Donnerstag, 30. April 2020

BVerfG: Keine einstweilige Anordnung gegen Schließung von Fitnessstudios (Corona)


Es war letztlich nach den bisherigen Entscheidungen des BVerfG zu Restriktionen im Zusammenhang mit Corona zu erwarten, dass auch die beantragte Anordnung einstweilige Anordnung gegen eine Rechtsverordnung (hier des Landes Baden-Württemberg) gegen eine Rechtsverordnung zur Abwehr des Coronavirus abgewiesen wurde, mit der der Betrieb von Fitnessstudios für den Publikumsverkehr bis (vorläufig) zum 03.05.2020 untersagt wurde.

1. Grundlage der Rechtsverordnung war auch hier § 32 iVm §§ 28 Abs. 1 S. 1 und 2, 31 InfSG (idF. vom 20.07.2000m zuletzt geändert mit Gesetz vom 27.03.2020). Gerügt wurde von der Beschwerdeführerin als Betreiberin eines Fitnessstudios ihr verfassungsrechtlich garantiertes Recht zur freien Berufsausübung gem. Art. 12 Abs. 1 GG.

Standardmäßig verweist das BVerfG darauf, dass eine vorläufige Regelung durch einstweilige Anordnung erforderlich sein kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gefahren oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringen geboten sei. Bei offenen Ausgang seien die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg versagt bliebe. Darauf basierend erkennt das BVerfG, dass bei einer Versagung des begehrten Rechtsschutzes die Betreiber solcher Einrichtungen einen schwerwiegenden und teilweise irreversiblen Eingriff in ihr nach Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Recht der Berufsfreiheit mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen hinzunehmen hätten. Auf der anderen Seite hätte, sollte der Verfassungsbeschwerde der Erfolg versagt bleiben, zur Konsequenz die Wiedereröffnung zahlreicher Fitnessstudios (hier in Baden-Württemberg), was mit einer Zunahme sozialer Kontakte und damit des Risikos erneuter Infektionsketten den von Menschen übertragbaren Coronavirus einherginge mit der Gefahr der Erkrankung vieler Personen mit teilweise schwerwiegenden und tödlichen Krankheitsverläufen sowie der Gefahr der Überlastung gesundheitlicher Einrichtungen. Dem könne durch Untersagung des Betriebs von Fitnessstudios entgegengewirkt werden.  Unter Beachtung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG, das zu schützen der Staat habe, müssten die allerdings schwerwiegend Beeinträchtigung der Berufsfreiheit  und die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber der Fitnessstudios zurücktreten. Ohne dass dem die Beschwerdeführerin in ihrer Verfassungsbeschwerde entgegen getreten sei, habe der VGH Baden-Württemberg darauf verwiesen, dass die wirtschaftlichen Folgen der Betriebsuntersagung durch staatliche Hilfsprogramme „etwas abgemildert würden“. Zudem sei durch die Befristung sichergestellt, dass neuere Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden müssten.

2. Die Entscheidung des BVerfG setzt sich, wie die bereits zuvor zu Betriebsuntersagungen im Zusammenhang mit Rechtsverordnungen zur Abwehr des Coronavirus, nicht mit Art. 19 GG auseinander. Art. 19 GG verlangt, dass im Falle einer Einschränkung eines Grundrechts (hier betroffen jenes aus Art. 12 Abs. 1 GG) durch ein Gesetz (hier das Infektionsschutzgesetz – InfSG) diese Grundrecht unter Angabe des Artikels im Gesetz zu benennen ist, Art 12 Abs. 1 S. 2 GG. Daran ermangelt es hier, da im InfSG weder das Grundrecht noch der Artikel benannt wurden, vgl. § 19 Abs. 1 S. 4 GG. Art. 19 GG gilt als formelle Sicherung der Grundrechte und Rechtsschutzgarantie. Mit der Regelung sollten auch versteckte Grundrechtsbeschränkungen unmöglich gemacht werden. Im Zusammenhang mit der Änderung der Strafprozessordnung zu § 112a StPO hatte das BVerfG entschieden, dass der dort unterlassene Hinweis auf die Einschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nach Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG zulässig sei (Beschluss vom 30.05.1973 - 2 BvL 4/73 -). Auch hat das BVerfG entschieden, dass berufsregelnde Gesetze keine Einschränkung iSv, Ar 19 Abs. 1 GG darstellen würden und damit keines Hinweises bedürfen (Beschluss vom 04.05.1983 - 1 BvL 76/80 -). In dem letztgenannten Verfahren ging es um die Regelung, dass die Anerkennung als Prüfingenieur für Baustatik mit Vollendung des 70. Lebensjahres ende. Das Zitiergebot, so das BVerfG, würde nicht gelten, wenn der Gesetzgeber „in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt“. Dies ist nicht vergleichbar mit der hier vorgenommen Einschränkung, die die Berufsausübung, wenn auch (zunächst) zeitlich befristet, vollständig verbietet. Die Berufsausübung kann zwar durch Gesetzes oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden; eine „Regelung“ dahingehend, dass sie vollkommen untersagt wird, greift in den Kernbereich ein (nach Art. 19 Abs. GG untersagt), die nicht die Art oder den Umfang der Berufsausübung regelt, sondern diese verhindert.

