Samstag, 6. März 2021

Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB und Haftungsprivileg des § 1664 BGB

 

Den getrenntlebenden Eltern der dreijährigen Klägerin stand das Sorgerecht gemeinsam zu. Die Klägerin wohnte mit ihrer Mutter in einem Haushalt. Der Vaterging mit ihr und seinem angeleinten Hund spazieren. Bei einem plötzlichen Laufrichtungswechsel des Hunde stolperte die Klägerin über die Hundeleine und fiel auf ihr Gesicht. Der Vater unterhielt bei der Beklagten eine Tierhalterhaftpflichtversicherung. Die Eltern unterzeichneten eine Vereinbarung, mit welcher der Vater seine Ansprüche aus dem Vorfall gegen seine Versicherung an die Klägerin abtrat. Das Amtsgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage als unzulässig ab. Das Landgericht hat im Berufungsverfahren zwar die Klage als statthaft, aber als unbegründet angesehen. Mit der zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Der BGH wies die Revision als unbegründet zurück.

Ein Verschulden des Vaters, welches eine Haftung nach § 823 BGB begründen könnte, sei nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Damit käme allenfalls ein Anspruch aus der Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB in Betracht. Dieser Anspruch sei aber nach § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. § 1664 BGB lautet:

(1) Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen.

(2) Sind für einen Schaden beide Eltern verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.

Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge gegenüber dem Kind nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen, § 1664 Abs. 1 BGB. In der Norm sei eine Privilegierung der Eltern enthalten, die auf der familienrechtlichen Verbundenheit mit dem geschädigten Kind beruhe, welches der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleihe (BGH, Urteile vom 17.10.1995 - VI ZR 358/04 - und vom 01.03.1988 - VI ZR 190/87 -). Im Hinblick auf die dadurch bedingte Haftungsbeschränkung wurden auch für die deliktischen Verhaltenspflichten gegenüber dem Kind gelten, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für das Kind aufgehen würden, da ein Ausschluss mit dem Wortlaut und dem Sinn der Norm nicht vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 01.03.1988 aaO.). Damit wäre auch über § 1664 Abs. 1 BGB ein verschuldensunabhängiger Anspruch, wie er in § 833 S. 1 BGB normiert ist, ausgeschlossen. Das entspräche den Wirkungen einer gesetzlichen Beschränkung der Vertragshaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlagen würden. Daher könne wegen desselben Verhaltens nach Deliktsrecht keine strengere Haftung stattfinden und entfalle mithin nicht nur eine Haftung für leichte Fahrlässigkeit, sondern auch die Gefährdungshaftung des § 833 S. 1 BGB (BGH, Urteil vom 09.06.1992 - VI ZR 49/91 -). Dies gelte auch für den Sorgfaltsmaßstab nach § 1359 BGB.

Auch soweit von der Revision darauf hingewiesen wurde, dass die Eltern getrennt leben würden, würde sich daran nichts ändern. Auch in diesem Fall würde es sich um den familiären Umgang zwischen der Klägerin und ihrem Vater handeln. Ebenso wenig wäre nicht entscheidend, dass es durch den geltend gemachten Anspruch keinen innerfamiliären Konflikt gäbe, da es eine Auseinandersetzung mit dem Versicherer sei. Der Regelungsmechanismus des § 1664 Abs. 1 BGB sei nicht abhängig davon, dass das Bestehen (d.h. dessen Entstehung und sein möglicherweise späteres Entfallen) von späteren (sich möglicherweise ändernden Begleitumständen) seiner Geltendmachung abhänge. Der BGH weist auch darauf hin, dass das innerfamiliäre Leben dem Zweck des § 1664 Abs. 1 BGB zuwider auch dadurch gestört werden könne, dass es im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem Dritten (hier: Versicherer) thematisiert würde, auch wenn für den Vater ein Haftpflichtversicherungsschutz bestünde.

Offen bleiben könne, ob der Sorgfaltsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB bei Hundehaltung keine Anwendung fände, weil die dafür geltenden Regelungen keinen Raum für einen individuellen Sorgfaltsmaßstab ließen, wie es bei Schadensfällen im Straßenverkehr wegen Verstoßes gegen Verkehrsvorschriften oder bei Wasserski unter Verstoß gegen einen Ministerialerlass für § 1359 BGB und im Rahmen des § 708 BGB angenommen würde (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2009 - VI ZR 79/08 -). Denn ein Anspruch aus § 833 S. 1 BGB bestünde unabhängig von einer Sorgfaltspflichtverletzung.

