Samstag, 5. August 2017

WEG: Die Kostentragung des (gerichtlich bestellten) Ersatzzustellungsvertreters (§ 45 WEG)

Der Kläger erhob gegen die weiteren Wohnungseigentümer (Bejkagte zu 1.) einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG),, und deren Verwalter (Beklagter zu 2.) Klage, mit der er Beschlüsse der WEG anfocht und mit einem weiteren Klageantrag vom Verwalter Auskünfte begehrte. Da die Wohnungseigentümer keinen Ersatzzustellungsvertreter (an den nach § 45 Abs. 2 WEG dann Zustellungen erfolgen, wenn der Verwalter, wie hier, von einer Zustellung für die WEG wegen eigener Betroffenheit ausgeschlossen  ist) bestellt hatten, bestellte das zuständige Amtsgericht eine Rechtsanwältin als Ersatzzustellungsvertreterin (§ 45 Abs. 3 WEG). Das Verfahren endete durch beidseitige Erledigungserklärung; die Kosten wurden dem Kläger zu 80%, den Beklagten zu je 10% auferlegt. Im Rahmen der Kostenfestsetzung berücksichtigte das Amtsgericht die mit € 1.387,40 geltend gemachten Kosten der Ersatzzustellungsvertreterin mit € 1.109,92 zu Lasten des Klägers. Die Kosten entstanden im Wesentlichen durch die Kopien der Klageschrift und Portokosten durch Versand an die übrigen Wohnungseigentümer.

Das Landgericht hatte die Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kosten an die übrigen Wohnungseigentümern und nicht der Ersatzzustellungsbevollmächtigten zu zahlen wären. Es handele sich um zusätzliche Kosten der weiteren Wohnungseigentümer.

Die vom Kläger eingelegte Rechtsbeschwerde zum BGH hatte Erfolg.

Dass der Ersatzzustellungsbevollmächtigte zumindest seine Auslagen erstattet verlangen kann, sieht der BGH als einhellige Ansicht an, der er zustimmt. Uneinigkeit herrsche lediglich darüber, ob es sich bei  den Kosten des Ersatzzustellungsvertreter um nach § 91 ZPO erstattungsfähige Kosten handele.

Nach Auffassung des BGH würde es sich nicht um Kosten des Rechtsstreits iSv. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO handeln. Dies unabhängig davon, ob es sich um einen von den Wohnungseigentümer gemäß Beschluss nach § 35 Abs. 2 S. 1 WEG bestellten Vertreter handele, oder um einen (wie hier) gen. § 45 Abs. 3 WEG vom Gericht bestellten Vertreter handelt.  Der BGH verweist darauf, dass die Kosten der Unterrichtung der beklagten Wohnungseigentümer durch den Verwalter im Rahmen von Beschlussmängelverfahren gemeinhin als Kosten der internen Verwaltung gelten und nicht erstattungsfähig wären (so bereits BGZ 78, 166, 173; zuletzt BGH mit Beschluss vom 07.05.2014 - V ZB 102/13 -).  

Eine Ausnahme hatte der BGH (Beschluss vom 14.05.2009 – V ZB 172/09 -) für den Fall zugelassen, dass wegen des Streitgegenstandes (dort: Anfechtungsklage gegen einen Beschluss, mit dem der Antrag auf Abberufung des Verwalters zurückgewiesen wurde) die Gefahr bestünde, der Verwalter werde die Wohnungseigentümer nicht sachgerecht unterrichten. In diesem Fall des § 45 Abs. 1 Halbs. 2 WEG würde es sich nicht mehr um Kosten der internen Verwaltung handeln. Daraus würde in der  Literatur der Rückschluss gezogen, dass immer dann, wenn nicht an den Verwalter zugestellt werden könne, die Kosten der Zustellung über einen Ersatzzustellungsbevollmächtigten für eine Erstunterrichtung erstattungsfähig sein müssten.

Der BGH führt aus, dass er ausdrücklich nicht mehr an seiner in dem Beschluss vom 14.05.2009 vertretenen Rechtsauffassung festhalten würde. Die Kosten wären stets Kosten der internen Verwaltung und nicht nach § 91 ZPO erstattungsfähig, unabhängig davon, ob der Verwalter oder ein (per Beschluss berufener oder vom Gericht bestellter) Ersatzzustellungsvertreter die Aufgabe des Zustellungsvertreters wahrnehme.  

