Donnerstag, 2. Dezember 2021

Grenzen der Vollstreckung mit elektronisch übermittelten Vollstreckungsbescheiden

Der Gläubiger hatte gegen die Schuldnerin einen Vollstreckungsbescheid erwirkt. Auf dem elektronischen Weg erteilte er bei Amtsgericht einen Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher, bei dem er zugleich die Abnahme der Vermögenauskunft bei der Schuldnerin und, falls die Schuldnerin dem Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft unentschuldigt fernbleiben würde, den Erlass eines Haftbefehls gegen sie beantragt. Dem Antrag lag der Vollstreckungsbescheid als elektronische Dokument bei und es wurde versichert, dass das Original des Titels nebst Zustellungsbescheinigung vorläge und die Forderung gemäß dem Vollstreckungsauftrag noch bestünde.  Die Schuldnerin erschein zum Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft unentschuldigt nicht. Das Amtsgericht forderte nunmehr vom Gläubiger das Original des Vollstreckungsbescheides zur Prüfung des Erlasses des beantragten Haftbefehls an. Da dem der Gläubiger nicht nachkam, wies es den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurück. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers wurde zurückgewiesen. Im Verlauf des (vom Beschwerdegericht zugelassenen) Rechtsbeschwerdeverfahrens beglich die Schuldnerin die Forderung und die Hauptsache wurde für erledigt erklärt. Der BGH sah in der Sache die Rechtsbeschwerde nicht als erfolgversprechend an und erlegte dem Gläubiger die Kosten des Verfahrens auf.

Der BGH verwies darauf, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 802g Abs. 1 S. 1 ZP= oder § 802c ZPO zur Erzwingung der Abgabe des Vermögensverzeichnisses ein Haftbefehl erlassen werden könne. Das Vollstreckungsgericht habe dann zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen. Zum Nachweis könne das Vollstreckungsgericht die Vorlage der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels verlangen. Es müsse sich nicht, anders als der Gerichtsvollzieher bei der Abnahme der Vermögensauskunft, nicht mit der Vorlage einer Abschrift des Vollstreckungsbescheides als elektronisches Dokument begnügen. Die Regelung des § 754a ZPO zum elektronischen Vollstreckungsauftrag sei nicht auf das richterliche verfahren zum Erlass eines Haftbefehls anwendbar. Auch der Umstand, dass der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls bereits mit dem elektronisch möglichen Vollstreckungsauftrag möglich sei, beute nicht, dass deshalb § 754a ZPO hier auch anwendbar sei. Der Gesetzgeber habe mit § 754a ZPO eine Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens für geringwertige Forderungen (titulierter Anspruch von max. € 5.000,00 einschl. Nebenforderungen und Kosten) beabsichtigt, keine weiteren – außer dem elektronisch vorgelegten Vollstreckungsbescheid - Urkunden vorgelegt werden müssten. Demgegenüber handele es sich bei einem Haftbefehl, der vollzogen wird, um einen einschneidenden Grundrechtseingriff durch die freiheitsentziehende Maßnahme.

§ 754a Abs. 1 ZPO richte sich ausschließlich an den Gerichtsvollzieher im Hinblick auf dessen Vollstreckungsauftrag, nicht auch an das Vollstreckungsgericht gerichtete Anträge. Das folge bereits aus dem Wortlaut des § 754a Abs. 2 ZPO, der als Vollstreckungsorgan den Gerichtsvollzieher benennt. Ferner spreche die systematische Stellung des § 754a ZPO für dessen Unanwendbarkeit für das Vollstreckungsgericht. Es sei eine Reglung am Ende der Reglungen zur Zuständigkeit von Gerichtsvollziehern. Ferner enthalte § 829a ZPO eine ähnliche Regelung wie § 754a ZPO, allerdings in Bezug auf die elektronische Übermittlung des Vollstreckungsbescheides an das Vollstreckungsgericht zur Erwirkung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§§ 829, 835 ZPO). Für den Haftbefehl nach § 802g Abs. 1 ZPO fehle eine solche Regelung.

Sinn und Zweck würden hier auch keine erweiternde Auslegung des § 754a ZPO gebieten. In diesem Zusammenhang wies der BGH auf der - trotz Schutzmechanismen wie in § 754a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 ZPO - bestehenden Missbrauchsgefahr hin, weshalb der Gesetzgeber das elektronische Auftragsverfahren auf bestimmte Fälle beschränkt habe.

BGH, Beschluss vom 24.09.2021 - 16 W 28/21 -

Dienstag, 30. November 2021

Haustiere als berücksichtigungsfähiger Haushaltsführungsschaden

Nach einem Unfall besteht häufig Streit über den Schaden des Geschädigten. Neben reinen Sachschäden (so am Fahrzeug) und Schmerzensgeld wegen Verletzungen ist an entgangenen Verdienst/Gewinn aber auch an einen Haushaltsführungsschaden zu denken. Ein solcher Streit liegt der Entscheidung des OLG Koblenz vom 01.03.2021 zu Grunde, bei dem ein Schwerpunkt der Haushaltsführungsschaden unter besonderer Berücksichtigung von Tieren im Haushalt des Geschädigten ist.