Da der Vater bei dem Spaziergang die elterliche Sorge ausübte (§§ 1626 Abs. 1, § 1631 Abs. 1 BGB) scheide der Anspruch gegen ihn und damit aus der Abtretung gegen den Tierhalterhaftpflichtversicherer aus.

BGH, Urteil vom 15.12.2020 - VI ZR 224/20 -

Donnerstag, 4. März 2021

Voraussetzung für gemeindliches Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauGB

Streitgegenständlich war die Frage, ob die die beklagte Gemeinde nach § 24 BauGB von einem Vorkaufsrecht Gebrauch machen durfte. Das Verwaltungsgericht (VG) hatte die von der Käuferin erhobene Klage gegen den auf Ausübung des Vorkaufrechts durch die Beklagte gerichteten Bescheid als unbegründet zurückgewiesen. Ihre Berufung gegen das Urteil war insoweit erfolgreich.

Zur Begründung des Vorkaufsrechts hatte die Beklagte ausgeführt, das Grundstück läge in einem Bereich, für den der Flächennutzungsplan eine Wohnbebauung vorsähe. Sie beabsichtige zur gegebenen Zeit einen Bebauungsplan aufzustellen, sobald sie die hierfür erforderliche Grundstücke erworben habe. Andernfalls würde die Gefahr bestehen, dass bei einer Baulandentwicklung Baulücken entstehen, die nicht dem allgemeinen Grundstücksmarkt zur Verfügung stünde. Mit Ausübung des Vorkaufsrechts solle auch Kontrolle über das zukünftige Preisniveau erzielt werden.

Entgegen dem VG ging der Hess. Verwaltungsgerichtshof (VGH) davon aus, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung nicht berechtigt gewesen sei, ihr gemeindliches Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauBG auszuüben. Die Voraussetzung des § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB, dass die Ausübung dem Wohl der Allgemeinheit dienen müsse, läge nicht vor. Zwar sei die Ausübung des Vorkaufsrechts in einem Fall wie diesem (Kauf eines im Außenbereich belegenen unbebauten Grundstücks im Geltungsbereich eines Flächennutzungsplans, der eine Bebauung als Wohnbaufläche/Wohngebiet vorsehe) vor, doch müsse die Ausübung durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt sein.  

Auch wenn an der Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauGB keine überzogenen Anforderungen zu stellen wären, würde die Darstellung im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche/Wohngebiet nicht ausreichend sein. Erforderlich sei, dass die erworbene Fläche unmittelbar oder mittelbar für die Errichtung von Wohngebäuden oder deren infrastruktureller Ausstattung erworben würde. Der Ausübung seien auch zeitliche Grenzen gesetzt. So rechtfertige das Wohl der Allgemeinheit iSv. § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB die Inanspruchnahme nur, wenn die Gemeinde auch alsbald nach Ausübung des Vorkaufrechts die erforderlichen (weiteren) Schritte unternehme, um das städtebauliche Ziel der Bereitstellung von Wohnbauland zu verwirklichen. Das wiederum gebiete die alsbaldige Aufstellung eines Bebauungsplanes, da nur so der gesetzgeberischen Intention der Begegnung von Wohnraummangel entsprochen werden könne (BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -).

Das rechtfertige die Ausübung des Vorkaufrechts nur wenn damit Flächen unmittelbar oder (als Tauschland) mittelbar für die Errichtung von Wohngebäuden bzw. deren infrastrukturelle Ausstattung erworben würden, nicht aber zur Bodenbevorratung oder um später möglicherweise Tauschgrundstücke im Rahmen der Verfolgung gänzlich anderer Zwecke zu haben. Nach der Intention des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BauGB zugrunde liegenden Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz/BauGB-Maßnahmegesetz 1990 (übernommen in das BauGB) sollte die Vorbereitung und Durchführung von Wohnbauvorhaben in Gebieten, die die Gemeinde durch Bebauungspläne entwickeln wolle, erleichtert werden.

Vorliegend habe die Gemeinde selbst nicht geltend gemacht, dass sie zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung als maßgeblicher Zeitpunkt oder danach planerisch tätig geworden sei und ernsthaft eine Ausweisung als Wohnbaufläche betreibe. Reine Absichtsbekundungen würden nicht ausreichen.

Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24.11.2020 - 3 A 828/20 -

Freitag, 26. Februar 2021

WEG: Durch Rechtsänderung fehlt Miteigentümer das Prozessführungsrecht zur Störungsabwehr

Die Parteien sind Wohnungseigentümer in einer kleinen Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger wandte sich gegen die Nutzung eines Parkplatzes in der Garage durch den Beklagten und verlangte, dass dem Beklagten das Abstellen von Gegenständen im Treppenhaus untersagt werden soll. Das Amtsgericht gab der Klage zur Parkplatzbenutzung dahingehen statt, dass der beklagte nicht häufiger als an 73 Tagen im Jahr diesen nutzen dürfe (sein Anteil am Gemeinschaftseigentum betrage 1/5 und entsprechend könne er den Parkplatz nutzen) und wies die Klage zu, Abstellen von Gegenständen mit der Begründung ab, es fehle an einer Beeinträchtigung. Beide Parteien legten gegen die am 25.11.2019 verkündete amtsgerichtliche Entscheidung Berufung ein, soweit sie unterlegen waren.

Das Landgericht hob das amtsgerichtliche Urteil auf und wies die Klage insgesamt ab. Dabei verwies das Landgericht darauf, dass die Abweisung bereits wegen der zum 01.12.2020 erfolgten Rechtsänderung im Wohnungseigentumsgesetz erfolgen müsse, die auch hier im laufenden Verfahren zu beachten sei. Während nach bisherigen Recht Abwehransprüche aus dem Binnenrecht dem einzelnen Eigentümer zustanden, § 15 Abs. 3 WEG a.F., wurde dies mit der Novellierung zum 01.12.2020 auf den Verband übertragen, da nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG die Verpflichtung zur Einhaltung des Binnenrechts nur noch gegenüber dem Verband bestünde, der auch gem. § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG alleine für die Ansprüche aus § 1004 BGB zuständig sei.

Zwar würden die Ansprüche nach § 1004 BGB weiterhin auch dem Eigentümer zustehen, es ermangele ihm aber nach § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG an der Prozessführungsbefugnis. Mit der Regelung in § 9a Abs. 2 Alt. 1 BGB sei in Abweichung von § 1011 BGB dies dem Verband als Träger des Verwaltungsmonopols zugewiesen worden.

Das Landgericht sah hier Probleme im Hinblick auf die Dauer von Gerichtsverfahren vor dem Hintergrund, dass z.B. bei einer evtl. erforderlichen Beschlussersetzungsklage zur Durchsetzung eines Beseitigungsanspruchs wegen baulicher Veränderungen bis zur Bestandskraft des Urteils im Beschlussersetzungsverfahrens Verjährung des Beseitigungsanspruchs eingetreten sein könnte. Ggf. müsste hier der Verband mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes gezwungen werden, verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen. Jedenfalls sah das Landgericht in derartigen Konsequenzen keine Veranlassung hier den eindeutigen gesetzgeberischen Willen in Frage zu stellen.

Übergangsvorschriften wären im neuen Rehct nicht benannt; lediglich gem. § 48 Abs. 5 WEG würde das alte Verfahrensrecht für laufende Verfahren weiterhin gelten. In Ermangelung von Übergangsvorschriften zum materiellen recht sei daher die Rechtsänderung hier im Berufungsverfahren zu berücksichtigen. Mithin habe der Eigentümer mit Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung zum 01.12.2020 das Recht zur eigenen Geltendmachung der Ansprüche verloren. Da nach der Rechtsprechung des BVerfG der Gesetzgeber im Hinblick auf Überleitungen über einen breiten Gestaltungsspielraum verfüge, komme hier auch keine Eingrenzung  analog § 48 Abs. 5 WEG in Betracht, noch mit Blick auf einen effektiven Rechtsschutz nach Art. 14 GG.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.01.2021 - 2-13 S 155/19 -

Dienstag, 23. Februar 2021

„Zu erbringen hat“ (§ 116 Abs. 1 SGB X) knüpft an Leistungspflicht, nicht an tatsächlich erbrachte Leistung

