftung des anderen Beteiligten aufgrund gefahrerhöhender Umstände, insbesondere eines Verkehrsverstoßes, darlegen und beweisen. Dies sei vorliegend nicht erfolgt. Der Gutachter habe überzeugend dargelegt, dass der Kläger angesichts der kurzen ihm zur Verfügung stehenden Reaktionszeit den Unfall nicht habe vermeiden können.
Kammergericht, Urteil vom
10.02.2021 - 25 U 160/19 -
Aus den Gründen:
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 2. Oktober 2019 verkündete Urteil der Zivilkammer 42 des Landgerichts Berlin unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4305,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.01.2019 zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, 780,80 € an die ... GbR zur Gutachtennummer ... zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, 571,44 € an die ... Rechtsschutzversicherung AG, ... zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte zu 1 hat die Kosten des vom Senat eingeholten Sachverständigengutachtens zu tragen. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 15 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 85 % zu tragen.
1.1. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Von der Abfassung eines tatbestandlichen Teils des Urteils wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
Die Feststellungen des Landgerichts zum Unfallhergang können nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nummer 1 ZPO der Entscheidung des Senats zugrunde gelegt werden. Aufgrund des Spurenbildes an dem klägerischen Fahrzeug (Andrehspuren der Reifen des von dem Beklagten zu 1 geführten Fahrzeugs am klägerischen Fahrzeug) bestanden konkrete Anhaltspunkte für Bedenken gegen die Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen.
Aufgrund des vom Senat eingeholten Unfallrekonstruktionsgutachtens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das vom Beklagten zu 1 geführte Fahrzeug entgegen seiner Behauptung nicht im linken Fahrstreifen stehend angefahren wurde. Vielmehr verließ es den linken Fahrstreifen nach rechts in den von dem Kläger genutzten Fahrstreifen, wie sich aus der bildlichen Darstellung auf Seite 43 des Sachverständigengutachtens ergibt. Einwendungen gegen diese Feststellungen des Sachverständigen werden seitens der Parteien nicht erhoben, vielmehr haben sie sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass diese Feststellungen der Entscheidung des Senats zugrunde gelegt werden können.
Aufgrund dieses Sachverhalts trifft den Beklagten zu 1 die alleinige Haftung für den Verkehrsunfall. Er hat danach einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen oder zumindest begonnen.
Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser Verkehrsteilnehmer den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat (vgl. z.B. KG NZV 2011, 185; NZV 2005, 527; VRS 106, 23 m.w.N. KGR 2003, 272; OLG München v. 5.11.2014 – 10 U 323/14, juris). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Unerheblich ist, dass der Fahrstreifenwechsel noch nicht vollständig vollzogen war. Der Fahrstreifenwechsel mit den Sorgfaltsanforderungen aus § 7 Abs. 5 StVO beginnt mit dem Verlassen des – ggf. auch nicht markierten – Fahrstreifens (vgl. z.B. OLG Düsseldorf ZfSch 2016, 616; DAR 1987, 389; OLG München v. 8.4.2011 – 10 U 5122/10 –, juris). Ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen (vgl. Abbildung 62) hatte der Beklagte zu 1 seinen Fahrstreifen zumindest mit dem rechten Vorderrad und dem vorderen Teil seines Fahrzeugs verlassen. Der sich aus dem (begonnenen) Fahrstreifenwechsel ergebende Anscheinsbeweis ist nicht entkräftet. Vielmehr spricht der vom Sachverständigen festgestellte Unfallablauf deutlich dafür, dass der Beklagte zu 1 keine ausreichende Rückschau vorgenommen hat.
Derjenige, der einen sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat, haftet wegen der gemäß § 7 Abs. 5 StVO zu beachtenden höchstmöglichen Sorgfalt in der Regel für die Unfallschäden allein. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die ein Mitverschulden des anderen Unfallbeteiligten belegen. Allein die Betriebsgefahr von dessen Fahrzeug rechtfertigt seine Mithaftung nicht (KG NZV 2011, 185; NZV 2005, 527; VRS 106, 23, 25; KGR 2003, 272; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16. Auflage, Rn. 115). Anhaltspunkte für eine Mithaftung des Klägers aufgrund gefahrerhöhender Umstände, insbesondere eines Verkehrsverstoßes seinerseits, sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Sachverständige ... in seinem Gutachten (Seite 44) überzeugend dargetan, dass der Kläger angesichts der ihm zur Verfügung stehenden kurzen Reaktionszeit den Unfall nicht vermeiden konnte.
Für die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ist der Kläger aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung aktiv legitimiert. Sie bestehen aber nur in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe.