Erfolgte damit kein Hinweis in dem Infektionsschutzgesetz zum Eingriff in die Berufsausübung, kann dieses Gesetz auch nicht Grundlage einer die Schließung vorsehenden Rechtsverordnung sein. Es lässt sich hier zudem auch nicht annehmen, dass der Gesetzgeber diesen Eingriff  vor Augen hatte. § 28 Abs. 1 InfSG weist auf die Zielgruppe hin und verweist für die Schutzmaßnahmen auf die §§ 28 – 31 InfSG. In § 31 InfSG ist ein Tätigkeits-/Berufsverbot vorgesehen, aber nur beschränkt auf Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider sowie für Personen, die den Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr der Weitverbreitung besteht. Ein Generalverdacht ist nicht normiert.

3. § 56 InfSG regelt den Entschädigungsanspruch für Personen, die nach § 28 Abs. 1 InfSG von Maßnahmen betroffen sein können. Für den Verdienstausfall können sie eine Entschädigung in Geld verlangen, § 56 Abs. 1 InfSG. Die Entschädigung richtet sich nach dem Verdienstausfall und soll bis zu sechs Wochen dem entgangenen Verdienst (§ 56 Abs. 3 InfSG), danach in Höhe des Krankengeldes (soweit nicht das Jahresarbeitsentgelt die Grenze der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht übersteigt, gewährt, § 56 Abs. 2 InfSG.

Ersichtlich ging der Gesetzgeber, soweit nicht expressis verbis auf bestimmte Einrichtungen wie Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen abgestellt wird, in § 56 Abs. 2 InfSG, davon aus, dass Arbeitnehmer betroffen sind. Soweit Selbständige betroffen sind, regelt § 56 Abs. 4 S. 2 wird unter Bezugnahme auf Abs. 2 geregelt, dass neben der dortigen Entschädigung weiterhin auf Antrag Ersatz der in dieser Zeit weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben „in angemessenen Umfang“ zu gewähren ist. Ferner „können“ bei Existenzgefährdung gem. §  56 Abs. 4 S. 1 InfSG die während der Verdienstausfallzeit entstehenden Mehraufwendungen in angemessenen Umfang erstattet werden.

Werden hier die Fitnessstudios auf der Grundlage der §§ 28ff InfSG geschlossen, so wäre jedenfalls entsprechend § 56 InfSG eine Entschädigung zu leisten. Die betroffenen Betreiber werden prüfen müssen, ob die staatlich zur Verfügung gestellten Mitteln dem entsprechen, was sie nach § 56 Abs. 4 InfSG geltend machen könnten. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre zu überlegen, den weitergehenden Anspruch geltend zu machen. Sollten sich die auf dem Infektionsschutzgesetz zur Begründung der Rechtsverordnungen zur Schließung als verfassungswidrig erweisen, hätten die Betroffenen einen weitergehenden Schadensersatzanspruch. Weiterhin ist § 65 InfSG zu beachten, wonach bei einem nicht unwesentlichen Vermögensnachteil durch eine behördliche Maßnahme eine Geldentschädigung zu erfolgen hat.

BVerfG, Beschluss vom 28.04.2020 - 1 BvR 899/20 -

Montag, 27. April 2020

Kostenfestsetzung: Kann eine Kostenfestsetzung zur Rechtssicherheit auch bei bereits erfolgter Zahlung erfolgen ?


Die Beklagte beantragte die Kostenfestsetzung, die vom Verwaltungsgericht (VG) auch vorgenommen wurde. Dies erfolgte, obwohl bereits unstreitig die zur Festsetzung angemeldeten Kosten vom Gegner ausgeglichen waren, weshalb dieser gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss – erfolgreich – Erinnerung einlegte.

