Die Antragsteller hatten
Einspruch gegen den ihnen zugegangenen Grundsteuerwertbescheid eingelegt und
stellten zugleich den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Der Einspruch
erfolge aus allen in Betracht kommenden rechtlichen Gründen, wobei zur weiteren
Begründung auf das Gutachten Kirchhof vom August 2020 (erstellt im Auftrag des
ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.) verwiesen wurde. Geltend gemacht wurde
u.a., dass mit den gesetzlichen Regelungen der §§ 218 ff BewG und insbes. der
§§ 243 ff BewG der spezifische Belastungsgrund nicht erkennbar werde, wie dies
verfassungsrechtlich zur Abgrenzung der Grundsteuer von Einkommensteuer und
Vermögenssteuer erforderlich sei; zudem sei, selbst wenn der Belastungsgrund
einer „Sollertragssteuer“ ausreichend sein sollte, sehr schwer zu
rechtfertigen, dass die Grundsteuer als Objektsteuer nicht darauf abstelle, ob
das belastete Objekt fremdfinanziert worden sei, sondern von einem
einheitlichen Sollertrag ausgehe (das Eigentumsrecht nach Art. 14 G könne tangiert
sein, da dieses sehr enge Grenzen zur Sollertragssteuer setze. Auch werde das
Rechtsstaatsprinzip verletzt, da das neue Bewertungsverfahren keinen
Rückschluss auf die spätere tatsächliche Grundsteuerhöhe zulasse und damit
spätere Steuerbelastungen nicht vorhersehbar seien (da die Hebesätze ab 2025
nicht bekannt seien). Die grundsteuerwerte würden durch die starken
Typisierungen so nivelliert, dass Wertunterschiede der Immobilien nicht mehr
realitätsgerecht abgebildet würden. Das Gebot des Realisationsprinzips und das
Gebot der Folgerichtigkeit würde verletzt, da keine Möglichkeit gegeben sei,
einen geringeren Grundsteuerwert durch Sachverständigengutachten nachzuweisen. Gleichzeitig
würden einzelne Bewertungsmethoden so vereinfachend wirken, was zu in sich
nicht folgerichtigen und inkonsistenten Belastungsunterschieden führen würde
(so wenn eine Jugendstilvilla mit einem Steinhaus aus den 1980er oder einem
Betonbau aus den 1990er Jahren verglichen würde). Die Differenzierung zwischen
Wohn- und Geschäftsgrundstücken sei willkürlich, wie die Bewertung bei gemischten
Grundstücken zeige. Auch sei das Mietniveau fehlerhaftet bewertet, insoweit
gleiches Mietniveau unabhängig davon berücksichtigt würde, welche Wohnlage
vorliegt, mögliche oder vorhandene Altlasten keine Berücksichtigung finden.
Gerügt wurden auch die starken Unterschiede der Mieten, die in der Anlage 39 zu
§ 254 BewG für Ein- und Zweifamilienhäuser und bei Mietwohngrundstücken festgesetzt
worden seien, da diese in Form und Höhe in der Praxis nicht festzustellen
seien.
Grundlage der rheinland-pfälzischen Regelung ist das sogen. Bundesmodell.
Ohne Entscheidung über den
Einspruch (da das Verfahren auf Antrag der Antragsteller nach § 363 Abs. 2 S. 1
AO ruhte) wies das Finanzamt den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück. Der
dagegen von den Beschwerdeführern eingelegte Einspruch wurde auch zurückgewiesen.
Auf den gerichtlichen Antrag der Antragsteller, die Vollziehung des Bescheides
des Finanzamtes über den Grundsteuerwert auf den 01.01.2022 unter Aufhebung der
Einspruchsentscheidung (über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung)
auszusetzen, folgte dem das Finanzgericht und sprach dies – ohne Sicherheitsleistung
durch die Antragsteller – aus.
Die amtlichen Leitsätze der Entscheidung
lauten:
1. Der Rechtsschutz gegen
Grundsteuerwertbescheide auf den 1.1.2022 wird umfassend durch die
Finanzgerichten gewährt. Der Finanzrechtsweg ist dabei für alle maßgeblichen
Rechtsfragen, auch bezüglich der Einwände gegen die bewertungsrelevanten
Bodenrichtwerte eröffnet, ohne dass es insofern einer Klage zu den
Verwaltungsgerichten bedürfte.
2. Die Bewertungsregeln der §§
218 ff. BewG sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass
Steuerpflichtige einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden
niedrigeren Grundstückswert nachweisen können.
3. Für den Nachweis eines
niedrigeren Grundstückswerts ist kein zwingendes Wertgutachten erforderlich.
4. Es bestehen bereits deshalb
ernstliche Zweifel an der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit der
rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse, weil es nach der
rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung möglich ist, dass der
Vorsitzende des Gutachterausschusses durch die Auswahl der Mitglieder nach
Anzahl und konkreter Besetzung Einfluss nehmen kann.
5. Es bestehen für die
rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse ernstliche Zweifel an der gesetzlich
geforderten Unabhängigkeit auch bezüglich des für die Bodenrichtwertermittlung
zwingend im Gutachterausschuss mitwirkenden Bediensteten der Finanzverwaltung,
weil die Finanzverwaltung dessen Tätigkeit im Bereich der Grundstücksbewertung
jederzeit beenden und damit sein automatisches Ausscheiden aus dem
Gutachterausschuss bewirken kann.
