Samstag, 6. März 2021

Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB und Haftungsprivileg des § 1664 BGB

 

Den getrenntlebenden Eltern der dreijährigen Klägerin stand das Sorgerecht gemeinsam zu. Die Klägerin wohnte mit ihrer Mutter in einem Haushalt. Der Vaterging mit ihr und seinem angeleinten Hund spazieren. Bei einem plötzlichen Laufrichtungswechsel des Hunde stolperte die Klägerin über die Hundeleine und fiel auf ihr Gesicht. Der Vater unterhielt bei der Beklagten eine Tierhalterhaftpflichtversicherung. Die Eltern unterzeichneten eine Vereinbarung, mit welcher der Vater seine Ansprüche aus dem Vorfall gegen seine Versicherung an die Klägerin abtrat. Das Amtsgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage als unzulässig ab. Das Landgericht hat im Berufungsverfahren zwar die Klage als statthaft, aber als unbegründet angesehen. Mit der zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Der BGH wies die Revision als unbegründet zurück.

Ein Verschulden des Vaters, welches eine Haftung nach § 823 BGB begründen könnte, sei nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Damit käme allenfalls ein Anspruch aus der Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB in Betracht. Dieser Anspruch sei aber nach § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. § 1664 BGB lautet:

(1) Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen.

(2) Sind für einen Schaden beide Eltern verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.

Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge gegenüber dem Kind nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen, § 1664 Abs. 1 BGB. In der Norm sei eine Privilegierung der Eltern enthalten, die auf der familienrechtlichen Verbundenheit mit dem geschädigten Kind beruhe, welches der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleihe (BGH, Urteile vom 17.10.1995 - VI ZR 358/04 - und vom 01.03.1988 - VI ZR 190/87 -). Im Hinblick auf die dadurch bedingte Haftungsbeschränkung wurden auch für die deliktischen Verhaltenspflichten gegenüber dem Kind gelten, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für das Kind aufgehen würden, da ein Ausschluss mit dem Wortlaut und dem Sinn der Norm nicht vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 01.03.1988 aaO.). Damit wäre auch über § 1664 Abs. 1 BGB ein verschuldensunabhängiger Anspruch, wie er in § 833 S. 1 BGB normiert ist, ausgeschlossen. Das entspräche den Wirkungen einer gesetzlichen Beschränkung der Vertragshaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlagen würden. Daher könne wegen desselben Verhaltens nach Deliktsrecht keine strengere Haftung stattfinden und entfalle mithin nicht nur eine Haftung für leichte Fahrlässigkeit, sondern auch die Gefährdungshaftung des § 833 S. 1 BGB (BGH, Urteil vom 09.06.1992 - VI ZR 49/91 -). Dies gelte auch für den Sorgfaltsmaßstab nach § 1359 BGB.

Auch soweit von der Revision darauf hingewiesen wurde, dass die Eltern getrennt leben würden, würde sich daran nichts ändern. Auch in diesem Fall würde es sich um den familiären Umgang zwischen der Klägerin und ihrem Vater handeln. Ebenso wenig wäre nicht entscheidend, dass es durch den geltend gemachten Anspruch keinen innerfamiliären Konflikt gäbe, da es eine Auseinandersetzung mit dem Versicherer sei. Der Regelungsmechanismus des § 1664 Abs. 1 BGB sei nicht abhängig davon, dass das Bestehen (d.h. dessen Entstehung und sein möglicherweise späteres Entfallen) von späteren (sich möglicherweise ändernden Begleitumständen) seiner Geltendmachung abhänge. Der BGH weist auch darauf hin, dass das innerfamiliäre Leben dem Zweck des § 1664 Abs. 1 BGB zuwider auch dadurch gestört werden könne, dass es im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem Dritten (hier: Versicherer) thematisiert würde, auch wenn für den Vater ein Haftpflichtversicherungsschutz bestünde.

Offen bleiben könne, ob der Sorgfaltsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB bei Hundehaltung keine Anwendung fände, weil die dafür geltenden Regelungen keinen Raum für einen individuellen Sorgfaltsmaßstab ließen, wie es bei Schadensfällen im Straßenverkehr wegen Verstoßes gegen Verkehrsvorschriften oder bei Wasserski unter Verstoß gegen einen Ministerialerlass für § 1359 BGB und im Rahmen des § 708 BGB angenommen würde (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2009 - VI ZR 79/08 -). Denn ein Anspruch aus § 833 S. 1 BGB bestünde unabhängig von einer Sorgfaltspflichtverletzung.

Da der Vater bei dem Spaziergang die elterliche Sorge ausübte (§§ 1626 Abs. 1, § 1631 Abs. 1 BGB) scheide der Anspruch gegen ihn und damit aus der Abtretung gegen den Tierhalterhaftpflichtversicherer aus.

