Samstag, 16. November 2024

Abgrenzung zwischen Zusatz- und Folgeaufträgen im Werkvertragsrecht

Die Parteien hatten einen VOB-Vertrag geschlossen. In Ansehung des Vortrages des Beklagten, zu von ihm abgerechneten Preisen abgerechnet zu haben, mit denen er im Hinblick auf einen klägerischen Anspruch Aufrechnung erklärte, musste sich das OLG damit auseinandersetzen, ob der Beklagte zu den berechneten Preisen beauftragt wurde.

Der Beklagte hatte darauf abgestellt, dass es sich um zusätzliche Leistungen auf Anordnung des Klägers gemäß § 1 Abs. 4 S. 2 VOB/B handele und bei diesen der ortsübliche angemessene Werklohn zu zahlen sei. Dies sah das OLG anders.

Bei zusätzlichen Leistungen handelt es sich um solche, die „zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden“ (§ 1 Abs. 4 S. 2 VOB/B), andere Leistungen können dem Werkunterunternehmer nur mit seiner Zustimmung übertragen w erden (§ 1 Abs. 3 S. 3 VOB/B). Bei der Ausführung zusätzlicher Leistungen, so das OLG, läge hier eine Erweiterung des bisherigen Auftrages vor. In diesem Fall richte sich die Vergütung allerdings nach dem dem Werkvertrag zugrunde liegenden Preisgefüge, § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B. Nur wenn die Parteien einen gänzlich neuen Vertrag (Anschluss- oder Folgevertrag) schließen würden, würde sich der Preis mangels einer anderweitigen Vereinbarung nach § 632 Abs. 2 BGB (taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe nach der üblichen Vergütung) bestimmen. Würden die Parteien aber lediglich den bisherigen Vertrag um eine weitere, nicht erforderliche Leistung ergänzen, richte sich die Vergütung nach § 2 Abs. 6 VOB/B.

Die Abgrenzung zwischen einem selbständigen Folgeauftrag und einer Zustimmung des Werkunternehmers zu einer Leistungserweiterung, wäre daran auszurichten, ob eine typische Zusatzleistung in unmittelbarer Abhängigkeit der bisherigen Leistung oder ein ohne räumliche und stoffliche Verbindung eine selbständige Leistung als Vertragsleistung vorliege. Hier läge eindeutig eine Erweiterung des ursprünglichen Auftrags vor und sollten keine eigenständigen Folgeaufträge geschlossen werden. Die Annahme eigenständiger Folgeaufträge sah das OLG auch deshalb als fernliegend an, da dies zu zahlreichen Einzelabnahmen geführt hätte (demgegenüber die Erweiterung des bestehendes Auftrages eine Abnahme insgesamt bedingt). Damit läge der vorliegende Fall anders als jener im Urteil des OLG vom 05.03.1996 - 21 U 116/95 -, da dort für eine Musterfassade, die im ursprünglichen Bauvertrag nicht vorgesehen worden sei und nicht Teil des Bauwerks gewesen sei, ein Folgeauftrag angenommen wurde.

Entscheidend ist mithin, ob – sollten sonstige Vereinbarungen zwischen den Parteien nicht zur Zusatzleistung bestehen – die (nicht erforderliche) Zusatzleistung sich auf das Bauwerk selbst bezieht oder ein gesondertes Bauwerk darstellt. Im letzteren Fall kann der Werkunternehmer mangels gesonderter Vergütungsvereinbarung Vergütung nach §§ 631 iVm. 632 Abs. 2 BGB verlangen.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.07.2024 - 22 U 96/23 -

Dienstag, 12. November 2024

Umsatzsteuer bei fiktiver Berechnung nachbarschaftlichen Ausgleichsanspruchs ?

Hintergrund war der Streit der Nachbarn wegen eines Überwuchses eines Baumes sowie von Entschädigungsansprüchen wegen durch den Überwuchs entstandener Schäden. Im Hinblick auf den geltend gemachten Entschädigungsanspruch erkannte stellte das Landgericht auf ein eingeholtes Sachverständigengutachten ab, welches den Kostenaufwand mit netto € 7.600,00, brutto (d.h. einschließlich Umsatzsteuer) mit € 9.044,00 angab. Gegen das Urteil legten die Beklagten Berufung ein du monierten, dass auch die Umsatzsteuer zugesprochen worden sei.  