Das Landgericht hatte sich auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten gestützt, welches von einer Minder der Haushaltsführungstätigkeit zu verschiedenen Prozentsätzen ab dem Unfall bis zur Ausheilung der unfallbedingten Verletzungen ausging. Die Höhe des Haushaltsschadens, so das OLG, würde sich aus den von der Klägerin darzulegenden und zu beweisenden Umständen ergeben, nämlich die eigenen Lebens- und Wohnverhältnisse (Größe des Hauses/der Wohnung, Anzahl der zu versorgenden Personen, eine evtl. Berufstätigkeit), Umfang der Haushaltstätigkeit vor dem Unfall (was wurde täglich erledigt, was nur wöchentlich oder monatlich. Dem sei der Umfang der noch möglichen Haushaltstätigkeit gegenüberzustellen.

Den vom OLG als „Sonderfall“ eingestuften Umstand, dass auch Haustiere der Klägerin bzw. deren Familie zu versorgen seien, wollte der Senat nicht grundsätzlich die Berücksichtigungsfähigkeit im Rahmen eines Haushaltsführungsschadens versagen. Dabei seien aber Besonderheiten zu berücksichtigen:

Nach Angaben der Klägerin habe diese den Hund vor dem Unfall 90 Minuten/Tag ausgeführt, nach dem Unfall nur 75 Minuten. Hier negierte das OLG einen ersatzfähigen Schaden. Es sei weder dargelegt worden, weshalb es der Klägerin nicht möglich gewesen sei, noch weitere 15 Minuten/Tag mit dem Hund zu gehen, wie auch nicht, weshalb durch die fehlenden 15 Minuten der Hund einen Schaden erleiden sollte. Zudem habe ein Zeuge bekundet, dass er den Hund ebenfalls abends, teilweise nachts ausführe, weshalb eine Kompensation vorläge und einen Ersatzanspruch ausschließe.

Anmerkung:

Sollte der Hund dadurch einen Schaden erleiden, würde es sich nicht um einen Haushaltsführungsschaden handeln, sondern um einen Folgeschaden in Form eines Sachschadens aus dem dem Vorgang zugrunde liegenden Verkehrsunfall; allerdings läge bei einem dadurch bedingten Schaden beim Hund wohl ein Mitverschulden der Klägerin vor, da sie für eine Kompensation (z.B. durch Beauftragung eines Dritten, ggf. gegen Entgelt, diesen hätte abwenden können.

Ein Haushaltsführungsschaden läge allerdings vor, wenn die Klägerin nachweislich nicht 90 Minuten den Hund hätte ausführen könnte, dies aber notwendig wäre, und wenn nun ein Dritter, wenn es auch ein Familienmitglied der Klägerin war, die zeitliche Differenz übernimmt; in diesem Fall wäre der geldwerte Vorteil des Ausführend des Dritten zu bewerten (üblicher Stundensatz) und als Haushaltsführungsschaden zu behandeln. Der Umstand einer Kompensation, wie sie hier nach Ansicht des OLG vorlag, würde mithin nicht den Haushaltsführungsschaden hindern können, da dieser gerade auch dann gilt, wenn Dritte die Tätigkeiten übernehmen, die von dem Geschädigten bisher wahrgenommen wurden. Allenfalls wäre zu prüfen, ob eine Kompensation dadurch erfolgen könnte, dass der Dritte, der die Aufgabe übernimmt, bisher im Haushalt eine andere Tätigkeit ausführte, die dem Geschädigten auf Grund seiner Verletzung noch möglich wäre, so dass durch zumutbare Umorganisation ein Schaden entfällt.

Alleine mit der Begründung einer Kompensation dadurch, dass ein Dritter den Hund (ergänzend) ausführt, kann mithin entgegen der Annahme des OLG der Haushaltsführungsschaden nicht negiert werden. Gleichwohl ist vorliegend die Verneinung eines solchen zutreffend, da die Klägerin nicht dargelegt haben soll, warum sie den Hund nur 75 Minuten und nicht 90 Minuten habe ausführen können, unabhängig davon, dass auch nach den Entscheidungsgründen nicht ersichtlich wäre, weshalb der Hund 90 Minuten hätte ausgeführt werden müssen und nicht (jedenfalls übergangsweise) 75 Minuten ausreichend sein sollen.  

Weiterhin hatte die Klägerin Fische und Hasen gezüchtet und versorgt. Hierbei würde es sich nach Ansicht des OLG um eine reine Liebhaberei der Klägerin bzw. deren Familie handeln. Eine solche führe nicht zu einer Ersatzfähigkeit im Rahmen eines Haushaltsführungsschadens; dieser Umstand sei lediglich im Rahmen des Schmerzensgeldes berücksichtigungsfähig. Zudem sei dem Senat nicht ersichtlich, weshalb nicht der Ehemann oder die im Haushalt lebende Tochter die Hasen und Fische hätte versorgen können.