BGH, Urteil vom 15.12.2020 - VI ZR 224/20 -

Aus den Gründen:

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Coburg vom 7. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz und Feststellung in Anspruch.

Das Sorgerecht für die Klägerin steht ihren getrenntlebenden Eltern gemeinsam zu. Die Klägerin lebt mit ihrer Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Der Vater der Klägerin ging mit ihr und seinem angeleinten Hund spazieren. Als der Hund unvermittelt die Laufrichtung änderte, stolperte die zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alte Klägerin über die sich plötzlich straffende Hundeleine und stürzte auf ihr Gesicht. Der Vater der Klägerin unterhielt eine Tierhalterhaftpflichtversicherung bei der Beklagten. Die Mutter und der Vater der Klägerin unterzeichneten eine Vereinbarung, wonach der Vater der Klägerin sämtliche Ansprüche, die ihm gegen die Beklagte aus dem Versicherungsverhältnis aufgrund des Schadensereignisses zustehen, an die Klägerin abtritt.

Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

A.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage zwar zulässig. Jedoch gehe die Abtretung ins Leere, da der Vater der Klägerin wegen des Schadensereignisses keine Ansprüche gegen die Beklagte habe. Es bestehe kein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen ihren Vater aus § 833 Satz 1 BGB, da dessen Haftung gemäß § 1664 Abs. 1 BGB auf die Verletzung eigenüblicher Sorgfalt beschränkt sei. Der Unfall der Klägerin stehe in einem inneren Zusammenhang mit der elterlichen Sorge, da er sich bei einem gemeinsamen Spaziergang ereignet habe. Ein Fehlverhalten des Vaters der Klägerin werde nicht behauptet und sei auch nicht ersichtlich. Vielmehr beruhe der Sturz der Klägerin allein auf der Realisierung der spezifischen Tiergefahr, nämlich der unvorhersehbaren, plötzlichen Änderung der Laufrichtung des Hundes.

B.

Die Revision ist nicht begründet. Der von der Klägerin gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch besteht jedenfalls deshalb nicht, weil die nach den Feststellungen allein in Betracht kommende Gefährdungshaftung des Vaters der Klägerin aus § 833 Satz 1 BGB gemäß § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist.

I. Es sind keine Umstände festgestellt und die Revision hat kein Vorbringen als übergangen gerügt, auf deren Grundlage eine Verschuldenshaftung des Vaters der Klägerin (§ 823 BGB) in Betracht kommt.

II. Ein Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB ist gemäß § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.

1. Nach § 1664 Abs. 1 BGB haben die Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Diese Privilegierung der Eltern beruht auf der familienrechtlichen Verbundenheit mit dem geschädigten Kind, welche der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleiht (vgl. Senat, Urteile vom 17. Oktober 1995 - VI ZR 358/94, NJW 1996, 53, juris Rn. 10; vom 1. März 1988 - VI ZR 190/87, BGHZ 103, 338, juris Rn. 18). Die Haftungsbeschränkung regelt, in welchem Umfang die Eltern bei Ausübung der elterlichen Sorge gegenüber dem Kind haften (vgl. Huber, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1664 Rn. 1). Daher gilt sie auch für deliktische Verhaltenspflichten zum Schutz der Gesundheit eines Kindes jedenfalls dann, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für die Person des Kindes aufgehen, da ein Ausschluss des § 1664 Abs. 1 BGB in diesen Fällen mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht vereinbar wäre (vgl. Senat, Urteil vom 1. März 1988 - VI ZR 190/87, BGHZ 103, 338, juris Rn. 20; BGH, Urteil vom 27. Oktober 1988 - III ZR 8/88, juris Rn. 14; Huber, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1664 Rn. 9; Diederichsen, VersR Jubiläumsausgabe 1983, 141, 144 f.). Darüber hinaus wird durch § 1664 Abs. 1 BGB ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 Satz 1 BGB ausgeschlossen (vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 7. Aufl., § 58 Rn. 67; aA Heilmann, in: Staudinger [2016], § 1664 Rn. 37; Hilbig-Lugani, in: Soergel 13. Aufl., § 1664 Rn. 25). Dies entspricht den Wirkungen einer gesetzlichen Beschränkung der Vertragshaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlägt mit der Folge, dass wegen desselben Verhaltens nach Deliktsrecht keine strengere Haftung stattfindet und nicht nur eine Haftung für leichte Fahrlässigkeit entfällt, sondern auch die Gefährdungshaftung nach § 833 Satz 1 BGB (vgl. Senat, Urteile vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, NJW 1992, 2474, juris Rn. 18; vom 13. November 1973 - VI ZR 152/72, NJW 1974, 234, juris Rn. 12). Entsprechendes wird für § 1359 BGB angenommen (so KG, MDR 2002, 35 f.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 7. Aufl., § 22 Rn. 5; Sprau, in: Palandt BGB, 80. Aufl., § 833 Rn. 12; von Pückler, in: Palandt, 80. Aufl., § 1359 Rn. 2; Roth, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1359 BGB Rn. 20; aA Erbarth, in: BeckOGK [1.9.2020], BGB § 1359 Rn. 64 f.; Luckey, Jura 2002, 477, 479/481; siehe weiter Kunschert, NJW 2003, 950).