Ob nach § 45 Abs. 1 2. Halbs. WEG die Gefahr nicht sachgerechter Unterrichtung durch den Verwalter bestünde, müsse das Gericht aus einer Prognose ex ante beurteilen. Wird ungeachtet der Gefahr doch an den Verwalter zugestellt, sei diese unwirksam; kommt der Verwalter allerdings entgegen der Prognose seiner Pflicht nach, könne der Zustellungsmangel ggf. nach § 189 ZPO geheilt sein.

Nichts anderes gelte für den Ersatzzustellungsvertreter. Dieser trete gem. § 45 Abs. 2 S. 2 WEG in die dem Verwalter als Zustellungsvertreter obliegenden Aufgaben und Befugnisse ein. Schon daraus ergäbe sich, dass die entstehenden Kosten nicht anders behandelt werden könnten. Insbesondere sei der Ersatzzustellungsvertreter entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht nicht einem Prozesspfleger vergleichbar, da sich dessen Tätigkeit nicht auf die Zustellungsvertretung beschränke. Ebenso würde das Ergebnis nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich das Gericht statt zur Bestellung eines Ersatzzustellungsvertreters zur direkten Zustellung an die einzelnen Wohnungseigentümer entschließen könnte; der Gesetzgeber hat nicht vorgeschrieben, dass an den Verwalter zwingend zuzustellen ist. Der BGH verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es, von kleineren Gemeinschaften abgesehen, regelmäßig sachgerecht sein dürfte, an den Zustellungsvertreter zuzustellen, da dadurch die Kosten gering gehalten würden und der Zustellungsvertreter die Wohnungseigentümer in kostensparender Form (z.B. qua E-Mail) unterrichten könne (BGH, Beschluss vom 14.05.2009 - V ZB 172/08 -).

Schließlich seien die Kosten des Ersatzzustellungsvertreters nicht Kosten der beklagten Wohnungseigentümer sondern solche der Wohnungseigentümergemeinschaft. Nimmt der Ersatzzustellungsvertreter die Bestellung durch das Gericht an, käme es  - wie bei einem Beschluss der WEG – zu einem Vertrag zwischen ihm und der Gemeinschaft. Ob und in welcher Höhe Vergütung geschuldet wird, muss das Gericht bei der Bestellung oder nachträglich festlegen, wobei es sich an die übliche Vergütung nach §§ 675, 612 Abs. 2 BGB orientieren kann; auch hat es die Berechnung des Auslagenersatzes vorzugeben. In der Jahresabrechnung sind die Kosten des Ersatzzustellungsvertreters als Kosten der Verwaltung nach dem in § 16 Abs. 2 WEG vorgegebenen Maßstab  zu verteilen, also ohne Berücksichtigung der Kostenentscheidung des Gerichts. Es läge an den Wohnungseigentümern, die Kosten durch Bestellung eines Ersatzzustellungsvertreter gering zu halten, indem sie diesem die E-Mail-Adresslisten der Eigentümer überlässt; unterließen sie dies, hätten sie die dadurch entstehenden Kosten zu tragen.


BGH, Beschluss vom 11.05.2017 - V ZB 52/15 -

Erlass von Steuern aus sachlichen Billigkeitsgründen

Der Kläger begehrte den Erlass der für den Zeitraum 1989 bis 2004 festgesetzten Einkommensteuer nebst Solidaritätszuschlag von rund € 1,4 Mio. mit der Begründung, die erzielten Einkünfte seien mit deutlich mehr als 100% mit Einkommen- und Gewerbesteuer (aus Personengesellschaften, an denen er als Kommanditist beteiligt sei) belastet worden. Für den Zeitraum 1989 bis 1993 wurde dies vom Finanzamt auch im Einspruchsverfahren abgelehnt. Eine Entscheidung für die Jahre ab 1994 erfolgte noch nicht, da hier gesondert die ab dann nicht mehr vorliegende Zusammenveranlagung des Klägers mit seiner Ehefrau zu berücksichtigen sei. Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen die Ablehnung für den Zeitraum 1989 bis 1993. Sie wurde vom Finanzgericht zurückgewiesen, u.a. mit der Begründung, der Verlust der Existenzgrundlage sei nicht dargelegt worden, und auch sachliche Billigkeitsgründe würden ausscheiden.