Anmerkung: Sollte die Klägerin nach der Organisation des Haushalts die Fische und Hasen versorgt haben und unfallbedingt dazu nicht in der Lage gewesen sein (was sie darlegen und beweisen müsste), so würde auch hier bei einer Übernahme durch ein Familienmitglied bzw. einem sonstigen Dritten ein Haushaltsführungsschaden bestehen, der ersatzfähig ist. Es lässt sich aus den Entscheidungsgründen nicht entnehmen, was während des verletzungsbedingten Ausfalls der Klägerin mit den Hasen und Fischen erfolgte; sollten sie weggegeben worden sein oder sogar eingegangen sein ? In diesem Fall läge wohl wieder ein Mitverschulden vor, da eine Ersatzmöglichkeit hätte beschafft werden können (evtl. zeitweise Unterbringung in einem Tierheim oder einer Tierhandlung gegen Entgelt, welches vom Schädiger zu ersetzen wäre, wenn nicht Familienmitglieder einspringen können, deren Tätigkeit auch einen ersatzfähigen Schaden darstellen würden, oder eine Umorganisation möglich sein, die einen Ersatzanspruch ausschließen würde). Nach den Leitsätzen der Entscheidung musste die Klägerin die Zucht aufgeben; dies bedinge eine Berücksichtigung im Rahmen des Schmerzensgeldes.

Die Begründung des Senats zur Versagung der Ersatzfähigkeit ist nicht überzeugend und widerspricht vom Ansatz der Ersatzfähigkeit eines Haushaltsführungsschadens, da es nicht darauf ankommt, ob Tiere aus Liebhaberei gehalten werden. Auch ein im Haushalt lebender Hund wird regelmäßig aus Liebhaberei gehalten. Eine Berücksichtigung im Rahmen des Schmerzensgeldes scheidet grundsätzlich aus. Soweit es mithin um die Versorgung derselben ging, läge ein ersatzfähiger Schaden vor, wenn sich die Klägerin verletzungsbedingt um diese nicht kümmern konnte und ein Dritter dies übernehmen muss, auch dann, wenn es ein im Haushalt lebendes Familienmitglied ist, wenn nicht durch Umorganisation  der Haushaltsführung die Klägerin eine andere Tätigkeit übernehmen könnte. Die Berücksichtigung der entfallenden Zucht aus Liebhaberei im Rahmen des Schmerzensgeldes ist nachvollziehbar.

Die Klägerin hatte zudem ein Pferd. Dieses befand sich nach ihren Angaben in einem Pensionsstall in „Vollpension“ (d.h., die Box wurde vom Betreiber des Pferdehofes gereinigt, mit Heu / Einstreu versorgt, wie auch für Wasser und Futter gesorgt und regelmäßig auch für Auslauf). Darauf basierend negierte der Senat einen Ersatzanspruch der Klägerin für einen Haushaltsführungsschaden.

Anmerkung: Dieser Ansicht des Senats ist zu folgen. Der Haushaltsführungsschaden soll vermehrte Bedürfnisse finanziell abdecken. Wenn sich aber die Klägerin um das Pferd nicht kümmern musste, da es in Vollpension stand, gab es keine Verpflichtungen der Klägerin für das Pferd und konnten auch Aufwendungen dafür (sei es auch fiktiv dadurch, dass andere Personen des Reitstalls nun für die Klägerin tätig wurden) entstehen.

Zutreffend wies der Senat darauf hin, dass gegebenenfalls die Aufwendungen der Klägerin für die Unterstellung des Pferdes einen ersatzfähigen Schaden nach § 249 BGB darstellen könnten. Dies wäre dann der Fall, wenn das Pferd z.B. von der Klägerin gehalten wurde, da sie es ritt. Konnte sie verletzungsbedingt das Pferd nicht nutzen, hatte sie Aufwendungen für das Pferd (durch das an den Reitstell zu zahlende Entgelt, welches sie hier als Schadensposition hätte geltend machen können. Dies wurde aber von der Klägerin nicht geltend gemacht; dazu hätte sie die Kosten darlegen und im Bestreitensfall nachweisen müssen.

Das OLG hatte sich im Übrigen zum weiteren Haushaltsführungsschaden der Ansicht des Landgerichts angeschlosssen, dass die Klägerin täglich vier Stunden im Haushalt tätig war und den für die Entschädigung zugrunde liegenden Stundensatz mit dem im fraglichen Zeitraum mit € 8,50 geltenden Mindestlohnsatz angenommen. Gemäß der prozentualen Höhe des Ausfalls der Klägerin bei den Haushaltsarbeiten hatte es den Entschädigungsbetrag dann für die entsprechende Zeitspanne berechnet.

OLG Koblenz, Urteil vom 01.03.2021 - 12 U 1297/20 -

Samstag, 27. November 2021

BVerfG: Einstweilige Versagung des Prozessfortgangs vor Berufungsgericht (§ 32 BVerfGG)

Der Beschwerdeführer hatte sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt, da ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) vom Berufungsgericht zurückgewiesen wurde. Er sah sich daher der Gefahr ausgesetzt, im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertreten zu sein. Hier besteht allerdings Anwaltszwang, so dass es ihm nicht möglich wäre, sich zur Sache einzulassen oder Anträge zu stellen. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte mit der Begründung, die Bedürftigkeit sei von dem Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt worden.

