Sonntag, 17. Dezember 2023

Registeranmeldung durch künftigen Geschäftsführer

Die GmbH bestellte zum 01.05.2023 einen neuen gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführer. Mit danach errichteter notarieller Urkunde vom 11.04.2023 meldeten der verbleibende gesamtvertretungsberechtigte Geschäftsführer und der neue Geschäftsführer das Ausscheiden eines bisherigen gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführers und die Bestellung des neuen (ebenfalls gesamtvertretungsberechtigten) Geschäftsführers, jeweils zum 01.05.2023 an; weisungsgemäß sandte der Notar die Anmeldung erst am 04.05.3023 an das Registergericht. Dies lehnte den Antrag. Die dagegen eingelegte Beschwerde, der das Amtsgericht nicht abhalf, war erfolgreich.

Das Amtsgericht hatte darauf abgestellt, dass der neue Geschäftsführer zum Zeitpunkt der Angabe der Erklärung vor dem Notar noch nicht anmeldeberechtigt gewesen sei, da er erst zum 01.05.2023 berufen worden sei; nicht entscheidend sei der Zeitpunkt des Eingangs bei dem Registergericht. Das OLG als Beschwerdegericht nahm allerdings eine Befugnis des neuen Geschäftsführers zur Anmeldung nach § 39 GmbHG an.

Das Amtsgericht habe sich auf Rechtsprechung und Literatur zu Fällen bezogen, in denen der neue Geschäftsführer zum Zeitpunkt der Vornahme der notariell beglaubigten Anmeldung noch nicht bestellt worden sei oder erst zu einem späteren Zeitpunkt noch ein sich auf die Geschäftsführung oder Vertretung auswirkender Gesellschafterbeschluss gefasst worden sei. Ein derartiger Sachverhalt läge nicht vor. Insbesondere sei der neue Geschäftsführer nicht erst nach der Anmeldung durch einen Gesellschafterbeschluss bestellt worden; lediglich sollte die Wirksamkeit der erfolgten Bestellung zu einem späteren Zeitpunkt eintreten. Den Abforderungen einer Anmeldeberechtigung genüge aber bereits eine aufschiebend bedingte Bestellung (LG Chemnitz, Beschluss vom 05.02.2008 - 2 HTK 56/08 -).

Auch der Verweis des Registergerichts auf den Beschluss des OLG Brandenburg vom 05.06.2012 – 7 Wx 13/12 – (in dem ausgeführt wurde, dass eine zum Zeitpunkt der Anmeldung bestehende Befugnis, die nachfolgend entfällt, weiterhin zu einer Anmeldung berechtige) trage dessen Entscheidung nicht, da es hier darum nicht gegangen sei. Da die Eintragung keinen rechtsbegründenden Charakter habe, gelte der Grundsatz, dass der neu bestellte und noch nicht eingetragene Geschäftsführer ebenfalls anmeldeberechtigt sei.

Es sei daher ausreichend, dass der Notar die Anmeldung unmittelbar nach Eintritt der aufschiebend bedingten Bestellung (hier mithin kurz nach dem 01.05.2023) einreicht.

Anmerkung: Der Sachverhalt zur Gesamtvertretung der Geschäftsführer ergibt sich aus dem angefochtenen Beschluss des AG Arnsberg vom 23.05.2023 - HRB 8425 -. Wäre einer der verbliebene Geschäftsführer einzelvertretungsberechtigt gewesen, hätte sich die Frage der Vertretungsbefugnis für das Registergericht nicht gestellt. So aber stellte sich die Frage, ob der neu berufene Geschäftsführer bereits im April 2023 die Anmeldung (mit) vornehmen durfte.

OLG Hamm, Beschluss vom 15.06.2023 - 27 W 42/23 -

Freitag, 15. Dezember 2023

Ergänzungspflegschaft für minderjähriges Kind zur Abänderung des Unterhaltstitels ?

Die Beteiligten sind die nichtverheirateten Eltern des 15-jährigen N., die gemeinsam sorgeberechtigt sind. Der Vater, der sich in vollstreckbar verpflichtet hatte, 105% des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersgruppe zu zahlen, hatte inzwischen wesentliche Teile der Betreuung, die zunächst bei der Mutter lagen, übernommen (wobei streitig war, ob ein symmetrisches Wechselmodell gelebt wurde), was zu einer Herabsetzung des Unterhalts auf den Mindestunterhalt führte. Vom Vater wurde gegen die Tochter ein unterhaltsabänderungsverfahren anhängig gemacht. Nach Anhörung hat das Amtsgericht im Wege einer einstweiligen Anordnung eine Ergänzungspflegschaft für die Tochter zur Vertretung im Unterhaltsverfahren eingerichtet. Auf die Beschwerde der Mutter wurde dieser Beschluss vom Oberlandesgericht aufgehoben.