Der Vater der 14-jährigen Geschädigten beantragte bei der Rentenversicherung stationäre Rehabilitationsleistungen, die diese erbrachte und nach § 116 Abs. 1 SGB X bei dem Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers regressierte. Dieser leistete unter Vorbehalt und forderte dann die Zahlung mit der Begründung zurück, die Geschädigte sei nicht Mitglied der Rentenversicherung. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt; die zugelassene Revision der Rentenversicherung führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Vom Grundsatz normiert § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X, dass ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften (z.B. nach § 7 StVG, § 823 BGB) beruhender Schadensersatzanspruch auf den Versicherungsträger übergeht, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen (sachliche Kongruenz) sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen (zeitliche Kongruenz). Dabei sei auf die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers abzustellen (im Gesetz heißt es „zu erbringen hat“), nicht auf eine tatsächlich erbrachte Leistung. Fehlt mithin die Leistungspflicht, kann selbst bei erbrachter Leistung der Anspruch nicht gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X geltend gemacht werden, da es dann einem dort benannten gesetzlichen Forderungsübergang ermangelt.

Geht man mithin (insoweit fehlten Feststellungen der Vorinstanzen, weshalb es zur Zurückverweisung kam) davon aus, dass vorliegend  Ersatzansprüche nach § 7 Abs. 1 StVG gegenüber dem Haftpflichtversicherer gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG bestanden, ferner, dass die stationäre Rehabilitationsbehandlung auf den unfallbedingten Verletzungen zurückzuführen war, und die Rentenversicherung hier nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI auf Antrag Leistungen zu erbringen hatte, habe sachliche und zeitliche Kongruenz auf Ersatz gegen den Haftpflichtversicherer bestanden. Zwar sei die Geschädigte selbst nicht Mitglied der Rentenversicherung. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI lautet:

„Als sonstige Leistungen zur Teilhabe können erbracht werden:

4. stationäre Heilbehandlung für Kinder von Versicherten, … , wenn hierdurch voraussichtlich eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit beseitigt oder eine beeinträchtigte Gesundheit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann,

…“

(§ 31 SGB 6 in der Fassung vom 17.7.2015)

Entscheidend für den Anspruch über § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X sei nicht, ob die Leistung auf einer Mitgliedschaft des Geschädigten beruhe, oder ob der Geschädigte nur Begünstigter sei. In beiden Fällen läge eine den Forderungsübergang begründende Identität zwischen Schadensersatzberechtigten und Leistungsempfänger vor.

Der Zweck des § 116 SGB X sei es zu vermeiden, dass der Schädiger durch die dem Geschädigten zufließende Sozialleistung haftungsfrei gestellt würde oder der Geschädigte doppelt entschädigt würde (BGH, Urteil vom 08.07.2003 - VI ZR 274/02 -).

Anderes würde sich auch nicht aus dem Urteil des Senats vom 24.04.2012 - VI ZR 329/10 - ergeben. Dort sei es um die Frage gegangen, ob die Forderung bereits zum Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sei, wenn zu diesem Zeitpunkt das Sozialversicherungsverhältnis noch nicht besteht. Erforderlich sei für dem Übergang zum Schadenzeitpunkt, dass eine Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers gegenüber dem Geschädigten nicht völlig unwahrscheinlich sei. Sind Sozialleistungen auf Grund eines Sozialversicherungsverhältnisses zu erbringen, setze ein Rechtsübergang zu diesem Zeitpunkt allerdings das Bestehen einer Mitgliedschaft voraus; wird die Mitgliedschaft erst später begründet, würde der Übergang auch erst zu diesem späteren Zeitpunkt eintreten. Im Urteil vom 24.04.2012 sei es um den Forderungsübergang auf den Rentenversicherungsträger aus einem erst Jahre nach dem Unfall begründeten Versicherungsverhältnis gegangen.

Zusammenfassend hielt der BGH fest, dass die Differenzierung im Hinblick darauf erfolge, welche Sozialleistungen aus welchem Sozialversicherungsverhältnis im Rahmen des Forderungsübergangs geltend gemacht würden. Hier handele es sich um Ansprüche aus Sozialleistungen zugunsten der Geschädigten, die an das Rentenversicherungsverhältnis ihres Vaters anknüpfen würden.

BGH, Urteil vom 19.01.2021 - VI ZR 125/20 -

Samstag, 20. Februar 2021

Juristische Inkompetenz des Richters ist grundsätzlich kein Befangenheitsgrund

 

Die abgelehnten Richter hatten einen Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Im Rahmen seiner Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Anhörungsrüge) beantragte er gleichzeitig die Richter des Senats, die an dem Zurückweisungsbeschluss mitwirkten, wegen Befangenheit abzulehnen. Die Befangenheit begründete er damit, dass von einer unzureichenden juristischen Qualifikation der Richter ausgegangen werden müsse, da sie die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention „ostentativ missachtet“ hätten. Der Befangenheitsantrag wurde zurückgewiesen.