Mit seiner Entscheidung erklärte das BVerfG der Beschwerdeführerin gesetzte Fristen für wirkungslos und untersage eine Terminierung vor einer Entscheidung des BVerfG, längstens für sechs Monate, § 32 Abs. 1, Abs. 2 BVerfGG. Dieser einschneidende Eingriff in ein laufendes zivilrechtliches Verfahren wurde vom BVerfG damit begründet, dass vorbehaltlich einer weitergehenden Prüfung davon ausgegangen werde, dass die Versagung der Prozesskostenhilfe nicht offensichtlich gerechtfertigt sei.

Die vorläufige Regelung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG könne erfolgen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sei, wobei wegen der weittragenden Folgen ein strenger Maßstab anzulegen sei.

Die einstweilige Anordnung diene dazu, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. Von daher würden Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen würden, grundsätzlich außer Betracht bleien müssen, es sei denn, das Begehren des Beschwerdeführers erweise sich von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Lägen derartige Versagungsgründe nicht vor, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, welche Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung entstünden und welche bei Versagung derselben entstünden.

Die Verfassungsbeschwerde sei hier nicht von vornherein unbegründet; vielmehr sei es möglich, dass das Berufungsgericht bei der Versagung der PKH für die zweite Instanz den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Ar. 3 Abs. 3 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzte. Es seien möglicherweise vom Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt worden. Dafür spreche, dass dem seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer sowohl in erster Instanz als auch bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH PKH bewilligt worden sei und dortige Rückfragen offensichtlich befriedigend waren.

Die Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG würde hier zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Die Folgen fehlender anwaltlicher Vertretung im Berufungsrechtszug würden schwer wiegen als der Umstand, dass sich später herausstelle, das dass durch eine einstweilige Untersagung unterbrochene Verfahren ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im ersten Fall hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit, der ggf. rechts- und verfassungswidrig unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision (so evtl. wegen fehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder fehlerhaft angenommener schuldhafter Säumnis) zu korrigieren. Eine verlässliche Beurteilung sei hier nicht möglich, da die erforderliche Prognose des weiteren Prozessverlaufs vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten und des Entscheidungsausgangs abhänge, insbesondere nach der auch in der Hauptsache zuvor erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den BGH. Ein Rechtsmittelverlust des Beschwerdeführers infolge der Ablehnung von PKH und der damit verbundenen Versagung der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten sei daher nicht ausgeschlossen. Demgegenüber könne das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsgemäß erweisen, lediglich zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.

BVerfG, Beschluss vom 03.09.2021 - 2 BvR 1514/21 -

Donnerstag, 25. November 2021

Anschlussberufung birgt Kostenrisiko bei Zurückweisung der Hauptberufung nach § 522 ZPO

1. Eine Anschlussberufung liegt vor, wenn eine Partei gegen ein der Klage teilweise stattgebendes Urteil das Rechtmittel der Berufung zur nächsthöheren Instanz einlegt und die andere Partei nachfolgend ebenfalls. Anschluss Berufung wird qua Definition von demjenigen eingelegt, der das Rechtsmittel als Zweiter einlegt. Für die Rechtsfolgen ist entscheidend, ob es sich um eine selbständige oder eine unselbständige Anschlussberufung handelt.

Handelt es sich um eine selbständige Anschlussberufung, so gelten für diese die üblichen Normen der ZPO für Berufungen und zwischen dem Berufungskläger und dem Anschlussberufungskläger besteht keinerlei Unterschied in der Behandlung der jeweiligen Berufung. Eine selbständige Berufung liegt vor, wenn die Anschlussberufung als solche qua Zulassung oder Streitwert zulässig ist und innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils durch einen an einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt wird. Um eine unselbständige Anschlussberufung handelt es sich in dem Fall, dass die Berufung erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegt wird, eine Berufung der anderen Partei bereits vorliegt (die allerdings für die Zulässigkeit der Anschlussberufung auch zulässig sein muss, also rechtzeitig erhoben sein muss und ansonsten zulässig sein müsste) oder aber zwar evtl. auch innerhalb der eigenen Berufungsfrist eingelegt wird, aber im Hinblick auf den Streitwert und mangels Zulassung ansonsten nicht zulässig wäre.

Die unselbständige Anschlussberufung wird zwar wie eine normale Berufung behandelt, ist aber letztlich ist abhängig von der Berufung (Hauptberufung) der anderen Partei. Nimmt die andere Partei ihre Berufung (noch zulässig) zurück oder weist das Berufungsgericht die Berufung der anderen Partei wegen offensichtlicher Unbegründetheit nach § 522 ZPO per Beschluss (nicht durch Urteil; im Falle eines Urteils wäre auch in der Sache über die Anschlussberufung zu entscheiden) zurück, so kann auch nicht mehr über die unselbständige Anschlussberufung entschieden werden. Ihre Zulässigkeit ist von dem Bestand er Hauptberufung abhängig.

