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Freitag, 27. September 2024

Verletzung rechtlichen Gehörs: Urteilsgrundlage Kenntnisse des Gerichts aus einem Vorprozess

Die Beklagten hatten von der Klägerin Räume zum Betrieb eines Shisha-Cafés angemietet (Mietvertrag vom 06.09.2018). Die Beklagten erklärten am 10.09.2018 nach Abschluss des Mietvertrages mit anwaltlichen Schreiben die Anfechtung des Mietvertrags. Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 24.10.2018 das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs fristlos und forderte die Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Schlüssel auf; zu einer Schlüsselrückgabe kam es nicht. Mit rechtskräftigen Urteil des Landgerichts vom 20.04.2020 stellte dieses fest, dass die Anfechtung des Mietvertrages durch die Beklagten wegen arglistiger Täuschung wirksam gewesen sei.

Mit ihrer Klage in 2021 forderte die Klägerin die Zahlung eines Betrages, der der Miete für den Zeitraum Oktober 2018 bis Juni 2019 entsprach. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen. Das Oberlandesgericht erhob im Rahmen der von der Klägerin eingelegten Berufung Beweis zu der beklagtenseits behaupteten versuchten Schlüsselübergabe und wies sodann die Berufung zurück. Dagegen legte die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde ein, mit der sie die Zulassung der Revision begehrte.

Der BGH beschloss nach § 544 Abs. 9 ZPO die Revision zuzulassen und hob gleichzeitig die Aufhebung des Urteils des OLG und Zurückverweisung des Rechtstreits an das OLG. Nach § 544 Abs. 9 ZPO kann der BGH verfahren, wenn das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers in rechtserheblicher Weise verletzt hat.

Diese Verletzung des rechtlichen Gehörs nahm der BGH an:

Das OLG habe zwar festgesellt, dass die Beklagten mir ihrer Rückgebeverpflichtung in Verzug gekommen seien, da sie die Schlüssel nicht zurückgegeben hätten. Auch könne ein verzugsbedingter kausaler Schaden der Klägerin dadurch entstanden sein, da sie als Zwischenmieterin weiter zur Zahlung der Miete an die Vermieterin verpflichtet gewesen sei. Aber die Klägerin habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme endgültig in einem Telefonat mit dem Zeugen F. die die angebotene Rückgabe der Schlüssel abgelehnt. Der Zeuge F. habe auch als vertretungsberechtigt für die Klägerin angesehen werden können (wenn er auch nicht Geschäftsführer gewesen sei), da er der maßgebliche Gesprächspartner auf Seiten der Klägerin gewesen sei, wie sich aus dem Vorprozess ergebe.

Art. 103 Abs. 1 GG gewähre den Parteien ein Recht darauf, dass sie Gelegenheit erhalten müssten, im Prozess zu Wort zu kommen und das nur die Tatsachen und Beweismittel verwertet werden. zu denen auch Stellung bezogen werden könne. Indem das OLG unter Bezugnahme auf den Vorprozess feststellte, der Zeuge F. sei maßgeblicher Ansprechpartner auf Seiten der Klägerin, ohne der Klägerin zuvor die Möglichkeit im anhängenden Verfahren zu geben, dazu Stellung zu nehmen, sei dieses Recht verletzt worden. So seien hier im Verfahren weder das im Vorprozess ergangene Urteil noch andere Schriftstücke aus diesem Verfahren vorgelegt worden, noch sei die Beiziehung der Akte des Vorprozesses angeregt oder beantragt worden. Selbst wenn es sich um eine gerichtskundige Tatsache gehandelt haben sollte, dürfe ein Gericht wegen Art. 103 Abs. 1 GG diese Tatsache nicht seiner Entscheidung zugrunde legen, ohne den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren (BVerfG, Beschluss vom 17.09.2020 - 2 BvR 1605/26 -).

Für die prozessuale Folge der Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung ist neben der Verletzung des rechtlichen Gehörs auch erforderlich, dass das Urteil darauf beruht. Dies bejahte der BGH, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei Vermeidung dieses Verstoßes ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Verzugs gem. §§ 280 Abs. 1 und 2m 286 BGB bejaht und der Klage damit stattgegeben worden wäre.

BGH, Beschluss vom 29.11.2023 - XII ZR 36/23 -

Montag, 15. November 2021

Verletzung rechtlichen Gehörs bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs zum Hinweis gem. § 522 ZPO

Die Klägerin machte Ansprüche wegen einer ärztlichen Fehlbehandlung gegen die Beklagte geltend. Die Klage wurde teilweise abgewiesen. Insoweit legte die Klägerin Berufung zum Kammergericht (KG) ein. Dieses erließ einen Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO, mit dem es die Klägerin auf die Absicht hinwies, die Berufung durch einstimmigen Beschluss als unbegründet zurückzuweisen, begründete dies und gewährte der Klägerin eine Frist zur Stellungnahme. Der Prozessbevollmächtigte beantragte während der laufenden Frist mit Schriftsatz vom 25.05.2020 (stillschweigende) Fristverlängerung mit der Begründung einer Arbeitsüberlastung auf den 06.07.2020. Dieser am 25.05.2020 bei dem KG eingegangene Schriftsatz wurde erst am 11.06.2020 dem Senat vorgelegt, der bereits mit Beschluss vom 10.06.2020 die Berufung zurückgewiesen hatte.