Die über den Befangenheitsantrag zur Entscheidung berufenen Richter des Senats wiesen diesen, ohne Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter, teils als unzulässig zurück (insoweit eine abgelehnte Richterin nicht mehr Mitglied des Senats sei und damit nicht zur Entscheidung über die Anhörungsrüge berufen sei), im übrigen als unbegründet zurück.

Voraussetzung für die Ablehnung wegen Befangenheit sei das Vorliegen eines Grundes, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen, § 42 Abs. 2 ZPO. Das setze voraus, dass aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung alle Umstände Anlass gegeben sei, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Diese Voraussetzungen seien vom Antragsteller nicht dargetan.

Nach Auffassung des BGH kommt es nicht darauf an, ob eine unzureichende juristische Qualifikation der abgelehnten Richter vorläge, da eine solche keinen Grund zur Annahme einer Befangenheit gäbe. Auch wenn Rechtsansichten geäußert würden, würde dies nicht eine Befangenheit rechtfertigen, es sei denn, diese seien grob fehlerhaft, weshalb sich bei vernünftiger und besonnener Betrachtungsweise der Eindruck der Voreingenommenheit gegenüber einer Partei aufdränge. Dies müsste sich hier aus dem Beschluss über die Zurückweisung der beantragten Prozesskostenhilfe ergeben, was aber nicht der Fall sei.

Zwar hat sich nach § 44 Abs. 3 ZPO der abgelehnte Richter dienstlich zur Ablehnung zu äußern. Dies sei hier nicht erforderlich gewesen, da die Begründung mit unzureichender Qualifikation als solche bereits nicht geeignet sei, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, sich zudem die Rechtsansicht der abgelehnten Richter aus dem Beschluss ergäbe und sie damit zur Aufklärung des Sachverhalts im Zusammenhang mit dem Ablehnungsgesuch nicht beitragen könnten.

BGH, Beschluss vom 10.02.2021 - VI ZB 66/20 -

Freitag, 19. Februar 2021

Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit: Unterlassene Offenbarung einer Vorbeziehung

In einem Rechtsstreit zwischen einer gesetzlichen Krankenversicherung und einer Klinik, in welchem die Krankenversicherung Schadensersatz gem. § 116 SGB X wegen einer von ihr behaupteten erheblichen Schädigung ihrer Versicherten anlässlich einer stationären Behandlung in der Klinik geltend machte, holte das Landgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten ein. Nach Vorlage des Gutachtens beantragte die beklagte Klinik eine mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den medizinischen Sachverständigen. Sodann zog das Landgericht die Behandlungsunterlagen der Klinik bei und erließ einen weiteren Beweisbeschluss, demzufolge der medizinische Sachverständige ergänzend zu der Behauptung der Klägerin Stellung nehmen sollte, die Operation der Klinik sei nicht indiziert und die Nachsorge fehlerhaft gewesen. Nach Eingang dieses Ergänzungsgutachtens wurde von der Beklagten erneut die mündliche Anhörung des Sachverständigen beantragt, dem das Landgericht nachkam und den Sachverständigen in der Ladungsverfügung zu einer ergänzenden Stellungnahme aufforderte. Nach Überlassung der ergänzenden Stellungnahme an die Beklagte lehnte diese nunmehr den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab mit der Begründung, dieser habe Ressentiments gegen die Beklagte, wie sich u.a. darin zeige, dass e behaupte, die Beklagte würde Befunde „unterschlagen“ und die Dokumentation der Beklagten mit der Behauptung negiere, diese sei von minderer Bedeutung.  Der Sachverständige wies eine Befangenheit zurück, er habe keine Ressentiments gegen die Beklagte. Er habe nie Kontakt zur Beklagten gehabt oder das Klinikum betreten. Lediglich mit deren Hauptoperateur 8der auch im vorliegenden Fall als Operateur tätig war) habe er am Universitätsklinikum Jena von 1996 – 2002 in gleichberechtigter und ab 2003 in vorgesetzter Position zusammengearbeitet. Im Hinblick auf diese Stellungnahme des Sachverständigen lehnte die Beklagte ihn nunmehr auch im Hinblick auf seien mitgeteilte Nähe zu dem Hauptoperateur ab.