In diesem Zusammenhang besteht in Literatur und Rechtsprechung Streit zu der Frage, wie mit den Kosten der Anschlussberufung umzugehen ist. Teils wird angenommen, dass mit der Zurückweisung nach § 522 ZPO der Hauptberufungsführer auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen habe, teils wird angenommen, dass die Kosten nach dem Verhältnis von Berufung und Anschlussberufung zu quoteln sind (auch dann, wenn die Anschlussberufung in der Sache Erfolg haben könnte).

2. Das OLG Stuttgart hatte die Hauptberufung im Beschlussweg nach § 522 ZPO in seinem hier besprochenen Beschluss zurückgewiesen und dabei gleichzeitig festgestellt, dass die unselbständige Anschlussberufung wirkungslos wurde (§ 524 Abs. 4 ZPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens (aus dem Streitwert von Hauptberufung und Anschlussberufung) hatte es im Verhältnis von 8%   des unselbständigen Anschlussberufung hatte es dem Kläger als Hauptberufungsführer mit 8%, dem Beklagten im Hinblick auf dessen unselbständige Anschlussberufung mit 92% auferlegt.

Zur Begründung der Kostenentscheidung wies das OLG darauf hin, dass § 522 Abs. 2  S. 1 ZPO nicht klärt, wer die Kosten einer zulässigen unselbständigen Anschlussberufung zu tragen habe und dies auch bisher höchstrichterlich Rechtsprechung (BGH) nicht geklärt sei, in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten sei. Es entscheid sich zu der Quotelung entsprechend einem jeweiligen Obsiegen zum Unterliegen und hat damit den Anschlussberufungskläger wie eine unterlegene Partei behandelt, ohne die mögliche Begründetheit dessen Berufung zu würdigen. Dabei hat sich das OLG mit verschiedenen Konstelltationen, die in der obergerichtlichen Rechtsprechung gebildet wurden. auseinandergesetzt:

Kostenteilung wegen Missbrauchsgefahr (so OLG Köln, Beschluss vom 23.07.2009 - 4 UF 80/09 - und OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.03.2009 – 12 U 220/08 -): Dabei würde zugrunde gelegt, der Anschlussberufungskläger könne das Rechtsmittel nur einlegen, um die Kosten für den Berufungskläger in die Höhe zu treiben. Das könne zwar angenommen werden, wenn die Anschlussberufung erst nach einem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO erfolge (Hinweis darauf, dass beabsichtigt sei, die Berufung zurückzuweisen) oder z.B. offensichtlich sei, dass die Berufung unzulässig oder unbegründet ist. Dies sie aber nicht der Regelfall und könne hier nicht angenommen werden.

Kostenteilung wegen Abwartens bis zu einer Terminierung (z.B. OLG München, Beschluss vom 11.04.2014 – 23 U 4499/13 -). Da aber die Anschlussberufung (mit Ausnahme des Falles in § 524 Abs. 2 S. 3 ZPO) eine Anschließung nur bis zum Ablauf der (Anm.: diesbezüglich nicht verlängerbaren) Berufungserwiderungsfrist erfolgen könne, sei dies auch kein Argument für eine Kostenteilung, da in der Regel bis zu diesem Zeitpunkt keine Terminierung erfolge.

Gegen eine Kostenteilung spreche nicht, dass damit die Rücknahme der Berufung nach einem Hinweis nach § 522 ZPO mit der Zurückweisung nach § 522 ZPO gleichgestellt werden müssten. Diese Fälle lägen nicht gleich. Bei der Zurücknahme ohne gerichtliche Entscheidung durch eine im Belieben des Berufungsklägers liegende Entscheidung erfolge, nicht durch eine gerichtliche Maßnahme (Beschluss). Zwar könne nicht maßgeblich für eine Kostenteilung bei Zurückweisung sprechen, dass die Rücknahme noch im Belieben des Hauptberufungsführers stünde was zwar der Fall sei. Allerdings müsse für die Zurücknahme nicht zwingend sprechen, dass er sich von der Argumentation des Gerichts überzeugen ließ, da auch anderweitige Erwägungen (so, dass er zur Einsparung von Kosten darauf verzichte, des Gericht durch Argumentation von seiner Sicht zu überzeugen) möglich seien. Nutze der Hauptberufungsführer sein Recht zum rechtlichen Gehör und versuche er, das Gericht von einer Zurückweisung nach § 522 ZPO abzubringen, könne ihm dies alleine nicht zum Nachteil gereichen, weshalb es an einer Grundlage fehle, ihm auch die Kosten der Anschlussberufung aufzuerlegen.