Das OLG gab der Berufung statt. Das Landgericht hätte die Umsatzsteuer nicht zusprechen dürfen, da der Kläger seinen Entschädigungsanspruch gem. § 906 Abs. 2 S. 2BGB lediglich fiktiv abgerechnet habe.

Vom Ausgangspunkt her sei der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bemessen und die §§ 249 ff BGB nicht anzuwenden (BGH, Urteil vom 25.10.2013 - V ZR 230/12 -). Bei Substanzschäden könne die Enteignungsentschädigung den vollen Schaden (also auch die Beseitigungskosten) abdecken (BGH, Urteil vom 04.07.1997 - V ZR 48/96 -). Da bei einem Schadensersatzanspruch nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB die Umsatzsteuer nur ersetzt verlangt werden könne, wenn sie angefallen sei, der Anspruch auf Enteignungsentschädigung bereits vom Grundsatz auf eine Vermögenseinbuße abstelle, gäbe es keinen Grund, bei fiktiver Geltendmachung des Anspruchs ohne entsprechende Vermögenseinbuße die Umsatzsteuer zuzusprechen. Auch das OLG Koblenz (Urteil vom 24.02.2011 - 5 U 1146/10 -) habe zu $ 906 Abs. 2 S. 2 BGB bereits entschieden, dass die auf den Ausgleichbetrag entfallende Umsatzsteuer als Überkompensation eines Anspruchs außer Betracht bleiben müsse; erst wenn die Sanierung tatsächlich erfolgt sei, sei dies anders zu betrachten.  Entsprechend habe auch das OLG Hamm (Urteil vom 04.02.2022 – 11 U 96/21 -) entschieden, dass bei einem öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch die Umsatzsteuer nur ersetzt verlangt werden könne, wenn die Arbeiten auch tatsächlich durchgeführt worden seien.

OLG Zweibrücken, Urteil vom 20.08.2024 - 8 U 47/24 -

Samstag, 9. November 2024

Grundstückskaufvertrag und formunwirksame Vorauszahlungsabrede

Zunächst verkaufte der Erblasser des Beklagten mit einem notariellen Kaufvertrag einen hälftigen notariellen Miteigentumsanteil in März 2017 zum Preis von € 40.000,00 an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war. Der Kläger zahlte unter Angabe der UR-Nummer des Notars an den Erblasser per Überweisung in April 2017 € 70.000,00, sodann im Mai mit derselben Angabe und unter Hinzufügung des Wortes „Restzahlung“ weitere € 10.000,00. Im März 2018 schlossen der Erblasser und der Kläger einen Vertrag über die weitere Miteigentumshälfte zum Kaufpreis von € 40.000,00. Daraufhin übertrug die GmbH ihren Miteigentumsanteil auf den Kläger. Dieser erhob Klage auf Übertragung des zweiten Miteigentumsanteils und begründete dies damit, der Kaufpreis für die zweite Miteigentumshälfte sei im Zusammenhang mit der Zahlung für die erste Miteigentumshälfte sei bereits als Vorauszahlung erfolgt. Der Klage gab das Landgericht statt; auf die Berufung wurde die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision beantragte der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies den Rechtstreit an dieses zurück.

Das Oberlandesgericht hatte die Klage abgewiesen, da eine vom Kläger behauptete Vorauszahlung nicht dem Formerfordernis entsprochen habe, § 311b Abs. 1 S. 1 BGB iVm. § 125 S. 1 BGB. Zwar, so der BGH, sei vom Ausgangspunkt zutreffend, dass die behauptete Vorauszahlungsabrede des Kaufpreises für die zweite Miteigentumshälfte nicht wäre, da sie nicht notariell beurkundet worden sei. Auch eine Vorauszahlungsabrede sei beurkundungsbedürftig, da die Kaufpreisforderung noch nicht bestünde und die Vorauszahlung ohne dahingehende Vereinbarung nicht von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könne (BGH, Urteil vom 20.09.1985 - V ZR 148/84 -). In Ermangelung der Beurkundung sei daher eine Vorauszahlungsabrede nichtig.