Vom Grundsatz gelte das gemeinsame Sorgerecht gem. § 1626 Abs: 1 Nr. 1 BGB. Allerdings sei der Vater in Ansehung des von ihm eingeleiteten Unterhaltsabänderungsverfahren gegen seine Tochter gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 2m, 181 BGB nicht mehr vertretungsberechtigt. Die Eltern seien nach § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB insoweit von der Vertretung ausgeschlossen, als ein Betreuer gem. § 1824 BGB von der Vertretung des betreuten ausgeschlossen sei. Nach § 1824 Abs. 2 BGB bliebe aber § 181 BGB unberührt. Danach könne ein Vertreter mit sich selbst im eigenen Namen kein Rechtsgeschäft vornehmen. Auch wenn im Prozessrecht § 181 BGB nicht direkt anwendbar sei, gelte doch, dass niemand in einem Prozess auf beiden Seiten Partei sein könne (BGH, Beschluss vom 11.12.1995 - II ZR 220/94 -). Dies wäre aber vorliegend der Fall, wenn der auf Abänderung des Unterhaltstitels gegen seine Tochter vorgehende Vater gleichzeitig diese zusammen mit ihrer Mutter vertreten würde.

Der dadurch bedingte Ausschluss des Vaters von der Vertretungsmacht bedinge aber nicht eine Ergänzungspflegschaft, da noch die Vertretungsmöglichkeit durch die Mutter alleine verblieben wäre. Die früher vertretene Auffassung, das bei einer gemeinsamen elterlichen Sorge und einem rechtlichem Ausschluss des Vaters von der Vertretung die Mutter nicht alleine vertreten könne und ein Ergänzungspfleger bestellt werden müsse, sei mit der Entscheidung des BGH im Beschluss vom 24.03.2021 - XII ZB 364/19 - aufgegeben worden. Die Mutter sie in diesen Fällen nur dann auch von der Vertretung ausgeschlossen, wenn in ihrer Person ein eigenes Vertretungshindernis bestünde.  Da die Eltern nicht miteinander verheiratet seien, läge ein solcher Fall nicht vor; §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1823 Abs. 1 Nr. 1, 3 BGB seien nicht anwendbar.

Auch sei es nicht veranlasst der Mutter gem. § 1629 Abs. 2 S. 3 iVm. § 1789 Abs. 2 S. 3, 4 BGB die elterliche Sorge zu entziehen, da zwischen ihrem Interesse und jenem des Kindes kein erheblicher Unterschied läge, vielmehr sogar eine vehemente Verteidigung des Unterhaltstitels durch die Mutter zu erwarten sei.

Damit käme es auf die streitige Frage nicht an, ob die Mutter nach § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB alleine vertretungsberechtigt sei, da sie die Obhut über das Kind ausübe, oder eine Alleinvertretung von Mutter (und Vater) ein symmetrisches Wechselmodell leben würden und keiner der Eltern die Obhut gem. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB ausübe.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 12.10.2023 - 12 UF 81/23 -

Dienstag, 12. Dezember 2023

Vollstreckung der Einreichung einer GmbH-Gesellschafterliste

Der Gläubiger wollte aus einer gerichtlichen Entscheidung vollstrecken, nach der der Schuldner (Geschäftsführer der GmbH) zur Einreichung einer Gesellschafterliste einer GmbH (§ 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG) bei dem zuständigen Handelsregister verpflichtet wurde. Er beantragtem ihn gem. § 887 Abs. 1 ZPO zu ermächtigen, eine Gesellschafterliste bei dem Handelsregister einzureichen. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde war zwar zulässig, wurde aber in der Sache zurückgewiesen (§§ 887 Abs. 1, 891 S. 1, 793 ZPO).

Die Einreichung einer Gesellschafterliste sei als nicht vertretbare Handlung nach § 888 ZPO zu vollstrecken, nicht als vertretbare Handlung gem. § 887 Abs. 1 ZPO. Es würde sich bei der Pflicht zur Einreichung der Gesellschafterliste um eine persönlich zu erfüllende Pflicht des Geschäftsführers handeln, unabhängig davon, ob er auch Gesellschafter ist.

§ 40 Abs. 1 GmbHG regelt die Pflicht zur Einreichung einer Gesellschafterliste und zugleich die Pflicht, deren Richtigkeit zu kontrollieren und ggf. zu korrigieren. Es handele sich um eine dem Geschäftsführer persönlich auferlegte Pflicht (vgl. auch § 40 Abs. 3 GmbHG; Thüringer OLG, Beschluss vom 05.07.2011 - 6 W 82/11 -). Die Einreichung der Verpflichtung sei nach § 888 ZPO (Zwangsgeld, ggf. Zwanghaft) durchzusetzen.