Folgende Gründe benannte das OLG zur Rechtefertigung seiner Kostenentscheidung:

Das Grundprinzip sei, dass derjenige, der mit seinem Angriff erfolglos bliebe, die Kosten dieses Angriffs zu tragen habe, gleich aus welchem Grund er damit erfolglos geblieben sei (so z.B. OLG München, Beschluss vom 23.07.2009 - 23 U 4499/13 -; zu Anschlussrevision BGH, Beschluss vom 11.03.1981 - GSZ 1/80 -). Zwar sei die unselbständige Anschlussberufung kein eigenes Rechtsmittel, sondern nur ein Angriff innerhalb der Berufung des Gegners, weshalb § 97 ZPO (Kosten des Rechtsmittels) nicht in Betracht käme. Der Grundsatz gelte insoweit, als nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO derjenige die Kosten trage, der unterliege. Dies setze sich in § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO fort, wonach bei teilweisen Obsiegen und Unterliegen die Kosten im Verhältnis aufzuteilen seien. Auch hebe der Kläger bei einer Klagerücknahme gem. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO regelmäßig die Kosten zu tragen ebenso der Berufungsführer bei einer Berufungsrücknahme . Auch im Rahmen des § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO (Hauptsacheerledigung) seien im Rahmen einer Ermessenentscheidung die jeweiligen Erfolgsaussichten bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen. Nach § 96 ZPO könnten auch dem obsiegenden Kläger Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels auferlegt werden. Es könne also nicht formal darauf abgestellt werden, dass die unselbständige Anschlussberufung kein eigenständiges Rechtsmittel sei. Sie diene nicht nur zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruchs, sondern mit ihr erstrebe die Partei mit Sachanträgen eine Abänderung der Entscheidung zu ihren Gunsten. Auch wenn die Wirkungslosigkeit der Anschlussberufung gem. § 524 Abs. 4 ZPO kein Unterliegen iSv. § 92 ZPO sei, führe dies zur Erfolglosigkeit der Anschlussberufung.

Derjenige, der eine unselbständige Anschlussberufung einlege, hätte durch rechtzeitige eigene Berufungseinlegung sicherstellen können, dass sein Rechtsmittel nicht von demjenigen des Gegners abhängig ist. Weiterhin hätte er die unselbständige Anschlussberufung unter einer zulässigen auflösenden Bedingung erheben können (OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.07.2012 – 5 U 126/11 -; Anmerkung: Es ist strittig, ob eine Anschlussberufung unter einer Bedingung prozessual zulässig ist).

Derjenige, der eine unselbständige Anschlussberufung einlege, wisse zudem, dass sein Rechtsmittel davon abhängig ist, dass die Berufung des Gegners nicht durch Beschluss zurückgewiesen wird. Dies zwinge zwar nicht zur Kostenteilung, zeige aber auf, dass der Anschlussberufungsführer mit den Kosten nicht unbillig belastet würde. Er wisse, dass sein Risiko darin bestünde, auch ohne jegliche Sachprüfung mit diesem Rechtsmittel keinen Erfolg haben zu können.

Die Kostenquotelung sei nach dem jeweiligen Wert ermittelten Quote der Berufungsanträge zu bemessen.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 18.06.2021 - 23 U 728/21 -

Samstag, 20. November 2021

Die rechtsmissbräuchliche Eigenbedarfskündigung

Die Klägerin zu 1, eine Aktengesellschaft, deren Anteile überwiegend von der Familie P. gehalten werden, der auch die Klägerin zu 2 angehörte, erwarb 2015 eine Eigentumswohnung. Eine auf Eigenbedarf gestützte Räumungsklage mit der Begründung, der Vater der Klägerin zu 1, Vorstandsmitglied der Klägerin zu 1, wolle dort einziehen, wurde zurückgewiesen. Danach schenkte die Klägerin zu 1 der Klägerin zu 2 einen 5/100 Miteigentumsanteil an die Klägerin zu 2 und die Kläger kündigten wegen Eigenbedarfs. Die Räumungsklage wurde zurückgewiesen. Der BGH wies darauf hin, dass er die Revision nicht annehmen würde, woraufhin die vom Berufungsgericht zugelassene Revision zurückgenommen wurde.

Das Landgericht hatte als Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu 1 als juristische Person keinen Eigenbedarf geltend machen könne und mit der Übertragung des 5/100 Miteigentumsanteils an die Klägerin zu 2 als natürliche Person nur ein völlig unbedeutender Miteigentumsanteil übertragen worden sei, um das Hindernis der fehlenden Berechtigung der juristischen Person zu umgehen; dies sei rechtsmissbräuchlich.

Der BGH wies darauf hin, dass die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch eine Entscheidung des BGH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert sei (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung hänge von der Beantwortung der Frage ab, ob ein Verhalten treuwidrig oder rechtsmissbräuchlich sei (§ 242 BGB), was von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles abhänge und sich daher einer Grundsatzentscheidung entziehe.

Zudem habe die Revision aber auch in der Sache keinen Erfolg. Ersichtlich habe die Übertragung des minimalen Miteigentumsanteils auf die Tochter des Vorstandsmitgliedes der Aktiengesellschaft nur dem Ziel gegolten, die der Gesellschaft nicht mögliche Eigenbedarfskündigung durchzusetzen, ohne dass mit der Übertragung von Miteigentumsanteilen eine nennenswerte Änderung der Eigentumsverhältnisse oder wirtschaftlichen Verhältnisse verbunden gewesen sei. Die Würdigung durch das Landgericht halte sich damit im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung.

BGH, Beschluss vom 30.03.2021 - VIII ZR 221/19 -

Donnerstag, 18. November 2021

Trägt der Gläubiger Kosten seines Insolvenzantrages bei nachfolgender Erfüllung durch Schuldner ?