Allerdings würde sich daraus nicht ergeben, dass damit der gesamte Vertrag aus 2018 nichtig sei, § 139 BGB. Zwar sei dies nach der Auslegungsregel des § 319 BGB zu vermuten, doch könne dies bei Vorliegen besonderer Umstände widerlegt werden (BGH, Urteil vom 10.12.1993 - V ZR 108/92 -). Widerlegt sei dies, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag (BGH, Urteil vom 19.11.1982 - V ZR 161/81 -), da für den Käufer von untergeordneter Bedeutung si, ob eine Kaufpreisschuld zu, Zeitpunkt ihrer Entstehung erlösche oder ob die Schuld nach von weiteren Rechtshandlungen abhängig sei (BGH, Urteil vom 11.11.1983 - V ZR 150/82 -).

Weise der Käufer seine Zahlung auf die noch nicht bestehende Kaufpreisforderung nach, sei die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien auch ohne die Abrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts eingelassen hätten (BGH, Urteil vom 10.12.1993 - V ZR 108/92 -). Dies sei insbesondere bei einer Quittungserteilung durch den Verkäufer der Fall. Allerdings sei dies auch dann der Fall, wenn der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen könne, vor Vertragsabschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben. Das Fehlen eines Hinweises in dem Kaufvertrag über eine Vorauszahlung stehe der Vermutung einer solchen nicht entgegen, da die Nichtigkeit des Kaufvertrages gerade durch die fehlende Beurkundung folge und es keines Beweises zur Widerlegung der Vermutung des § 139 BGB bedürfe, wenn die Vorauszahlungsabrede mit beurkundet worden wäre. Entscheidend sie damit der Nachweis der Zahlung auf die noch nicht bestehende Schuld und könne (anders als vom Oberlandesgericht angenommen) nicht verlangt werden, dass der Käufer den Abschluss einer entsprechenden Vorauszahlungsabrede und deren Fortbestehen bei Abschluss des notariellen Kaufvertrages beweise.

Allerdings seien die Überweisungsträger selbst kein Beleg für die Kaufpreiszahlung in Form einer Vorauszahlung. Zwar könnten dies grundsätzlich auch Überweisungsträger sein, doch hier sei stets auf den protokolierten Kaufvertrag für die erste Miteigentumsanteil verwiesen worden. Eine Tilgungsbestimmung für den noch nicht abgeschlossenen Kaufvertrag ließe sich damit daraus nicht entnehmen.  Allerdings könne das „Immobilien-Übergabeprotokoll vom 15.05.2017 aus Sicht des Klägers geeignet sein, die Vorauszahlung auf den Kaufpreis nachzuweisen. Hier sei aufgenommen worden, dass der Kläger € 80.000,00 zahlte, wobei € 40.000,00 als „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellen sollten und die Parteien anerkennen, „dass sie keine weiteren Ansprüche haben“.

Auch wies der BGH darauf hin, dass bei einer angenommenen Unwirksamkeit der Vorauszahlungsabrede die Vorauszahlung wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) vom Kläger zurückgefordert und mit dem Bereicherungsanspruch gegenüber der offenen Kaufpreisforderung Aufrechnung erklärt werden könnte, was auch hilfsweise erfolgt sei.