Aus dem vom Beschwerdeführer angeführten Urteil des BGH vom 08.11.2022 - II ZR 91/21 - ergäbe sich Anderes. Dort sei es um die Frage des Anspruchs eines Gesellschafters auf Korrektur einer unrichtigen Gesellschafterliste gegangen, und darum, ob die Klage auf Untersagung der Einreichung einer geänderten und nach Auffassung unrichtigen Gesellschafterliste gegen den Geschäftsführer unmittelbar gerichtet werden könne oder gegen die Gesellschaft gerichtet werden müsse. Der BGH bejahte in der dortigen Konstellation, dass der Geschäftsführer auch zugleich Gesellschafter sei, dass sich die Klage auch unmittelbar gegen den Gesellschaftergeschäftsführer richten könne, da diese bei Einreichung einer materiell unrichtigen Liste seine gesellschaftsrechtliche Treupflicht verletzen würde.

Dieser vom BGH entschiedene Umstand sei allerdings von der Frage zu trennen, wie ein Anspruch auf Einreichung einer Liste vollstreckt werden kann. Der BGH habe nicht die Auffassung korrigiert, dass es sich bei der aus § 40 Abs. 1 GmbHG folgenden Pflicht um eine vom Geschäftsführer persönlich zu erbringenden Pflicht handele. Dies ließ der BGH aaO. dahinstehen, da auch die Annahme der höchstpersönlichen Pflicht nichts daran ändern würde, dass es sich bei der Erfüllung um eine organschaftliche Pflicht handele und mithin bei der Erfüllung der Geschäftsführer nur als organschaftlicher Vertreter handele.

Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen, da nicht von obergerichtlicher Rechtsprechung abgewichen worden sei.

Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 16.08.2023 - 7 W 89/23 -

Freitag, 8. Dezember 2023

Grundsteuermessbetrag: Zweifel an Rechtmäßigkeit der Wertfeststellung in Rheinland-Pfalz

Die Antragsteller hatten Einspruch gegen den ihnen zugegangenen Grundsteuerwertbescheid eingelegt und stellten zugleich den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Der Einspruch erfolge aus allen in Betracht kommenden rechtlichen Gründen, wobei zur weiteren Begründung auf das Gutachten Kirchhof vom August 2020 (erstellt im Auftrag des ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.) verwiesen wurde. Geltend gemacht wurde u.a., dass mit den gesetzlichen Regelungen der §§ 218 ff BewG und insbes. der §§ 243 ff BewG der spezifische Belastungsgrund nicht erkennbar werde, wie dies verfassungsrechtlich zur Abgrenzung der Grundsteuer von Einkommensteuer und Vermögenssteuer erforderlich sei; zudem sei, selbst wenn der Belastungsgrund einer „Sollertragssteuer“ ausreichend sein sollte, sehr schwer zu rechtfertigen, dass die Grundsteuer als Objektsteuer nicht darauf abstelle, ob das belastete Objekt fremdfinanziert worden sei, sondern von einem einheitlichen Sollertrag ausgehe (das Eigentumsrecht nach Art. 14 G könne tangiert sein, da dieses sehr enge Grenzen zur Sollertragssteuer setze. Auch werde das Rechtsstaatsprinzip verletzt, da das neue Bewertungsverfahren keinen Rückschluss auf die spätere tatsächliche Grundsteuerhöhe zulasse und damit spätere Steuerbelastungen nicht vorhersehbar seien (da die Hebesätze ab 2025 nicht bekannt seien). Die grundsteuerwerte würden durch die starken Typisierungen so nivelliert, dass Wertunterschiede der Immobilien nicht mehr realitätsgerecht abgebildet würden. Das Gebot des Realisationsprinzips und das Gebot der Folgerichtigkeit würde verletzt, da keine Möglichkeit gegeben sei, einen geringeren Grundsteuerwert durch Sachverständigengutachten nachzuweisen. Gleichzeitig würden einzelne Bewertungsmethoden so vereinfachend wirken, was zu in sich nicht folgerichtigen und inkonsistenten Belastungsunterschieden führen würde (so wenn eine Jugendstilvilla mit einem Steinhaus aus den 1980er oder einem Betonbau aus den 1990er Jahren verglichen würde). Die Differenzierung zwischen Wohn- und Geschäftsgrundstücken sei willkürlich, wie die Bewertung bei gemischten Grundstücken zeige. Auch sei das Mietniveau fehlerhaftet bewertet, insoweit gleiches Mietniveau unabhängig davon berücksichtigt würde, welche Wohnlage vorliegt, mögliche oder vorhandene Altlasten keine Berücksichtigung finden. Gerügt wurden auch die starken Unterschiede der Mieten, die in der Anlage 39 zu § 254 BewG für Ein- und Zweifamilienhäuser und bei Mietwohngrundstücken festgesetzt worden seien, da diese in Form und Höhe in der Praxis nicht festzustellen seien.

Grundlage der rheinland-pfälzischen Regelung ist das sogen. Bundesmodell.