Das VG verwies darauf, dass der Kostenfestsetzungsantrag unzulässig gewesen sei. Zwar seien im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Kostenerstattungsanspruch ausgeschlossen, wie er hier von dem Erinnerungsführer mit dem Erfüllungseinwand erhoben wurde. Dieser Ausschluss gelte nur dann nicht, wenn die Einwendungen unstreitig seien (BVerwG, Beschluss vom 05.12.2007 - 4 KSt 1007/07 -). Würde der Erstattungsanspruch einschließlich der Zinsen vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses vollständig erfüllt, bestehe für den beantragten Kostenfestsetzungsbeschluss kein Rechtsschutzbedürfnis. Der Kostengläubiger habe dann nämlich kein schutzwürdiges Interesse mehr an dem Erlass eines vollstreckbaren Titels. Auch könne der Kostengläubiger nicht geltend machen, mittels der Kostenfestsetzung den Rechtsgrund für das Behalten der Zahlung zu belegen. Denn dieser Rechtsgrund ergäbe sich unmittelbar aus der Kostengrundentscheidung, auf Grund der die Kostenfestsetzung überhaupt beantragt werden kann.  (OLG Celle, Beschluss vom 26.11.2018 - 2 W 221/18 -).

Vorliegend hatte der Erinnerungsführer mehr gezahlt, als der Beklagten zustand. Hier, so das VG, hätten die Parteien die Ausgleichung selbst intern vorzunehmen.

Anmerkung: Kommt es in einem Fall einer Zahlung vor einer gerichtlichen Kostenausgleichung und –festsetzung zu einer Überzahlung durch eine Partei, hat die Partei nach § 812 BGB einen Rückforderungsanspruch, liegen nicht die Voraussetzungen des § 824 BGB (Zahlung in Kenntnis der Nichtschuld) vor.

VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 14.04.2020 - 7 KE 15/20 -

Freitag, 24. April 2020

Datenschutz: Vollstreckung des Auskunftsanspruchs nach § 15 Abs. 1 DSGVO


Die Schuldnerin  wurde zur Auskunft nach § 15 Abs. 1 Buchst. a – h DSGVO verurteilt (27.05.2019). Der Gläubiger beantragte zur Durchsetzung der Verpflichtung  im Anschluss die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die Schuldnerin, ersatzweise Zwangshaft (10.07.2019). Mit Schreiben vom 16.07.2019 erfüllte die Schuldnerin ihre Pflichten auf Auskunftserteilung nach Buchstaben a – f und h. Mit Beschluss vom 12.12.2019 gab das Amtsgericht dem Antrag des Gläubigers vollumfänglich statt. Die dagegen eingelegte Beschwerde führte zur teilweisen Abweisung des Antrags.


Die Beschwerde war danach erfolgreich, soweit das Amtsgericht dem Antrag trotz zwischenzeitlicher Erfüllung stattgegeben hatte. Dies sei rechtswidrig, weshalb insoweit der amtsgerichtliche Beschluss aufzuheben sei.

Allerdings bestünde der Auskunftsanspruch nach §  15 Abs. 1 g DSGVO weiterhin. Die Schuldnerin habe nicht „in genügender Tiefe mitgeteilt, woher sie diese Daten erhalten hat, obwohl sie hiernach nach dem Urteil, welches den Auskunftsanspruch nach § 15 Abs. 1 g DSGVO tituliert, verpflichtet war“. § 14 Abs. 1 g DSGVO weiche insoweit von §§ 19, 34 BDSG a.F. ab und verlange stets Auskunft über „alle verfügbaren Informationen über die Herkunft“ der Daten, soweit sie nicht beim Betroffenen selbst erhoben worden wären. Zu den damit notwendigen Angaben zur Quelle der Information würde auch die Benennung der Mittel gehören, mit denen die personenbezogenen Daten erhoben worden seien. Die einzige (zumal erst im Beschwerdeverfahren erfolgte) Angabe der Schuldnerin, die Daten aus einem Bezahlvorgang einer namentlich benannten GmbH erhoben worden seien, sei nicht ausreichend, und die Verweigerung mit Hinweis darauf, es handele sich nicht um Daten des Klägers (Gläubiger) fehlerhaft. Dass es sich nicht um Daten des Gläubigers handele, könne nicht daraus abgeleitet werden, dass diese möglicherweise von einem Dritten rechtsmissbräuchlich verwandt worden seien. Soweit die Schuldnerin im Weiteren zum Tätigwerden mit ihr verbundener Unternehmen vortrage, ergäbe sich daraus nicht, wann, in welcher Form und von wem sie die persönlichen Daten des Gläubigers erhalten habe.