Abweichendes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht, wenn der Regelungszweck des § 1664 Abs. 1 BGB - wie die Revision meint - allein darin bestünde, das innerfamiliäre Leben möglichst wenig zu stören (vgl. zum Regelungszweck Heilmann, in: Staudinger [2016], § 1664 Rn. 5; Huber, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1664 Rn. 2; Diederichsen, VersR Jubiläumsausgabe 1983, 141, 142). Der Hinweis der Revision, dass die Eltern der Klägerin getrennt leben, führt nicht weiter, da es sich auch unter diesen Umständen um familiären Umgang zwischen der Klägerin und ihrem Vater handelte. Weiter ist entgegen der Ansicht der Revision unerheblich, ob ein innerfamiliärer Konflikt nicht besteht und dass Gegenstand des Rechtsstreits eine - in der Familie einvernehmliche - Auseinandersetzung mit einem Versicherungsunternehmen ist. Denn aus dem von der Revision unterstellten Regelungszweck könnte angesichts des Regelungsmechanismus des § 1664 Abs. 1 BGB jedenfalls nicht geschlossen werden, dass das Bestehen (dh die Entstehung und möglicherweise das spätere Entfallen) eines Anspruchs von den späteren, sich möglicherweise ändernden (Be-gleit-)Umständen seiner Geltendmachung abhängt. Im Übrigen kann das innerfamiliäre Leben auch dadurch gestört werden, dass es im Rahmen einer - in der Familie einvernehmlichen - Auseinandersetzung mit einem Dritten thematisiert wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn - was hier offenbleiben kann - für den Vater der Klägerin Haftpflichtversicherungsschutz bestünde (siehe weiter BGH, Urteile vom 12. Dezember 1991 - III ZR 10/91, NJW 1992, 1227, juris Rn. 16; vom 10. Juli 1974 - IV ZR 212/72, BGHZ 63, 51, juris Rn. 13 zur Bedeutung des Schutzes durch eine Haftpflichtversicherung).

Entgegen der Auffassung der Revision kann offenbleiben, ob der Sorgfaltsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB bei der Hundehaltung keine Anwendung findet, weil die dafür geltenden Regelungen keinen Raum für einen individuellen Sorgfaltsmaßstab lassen, wie es angenommen worden ist bei Schadensfällen im Straßenverkehr nach Verstoß gegen Verkehrsvorschriften für § 1359 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 24. März 2009 - VI ZR 79/08, NJW 2009, 1875 Rn. 11; BGH, Urteile vom 12. Dezember 1991 - III ZR 10/91, NJW 1992, 1227, juris Rn. 16; vom 27. Januar 1977 - III ZR 173/74, BGHZ 68, 217, juris Rn. 19; vom 10. Juli 1974 - IV ZR 212/72, BGHZ 63, 51, juris Rn. 9 f.; vom 18. Juni 1973 - III ZR 207/71, BGHZ 61, 101, juris Rn. 12; vom 11. März 1970 - IV ZR 772/68, BGHZ 53, 352, juris Rn. 23) und § 708 BGB (vgl. Senat, Urteile vom 24. März 2009 - VI ZR 79/08, NJW 2009, 1875 Rn. 11; vom 20. Dezember 1966 - VI ZR 53/65, BGHZ 46, 313, juris Rn. 12; BGH, Urteile vom 27. Januar 1977 - III ZR 173/74, BGHZ 68, 217, juris Rn. 19; vom 11. März 1970 - IV ZR 772/68, BGHZ 53, 352, juris Rn. 23; offen zur Sportfliegerei Senat, Urteil vom 25. Mai 1971 - VI ZR 248/69, JZ 1972, 88, juris Rn. 14 ff.) sowie das Betreiben von Wasserski unter Verstoß gegen einen Ministerialerlass für § 1359 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 24. März 2009 - VI ZR 79/08, NJW 2009, 1875 Rn. 12, mAnm Figgener, NZV 2009, 382 und Lemcke, RuS 2009, 257). Denn ein Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB besteht unabhängig von einer Sorgfaltspflichtverletzung.

2. Als der Vater der Klägerin mit ihr einen Spaziergang machte und sie über die Hundeleine stolperte, übte dieser die elterliche Sorge über sie aus (§ 1626 Abs. 1, § 1631 Abs. 1 BGB).


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