Ohne Entscheidung über den Einspruch (da das Verfahren auf Antrag der Antragsteller nach § 363 Abs. 2 S. 1 AO ruhte) wies das Finanzamt den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück. Der dagegen von den Beschwerdeführern eingelegte Einspruch wurde auch zurückgewiesen. Auf den gerichtlichen Antrag der Antragsteller, die Vollziehung des Bescheides des Finanzamtes über den Grundsteuerwert auf den 01.01.2022 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung (über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung) auszusetzen, folgte dem das Finanzgericht und sprach dies – ohne Sicherheitsleistung durch die Antragsteller – aus.

Die amtlichen Leitsätze der Entscheidung lauten:

1. Der Rechtsschutz gegen Grundsteuerwertbescheide auf den 1.1.2022 wird umfassend durch die Finanzgerichten gewährt. Der Finanzrechtsweg ist dabei für alle maßgeblichen Rechtsfragen, auch bezüglich der Einwände gegen die bewertungsrelevanten Bodenrichtwerte eröffnet, ohne dass es insofern einer Klage zu den Verwaltungsgerichten bedürfte.

2. Die Bewertungsregeln der §§ 218 ff. BewG sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Steuerpflichtige einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden niedrigeren Grundstückswert nachweisen können.

3. Für den Nachweis eines niedrigeren Grundstückswerts ist kein zwingendes Wertgutachten erforderlich.

4. Es bestehen bereits deshalb ernstliche Zweifel an der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse, weil es nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung möglich ist, dass der Vorsitzende des Gutachterausschusses durch die Auswahl der Mitglieder nach Anzahl und konkreter Besetzung Einfluss nehmen kann.

5. Es bestehen für die rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse ernstliche Zweifel an der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit auch bezüglich des für die Bodenrichtwertermittlung zwingend im Gutachterausschuss mitwirkenden Bediensteten der Finanzverwaltung, weil die Finanzverwaltung dessen Tätigkeit im Bereich der Grundstücksbewertung jederzeit beenden und damit sein automatisches Ausscheiden aus dem Gutachterausschuss bewirken kann.

6. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Vollständigkeit der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte notwendigen Datengrundlage, weil in den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse erhebliche Datenlücken bestehen könnten. Daher sind erhebliche Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte zu befürchten.

7. Es bestehen ernstliche Zweifel daran, dass die neuen Bewertungsvorschriften der §§ 218 ff. BewG zu einer aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung führen.

8. Aus den Regelungen des GrStG sowie der §§ 218 ff. BewG ist der Belastungsgrund der Grundsteuer nach dem Grundsteuer-Reformgesetz nicht eindeutig erkennbar.

9. Die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen in den §§ 243 ff. BewG und eine nahezu vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke führt zu gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Wertverzerrungen für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung.

10. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit der §§ 243 ff. BewG mit Art. 3 Abs. 1 GG, weil ein gleichheitswidriges Vollzugsdefizit bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte besteht. Den Gutachterausschüssen stehen nur unzureichende rechtliche Instrumente zur effektiven Sachverhaltsermittlung sowie zur Überprüfung der Angaben von Grundstückseigentümern zur Verfügung, die für die Ermittlung der Bodenrichtwerte aber erforderlich wären.

Die Eilentscheidung bedeutet nicht, dass notwendig in der Hauptsache das Finanzgericht die gleiche Entscheidung trifft und/oder dem der Bundesfinanzhof folgt. Zudem müssen entscheidungserhebliche Bundes- oder Landesgesetze von Fachgerichten, und damit auch vom Finanzgericht (allerdings nicht in Eilentscheidungen wie hier über die Aussetzung der Vollziehung, mit denen noch nicht eine Verfassungswidrigkeit festgestellt wird, nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit derselben angenommen wird), deren Verfassungswidrigkeit vom Fachgericht angenommen wird, dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt werden, Art. 101 Abs. 2 GG. Dies hat das Finanzgericht in seiner Entscheidung verdeutlicht.

Anzumerken ist, dass das Finanzgericht Rheinland-Pfalz ebenfalls am 23.11.2023 in einem Parallelverfahren  zu 4 V 1295/23 entsprechend entschied.

Das Finanzgericht (FG) sah einen Verstoß gegen einfachgesetzliche Regelungen in dem Gesetz als auch einen Verstoß gegen die Verfassung.

Einfachrechtliche Zweifel äußerte das FG in Bezug auf die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen Bodenrichtwerte im Hinblick auf deren rechtmäßiges Zustandekommen. Dabei stützte sich das Gericht auf ernstliche Bedenken bezüglich der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse. Fa nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung Einflussmöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden könnten. Auch würden bedenken an der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte notwendigen Datengrundlage besteht, da sich in den maßgeblichen Kaufpreissammlungen in erheblichen Umfang Lücken zu befürchten seien, die zu erheblichen Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte führen könnten.