Das Landgericht wies den Befangenheitsantrag zurück. Auf die Beschwerde der beklagten hin wurde dem Antrag stattgegeben.

Das OLG wies auf § 406 Abs. 1 ZPO hin, demzufolge ein gerichtlich bestellter Sachverständiger aus den gleichen Gründen wie ein Richter abgelehnt werden könne. Es würde jede Tatsache genügen, die auch nur ein subjektives Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen könne, ohne dass es darauf ankäme, ob der Sachverständige tatsächlich befangen sei. Ein enges persönliches oder berufliches Verhältnis könne grundsätzlich geeignet sein, Misstrauen in die Unparteilichkeit zu begründen, wobei der Umstand der privaten oder 8wie hier) beruflichen „Nähe“ zu hinterfragen sei. Es käme auf die Gesamtschau an. Auch wenn danach keine Gründe für eine tatsächliche Befangenheit ersichtlich seien, die nach dem objektivieren Standpunkt der Beklagten Zweifel an der Unvoreingenommenheit rechtfertigen würden.

Das OLG stellte auf die mehr als elfjährige kollegiale Zusammenarbeit des Sachverständigen mit dem Hauptoperateur der Beklagten und dort im fraglichen Fall auch tätigen Operateur ab. In einem solchen Fall könnten persönliche Erfahrungen bewusst oder unbewusst Einfluss auf das Ergebnis der Begutachtung nehmen (OLG Köln, Beschluss vom 13.01.1992 - 13 W 65/91 -). Hinzu käme hier, dass der Sachverständige dieses nahe Verhältnis zunächst verschwiegen hatte. Ein solches Verheimlichen ließe vom Standpunkt der Beklagten bei vernünftiger sensibler Betrachtung den Schluss zu, der Sachverständige wolle die wahre Intensität des Kontakts verbergen. Dies aber könne seinen Grund darin haben, dass er bei der Begutachtung durch die kollegiale Beziehung beeinflusst wurde (OLG Naumburg, Beschluss vom 07.05.2007 - 10 W 19/07 -). Das Verschweigen einer solchen Nähe wie hier könne bereits als selbständiger Befangenheitsgrund ausreichen. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen nach möglichen Verbindungen zwischen dem Sachverständigen und bei ihr angestellten Personen zu forschen, vielmehr habe der Sachverständige gem. § 407a Abs. 2 ZPO die Pflicht, selbst unverzüglich nach Beauftragung zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen und solche Gründe unverzüglich dem Gericht mitzuteilen. Bei einer Offenbarung könne sich dann auch die Beurteilung eines Befangenheitsantrages anders darstellen.

Dabei könne auf sich beruhen, dass der Hauptoperateur gar nicht Partei ist.  Es sei bei der sachverständig zu beurteilenden Frage um dessen Operation und damit um die Bewertung von dessen Leistungen gegangen. Die Diktion des Sachverständigen offenbare allerdings, dass hier die Annahme der beklagten, der Sachverständige sei ihrem Hauptoperateur gegenüber negativ eingestellt, nicht von der Hand zu weisen sei. Im Rahmen einer „kollegialen Verbundenheit“ wäre unter normalen Bedingungen mit einer entsprechenden Diktion nicht zu rechnen gewesen. Es würde so suggeriert, dass es dem Operateur an den intellektuellen Leistungen ermangele.

Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 30.10.2020 - 6 W 336/20 -

Mittwoch, 17. Februar 2021

Befristeter Verjährungsverzicht ist unabhängig vom Ablauf der Verjährung

 

Die Parteien stritten darüber, ob bereits zum Zeitpunkt der Erhebung einer Klage Verjährung eingetreten sei und die Beklagte erfolgreich die Einrede der Verjährung erheben könne. Mit dem Datum vom 04.02.2004 hatte die Klägerin die Einleitung eines (grundsätzlich die Verjährung hemmenden, sollte sie nicht bereits eingetreten sein) Schlichtungsverfahren beantragt. Mit Schreiben vom 27.11.2006 gab die Beklagte die Beklagte die Erklärung ab, dass sie sich „weiterhin bis einschließlich 31.12.2007 nicht auf die Einrede der Verjährung … berufen“ würde. Das Kammergericht ist im Berufungsrechtszug davon ausgegangen, dass mit dem Einleitung bzw. Beendigung des Schlichtungsverfahrens in Ansehung dieser Erklärung die Verjährungsfrist neu zu laufen begonnen habe. Dem folgte der BGH im Rahmen des Revisionsverfahrens nicht und verwies den Rechtstreit an das Kammergericht zurück, da bisher vom Kammergericht nicht festgestellt worden sei, wann die Verjährungsfrist zu laufen begann und ob danach eine Verjährung bereits vor dem 31.12.2007 eintrat oder durch die Klageerhebung 2009 noch gehemmt werden konnte.