6. Es bestehen ernstliche
Zweifel an der Vollständigkeit der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte
notwendigen Datengrundlage, weil in den Kaufpreissammlungen der
Gutachterausschüsse erhebliche Datenlücken bestehen könnten. Daher sind
erhebliche Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte zu befürchten.
7. Es bestehen ernstliche
Zweifel daran, dass die neuen Bewertungsvorschriften der §§ 218 ff. BewG zu
einer aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten realitäts- und relationsgerechten
Grundstücksbewertung führen.
8. Aus den Regelungen des
GrStG sowie der §§ 218 ff. BewG ist der Belastungsgrund der Grundsteuer nach
dem Grundsteuer-Reformgesetz nicht eindeutig erkennbar.
9. Die große Zahl gesetzlicher
Typisierungen und Pauschalierungen in den §§ 243 ff. BewG und eine nahezu
vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret
bewerteten Grundstücke führt zu gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Wertverzerrungen
für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung.
10. Es bestehen ernstliche
Zweifel an der Vereinbarkeit der §§ 243 ff. BewG mit Art. 3 Abs. 1 GG, weil ein
gleichheitswidriges Vollzugsdefizit bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte
besteht. Den Gutachterausschüssen stehen nur unzureichende rechtliche Instrumente
zur effektiven Sachverhaltsermittlung sowie zur Überprüfung der Angaben von
Grundstückseigentümern zur Verfügung, die für die Ermittlung der
Bodenrichtwerte aber erforderlich wären.
Die Eilentscheidung bedeutet
nicht, dass notwendig in der Hauptsache das Finanzgericht die gleiche
Entscheidung trifft und/oder dem der Bundesfinanzhof folgt. Zudem müssen
entscheidungserhebliche Bundes- oder Landesgesetze von Fachgerichten, und damit
auch vom Finanzgericht (allerdings nicht in Eilentscheidungen wie hier über die
Aussetzung der Vollziehung, mit denen noch nicht eine Verfassungswidrigkeit
festgestellt wird, nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit derselben
angenommen wird), deren Verfassungswidrigkeit vom Fachgericht angenommen wird,
dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt werden, Art. 101 Abs. 2 GG. Dies
hat das Finanzgericht in seiner Entscheidung verdeutlicht.
Anzumerken ist, dass das
Finanzgericht Rheinland-Pfalz ebenfalls am 23.11.2023 in einem Parallelverfahren zu 4 V 1295/23 entsprechend entschied.
Das Finanzgericht (FG) sah einen
Verstoß gegen einfachgesetzliche Regelungen in dem Gesetz als auch einen
Verstoß gegen die Verfassung.
Einfachrechtliche Zweifel äußerte
das FG in Bezug auf die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen
Bodenrichtwerte im Hinblick auf deren rechtmäßiges Zustandekommen. Dabei
stützte sich das Gericht auf ernstliche Bedenken bezüglich der gesetzlich geforderten
Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse. Fa nach der
rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung Einflussmöglichkeiten nicht
ausgeschlossen werden könnten. Auch würden bedenken an der für die Ermittlung
der Bodenrichtwerte notwendigen Datengrundlage besteht, da sich in den
maßgeblichen Kaufpreissammlungen in erheblichen Umfang Lücken zu befürchten
seien, die zu erheblichen Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte
führen könnten.
Aus einer verfassungskonformen
Auslegung des Bewertungsrechts leitet das FG ab, dass im Einzelfall die
Gelegenheit gegeben werden müsse, einen Wert unter dem typisierten
Grundsteuerwert nachzuweisen. Bezogen auf die entschiedenen Streitfälle nahm
das FG wegen Besonderheiten an, dass hier jeweils ein niedrigerer Wert möglich
sei.
Verfassungsrechtlich hatte das FG
Zweifel an der gesetzlichen Bewertungsregelung im Hinblick auf den allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da nicht ersichtlich sei, was der
genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein solle und wie daher geprüft werden könne,
dass die ermittelten Bewertungsergebnisse realitionsgerecht seien; es könne nicht
geprüft werden, ob bestehende Wertunterschiede angemessen abgebildet würden.
Unabhängig davon würden aber auch Zweifel an der Geeignetheit der Regelungen
des Bewertungsgesetzes bestehen. Eine realitäts- und realitionsgerechte
Bewertung vornehmen zu können. Individuelle Umstände würden nicht berücksichtigt
und damit zu einer Wertverzerrung führen. Dies bewirke eine gleichheitswidrige
Nivellierung der Grundstücksbewertung. Ein
Defizit läge auch darin, Werte aus Aufteilung des Gesamtkaufpreises in einen
gebäude- und Bodenanteil ohne effektive Ermittlung durch die
Gutachterausschüsse ermittelt würden.
Das FG Rheinland-Pfalz wich mit seiner Entscheidung von einer Entscheidung des Sächsischen Finanzgerichts vom 24.10.2023 ab, und ließ wegen grudnsätzlicher Bedeutung und Divergenz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Beschwerde zum BFH zu.
FG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom
23.11.2023 - 4 V 1429/23 -