Aus einer verfassungskonformen Auslegung des Bewertungsrechts leitet das FG ab, dass im Einzelfall die Gelegenheit gegeben werden müsse, einen Wert unter dem typisierten Grundsteuerwert nachzuweisen. Bezogen auf die entschiedenen Streitfälle nahm das FG wegen Besonderheiten an, dass hier jeweils ein niedrigerer Wert möglich sei.

Verfassungsrechtlich hatte das FG Zweifel an der gesetzlichen Bewertungsregelung im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da nicht ersichtlich sei, was der genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein solle und wie daher geprüft werden könne, dass die ermittelten Bewertungsergebnisse realitionsgerecht seien; es könne nicht geprüft werden, ob bestehende Wertunterschiede angemessen abgebildet würden. Unabhängig davon würden aber auch Zweifel an der Geeignetheit der Regelungen des Bewertungsgesetzes bestehen. Eine realitäts- und realitionsgerechte Bewertung vornehmen zu können. Individuelle Umstände würden nicht berücksichtigt und damit zu einer Wertverzerrung führen. Dies bewirke eine gleichheitswidrige Nivellierung der Grundstücksbewertung.  Ein Defizit läge auch darin, Werte aus Aufteilung des Gesamtkaufpreises in einen gebäude- und Bodenanteil ohne effektive Ermittlung durch die Gutachterausschüsse ermittelt würden.

Das FG Rheinland-Pfalz wich mit seiner Entscheidung von einer Entscheidung des Sächsischen Finanzgerichts vom 24.10.2023 ab, und ließ wegen grudnsätzlicher Bedeutung und Divergenz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Beschwerde zum BFH zu.

FG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.11.2023 - 4 V 1429/23 -

Donnerstag, 7. Dezember 2023

Wo muss das eigenhändige Testament (bei Ergänzungen) unterschrieben werden ?

Der Beschwerdeführer überließ dem Nachlassgericht mit dem Antrag, einen Erbschein auf sich als Alleinerben auszustellen, ein handschriftliches Testament der Erblasserin, in welchen nach dem Datum „Testament“ stand, dann der Name der Erblasserin, sodann der Text „Ich vermache alles was ich habe“ mit einer Auflistung von Vermögenswerten wie Sparbuch pp. und Versicherungen. Anschließend erfolgte Unterschrift der Erblasserin. Unter der Unterschrift befand sich der Text „An Herrn“ und es folgten der Name des Erblassers und seine Anschrift. Der Antrag wurde vom Nachlassgericht zurückgewiesen. Der Beschwerde half das Nachlassgericht nicht ab und legte sie dem Beschwerdegericht (Oberlandesgericht) vor. Die von OLG als zulässig bewertete Beschwerde wurde allerdings in der Sache als unbegründet zurückgewiesen. Es schloss sich dem Nachlassgericht an, demzufolge das Testament formunwirksam sei.

§ 2247 BGB gebiete, das ein eigenhändiges Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben werden müsse. Es handele sich um eine zwingende Formvorschrift, deren Verstoß zur Nichtigkeit führe (§ 125 BGB). Dies selbst dann, wenn die Urheberschaft und die Ernstlichkeit des Testaments feststehen würden.

Die Regelung des § 2247 solle eine erhöhte Sicherheit vor Verfälschungen des Erblaserwillens bieten und dazu beitragen, verantwortliches Testieren zu fördern sowie Streitigkeiten der Erbprätendenten über den Inhalt letztwilliger Verfügungen hintanzuhalten (BGH, Beschluss vom 04.091981 - Iva ZB 4/80 -).

Die Unterschrift, die zwingend erforderlich sei, müsse grundsätzlich am Schluss des Textes stehen. Sie dien der Identifikation des Erblassers und dokumentiere, dass sich der Erblasser zu dem über der Unterschrift stehenden Text bekenne, den Urkundentext räumlich abschließe und so gegen nachträgliche Ergänzungen und Zusätze sichere (BayObLG, Beschluss vom 29.07.2004 - 1Z BR 039/04 -).

Allerdings sei es unschädlich, wenn sich nach der Unterschrift, mit dem der Mindestinhalt des Testaments abgeschlossen werden müsse, nicht den Inhalt des Testaments berührende Zusätze befänden, wie Orts- und Datumsangabe. Unerheblich sei auch, ob die Unterschrift zeitlich vor oder nach der Niederlegung angebracht wurde, da es für die Formgültigkeit nur darauf ankäme, dass im Todeszeitpunkt eine die gesamte Erklärung deckende Unterschrift vorhanden sei.