Nachdem der Schuldner Sozialversicherungs- beiträge für bei ihm Beschäftigte nicht an die Gläubigerin (eine gesetzliche Krankenversicherung) für einen Zeitraum November 2018 bis Juni 2019 abgeführt hatte, beantragte die Gläubigerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Danach erfolgte durch den Schuldner die Zahlung und die Gläubigerin erklärte die Hauptsache für erledigt. Unter Bezugnahme auf §§ 4 InsO, 91a ZPO hatte das Insolvenzgericht nunmehr der Gläubigerin die Kosten des Verfahrens auferlegt. Das Landgericht wies die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde zurück. Auf die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde stellte der BGH die Erledigung des Eröffnungsantrages fest und erlegte dem Schuldner die Kosten des Verfahrens auf.

Der BGH verwies darauf, dass die Insolvenzordnung in § 4 InsO auf die entsprechende Anwendbarkeit der Regelungen der ZPO verweise, soweit es an einer Regelung in der InsO ermangelt, und dass eine Hauptsacheerledigung in der InsO nicht geregelt sei anerkannt sei, dass für die § 91a ZPO entwickelten Grundsätze entsprechende Anwendung fänden (BGH, Beschluss vom 25.09.2008 - IX ZB 131/07 -).

Vorliegend läge eine einseitige Erledigungserklärung vor (da sich der Schuldner der gläubigerseits erklärten Erledigung nicht angeschlossen hatte, wobei auch kein Hinweis auf die Folgen der fehlenden Erklärung nach § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO erfolgte, weshalb ein Schweigen keine Zustimmung zur Erledigungserklärung der Gläubigerin bedeutet).

Mit der einseitigen Erledigungserklärung würden keine Ermittlungen mehr zu einem möglichen Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren erfolgen. Für die Kostenentscheidung sei auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung abzustellen. Gleichwohl bleibe aber der Eröffnungsantrag bei einseitiger Erledigungserklärung anhängig und es müsse über diesen entscheiden werden. Der Prüfungsumfang beziehe sich nun auf die Klärung der Frage, ob der Antrag zulässig und begründet war und sich durch ein nachträgliches Ereignis erledigte. Würde vom Insolvenzgericht die Erledigung festgestellt, könne der Schuldner den Beschluss mit sofortiger Beschwerde anfechten (§§ 6, 34 Abs. 2 InsO), bei Abweisung des Antrages ergäbe sich ein Beschwerderecht aus §§ 6, 34 Abs. 1 InsO.

Vorliegend sei das Beschwerdegericht zutreffend von einer Zulässigkeit und Begründetheit des Insolvenzeröffnungsantrages der Gläubigerin ausgegangen. Allerdings läge entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts ein erledigendes Ereignis vor; die anderweitige Auffassung des Vorgerichts beruhe auf einem falschen Verständnis zu § 14 Abs. 1 S. 2 InsO. Nach § 14 Abs. 1 S. 2 InsO sei für den antragstellenden Gläubiger die Möglichkeit eröffnet, auch bei nachträglicher Erfüllung des Anspruchs den Eröffnungsantrag aufrecht zu erhalten. Dazu bestünde aber keine Pflicht (BGH, Beschluss vom 24.09.2020 - IX ZB 71/19 -).

Der Umstand, dass grundsätzlich nach den zivilprozessualen Grundsätzen zu § 91a ZPO kein erledigendes Ereignis vorliege, wenn der Antrag weiterhin zulässig und begründet ist, unterläge hier im Insolvenzrecht einer Modifizierung. Daher könnten bei der einseitigen Erledigungserklärung nicht dem Gläubiger die Kosten mit der Begründung auferlegt werden nach § 14 Abs. 1 S. 2 InsO sei der Antrag weiterhin zulässig.

Der BGH sah sich in der Lage, da nicht davon auszugehen sei, dass bei einer Zurückverweisung weitere Feststellungen, insbesondere zu einem Druckantrag, zu erwarten wären. Anmerkung: Zum Druckantrag hatte der BGH in seinem Beschluss vom 24.09.2020 – IX ZB 71/19 – Stellung genommen. Ein solcher liegt vor, wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt, um den Schuldner zu veranlassen,  unter dem Druck des Antrages zur Zahlung vorzunehmen. In diesem Fall wären nach der Motivlage bei der Erledigung durch Zahlung die Kosten dem Gläubiger aufzuerlegen. Allerdings müssten hier, neben der Antragsrücknahme, weitere Umstände vorliegen, die die Annahme der Druckantragstellung rechtfertigen könnten (BGH, Beschluss vom 24.09.2020 - IX ZB 71/19 -).