Auf die von der Klägerin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH wurde der Beschluss des KG vom 10.06.2020 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das KG zurückverwiesen.

Das KG habe unter Verletzung des rechtlichen Gehörs den Fristverlängerungsantrag nicht zur Kenntnis genommen und die Berufung zurückgewiesen habe. Dabei sei unbeachtlich, dass die Geschäftsstelle des KG dem Senat den Schriftsatz erst verspätet vorgelegt habe, wie vom Senat der Klägerin mitgeteilt wurde.

Es könne für die Frage der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung die Auffassung der Beschwerdeerwiderung auf sich beruhen, ob der erkennende Senat des KG die Fristverlängerung hätte gewähren müssen und dass in der im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragenen fiktiven Stellungnahme zum Hinweisbeschluss nichts vorgetragen worden sei,  was zur Zulassung der Berufung durch das KG relevant gewesen sei.

Eine gerichtliche Entscheidung beruhe auf der Verletzung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, falls nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie anders ausgefallen wäre, wenn das Vorbringen berücksichtigt worden wäre (BVerfG, Beschluss vom 19.10.1977 - 2 BvR 566/76 -). Davon sei hier auszugehen.

a)a Die nach § 522 Abs 2 S. 2 ZPO gesetzte Frist könne gem. § 224 Abs. 2 ZPO verlängert werden. Damit verwies das BVerfG zutreffend darauf, dass es für die Erheblichkeit der Verletzungshandlung iSv. Art- 103 GG nicht darauf ankommt, dass feststeht, dass die Frist verlängert wird, sondern nur darauf, dass die Möglichkeit bestanden habe. Wird mithin im Rahmen der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht, dass die Frist verlängert worden wäre, handelt es sich um eine nach § 224 Abs. 2 ZPO gegebene Möglichkeit, die die Erheblichkeit der Nichtbeachtung des Verlängerungsantrages begründet.

Das alleine wäre vorliegend aber noch nicht ausreichend. Denn wenn die Frist tatsächlich verlängert worden wäre, bedeutet dies nicht, dass die Berufung nicht doch mit Beschluss zurückgewiesen worden wäre. Vorliegend vertrat der BGH die in der Sache zutreffende Ansicht, dass auch nicht ausgeschlossen werden könne, dass mit der jetzt vorgetragenen, nach Angaben der Klägerin bei verlängerter Frist erfolgten Stellungnahme eine andere Entscheidung durch das KG erfolgt wäre. Nicht vorausgesetzt würde, so der BGH, dass die hypothetischen Ausführungen in dieser fiktiven Stellungnahme „zulassungsrelevant“ seien, vielmehr sei der berufungsgerichtliche Prüfungsmaßstab (§ 529 ZPO) zugrunde zu legen. Danach könne vorliegend eine andere Entscheidung des KG nicht ausgeschlossen werden.

Auch der Grundsatz der Subsidiarität greife vorliegend nicht. Danach müsse eine Partei die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu verhindern. Wer dies versäume könne keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend machen. Dies entspräche auch § 295 ZPO, wonach eine Partei eine Gehörsverletzung dann nicht mehr geltend machen könne, wenn sie dies ihr nach dem Erkennen des Verstoßes verbliebenen Möglichkeiten zu einer Äußerung nicht nutze (BGH, Urteil vom 18.11.2020 - VIII ZR 123/20 -; BVerfG, Beschluss vom 21.01.2020 - VI ZR 410/17 -). Der BGH wies darauf hin, dass eine Frist nicht „stillschweigend“ verlängert werden könne, da eine Fristverlängerung ausdrücklich ausgesprochen und mitgeteilt werden müsse (BGH, Beschluss vom 26.10.1989 - IVb 135/88 -). Der BGH geht dabei ersichtlich davon aus, dass trotz der Beantragung einer „stillschweigend“ zu gewährenden Fristverlängerung ein ordnungsgemäßer Verlängerungsantrag gestellt wurde, und geht daher folgerichtig darauf ein, ob es zur Pflicht der Partei gehört, sich nach einer gewährten Verlängerung zu erkundigen. Diese Erkundigungspflicht habe hier aber die Klägerin bis zum Zurückweisungsbeschluss vom 10. 06.2020 nicht gehabt.

BGH, Beschluss vom 28.09.2021 - VI ZR 946/20 -