Der angesichts des wirtschaftlichen Totalschadens seitens der Beklagten zu erstattende Wiederbeschaffungsaufwand beträgt 4285 €. Er ermittelt sich nach dem vom Schadensgutachter festgestellten Wiederbeschaffungswert von 6125 € abzüglich des seitens der Beklagten zu 2 unbestritten festgestellten Restwertes von 1840 €. Ein dem Kläger grundsätzlich möglicher Vorsteuerabzug ist nicht zu berücksichtigen, da der Wiederbeschaffungswert angesichts von Alter und Zustand des Fahrzeugs nach den Beschaffungsmöglichkeiten auf dem Privatmarkt ermittelt wurde, eine Umsatzsteuer somit nicht ausweisbar wäre.
Den Wiederbeschaffungswert beeinflussende Vorschäden sind weder konkret dargetan noch ersichtlich. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere nicht aus dem vom Kläger eingereichten Kaufvertrag. Dort wird zwar ein behobener Schaden erwähnt. Bereits der für diesen angesetzte Betrag von 500 € spricht deutlich gegen einen relevanten Schaden. Die Behauptung des Klägers, es habe sich nur um einen gebrochenen Lagerbock der Getriebeschaltung und einen lose Motorhaubenzug gehandelt, wird durch die als Anlage K 30 eingereichten Reparaturhistorie der ... GmbH bestätigt. Derartige auf Verschleiß beruhende und ohne Unsicherheit über weitere Schäden zu reparierende Schäden haben bei einem älteren Gebrauchtfahrzeug – wie hier – keinen Einfluss auf den Wiederbeschaffungswert, wie dem Senat aus seiner Spezialzuständigkeit für Verkehrsunfallsachen bekannt ist.
Eine Nutzungsentschädigung steht dem Kläger aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht zu.
Als notwendige Kosten der Schadensermittlung (vgl. z.B. BGH NJW 2020, 1001) kann der Kläger die Kosten des von ihm mit der Schadenfeststellung beauftragten Sachverständigen – wegen des ihm möglichen Vorsteuerabzugs – mit dem Nettobetrag von 780,80 € verlangen.
Die dem Kläger zu erstattende Kostenpauschale beträgt nach der ständigen Rechtsprechung der mit Verkehrsunfallsachen betrauten Senate des Kammergerichts 20 €.
Der dem Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten (std. Rspr., z. B. BGH NJW 2017, 3588). Dazu gehören insbesondere die ihm entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten. Deren Erstattung kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich aber nur insoweit verlangen, als seine Forderung diesem gegenüber auch objektiv berechtigt ist. Verlangt der Geschädigte vom Schädiger daher im Rahmen seiner ihm durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB eingeräumten Ersetzungsbefugnis den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) für ein beschädigtes Fahrzeug, dann richtet sich der für den Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten maßgebliche Gegenstandswert nach diesem Wiederbeschaffungsaufwand und nicht nach dem ungekürzten Wiederbeschaffungswert (BGH a.a.O.).
Hier bestimmt sich daher der Kostenerstattungsanspruch für die entstandene Gebühr nach Nr. 2300 VV-RVG nach einem Wert von bis zu 6000 €. Diese beläuft sich nach dem abgerechneten und weder angegriffen noch zu beanstandenden Gebührensatz von 1,3 auf 460,20 € zzgl. Auslagenpauschale und 91,24 € Mehrwertsteuer, insgesamt damit auf 571,44 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 96, 92 Abs. 1 ZPO.
Die Kosten des vom Senat eingeholten Sachverständigengutachtens sind allein dem Beklagten zu 1 aufzuerlegen. Gemäß § 96 ZPO können die Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels der Partei auferlegt werden, die es geltend gemacht hat, auch wenn sie in der Hauptsache (teilweise) obsiegt. Das Sachverständigengutachten hat eindeutig ergeben, dass der Sachvortrag des Beklagten zu 1 sowie seine Angaben in seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht (sowie im Rahmen der polizeilichen Unfallaufnahme) zu seinem vorkollisionären Fahrverhalten falsch waren („beweissicher widerlegt“ nach der Formulierung des Sachverständigen). Angesichts dessen ist es nicht gerechtfertigt, den Kläger über die – aufgrund der nur zum Teil gerechtfertigten Schadenshöhe zu bildenden – Kostenquote an den Kosten des Sachverständigengutachtens zu beteiligen, die allein durch die falschen Angaben des Beklagten zu 1 erforderlich geworden sind. Damit wird dem Sanktionscharakter von § 96 ZPO sowie dem darin zum Ausdruck kommenden Veranlasserprinzip (vgl. dazu BGH NJW 2019, 2464) sachgerecht Rechnung getragen. Eine Auferlegung dieser Kosten auch auf die Beklagte zu 2 ist hingegen aus den vorgenannten Gründen nicht gerechtfertigt, da diese von dem Unfallgeschehen keine eigene, sondern nur von dem Beklagten zu 1 vermittelte Kenntnis hatte.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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