Der Antragsteller, Katholik, wandte
sich gegen § 1 Abs. 5 der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus
der hessischen Landesregierung vom 17.03.2020, zuletzt geändert 20.03.2020, in
der Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und Zusammenkünfte anderer
Glaubensgemeinschaften untersagt wurden. Nachdem der HessVGH mit Beschluss vom
07.04.2020 – 8 B 892/20.N – eine einstweilige Anordnung auf Aussetzung bis zur
Entscheidung in der Hauptsache ablehnte, beantragte der Antragsteller beim
BVerfG eine einstweilige Anordnung. Diese wurde abgelehnt.
Das BVerfG geht nicht auf die Frage
der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Verordnung ein. Gegenstand ist vielmehr
vor dem Hintergrund der Begründung durch den Antragssteller, dass dieser
regelmäßig wöchentlich die Heilige Messe (Eucharistiefier) und die Gottesdienste
an den Osterfeiertagen besuche, die Abwägung der Grundrechte, da der Antragsteller
die Ansicht vertrat, ein vollständiges Zurücktreten des Grundrechts auf
Glaubensfreiheit in Gestalt ungestörter gemeinsamer Religionsausübung hinter das kollidierende Grundrecht auf Leben
bzw. körperliche Unversehrtheit sei unverhältnismäßig.
Formal bezieht sich das BVerfG
auf § 32 Abs. 1 BVerfGG, wonach es einen Streitfall durch einstweilige
Anordnung vorläufig regeln könne, wenn dies „zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder
aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten“ sei. Die
die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes betreffenden Gründe hätten
außer Betracht zu bleiben, es sei denn die Verfassungsbeschwerde erweise sich
von vornherein als unbegründet oder unzulässig; diese Begründung beinhaltet
inzident die Aussage, eine offensichtlich zulässige und begründete Verfassungsbeschwerde
kann auch nicht notwendig bereits Erfolg im Rahmen einer einstweiligen
Anordnung haben. Bei danach anzunehmenden offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde
seien die Folgen abzuwägen, die bei unterlassener einstweiliger Anordnung im
Falle späteren Erfolgs der Verfassungsbeschwerde entstünden, gegen jene Folgen,
die im Falle der Stattgabe der einstweiligen Anordnung bei späterer
Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde eintreten würden (BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des 1. Senats vom 10.03.2020 - 1 BvQ 15/20 -).
Da die (noch zu erhebende)
Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet wäre,
sei vorliegend die Abwägung vorzunehmen. Die für eine vorläufige Regelung durch
das BVerfG sprechenden Gründe müssten so schwerwiegend sein, dass sie den
Erlass der einstweiligen Anordnung unabweisbar machen würden. Es seien die
Folgen nicht nur für den Antragsteller, sondern auf alle von der Regelung
Betroffenen zu berücksichtigen.
Auf der einen Seite sei hier zu
berücksichtigen, dass – nach der nachvollziehbaren Darlegung des Antragstellers
– die gemeinsame Feier der Eucharistie
ein zentraler Bestandteil des Glaubens sei, der nicht durch alternative Formen
ersetzbar sei. Daher würde es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht
zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG handeln. Hätte
mithin eine Verfassungsbeschwerde Erfolg, läge ein irrevisibler Eingriff in das
Recht vor.
Wenn aber die einstweilige Anordnung
erlassen würde, eine Verfassungsbeschwerde dann aber keinen Erfolg haben würde, sei davon
auszugehen, dass sich viele Menschen zu Gottesdiensten in Kirchen versammeln,
insbesondere an den Osterfeiertagen. Die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus,
der Erkrankung von vielen Personen und der Überlastung der gesundheitlichen
Einrichtungen und schlimmstenfalls auch des Todes von Menschen würde sich
erhöhen. Dabei bliebe diese Gefahr durch Folgeinfektionen auch nicht auf die Teilnehmer
der Gottesdienste beschränkt.
Der Staat sei zum Schutz der
Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG
verpflichtet (u.a. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -). Hinter
dieser Verpflichtung müsse das Recht auf die gemeinsame Feier von
Gottesdiensten zurücktreten. Der schwerwiegende Eingriff in die Glaubensfreiheit
zum Schutz von Gesundheit und Leben sei auch deshalb vertretbar, da die
Verordnung vom 17.03.2020 und damit auch das in Rede stehende Verbot zeitlich
bis zum 19.04.2020 befristet sei. Es sei damit sichergestellt, dass nach
Maßgabe der Entwicklung der Corona-Pandemie eine Fortschreibung erfolge.
BVerfG, Beschluss vom 10.04.2020 - 1 BvQ 28/20 -