BGH, Urteil vom 14.06.2024 - V ZR 8/23 -

Mittwoch, 6. November 2024

Zweitwohnungssteuer und steuerliche Abzugsfähigkeit

Die Klägerin hatte ihren Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt in K. und arbeitete in München, wo sie eine Wohnung angemietet hatte. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2018 machte sie u.a. Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von € 1.480,00 sowie die von ihr der Landeshauptstadt München zu zahlende Zweitwohnungssteuer in Höhe von € 896,00 bei den sonstigen Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. In der Einkommensteuererklärung für 2019 begehrte sie neben Unterkunftskosten am Tätigkeitsort in Höhe von € 15.880,00 die Zweiwohnungssteuer mit € 1.157,00 geltend. Das beklagte FA erkannte für beide Jahre jeweils € 12.000,00 der Kosten für die Unterkunft in München an, die Zweiwohnungssteuer berücksichtigte es bei den sonstigen Aufwendungen nicht. Nach erfolglosen Einspruch der Klägerin gegen die Einkommensteuerbescheide erhob sie Klage zum Finanzgericht, der dieses stattgab. Das beklagte Finanzamt legte Revision ein und rügte – erfolgreich – die Verletzung von § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG.

Der BFH wies darauf hin, dass, anders als das Finanzgericht angenommen habe, die Zweiwohnungssteuer nicht zu den beschränkt abzugsfähigen Unterkunftskosten iSv. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 4 EStG zähle.

Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 1 EStG seien notwendige Mehrkosten einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung, die hier vorläge, da die Klägerin außerhalb des Ortes ihrer ersten Tätigkeitsstätte einen Haushalt unterhalte und dort wohne, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 2 EStG. Zu den notwendigen als Werbungskosten berücksichtigungsfähigen Mehraufwendungen würden u.a. die notwendigen Unterkunftskosten am Beschäftigungsort zählen. Allerdings seien die im Inland nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 4 EStG auf € 1.000,00/Monat begrenzt. Von diesem Höchstbetrag seien alle Aufwendungen des Steuerpflichtigen zur Nutzung der Wohnung umfasst, soweit sie dieser zuzuordnen seien (so die Kaltmiete, bei einer Eigentumswohnung die Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten sowie Zinsen für Fremdkapital, die Betriebskosten einschließlich von Stromkosten), da sie durch den Gebrauch der Unterkunft oder durch den Gebrauch das ihre Nutzung ermöglichende Eigentum des Steuerpflichtigen an der Unterkunft entstehen würden (BFH, Urteil vom 04.04.2019 - VI R 18/17 -).

Haushaltsartikel und Einrichtungsgegenstände einschließlich darauf beruhender AfA würden nicht darunter fallen, unabhängig davon, dass der Steuerpflichtige sie in der Unterkunft nutze, da deren Nutzung nicht mit der Nutzung der Unterkunft gleichzusetzen sei (BFH, Urteil vom04.04.2019 aaO.).

Bei der Zweiwohnungssteuer handele es sich entgegen der Annahme des Finanzgerichts um Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung, die deshalb nicht ohne die Beschränkung des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 4 EStG in voller Höhe zum Abzug zugelassene seien. Hier handele es sich um einen tatsächlichen Aufwand für die Nutzung der Unterkunft.

Zweitwohnung sei nach der Satzung der Landeshauptstadt München das Innehaben einer Zweitwohnung im Stadtgebiet (§ 2 Abs, 1 S. 1 ZwStS), die melderechtlich als Nebenwohnung (also einer Wohnung, die ein Einwohner neben der Hauptwohnung, § 21 Abs. 3 BMG) innehabe.  Es handele sich bei der Steuer um eine örtliche Aufwandssteuer iSv. Art. 105 Abs. 2a GG (BVerfG, Beschluss vom 06.12.1983 - 2 BvR 1275/79 -).  Die Zweitwohnungssteuer berechne sich nach dem jährlichen Mietaufwand, der Steuerpflichtige für die Benutzung der Wohnung aufgrund vertraglicher Vereinbarungen nach dem Stand der Entstehung der Steuerpflicht für ein Jahr als Nettokaltmiete zu entrichten habe (§ 4 Abs. 1 S. 1 ZwStS); bei Eigentumswohnungen und unentgeltlich oder unterhalb der ortüblichen Miete überlassener Unterkunft sei die ortsübliche Miete als Bemessungsgrundlage heranzuziehen (§ 4 Abs. 1 S. 1 ZwStS). Damit stelle sich die Steuer als eine unmittelbar mit dem Mietaufwand verbundene zusätzliche finanzielle Belastung für das Innehaben der Zweitwohnung dar. Zudem handele es sich – anders als bei Haushaltsartikeln und Einrichtungsgegenständen – um eine ratierlich anfallende Ausgabe, die von dem Höchstbetrag von € 1.000,00/Monat erfasst werden soll (BFH, Urteil vom 04.04.2019 aaO.).