Das Beschwerdegericht schloss sich auch nicht der Auffassung der Schuldnerin an, der Gläubiger könne seine Ansprüche nicht aus § 888 ZPO (Antrag auf Zwangsgeld, hilfsweise Zwangshaft) sondern nur aus § 16 DSGVO (Recht auf Berichtigung) geltend machen, wenn er mit der Auskunft nicht einverstanden sei. Anders als bei § 2314 BGB (Auskunftspflicht von Erben) könne bei unvollständiger oder fehlerhafter Auskunft nicht nur eine nächste Stufe (dort eidesstattliche Versicherung) geltend gemacht werden, da § 16 DSGVO sich nicht als „nächste Stufe“ bei einem Anspruch nach § 15 DSGVO darstelle sondern separat mit anderem Inhalt neben diesen trete. Es sei mithin dem Gläubiger hier möglich, den titulierten Auskunftsanspruch nach § 888 ZPO geltend zu machen, ohne eine Berichtigung nach 3 16 DSGVO zu verlangen.   

Die Entscheidung weist auf, dass derjenige, der datenschutzrechtlich zur Auskunft verpflichtet ist, diese Verpflichtung nicht auf die leichte Schulteer nehmen sollte. Immerhin sind in dem Fall, dass der Berechtigte wegen unvollständiger oder falscher Angaben im Rahmen der nach § 15 DSGVO titulierten Auskunft nach § 888 ZPO vorgeht, die Verhängung eines Zwangsgeld von bis € 25.000,00, Zwangshaft oder ersatzweise Zwangshaft bis 6 Monaten, möglich.


LG Mosbach, Beschluss vom 27.01.2020 - 5 T 4/20 -

Donnerstag, 23. April 2020

WEG: Fehlende Kompetenz zur Beschlussfassung zu Hausgeldrückständen


Die Wohnungseigentümergemeinschaft forderte von den Beklagten € 4.900,19 an Hausgeldrückständen, die sich aus den Einzelabrechnungen 2008 bis 2011 und dem Wirtschaftsplan 2012 zusammensetzen. Das Amtsgericht gab der Klage statt; das Landgericht hat (im Berufungsverfahren) den Betrag auf € 3.450,20 reduziert. Die Beklagten legten (die zugelassene) Revision ein. Während des Revisionsverfahrens erklärten die Parteien übereinstimmend die Hauptsache für erledigt. Der BGH entscheid mit Beschluss gem. § 91a ZPO über die Kosten.


Der BGH hielt die Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigungserklärung teilweise als begründet, im Übrigen als offen, weshalb insoweit bei streitiger Durchführung eine Zurückverweisung erfolgt wäre.

Zum Einen setzte sich der BGH mit Kosten in den Abrechnungen auseinander, inwieweit diese berücksichtigt werden durften. Im Übrigen aber sei der Ausgang des Rechtstreits offen, da entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht die Hausgeldrückstände der einzelnen Wohnungseigentümer, die jeweils in den aus den Jahresabrechnungen abgeleiteten Einzelabrechnungen aufgeführt seien, von der Bestandskraft der Jahresabrechnung nicht erfasst würden. Das aber würde bedeuten, dass im Streitfall auch bei einer rechtskräftig gewordenen Jahresabrechnung der Umfang der Rückstände des einzelnen Eigentümers gesondert festzustellen sei. Die Wohnungseigentümer hätten nicht die Kompetenz, entstandene aber nicht erfüllte Zahlungsverpflichtungen des Eigentümers erneut (etwa in der Jahresabrechnung) zu beschließen. Dieser Teil des Beschlusses, mit dem letztlich der Anspruch auf die rückständige Zahlung neu begründet werden sollte, sei nichtig. Anspruchsbegründend könne nur der Teil des Beschlusses über die Jahresabrechnung wirken, der sich auf den Betrag bezieht, welcher die in dem Wirtschaftsplan für das abgelaufene Jahr beschlossenen Vorschüsse übersteige (Abrechnungsspitzen).  Die in früheren Beschlüssen festgestellten Zahlungsverpflichtungen blieben unberührt, was auch für die in dem Wirtschaftsplan des abzurechnenden Jahres beschlossenen Vorschüsse (§ 28 Abs. 2 WEG) gelte. Damit könne  nach einem Beschluss über die Jahresabrechnung  nur die konkrete Abrechnungsspitze nach Eintritt der Bestandskraft der Jahresabrechnung nicht mehr in Frage gestellt werden.  Da damit aber nicht die Jahresabrechnung benannten Rückstände auf Hausgeld zur Abrechnungsspitze gehören würden, sondern Gegenstand einer Forderung aus einem beschlossenen Wirtschaftsplan seien, würde im Hinblick auf die Rückstände keine bestandkräftige Feststellung vorliegen. Dies sei  vorliegend vom Berufungsgericht nicht berücksichtigt und geprüft worden.