Sollen Ergänzungen oder Änderungen auf demselben Bogen oder Blatt aufgenommen werden, auf dem das Testament niedergeschrieben ist, die aber räumlich nicht mehr von der bereits vorhandenen Unterschrift gedeckt sind, müssten diese zusätzlich unterschrieben werden. Nur dann, wenn die Auslegung des Testamentsergäbe, dass die Ergänzungen oder Änderungen von der vorhandenen Unterschrift gedeckt würden, bedürfe es keiner Unterschrift unter die Ergänzungen oder Änderungen. Das sei anzunehmen, wenn das Testament ohne die Ergänzungen lückenhaft, unvollständig oder nicht durchführbar wäre und der wirkliche Wille des Erblassers nur aus beiden niedergeschriebenen Erklärungen ersichtlich würde.  Dabei könnten zur Feststellung, soweit Anhaltspunkte dafür aus der niedergeschriebenen und unterzeichneten Erklärung vorhanden seien, auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 20.03.1974 - IV ZR 133/73 -). Das wurde für die Zuteilung von Beträgen an Kinder angenommen, die nach der Unterschrift vorgenommen wurde, wobei vor der Unterschrift lediglich bestimmt worden sei, dass die Eltern „das geerbte Geld“ von den Kindern verwalten sollten (BayObLG, Beschluss vom 29.07.2004 - 1Z BR 039/04/04 -). Auch wurde dies bejaht in dem Fall, in dem auf einer (unterschriebenen) Seite ein „x“ mit dem Kürzel „b.w.“ verwandt wurde und auf der nicht unterschriebenen Rückseite verwiesen wurde, die mit „a a“ gekennzeichnet gewesen sei und mit der Bezifferung „2 a)“ an die Vorziffer (2) anschloss, mit der inhaltlich die auf der Seite „x“ bereits bestimmte Testamentsvollstreckung als Dauertestamentsvollstreckung für einen Erbteil konkretisiert worden sei (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.01.2021 - I-3 Wx 194/20 -).

Es könnten allerdings diese allgemeinen Grundsätze nicht auf eine Verfügung Anwendung finden, wenn sie ihrem Wesen und Inhalt nach dem Charakter und die Bedeutung einer eigenständigen ersten letztwilligen Verfügung habe (BayObLG, Beschluss vom 14.11.1974 - BReg 1 Z 73/74 -).

Zutreffend wird in diesem Zusammenhang vom OLG sodann darauf hingewiesen, dass das Testament vor der Unterschrift vorliegend lückenhaft gewesen sei, da nicht ausgeführt wurde, an wen „alles vermacht“ wird.  Damir handele es sich bei dem Text oberhalb der Unterschrift nicht um eine unvollständige Verfügung, sondern es läge gar keine Verfügung vor. Der Textzeile unter der Unterschrift „An Herrn ….“ komme im Zusammenhang mit dem Textteil oberhalb der Unterschrift einer erstmaligen Verfügung gleich, die einer eigenständigen Unterschrift bedürfe.

Die vom OLG als „Blanko-Erklärung“ angenommene Erklärung der Erblasserin im oberen, unterschriebenen Textteil gäbe nur wieder, was die Erblasserin alles vermachen wolle, während sie die Kernaussage, an wen alles vermacht werden solle, erst unter der Unterschrift aufgenommen worden sei. Die ratio der Formvorschrift, nämlich die Erblasserin zu veranlassen, sich selbst darüber klar zu werden, welchen Inhalt ihre letztwillige Verfügung haben soll, sei gerade nicht erfüllt worden. Es sei nicht ersichtlich, dass sich die Erblasserin bei dem Niederschreiben und Unterschreibens des ersten Textteils ihrer Verfügung über die Person, der sie alles vermachen wolle, Klarheit verschafft hätte. Auch der weitere Sinn der Unterschrift, Vorüberlegungen und Entwürfe von letztwilligen Verfügungen abgrenzen zu können, sei durch das „Blanko“ gerade nicht erfüllt worden.

Zudem habe die Erblasserin nach den Darlegungen des Beschwerdeführers einen Ratgeber zur Errichtung von Testamenten auf ihrem Wohnzimmertisch gehabt, aus dem sich das Erfordernis einer „Unterschrift mit vollen Namen“ ergäbe. Dies lasse darauf schließen, dass sich die Erblasserin sehr wohl bewusst gewesen wäre, dass die Wirksamkeit des Testaments von einer Unterschrift abhängig sei und sie hätte den zweiten Textteil auch unterschreiben können.

Die Aufbewahrung in einem Umschlag mit der Aufschrift „Testament“ reiche nicht aus, die Formwirksamkeit zu begründen. Dies stelle nur eine Inhaltsangabe dar. Hier hätte die Erblasserin zusätzlich ihre Unterschrift auf dem Umschlag anbringen können (was aber zur Wahrung der Formwirksamkeit umstritten sei).

Anmerkung: Die Entscheidung ist zutreffend. Allerdings hätte auch bei der Annahme einer Lückenhaftigkeit des unterschriebenen Teils hier der Ergänzung im nicht unterschriebene  Teil keine Bedeutung beigemessen werden können, da sich aus dem unterschriebenen Teil nicht ergab, dass gerade der Beschwerdeführer diejenige Person sein soll, der alles vermacht werden soll und die dann nur noch ergänzend, quasi zur Klarstellung, unten aufgenommen wird. Denn es kamen nach dem Sachverhalt mehrere Personen als (testamentarische) Erben in Betracht.