Die zulässige Revision wurde vom BFH zurückgewiesen.

Der BFH wies ebenfalls darauf hin, dass persönliche Billigkeitsgründe vom Kläger (so eine Existenzgefährdung) nicht dargelegt wurde. Damit wäre auf sachliche Billigkeitsgründe abzustellen. Ein sachlicher Billigkeitsgrund wäre bei einer Steuerbelastung anzunehmen, die in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie eingreifen würde. Auch die steuerliche Belastung höherer Einkünfte dürfe nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt würde, Allerdings gäbe es keine verbindlichen absoluten Belastungsobergrenzen (BVerfGE 115, 97, 114).

Bezogen auf die Gewerbesteuer könne ein Erlassgrund vorliegen, wenn bei einer jahrelang andauernden Verlustperiode diese nicht mehr aus dem Ertrag sondern der Substanz des Unternehmens geleistet würde. Wird eine Übermaßbesteuerung durch Kumulation von Einkommen- und Gewerbesteuer geltend gemacht, ist nicht nur die den Steuerpflichtigen direkt treffende Gewerbesteuer zu berücksichtigen, sondern auch die auf der Ebene der Personengesellschaft entstandene.

Allerdings sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die geltend gemachte Belastung mit Gewerbesteuer darauf beruht, dass sie auf negative Ergebnisse aus Betrieben zurückgeht, an denen der Kläger mittelbar oder unmittelbar beteiligt war und eine Verrechnung von positiven Erträgen mit positiven Erträgen aus anderen Betrieben dem gewerbesteurrechtlichen Saldierungsverbot entstamme (§ 2 Abs. 1 GewStG). Dies sei Folge des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer. Dies würde, trotz dagegen vorgebrachter Bedenken, vom Bundesverfassungsgericht nicht in Frage gestellt (zuletzt BVerfG vom 15.02.2016 - 1 BvL 8/12 -).  Damit könne es zu einer Abweichung vom Prinzip der Bestuerung nach Leistungsfähigkeit kommen, auch mit der Möglichkeit einer Substanzbesteuerung (BFHW 246, 67).

Das Fehlen einer Verlustverrechnungsmöglichkeit dürfe nicht mittels einer Billigkeitsmaßnahme entgegen der gesetzgeberischen Wertung aufgehoben werden.


BFH, Urteil vom 23.02.2017 – III R 35/14 -

Freitag, 4. August 2017

Sachverständigensuche durch das Gericht und § 356 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG

Viele Verfahren sind davon abhängig, dass ein Sachverständiger sich zu einem bestimmten Problem kreis äußern soll. Sei es zur Feststellung eines bestimmten Geschehensablaufs, sei es zur (nicht rechtlichen) Bewertung eines solchen. So auch vorliegend: Die Parteien stritten um die Zahlung restlichen Werklohns. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, da die Klägerin trotz Hinweis die geforderten Nachtragspreise nicht auf die Preisermittlungsgrundlagen des Hauptvertrages zurückführte.  As OLG hat im Berufungsverfahren sodann darauf abgestellt, ob es sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Einheitspreisen um eine übliche Vergütung handele und diesbezüglich die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Nacheinander wurden vier Sachverständige vom OLG beauftragt, aber keiner sah sich in der Lage, die Beweisfrage zu beantworten. Daraufhin hat das OLG die Berufung der Klägerin mit der Begründung zurückgewiesen, die Sachverständigen hätten die Beweisfrage nicht beantworten können und ein geeigneter Sachverständiger sei nicht ersichtlich. 

Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil war teilweise erfolgreich; in diesem Rahmen war die anschließende Revision erfolgreich.

Der BGH sieht hier Art. 103 Abs. 1 GG (den Anspruch auf rechtliches Gehör) verletzt. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstoße stets gegen Art. 103 ZPO, wen sie im Prozessrecht  keine Stütze finde. Auch wenn zwar der Richter das Beweisangebot zur Kenntnis genommen hat, aber die unterlassene Beweisaufnahme im Prozessrecht keine Stütze findet, sei Art. 103 Abs. 1 GG ebenfalls verletzt.