BGH, Beschluss vom 13.02.2020 - V ZR 29/15 -

Dienstag, 21. April 2020

Zwei Widerspruchsverfahren nach Änderungsbescheid und Kostenerstattung für zwei Anwälte bei Anwaltswechsel ?


Der Kläger des Ausgangsverfahrens legte gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung ein, da nicht außergerichtliche Kosten für zwei von ihm beauftragte Bevollmächtigte berücksichtigt worden seien. Er hatte gegen einen Bescheid auf Zahlung von € 39.563,83 Widerspruch eingelegt und wurde dabei durch RA W. vertreten. Nachdem der Widerspruch zurückgewiesen wurde, erhob der Kläger gegen den Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides Klage, wobei er nunmehr von RA  C. vertreten wurde. Es erging nunmehr ein Änderungsbescheid, demzufolge der Kläger € 40.182,01 zahlen sollte. Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch RA C., Widerspruch ein. Im Verhandlungstermin vor dem VG wurde der Änderungsbescheid in das Verfahren einbezogen. Der Klage wurde stattgegeben und der Kläger machte nunmehr Kosten des Vorverfahrens sowohl gegen der ursprünglichen Bescheid als auch den Änderungsbescheid geltend. Diese Kosten wurde abgewiesen.

Die Erinnerung des Klägers war nach Auffassung des VG Würzburg unbegründet. Anders als vom Kläger angenommen, habe zu dem Änderungsbescheid kein Vorverfahren iSv. § 68 VwGO stattgefunden, vielmehr wurde der Änderungsbescheid in das streitige Verfahren einbezogen. Der Änderungsbescheid habe sich auf dieselbe Sachlage und identische Rechtsfragen bezogen wie der Ausgangsbescheid, gegen den ein Vorverfahren erfolglos stattgefunden hatte, weshalb ein neues / weiteres Vorverfahren nicht erforderlich sei.  Zu dem festsetzungsfähigen Kosten würden die Kosten des Vorverfahrens nur insoweit zählen, als sich an dieses das gerichtliche Verfahren angeschlossen habe. Diese Kosten seien in dem Kostenfestsetzungsbeschluss berücksichtigt worden.

Da zum Änderungsbescheid ein Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt wurde, könnten dafür auch nicht beantragte außergerichtliche Aufwendungen geltend gemacht werden. Die Einbeziehung in das Klageverfahren habe nur zur Erhöhung des Streitwertes geführt, nicht aber zu einem weiteren Widerspruchsverfahren, weshalb nur aus einem Vorverfahren heraus ein Erstattungsanspruch bestünde.  

Der Umstand, dass der Kläger während des Verfahrens (zwischen Widerspruchsverfahren und Klage), einen Anwaltswechsel vorgenommen habe, würde auch nicht zu einem weitergehenden Anspruch führen, auch wenn dies zu erhöhten Kosten des Klägers geführt haben sollte (dazu verhält sich die Entscheidung nicht). Denn die Entscheidung eines Beteiligten, den Anwalt zu wechseln, könne nicht auf Kosten des anderen Beteiligten erfolgen.