Zur Sicherheit sollten alle eigenhändigen Testamente, die einen wie auch immer gearteten Zusatz unter der Unterschrift enthalten, nach der Ergänzung noch einmal am Schluss der Ergänzung unterschrieben werden.

OLG München, Beschluss vom 25.08.2023 - 33 Wx 119/23 e -

Mittwoch, 6. Dezember 2023

Kellerfeuchte als Mangel der Kaufsache (?)

Die Beklagten erbten das streitbefangene Hausgrundstück (errichtet 1954) im März 2019 von ihrer Mutter (die zuletzt dort wohnte) und verkauften es mit notariellen Vertrag am 28.11.2019, nach zwei vorangegangenen Besichtigungen durch die Kläger, an die Kläger. Die Übergabe erfolgte am 21.12.2019. In der Folge rügten die Kläger Durchfeuchtungserscheinungen an den Kelleraußenwendungen und erhoben Schadensersatzklage. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Kläger wies das OLG in seinem Beschluss nach § 522 ZPO darauf hin, dass der Senat die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückweisen wolle.

Während das Landgericht seien Entscheidung auf einen vertraglich vereinbarten Haftungsausschluss stützte und eine Ausnahme nach § 444 BGB wegen arglistigen Verschweigens eines Mangels negierte, sah das OLG die Begründetheit der Klage bereits wegen Fehlens eines Mangels nicht, § 434 Abs. 1 BGB a.F./§434 Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F. Habe ein Haus die vereinbarte Beschaffenheit, sei es sachmängelfrei. Bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung läge eine Sachmängelfreiheit vor, wenn sich die Sache für den nach Vertrag vorausgesetzten Gebrauch eigne, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB a.F./§ 434 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F. oder sich für die gewöhnliche Verwendung eigne und eine Beschaffenheit aufweise, die bei Sachen der gleichen Art üblich seien und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten dürfe (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB a.F./§ 434 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F.). Vorliegend sei eine bestimmte Beschaffenheit zum Keller des Hauses nicht vereinbart worden und ein bestimmter Verwendungszweck (z.B. zum Wohnen) nicht nach dem Vertrag vorausgesetzt worden. Der Keller eigne sich gemessen an dem Baujahr 1954 zur gewöhnlichen Verwendung (als Abstell- und Lagerraum) und weise eine Beschaffenheit auf, die bei Häusern aus den 50er Jahren üblich sei und die die Kläger daher erwarten konnten.  Diesbezüglich verwies das OLG auf das einschlägige Urteil des BGH vom 19.01.2018 – V ZR 256/16 -, in dem dieser feststellte, dass trotz festgestellter Feuchtigkeit im Keller das Haus eine Beschaffenheit aufweise, die bei Sachen gleicher Art üblich sei und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann; der Keller sei nicht zu Wohnzwecken und zu einer Zeit (50er Jahre) errichtet worden, als Kellerabdichtungen noch nicht zum Stand der Technik gehört hätten. Dies träfe hier auch zu; der Sachverständige habe noch einen Schwarzanstrich von nicht messbarer Stärke feststellen können, der allerdings nur eine durchschnittliche Lebenserwartung von 30 bis 40 Jahren habe und danach sei regelmäßig von einer Durchfeuchtung auszugehen.  

Damit kam es für die Entscheidung nicht darauf an, ob die Klage (auch) aus den Gründen des Landgerichts unbegründet war, da es nicht entscheidungserheblich war, ob die Beklagten etwas von den Feuchtigkeitsmängeln wusste und/oder Änderungen vorgenommen hatten um einen Mangel zu verdecken. Das OLG führte aber auch ergänzend aus, dass auch aus den dortigen Gründen das klageabweisende Urteil gerechtfertigt sei. Man könne nach dem landgerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten nicht davon ausgehen, dass die Beklagten die Feuchtigkeitsproblematik arglistig verschwiegen habe. Die Beklagten hätten seit ihrer Kindheit nicht mehr in dem Haus gelebt, dieses im März 2019 geerbt und bereits im November 2019 verkauft. Nach dem Gutachten könne keine Kenntnis der Beklagten bewiesen werden, auch nicht, dass die Beklagten Feuchtigkeitsprobleme jedenfalls für möglich hielten, wobei die Kläger selbst angegeben hätten, bei ihren Besichtigungen seien die Kellerwände unauffällig gewesen.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom 22.02.2023 - 7 U 199/22 -

Montag, 4. Dezember 2023

Links blinkender Traktor begründet eine unklare Verkehrslage

Im Bereich einer Hofeinfahrt in T. war es zu einer Kollision zwischen einem Motorroller des Klägers und dem Traktorgespann des Beklagten zu 2 gekommen. Kläger und Beklagter befuhren die Straße in Fahrtrichtung H., der Beklagte vorne. Als der Kläger das Traktorgespann überholte und der Beklagte nach links in die Hofeinfahrt abbog, kam es zur schadensursächlichen Kollision auf der Gegenfahrbahn, indem der Kläger mit einem Motorroller gegen das linke Vorderrad des Traktors stieß.