Anmerkung: Die satzungsrechtlichen Regelungen, wie sie hier in der Entscheidung zugrunde liegen, sind ähnlich auch in den Satzungen anderer Gemeinden mit einer Zweitwohnungssteuer.

BFH, Urteil vom 13.12.2023 - VI R 30/21 -

Sonntag, 3. November 2024

Streitwert einer Nebenintervention bei nur teilweise Interesse am Verfahrensausgang

Das Landgericht hatte den Streitwert mit € 355.443,21 festgesetzt. Vom Kläger wurde nunmehr beantragt, den Streitwert für die Streithelferin (Nebenintervenientin) abweichend davon auf € 5.000,00 festzusetzen, da diese nur von fünf von 97 Positionen des Verfahrens betroffen gewesen sei. Von der Streithelferin wurde geltend gemacht, sie sei dem Verfahren insgesamt (und nicht nur bezogen auf die fünf Positionen) beigetreten. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Der dagegen eingelegten Beschwerde half das Landgericht nicht ab und sie wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Das OLG verwies darauf, dass teilweise die Auffassung vertreten würde, dass auf ein zu schätzendes eigenes Interesse des Streithelfers abzustellen sei (Anm: so z.B. OLG Rostosck, Beschluss vom 21.10.2009 - 3 W 50/08 - mit Hinweis darauf, dass § 101 ZPO auf die „durch eine Nebenintervention bedingten Kosten“ abstelle). Herrschende Meinung sei aber wohl, dass der Streitwert einer Nebenintervention  mit dem Streitwert der Hauptsache übereinstimmen würde, wenn der Nebenintervenient am Prozess im gleichen Umfang beteiligt sei wie die Partei, der er beigetreten sei (bereits erstmals BGH, Beschluss vom 13.10.1959 - V ZR 294/57 ), unabhängig davon, ob er Anträge stellen würde (BGH, Beschluss vom 12.01.2016 - X ZR 109/12 -).

Das OLG folgte der bereits im Beschluss des BGH in 1959 geäußerten Rechtsansicht. Dort sei in Bezug auf die verfahrensrechtliche Stellung des Nebenintervenienten ausgeführt. Dass dieser mit seinem Beitritt eigene wirtschaftliche Interessen verfolge, er aber gleichwohl, stelle er keinen eingeschränkten Antrag, im gleichen Umfang am Prozess beteiligt sei wie die Partei, der er beitrete; für die Art der Prozessführung käme es auf das wirtschaftliche Interesse des Nebenintervenienten nicht an. Zudem, so das OLG, würde häufig eine Ungewissheit über die genaue, etwaige Beteiligung des Nebenintervenienten  an der Hauptsache bestehen, die auch nicht einfach im Wege einer Schätzung gelöst werden könne, ggf. zur Beauftragung eines Gutachters zur Streitwertbemessung führen könne.

Zwar mag vorliegend eine Eingrenzung, wie der Kläger meint, möglich sein, was aber an der Maßgeblichkeit des Hauptsachestreitwerts nichts ändern könne. Die Beklagte habe der Streithelferin unbegrenzt den Streit verkündet (§ 72 ZPO) und diese sei dem Rechtsstreit unbeschränkt beigetreten. Wenn die Parteien wirksam unangemessene Ergebnisse bei der Streitwertbemessung vermeiden wollen, läge es an ihnen, nicht oftmals unzählige unbeschränkte Streitverkündungen auszusprechen, sondern eine Streitverkündung ausdrücklich zu beschränken, was hier nicht erfolgt sei.