Das Kammergericht war der vom BGH nicht geteilten Rechtsauffassung, beide Parteien seien der Ansicht gewesen, dass die Verjährung eines möglichen Anspruchs der Klägerin bereits bei Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 eingetreten sei; da die Beklagte mit dem Schreiben vom 27.11.2006 „weiterhin“ auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe, könne dieser Verzicht nur so verstanden werden, dass die Frist mit Einleitung des Schlichtungsverfahrens am 04.02.2004 neu zu laufen beginnen solle und ab diesem Zeitpunkt bzw. dem Endes des Schlichtungsverfahrens am 12.11.2007 die Frist von neuem zu laufen beginnen soll und durch die Erhebung der Klage in 2009 erneut gehemmt worden sei.

Für die Entscheidung kam es auf die Auslegung der Erklärung der Beklagten vom 27.11.2007 an.  Auch wenn die Auslegung von Willenserklärungen grundsätzlich dem Tatrichter unter Berücksichtigung der §§ 133, 157 BGB in umfassender Gesamtwürdigung aller Umstände obliegen würde, könne dies vom Revisionsgericht darauf geprüft werden, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denk- und Erfahrungssätze vorlägen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe. Derartige Rechtsfehler nahm der BGH hier an.

Das Kammergericht sie bereits fehlerhaft davon ausgegangen, dass nach dem Antragsschreiben vom 04.02.2004 auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens die Parteien von einer zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen Verjährung ausgegangen seien. Am Schluss des Antragsschreibens sei von einer drohenden Verjährung zu einem späteren Zeitpunkt (16.04.2004) die Rede.

Der BGH stellt darauf ab, dass es sich vorliegend um einen befristeten Verjährungsverzicht handele, der den Ablauf der Verjährung selbst nicht beeinflusse. Der Verjährungsverzicht habe regelmäßig zum Inhalt, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, bis zum Ende des vereinbarten Zeitraums ausgeschlossen sei. Dieser Verzicht würde den Gläubiger von der alsbaldigen Erhebung der Klage (vor Ablauf des Zeitraums) entbinden. Erhebe er allerdings nicht innerhalb des Zeitraums Klage, könne sich der Gläubiger bei einer Klage nach Ablauf des Zeitraums wieder auf die Einrede der Verjährung berufen. Erfolge die Klage innerhalb des Zeitraums, würde der Verzicht auf die Einrede greifen und in diesem Fall auch über die Frist hinaus wirken. Allerdings gelte dies nur für den Hemmungstatbestand der Klage, es sei denn der Schuldner habe anderweitiges erklärt.

Für eine darüberhinausgehende Wirkung des Verjährungsverzichts bedürfe es besonderer Anhaltspunkte, so für einen vom Kammergericht angenommen neuen Lauf der Verjährungsfrist. Diese Anhaltspunkte müssten erkennen lassen, dass ein über die Ermöglichung der gerichtlichen Geltendmachung hinausgehender Verzichtswille des Schuldners bestand. Derartiges ließe sich nicht feststellen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Verzicht im vorgenannten Sinn entgegen der Auffassung des Kammergerichts auch dann Sinn machen würde, wenn nach Annahme der Parteien zu dem Zeitpunkt des Verzichts die Verjährung bereits eingetreten sein sollte, das Schlichtungsverfahren die Verjährung also nicht mehr hätte hemmen können. Denn durch den Verzicht konnte die Klägerin ungeachtet einer bereits eingetretenen Verjährung den Ausgang des Schlichtungsverfahrens abwarten und bis Ende 2007 Klage erheben. Auch wenn zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung noch nicht festgestanden habe, dass das Schlichtungsverfahren bis zu, 31.12.2007 abgeschlossen ist, bestand jedenfalls für die Klägerin die Chance, dass die Beklagte die Verzichtserklärung bei längerer Dauer des Schlichtungsverfahrens verlängert.

BGH, Urteil vom 10.11.2020 - VI ZR 285/19 -