Das Landgericht nahm vom Grundsatz eine Haftungsquote von 50% aus §§ 7 Abs. 1m 17 Abs 1 und 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StVG, im Hinblick auf die Beklagte zu 1, den Pflichtversicherer, iVm. § 115 Abs. 1 Nr. 1 StVG, an. In seinem Hinweisbeschluss wiess das OLG den Beklagten Kläger, der gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, darauf hin, dass es die Zurückweisung der Berufung wegen offensichtlicher Unbegründetheit erwäge (§ 522 ZPO).

Zutreffend habe das Landgericht zunächst den gegen den Beklagten zu 2 als Linksabbieger sprechenden Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht aus § 9 Abs. 1 S. 4 StVO angewandt und sodann die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft (Anhörung des Klägers, des Beklagten zu 2 sowie dessen Vernehmung als Partei nach § 448 ZPO und die Vernehmung eines Zeugen). Soweit sich die Angriffe des Klägers gegen die Annahme des Landgerichts richteten, bei dem Traktorgespann sei der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt gewesen, bezog sich dieser auf Lichtbilder, die den Fahrtrichtungsanzeiger nicht im aufleuchtenden Zustand zeigen. Das aber ließ das OLG nicht gelten, da nicht auszuschließen sei, dass just im Moment der Aufnahme die Lichter nicht aufleuchteten, da diese nur zeitweilig (also im Wiederholungstakt) aufleuchten würden, zudem die Aufnahmen kurz nach dem Unfall gefertigt worden seien und hinsichtlich ihrer Aussagekraft von daher nur eine eingeschränkte Aussagekraft hätten. Insgesamt, so das OLG, sei die Würdigung des Landgerichts der Aussage des Beklagten zu 2 als glaubhaft du glaubwürdig nicht zu beanstanden, wobei der Zeuge angegeben habe, den Unfall nicht gesehen zu haben. Ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten sei nicht einzuholen, da dieser keine Feststellungen dazu treffen könne, ob der Fahrtrichtungsanzeiger eingeschaltet gewesen sei Anmerkung: Wird bei dem Unfall die Lichtzeichenanlage mit der Birne beschädigt, sollte dies begutachtet werden, da sich feststellen lässt, ob sie im Zeitpunkt der Schädigung eingeschaltet war).

Ausgehend von der Einschaltung des linken Fahrtrichtungsanzeigers habe das Landgericht zutreffend für den Kläger eine unklare Verkehrslage nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO angenommen. Blinke ein Traktor nach links, müsse stets damit gerechnet werden, dass dieser kurzfristig abbiegt, auch ohne sich ggf. nach links auf der Fahrtrichtungsbahn einzuordnen (was häufig auch infolge der Breite des Fahrzeugs nicht möglich sei). Damit hätte der Kläger auch damit rechnen müssen, dass der Traktorgespann nach links in eine schwer erkennbare Hof- oder Feldeinfahrt einbiegen will; der Kläger hatte behauptet, eine Hofeinfahrt nicht gesehen zu haben (Anmerkung: Zu beachten ist, dass ein Traktor auch direkt von der Straße auf ein Feld einbiegen kann und darf). Diese Verkehrslage habe dazu geführt, dass ein Überholen des Klägers unzulässig gewesen sei.

Die Bewertung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG durch das Landgericht mit der Quote von 50 : 50 sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen sei nach § 17 Abs. 1 StVG, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei, mithin eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des Unfallhergangs erforderlich sei (BGH, Urteil vom 28.02.2012 - VI ZR 10/11 -). Unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugenausgehenden Betriebsgefahr dürften nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände berücksichtigt werden; nur vermutete Tatbeiträge sowie die bloße Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage hätten außer Betracht zu bleiben (BGH, Urteil vom 21.11.2006 - VI ZR 115/05 -). Alle berücksichtigten Tatbeiträge müssten sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliege demjenigen, der sich auf einen n die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkt berufe (BGH, Urteil vom 13.02.1996 - VI ZR 126/95 -).

Dem habe die Abwägung durch das Landgericht entsprochen. Zu berücksichtigen seien hier der Verstoß des Beklagten zu2 gegen § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 StVO (Pflichten beim Abbiegen, insbes. die Pflicht, andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden) auf der einen Seite, und auf der anderen Seite das Verschulden des Klägers durch Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO (Überholen bei unklarer Verkehrslage) sowie die unterschiedlichen Betriebsgefahren der Fahrzeuge. Da führe zu einer im Ergebnis gleich hohen Gewichtung.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom  26.07.2023 - 7 U 42/23 -