VG Würzburg, Beschluss vom 30.03.2020 - W 2 M 19.12.54 -

Sonntag, 19. April 2020

Züchtereigenschaft aufgrund eines Nutzungs- und Ausbildungsvertrages


Die Klägerin war Eigentümerin einer Stute, bei der es sich weltweit um eines der erfolgsreichsten Dressurpferde handelte. Sie verbrachte die Stute im April 2011 auf den Hof des Beklagten zu 3., mit dem sie vereinbarte, dass diese auf unbestimmte Zeit dort verbleibt. Der Beklagte verpflichtete sich, die Stute zur Grand-Prix-Reife auszubilden. Er übernahm die Kosten für Pflege, Unterstellung und Beritt und die Klägerin gewährte ihm im Gegenzug das Recht, alle ein bis zwei Jahre ein Embryo aus der Stute zu spülen, um hierdurch ein Fohlen zu gewinnen. Im Juli 2012 ließ der Beklagte zu 3. Die Stute von einem Hengst decken. Einige Tage später ließ er die befruchtete Eizelle aus der Stute ausspülen und in eine in seinem Eigentum stehende Stute einsetzen. Im Juni 2013 gebar die Austragungsstute ein weibliches Fohlen. Im September 2013 wurde vom Beklagten zu 3. der Beklagten zu 2., einem Zuchtverband, der Standort des Fohlens und als „Zuchtbesitzerin“ die Tochter des Beklagten zu 3. mitgeteilt, woraufhin der Beklagte zu 1. für die Beklagte zu 2. für das Fohlen eine Equidenpass sowie eine Eigentumsurkunde ausstellte und dem Beklagten zu 3. überließ. In diesen Papieren wurde der Beklagte zu 3. als Züchter benannt. Die Klägerin, die der Ansicht war, Züchterin zu sein, begehrte mit ihrer Klage die Einziehung und Unbrauchbarmachung von Equidenpass und Eigentumsurkunde begehrt. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.


Der BGH negierte einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB iVm. dem Nutzungs- und Ausbildungsvertrag sowie aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 263 StGB sowie aus § 826 BGB. Eine Voraussetzung wäre jeweils, dass der Beklagte zu Unrecht in den Urkunden als Züchter benannt worden wäre.

Die Auslegung des Vertrages der Klägerin mit dem Beklagten zu 3. Verstoße nicht gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze.  Danach sei nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht festgestellt habe, dass dem Beklagten zu 3. die Steuerung des gesamten Zuchtvorgangs übertragen worden sei. Auch aus der Angabe zur „Zuchtbesitzerin“ gegenüber der Beklagten zu 2. ließe sich nichts anderweitiges herleiten, da auch dort der Beklagte zu 3. von einer Zucht durch ihn und einer Übertragbarkeit der ihm zukommenden Züchtereigenschaft auf seine Tochter ausgegangen sei.

Ein Verstoß gegen verbands- und vereinsrechtliche Regelungen läge auch nicht vor. Sowohl aus der Zucht-Verbands- und der Leistungs-Prüfungs-Ordnung der FN als auch der Zuchtordnungen der Beklagten zu 2. Läge nicht vor, da dort ausdrückliche abweichende Vereinbarungen zur Züchtereigenschaft zugelassen seien. Dies folge für die Zucht-Verbands-Ordnung bereits aus § 4 Nr. 10, wonach Züchter der Eigentümer der Zuchtstute ist, wenn nicht die Parteien anderweitiges vereinbart hätten, was hier vorliege und jedenfalls in der benannten Vereinbarung konkludent als getroffen anzusehen sei. Nach § 11 S. 1 LPO sei Züchter der Besitzer der Mutterstute zum Zeitpunkt der Bedeckung. Dies war der Beklagte zu 3. Der Besitz würde in § 12 LPO geregelt. Diese Regelung greife nur, wenn Zweifel bestünden. Diese lägen hier aber nicht vor, da der Beklagte zu 3. die Stute zur Zeit der Bedeckung im unmittelbaren Besitz gehabt habe und den Zuchtvorgang gesteuert habe. Dafür, dass mit § 11 LOP auch der mittelbare Besitz gemeint sein könnte (der bei der Klägerin lag) sei nichts ersichtlich und würde auch dem Sinne, Rechtsklarheit zu schaffen, widersprechen. Ob sich aus § 28 Nr. 1 ZBO (der Beklagten zu 2.) etwas anderes ergebe, könne auf sich beruhen, da die Klägerin diesem Verband nicht angehört habe. Unabhängig davon würde sich daraus auch nichts zugunsten der Klägerin ergeben, da auch hier zwischen Eigentum und Besitz unterschieden würde.

Da damit der Beklagte zu 3. zutreffend in der Eigentumsurkunde und im Equidenpass als Züchter eingetragen worden sei, sei die Klage abzuweisen.