BGH, Beschluss vom 23.09.2021 – IX ZB 66/20 -

Montag, 15. November 2021

Verletzung rechtlichen Gehörs bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs zum Hinweis gem. § 522 ZPO

Die Klägerin machte Ansprüche wegen einer ärztlichen Fehlbehandlung gegen die Beklagte geltend. Die Klage wurde teilweise abgewiesen. Insoweit legte die Klägerin Berufung zum Kammergericht (KG) ein. Dieses erließ einen Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO, mit dem es die Klägerin auf die Absicht hinwies, die Berufung durch einstimmigen Beschluss als unbegründet zurückzuweisen, begründete dies und gewährte der Klägerin eine Frist zur Stellungnahme. Der Prozessbevollmächtigte beantragte während der laufenden Frist mit Schriftsatz vom 25.05.2020 (stillschweigende) Fristverlängerung mit der Begründung einer Arbeitsüberlastung auf den 06.07.2020. Dieser am 25.05.2020 bei dem KG eingegangene Schriftsatz wurde erst am 11.06.2020 dem Senat vorgelegt, der bereits mit Beschluss vom 10.06.2020 die Berufung zurückgewiesen hatte.

Auf die von der Klägerin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH wurde der Beschluss des KG vom 10.06.2020 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das KG zurückverwiesen.

Das KG habe unter Verletzung des rechtlichen Gehörs den Fristverlängerungsantrag nicht zur Kenntnis genommen und die Berufung zurückgewiesen habe. Dabei sei unbeachtlich, dass die Geschäftsstelle des KG dem Senat den Schriftsatz erst verspätet vorgelegt habe, wie vom Senat der Klägerin mitgeteilt wurde.

Es könne für die Frage der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung die Auffassung der Beschwerdeerwiderung auf sich beruhen, ob der erkennende Senat des KG die Fristverlängerung hätte gewähren müssen und dass in der im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragenen fiktiven Stellungnahme zum Hinweisbeschluss nichts vorgetragen worden sei,  was zur Zulassung der Berufung durch das KG relevant gewesen sei.

Eine gerichtliche Entscheidung beruhe auf der Verletzung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, falls nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie anders ausgefallen wäre, wenn das Vorbringen berücksichtigt worden wäre (BVerfG, Beschluss vom 19.10.1977 - 2 BvR 566/76 -). Davon sei hier auszugehen.

a)a Die nach § 522 Abs 2 S. 2 ZPO gesetzte Frist könne gem. § 224 Abs. 2 ZPO verlängert werden. Damit verwies das BVerfG zutreffend darauf, dass es für die Erheblichkeit der Verletzungshandlung iSv. Art- 103 GG nicht darauf ankommt, dass feststeht, dass die Frist verlängert wird, sondern nur darauf, dass die Möglichkeit bestanden habe. Wird mithin im Rahmen der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht, dass die Frist verlängert worden wäre, handelt es sich um eine nach § 224 Abs. 2 ZPO gegebene Möglichkeit, die die Erheblichkeit der Nichtbeachtung des Verlängerungsantrages begründet.

Das alleine wäre vorliegend aber noch nicht ausreichend. Denn wenn die Frist tatsächlich verlängert worden wäre, bedeutet dies nicht, dass die Berufung nicht doch mit Beschluss zurückgewiesen worden wäre. Vorliegend vertrat der BGH die in der Sache zutreffende Ansicht, dass auch nicht ausgeschlossen werden könne, dass mit der jetzt vorgetragenen, nach Angaben der Klägerin bei verlängerter Frist erfolgten Stellungnahme eine andere Entscheidung durch das KG erfolgt wäre. Nicht vorausgesetzt würde, so der BGH, dass die hypothetischen Ausführungen in dieser fiktiven Stellungnahme „zulassungsrelevant“ seien, vielmehr sei der berufungsgerichtliche Prüfungsmaßstab (§ 529 ZPO) zugrunde zu legen. Danach könne vorliegend eine andere Entscheidung des KG nicht ausgeschlossen werden.

Auch der Grundsatz der Subsidiarität greife vorliegend nicht. Danach müsse eine Partei die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu verhindern. Wer dies versäume könne keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend machen. Dies entspräche auch § 295 ZPO, wonach eine Partei eine Gehörsverletzung dann nicht mehr geltend machen könne, wenn sie dies ihr nach dem Erkennen des Verstoßes verbliebenen Möglichkeiten zu einer Äußerung nicht nutze (BGH, Urteil vom 18.11.2020 - VIII ZR 123/20 -; BVerfG, Beschluss vom 21.01.2020 - VI ZR 410/17 -). Der BGH wies darauf hin, dass eine Frist nicht „stillschweigend“ verlängert werden könne, da eine Fristverlängerung ausdrücklich ausgesprochen und mitgeteilt werden müsse (BGH, Beschluss vom 26.10.1989 - IVb 135/88 -). Der BGH geht dabei ersichtlich davon aus, dass trotz der Beantragung einer „stillschweigend“ zu gewährenden Fristverlängerung ein ordnungsgemäßer Verlängerungsantrag gestellt wurde, und geht daher folgerichtig darauf ein, ob es zur Pflicht der Partei gehört, sich nach einer gewährten Verlängerung zu erkundigen. Diese Erkundigungspflicht habe hier aber die Klägerin bis zum Zurückweisungsbeschluss vom 10. 06.2020 nicht gehabt.

BGH, Beschluss vom 28.09.2021 - VI ZR 946/20 -