Freitag, 15. Dezember 2023

Ergänzungspflegschaft für minderjähriges Kind zur Abänderung des Unterhaltstitels ?

Die Beteiligten sind die nichtverheirateten Eltern des 15-jährigen N., die gemeinsam sorgeberechtigt sind. Der Vater, der sich in vollstreckbar verpflichtet hatte, 105% des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersgruppe zu zahlen, hatte inzwischen wesentliche Teile der Betreuung, die zunächst bei der Mutter lagen, übernommen (wobei streitig war, ob ein symmetrisches Wechselmodell gelebt wurde), was zu einer Herabsetzung des Unterhalts auf den Mindestunterhalt führte. Vom Vater wurde gegen die Tochter ein unterhaltsabänderungsverfahren anhängig gemacht. Nach Anhörung hat das Amtsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung eine Ergänzungspflegschaft für die Tochter zur Vertretung im Unterhaltsverfahren eingerichtet. Auf die Beschwerde der Mutter wurde dieser Beschluss vom Oberlandesgericht aufgehoben.

Vom Grundsatz gelte das gemeinsame Sorgerecht gem. § 1626 Abs: 1 Nr. 1 BGB. Allerdings sei der Vater in Ansehung des von ihm eingeleiteten Unterhaltsabänderungsverfahren gegen seine Tochter gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 2m, 181 BGB nicht mehr vertretungsberechtigt. Die Eltern seien nach § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB insoweit von der Vertretung ausgeschlossen, als ein Betreuer gem. § 1824 BGB von der Vertretung des betreuten ausgeschlossen sei. Nach § 1824 Abs. 2 BGB bliebe aber § 181 BGB unberührt. Danach könne ein Vertreter mit sich selbst im eigenen Namen kein Rechtsgeschäft vornehmen. Auch wenn im Prozessrecht § 181 BGB nicht direkt anwendbar sei, gelte doch, dass niemand in einem Prozess auf beiden Seiten Partei sein könne (BGH, Beschluss vom 11.12.1995 - II ZR 220/94 -). Dies wäre aber vorliegend der Fall, wenn der auf Abänderung des Unterhaltstitels gegen seine Tochter vorgehende Vater gleichzeitig diese zusammen mit ihrer Mutter vertreten würde.

Der dadurch bedingte Ausschluss des Vaters von der Vertretungsmacht bedinge aber nicht eine Ergänzungspflegschaft, da noch die Vertretungsmöglichkeit durch die Mutter alleine verblieben wäre. Die früher vertretene Auffassung, das bei einer gemeinsamen elterlichen Sorge und einem rechtlichem Ausschluss des Vaters von der Vertretung die Mutter nicht alleine vertreten könne und ein Ergänzungspfleger bestellt werden müsse, sei mit der Entscheidung des BGH im Beschluss vom 24.03.2021 - XII ZB 364/19 - aufgegeben worden. Die Mutter sie in diesen Fällen nur dann auch von der Vertretung ausgeschlossen, wenn in ihrer Person ein eigenes Vertretungshindernis bestünde.  Da die Eltern nicht miteinander verheiratet seien, läge ein solcher Fall nicht vor; §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1823 Abs. 1 Nr. 1, 3 BGB seien nicht anwendbar.

Auch sei es nicht veranlasst der Mutter gem. § 1629 Abs. 2 S. 3 iVm. § 1789 Abs. 2 S. 3, 4 BGB die elterliche Sorge zu entziehen, da zwischen ihrem Interesse und jenem des Kindes kein erheblicher Unterschied läge, vielmehr sogar eine vehemente Verteidigung des Unterhaltstitels durch die Mutter zu erwarten sei.

Damit käme es auf die streitige Frage nicht an, ob die Mutter nach § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB alleine vertretungsberechtigt sei, da sie die Obhut über das Kind ausübe, oder eine Alleinvertretung von Mutter (und Vater) ein symmetrisches Wechselmodell leben würden und keiner der Eltern die Obhut gem. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB ausübe.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 12.10.2023 - 12 UF 81/23 -


Aus den Gründen:

Tenor

I. Die vom Amtsgericht mit Beschluss vom 8. Juni 2023 eingerichtete Ergänzungspflegschaft wird aufgehoben. Das Verfahren wird eingestellt.

II. Gerichtskosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Eltern streiten in einem einstweiligen Anordnungsverfahren um die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft für ihre Tochter zur Abänderung eines Unterhaltstitels.

Die Beteiligten sind die nicht verheirateten Eltern der 15-jährigen Natascha. Sie sind gemeinsam sorgeberechtigt. Der Lebensmittelpunkt des Kindes lag ursprünglich unstreitig bei der Mutter. Der Vater hat sich zunächst in einer vollstreckbaren Urkunde dazu verpflichtet, an die gemeinsame Tochter einen Kindesunterhalt in Höhe von 105% des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe zu zahlen. Inzwischen hat der Vater wesentliche Teile der Betreuung übernommen. Dies führte zu einer Herabsetzung des Unterhalts auf den Mindestunterhalt. Ob die Eltern ein symmetrisches Wechselmodell leben, ist zwischen ihnen umstritten.