Anmerkung: Der vom OLG übernommenen Rechtsprechung des BGH ist grundsätzlich beizutreten und gerade auch zu beachten, dass der Streitverkünder es durch eine Beschränkung des Umfangs der Streitverkündung (hier auf die klägerseits benannten 5 Positionen)  vermeiden kann, dass die Kosten der Nebenintervention aus einem niedrigeren Streitwert zu bemessen sind, als es der Hauptsreitwert zuließe. Die Kosten des Streithelfers treffen letztlich nur die Partei, der der Streithelfer nicht als Nebenintervenient beitritt, soweit dieser unterliegt (§ 101 ZPO). Allerdings kann es dem Streitverkünder letztlich egal sein, wenn er sich gewiss ist, dass der Streitverkündete ihm beitritt. Die Partei, die nicht den Streitverkündet, kann nicht eine Beschränkung erklären.  Zu denken wäre daran, dass trotz der Streitverkündung die andere Partei einen Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention stellen kann (§71 ZPO). Dann müsste der Nebenintervenient in einem Zwischenstreit sein rechtliches Interesse an der Nebenintervention glaubhaft machen und das Gericht durch Zwischenurteil (welches mit sofortiger Beschwerde angefochten werden kann) entscheiden. Vorliegend lag auch nach Ansicht des Klägers ein rechtliches Interesse (an fünf Positionen) auf Seiten des Nebenintervenienten vor, aber nicht in Bezug auf die anderen Positionen. Ob dieser Umstand allerdings dazu führen kann, die Nebenintervention - wird ein weitergehendes Interesse durch den Nebenintervenienten nicht glaubhaft gemacht – auf die entsprechenden Positionen einzuschränken erscheint unwahrscheinlich. Das Gesetz sieht vom Wortlaut keine entsprechende Einschränkung an der Nebenintervention vor, wenn nur ein rechtliches Interesse zu einem Teil des Streitgegenstandes besteht. Allenfalls ließe sich dies aus § 101 ZPO schließen, auf den das OLG Rostock abstellt, da dort von den durch die Nebenintervention bedingten Kosten abgestellt wird. Tritt der Nebenintervenient dem Rechtstreit in vollem Umfang bei, ohne dass dies gerügt wird, wird man kaum seine Kosten mit dem erweis auf § 101 ZPO reduzieren können (wie es das OLG Rostock vornahm), da dadurch die wirksame Nebenintervention zum Rechtsstreit insgesamt in Frage gestellt würde, was aber nach rügeloser Verhandlung mit dem Beigetretenen nicht mehr möglich ist (OLG Köln, Beschluss vom 04.05.2010 - I-16 W 6/10 -), da in diesem Fall die Nebenintervention notwendig den Hauptsachestreitwert umfasst. Da aber eine auf bestimmte Punkte beschränkte Nebenintervention möglich ist, kann sich § 101 auch lediglich auf diesen Umstand beziehen, weshalb sich aus § 101 ZPO nichts für eine Beschränkung der Nebenintervention nur auf die Position ableiten lässt, für die ein rechtliches Interesse des Nebenintervenienten glaubhaft gemacht ist. Ob § 71 ZPO dahingehend ausgelegt werden kann, dass eine Nebenintervention nur insoweit zulässig ist, soweit ein rechtliches Interesse des Nebenintervenienten besteht, eine darüberhinausgehende Nebenintervention ausgeschlossen werden kann, wurde, soweit für mich ersichtlich, bisher nicht entschieden. Eine derartige Beschränkung lässt sich aus dem Wortlaut nicht entnehmen und dürfte wohl eher zu verneinen sein.

OLG München, Beschluss vom 03.04.2024 - 9 W 421/24 Bau e -)

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Nutzungsentschädigung bei gemischt genutzten Fahrzeugen

Im Rahmen von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall begehrte der Kläger auch Nutzungsentschädigung, hilfsweise Vorhaltekosten, für das beschädigte Fahrzeug, bei dem es sich um ein Leasingfahrzeug handelte, welches von einem Mitarbeiter auch teilwiese privat genutzt werden konnte. Es wurde zu Transportzwecken genutzt, nämlich einen Mitarbeiter der Klägerin von der jeweiligen Niederlassung zum Kunden zu bringen. Sie machte eine Nutzungsentschädigung von € 79,00/Tag für 10 Tage (Reparaturdauer) geltend.

Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.