BGH, Urteil vom 20.02.2020 - III ZR 55/19 -

Donnerstag, 16. April 2020

Grundrechtsabwägung: Glaubensfreiheit versus körperliche Unversehrtheit bei Corona-Bekämpfung


Der Antragsteller, Katholik, wandte sich gegen § 1 Abs. 5 der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus der hessischen Landesregierung vom 17.03.2020, zuletzt geändert 20.03.2020, in der Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften untersagt wurden. Nachdem der HessVGH mit Beschluss vom 07.04.2020 – 8 B 892/20.N – eine einstweilige Anordnung auf Aussetzung bis zur Entscheidung in der Hauptsache ablehnte, beantragte der Antragsteller beim BVerfG eine einstweilige Anordnung. Diese wurde abgelehnt.

Das BVerfG geht nicht auf die Frage der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Verordnung ein. Gegenstand ist vielmehr vor dem Hintergrund der Begründung durch den Antragssteller, dass dieser regelmäßig wöchentlich die Heilige Messe (Eucharistiefier) und die Gottesdienste an den Osterfeiertagen besuche, die Abwägung der Grundrechte, da der Antragsteller die Ansicht vertrat, ein vollständiges Zurücktreten des Grundrechts auf Glaubensfreiheit in Gestalt ungestörter gemeinsamer Religionsausübung  hinter das kollidierende Grundrecht auf Leben bzw. körperliche Unversehrtheit sei unverhältnismäßig.

Formal bezieht sich das BVerfG auf § 32 Abs. 1 BVerfGG, wonach es einen Streitfall durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln könne, wenn dies „zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten“ sei. Die die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes betreffenden Gründe hätten außer Betracht zu bleiben, es sei denn die Verfassungsbeschwerde erweise sich von vornherein als unbegründet oder unzulässig; diese Begründung beinhaltet inzident die Aussage, eine offensichtlich zulässige und begründete Verfassungsbeschwerde kann auch nicht notwendig bereits Erfolg im Rahmen einer einstweiligen Anordnung haben. Bei danach anzunehmenden offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde seien die Folgen abzuwägen, die bei unterlassener einstweiliger Anordnung im Falle späteren Erfolgs der Verfassungsbeschwerde entstünden, gegen jene Folgen, die im Falle der Stattgabe der einstweiligen Anordnung bei späterer Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde eintreten würden (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 10.03.2020 - 1 BvQ 15/20 -).

Da die (noch zu erhebende) Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet wäre, sei vorliegend die Abwägung vorzunehmen. Die für eine vorläufige Regelung durch das BVerfG sprechenden Gründe müssten so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass der einstweiligen Anordnung unabweisbar machen würden. Es seien die Folgen nicht nur für den Antragsteller, sondern auf alle von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen.

Auf der einen Seite sei hier zu berücksichtigen, dass – nach der nachvollziehbaren Darlegung des Antragstellers –  die gemeinsame Feier der Eucharistie ein zentraler Bestandteil des Glaubens sei, der nicht durch alternative Formen ersetzbar sei. Daher würde es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG handeln. Hätte mithin eine Verfassungsbeschwerde Erfolg, läge ein irrevisibler Eingriff in das Recht vor.

Wenn aber die einstweilige Anordnung erlassen würde, eine Verfassungsbeschwerde dann aber  keinen Erfolg haben würde, sei davon auszugehen, dass sich viele Menschen zu Gottesdiensten in Kirchen versammeln, insbesondere an den Osterfeiertagen. Die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung von vielen Personen und der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen und schlimmstenfalls auch des Todes von Menschen würde sich erhöhen. Dabei bliebe diese Gefahr durch Folgeinfektionen auch nicht auf die Teilnehmer der Gottesdienste beschränkt.

Der Staat sei zum Schutz der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verpflichtet (u.a. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -). Hinter dieser Verpflichtung müsse das Recht auf die gemeinsame Feier von Gottesdiensten zurücktreten. Der schwerwiegende Eingriff in die Glaubensfreiheit zum Schutz von Gesundheit und Leben sei auch deshalb vertretbar, da die Verordnung vom 17.03.2020 und damit auch das in Rede stehende Verbot zeitlich bis zum 19.04.2020 befristet sei. Es sei damit sichergestellt, dass nach Maßgabe der Entwicklung der Corona-Pandemie eine Fortschreibung erfolge.

BVerfG, Beschluss vom 10.04.2020 - 1 BvQ 28/20 -