Der Vater hat gegen die Tochter ein Unterhaltsabänderungsverfahren rechtshängig gemacht. Das Amtsgericht hat nach einer Anhörung der Eltern mit Beschluss vom 8. Juni 2023 im Wege der einstweiligen Anordnung für die Tochter eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis Vertretung im Unterhaltsverfahren eingerichtet. Keiner der Eltern sei gemäß §§ 1629 Abs. 2 S. 2, 1824 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB vertretungsbefugt. Die Eltern führten ein symmetrisches Wechselmodell. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde. Sie ist der Auffassung, dass die Beteiligten kein symmetrisches Wechselmodell führen. Die Beteiligten haben im Beschwerdeverfahren weiter streitig zur Betreuungsaufteilung vorgetragen und dazu ausführliche Tabellen vorgelegt, aus denen sich eine Betreuung durch sie selbst, ihre Großeltern und weitere Verwandte während der Schulzeit und in der Ferienzeit ergibt.

Der Senat hat darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die Ergänzungspflegschaft aus Rechtsgründen aufzuheben. Die Eltern haben nicht Stellung genommen. Der Ergänzungspfleger hat zugestimmt.

II. Die zulässige Beschwerde der Mutter hat in der Sache Erfolg. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist die Mutter beschwerdebefugt (vgl. OLG Stuttgart, B. v. 1.3.2023 – 11 UF 214/22, juris Rn. 17, FamRZ 2023, 1204).

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für die gemeinsame Tochter liegen nicht vor. Die Mutter ist im rechtshängigen Unterhaltsverfahren für ihre Tochter allein vertretungsberechtigt. Zwar steht den Eltern das gemeinsame Sorgerecht gemäß § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB zu. Der Vater ist jedoch aufgrund der Einleitung des Unterhaltsabänderungsverfahrens gemäß §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 2, 181 BGB gegenüber seiner Tochter in diesem Verfahren nicht mehr vertretungsberechtigt. Die Vertretungsbefugnis steht allein der Mutter zu. Gemäß § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB können der Vater und die Mutter das Kind insoweit nicht vertreten, als nach § 1824 BGB ein Betreuer von der Vertretung des Betreuten ausgeschlossen ist. Gemäß § 1824 Abs. 2 bleibt § 181 BGB unberührt. Nach § 181 BGB kann ein Vertreter im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen. Zwar findet § 181 BGB auf Prozesshandlungen grundsätzlich keine direkte Anwendung. Es gilt insoweit aber der allgemein anerkannte Rechtsgedanke, dass in einem Prozess niemand auf beiden Seiten Partei sein kann (BGH, B. v. 11.12.1995 - II ZR 220/94, juris Rn. 8, NJW 1996, 658; OLG Frankfurt, B. v. 17.10.2016 – 6 UF 242/16, juris Rn. 3, NJW 2017, 336; OLG Koblenz, B. v. 3.7.2006 – 11 UF 164/06, juris Rn. 9, FamRZ 2007, 412; Staudinger/Veit (2020), § 1795 Rn. 16). Dies wäre vorliegend der Fall, da der nach dem Titel zur Unterhaltszahlung verpflichtete Vater seine Tochter, vertreten durch sich selbst und ihre Mutter, auf Herabsetzung des Titels in Anspruch nimmt. Seine Klagerhebung führt zu einem Ausschluss seiner Vertretungsmacht für seine Tochter.

Der Ausschluss des Vaters von der Vertretungsmacht hat nicht zur Folge, dass die Mutter ebenfalls nicht mehr vertretungsberechtigt ist. Früher wurde – insbesondere im Vaterschaftsanfechtungsprozess – vertreten, dass bei einer gemeinsamen elterlichen Sorge der Eltern und bei einem Ausschluss des rechtlichen Vaters von der Vertretung die elterliche Sorge nicht bei der Mutter anwächst, so dass für das im Verfahren beteiligte Kind ein Ergänzungspfleger zu bestellen war. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof inzwischen aufgegeben (BGH, B. v. 24.3.2021 – XII ZB 364/19, FamRZ 2021, 1127, juris Rn. 18). Die Mutter ist nur dann von der Vertretung ausgeschlossen, wenn in ihrer Person ein eigenes Vertretungshindernis besteht. Dies ist hier nicht der Fall, denn die Eltern sind nicht miteinander verheiratet, so dass eine Anwendung von §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 1 Nr. 1, 3 BGB ausscheidet.

Es ist auch nicht veranlasst, der Mutter gemäß § 1629 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 1789 Abs. 2 S. 3, 4 BGB die elterliche Sorge zu entziehen, da in Bezug auf die Regelung des Unterhalts kein erheblicher Gegensatz zwischen dem Interesse des Kindes und dem Interesse der Mutter besteht (vgl. OLG Frankfurt, B. v. 17.10.2016 – 6 UF 242/16, juris Rn. 3; a.A. Götz FF 2015, 146). Im Gegenteil. Es ist zu erwarten, dass die Mutter den Unterhaltstitel der Tochter mit Verve verteidigen wird.

Im Ergebnis kommt es deswegen für die Vertretungsbefugnis der Tochter im Unterhaltsabänderungsverfahren des Vaters auf die zwischen den Eltern streitige Frage nicht an, ob die Mutter – wie sie selbst meint - gemäß § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB allein vertretungsberechtigt ist, weil sie die Obhut über das Kind ausübt, oder ob eine Alleinvertretung der Mutter (und des Vaters) gemäß § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB ausscheidet, weil die Mutter und der Vater ein symmetrisches Wechselmodell leben und keiner der Eltern die Obhut gemäß § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB ausübt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 84, 81 Abs. 1 FamFG, 45 Abs. 1 Nr. 1, 41 FamGKG.

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