Das Landgericht als Berufungsgericht wies zunächst auf die unterschiedliche Betrachtung in Literatur und Rechtsprechung hin, ob eine Nutzungsentschädigung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen überhaupt in Betracht komme oder sich der Schaden nach einem entgangenen Gewinn (§ 252 BGB), den Vorhaltekosten eines Reservefahrzeugs oder den Mietkosten für ein Ersatzfahrzeug bemesse. Der BGH würde grds. nur eine Entschädigung für die zweitweise Vorenthaltung bei privatgenutzten Fahrzeugen bejahen. Bei gewerblich genutzten Fahrzeugen sei dies zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, setze aber bei zur Gewinnerzielung genutzten Fahrzeugen (wie Taxis, Reisebusse, Lkw) voraus, dass sich die Gebrauchsentbehrung unmittelbar in einer Minderung des Gewerbeertrags niederschlage (so nach § 252 BGB oder durch Kosten bei der Ersatzbeschaffung).

Hier erziele die Klägerin ihren Gewinn nicht aus Transportleistungen sondern aus anderweitiger gewerblicher Tätigkeit. Die fehlende Nutzbarkeit würde sich daher nicht unmittelbar in einer Minderung des Gewerbeertrages neiderschlagen. Damit müsse hier durch den Ausfall zu einer eingetretenen fühlbaren wirtschaftlichen Beeinträchtigung gekommen sein (BGH, Beschluss vom 21.01.2024 - VI ZR 355/13 -). Diese läge aber nicht vor.

Das Fahrzeug habe nicht für Fahrten zu Kunden genutzt werden können und der Mitarbeiter habe sich anderweitig beholfen und Kollegen bitten müssen, ihn zur Arbeit vor Ort mitzunehmen. Damit seien konkrete Umstände nicht benannt, denen eine fühlbare wirtschaftliche Beeinträchtigung entnommen werden könne. Die Klägerin hätte konkret darlegen müssen, welche wirtschaftlichen Folgen sich durch den zeitweisen Verlust der Verfügbarkeit über das Fahrzeug gezeigt hätten.

Würde das Fahrzeug gemischt genutzt, teilweise also gewerblich und teilweise privat, könne allerdings die Nutzungsentschädigung für den privaten Teil begehrt werden (OLG Jena, Urteil vom 28.04.2004 - 3 U 221/03 -), was insbesondere auch Leasingfahrzeuge betreffe, die dem Geschädigten auch zur privaten Nutzung überlassen seien.  Anspruchsinhaber sei in diesen Fällen aber nur derjenige, dem der gebrauch überlassen worden sei.

Da der Mitarbeiter der Klägerin, der das Fahrzeug zu Fahrten zu Kunden nutze, im Rahmen der sogen. 1%-Regelung das Fahrzeug auch privat nutzen dürfe, würde mithin die den privaten Anteil betreffende Nutzungsentschädigung nicht der Klägerin, sondern dem Mitarbeiter zustehen.

Vorliegend wurde aber der Anspruch von der Kläger geltend gemacht, der die Ansprüche durch den Mitarbeiter auch nicht abgetreten worden seien. Aber selbst im Falle der Zession wäre die Berufung zurückzuweisen gewesen: Voraussetzung wäre, dass der Anteil der privaten Nutzung dargelegt worden wäre. Damit aber fehlte es an einer Abgrenzung des zu entschädigenden Nutzungsteils für den privaten Gebrauch von dem nicht zu entschädigenden Nutzungsanteil für den gewerblichen Gebrauch. Darüber hinaus sei nicht dargelegt worden, dass der Mitarbeiter einen Nutzungswillen (im Bereich des privaten Gebrauchs) gehabt habe, da nicht ausgeschlossen sie, dass ihm privat ein anderes Fahrzeug zur Verfügung stünde, mit dem er die zehn Tage habe überbrücken können.

Abschließend nahm das Landgericht noch Stellung zur Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf (hilfsweise geltend gemachte) Vorhaltekosten habe und verneinte dies mit Blick darauf, dass nach deren eigenen Angaben keine Fahrzeuge für einen eventuellen Ausfall eines Fahrzeugs vorgehalten würden. Anmerkung: Nach dem Urteil des BGH vom 06.12.2018  VII ZR 285/17 - (BGHZ 220, 270 ff, Rn. 28) ist bei gewerblich genutzten Fahrzeugen eine abstrakte oder am Vorhaltekosten orientierte Entschädigung ausgeschlossen, sondern käme es darauf an, ob durch den Ausfall ein fühlbarer wirtschaftlicher Nachteil eingetreten ist.

 LG Saarbrücken, Urteil vom 16.05.2024 - 13 S 82/23 -

Mittwoch, 30. Oktober 2024

Erbscheinverfahren und Erbenfeststellungsklage – Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

Im Ausgang ging es um die Erteilung eines Erbscheins, der den Beteiligten zu 1. und 3. auf Grund gesetzlicher Erbfolge auf deren Antrag erteilt wurde. Der Beteiliget zu 8. hatte mit Berufung auf ein Testament ebenfalls einen Antrag gestellt, der zurückgewiesen wurde (da Zweifel an der Echtheit des Testaments bestünden). Die Beschwerde des Beteiligten zu 8. wies das OLG Nürnberg mit Beschluss vom 08.08.2023 - 1 Wx 1539/23 - zurück. Hiergegen erhob der Beteiligte zu 8. Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung annahm.

Das BVerfG verwies darauf, dass die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorlägen. Sie habe keine Aussicht auf Erfolg, da sie offensichtlich unzulässig sei, was das BVerfGG daran ausmachte, dass die Verfassungsbeschwerde nicht den in § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG verankerten Grundsatz der Subsidiarität wahre. Nach diesem Grundsatz müsse ein Beschwerdeführer nicht nur den Rechtsweg im engeren Sinne erschöpft haben, sondern darüber hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen haben, um die Korrektur der gerügten Grundrechtsverletzung durch Fachgerichte zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (BVerfGE 73, 322, 325).  Die Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde würden gem. §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG verlangen, dass auch zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen vorgetragen werde, soweit dies nicht aus sich heraus erkennbar sei. Dazu würde die schlüssige Darlegung der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität gehören (BVerfGE 129, 78, 93).

Das BVerfG rügte, dass in der vorliegenden Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht ersichtlich sei, dass alle Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Dabei verwies es darauf, dass der Erbprätendent neben dem Erbscheinverfahrens (welches hier betrieben wurde) vor den Fachgerichten noch eine Erbenfeststellungsklage erheben könne und so die Feststellung der Erbenfeststellung erreichen (BVerfG, Beschluss vom 29.08.2005 - 1 BvR 219/05 -). Da der Erbschein nur die Vermutung beinhaltet, dass dem dort Benannten das Erbrechts zukommt (§ 2365 BGB), erwächst das im Feststellungsrechtsstreit ergehende Urteil zwischen den Parteien in Rechtskraft iSv. § 325 ZPO; der Entscheidung im Erbscheinverfahrens kommt weder eine formelle noch materielle Bindungswirkung für einen streitigen Feststellungsprozess zu. Genau darauf stellte des BVerfG ab und wies darauf hin, dass unabhängig von einem entgegenstehenden Inhalt eines Erbscheins jederzeit der wirkliche Erbe vor dem Prozessgericht Klage auf Feststellung seines Erbrechts erheben könne und das Prozessgericht von Feststellungen des Nachlassgerichts abweichen könne (BGH, Urteil vom 14.04.2010 – IV ZR 135/08 -).

Der Vorrang der Erbenfeststellungsklage würde nicht nur bei einer inhaltlichen Überprüfung des Ergebnisses des Erbscheinverfahrens greifen, sondern auch wie hier bei Rüge von Verfahrensfehlern (als Verletzung rechtlichen Gehörs, Art. 103 GG) im Erbscheinverfahren. Denn im Erbenfeststellungsprozess könne der Beschwerdeführer seinen im Erbscheinverfahren übergangenen Vortrag erneut vorbringen.

BVerfG, Beschluss vom 13.07.2024 - 1 BvR 1929/23 -