Die Suche nach einem geeigneten Sachverständigen obliege dem Gericht. Dieses könne die Parteien auffordern, einen geeigneten Sachverständigen zu bezeichnen, § 404 Abs. 4 ZPO. Kann das Gerichtallerdings unter Ausschöpfung aller Quellen keinen geeigneten Sachverständigen finden, könne es nach Maßgabe des § 356 ZPO von der Beweiserhebung absehen. Die entsprechenden Erwägungen müssen, eventuell unter Bezugnahme auf entsprechende Verfügungen und Beschlüsse, nachvollziehbar im Urteil dargelegt werden. Es müssen auch sämtliche Bemühungen des Gerichts so dargelegt werden, dass sich aus ihnen der Schluss ergibt, dass der Beweis durch einen Sachverständigen nicht geführt werden kann.

Diesen Anforderungen entsprach nach Auffassung des BGH das angefochtene Urteil des OLG nicht. Es seien Kontaktaufnahmen zu Kammern, Berufsverbänden und Institute nicht dokumentiert. Einer der sachverständigen sei wegen fehlenden einschlägigen Fachgebiet abgelehnt worden, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, sich dazu zu äußern. Ein weiterer Sachverständiger wurde lediglich auf Grund von Angaben eines ersten Sachverständigen abgelehnt. Eine Kontaktaufnahme zu einem mit betriebswirtschaftlicher Kalkulation betrauten Sachverständigen, der eigene Sachkunde hätte bejahen oder einen anderen sachverständigen hätte vorschlagen können, wurde ebenfalls nicht dokumentziert.

Der Umstand, dass die Klägerin im Beschwerdeverfahren selbst keinen Sachverständigen benannte, sei unbeachtlich, da die Benennung des Sachverständigen nicht der beweisführenden Partei obläge.


BGH, Beschluss vom 29.03.2017 - VII ZR 149/15 -

Montag, 31. Juli 2017

Grenzen der Zurückverweisung durch das Berufungsgericht, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO

Die Klägerin machte mit ihrer Klage restlichen Werklohn für Erdarbeiten in Höhe von € 155.778,84 geltend. Von der Beklagten wurde die Auffassung vertreten, die bereits erfolgten Zahlungen stellten sich als Überzahlung dar und machte mit Widerklage einen Betrag von € 207.661,74 geltend. Das Landgericht hat und Zurückweisung der weitergehenden Klage und der Widerklage, die Beklagte zur Zahlung von € 100.126,77 verurteilt. Mit ihrer Berufung verfolgte die Beklagte die vollumfängliche Klageabweisung und ihren Widerklageantrag weiter.

Das Berufungsgericht (OLG München) hat die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Zur Begründung führte es aus, dass das Landgericht eine Überraschungsentscheidung getroffen habe, Vortrag der Beklagten teilweise nicht berücksichtigt und teilweise rechtsfehlerhaft als präkludiert angesehen habe und seiner Hinweispflicht zur Darlegungslast der Klägerin und zur Substantiierung des Beklagtenvortrages nicht nachgekommen. Bei der nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts liegenden Entscheidung zur Zurückverweisung sei berücksichtigt worden, dass nach einem weitergehenden Vortrag der Parteien mit einer umfassenden Beweisaufnahme durch Vernehmung zahlreicher Zeugen und Einholung von Sachverständigengutachten zu rechnen sei.

Auf die dagegen von der Beklagten eingelegte Revision hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Der BGH führte aus, dass eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO dann zulässig sei, wenn aufgrund wesentlicher Mängel des erstinstanzlichen Urteils eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich sei. Allerdings soll vermieden werden, dass sich ein Verfahren  durch „Hin- und Herschieben in den Instanzen“ verzögert. Deshalb würde es nicht mit § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO im Einklang stehen, dass in Ansehung zu erwartenden umfangreichen weiteren Vortrages (nach den Hinweisen) bereits eine Zurückverweisung erfolge. Erforderlich sei vielmehr, dass nach einem entsprechenden Vortrag eine entsprechende umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme tatsächlich erforderlich würde. Die reine Möglichkeit einer solchen Beweisaufnahme nach einem nach Hinweisen erfolgten weiteren Vortrag reicht nicht aus.

Mithin muss das Berufungsgericht nach den Hinweisen den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme dazu geben. Erst wenn nach diesen Stellungnahmen tatsächlich ein substantiierter Vortrag vorliegt, kann insoweit eine Zurückverweisung erfolgen, wenn die Voraussetzungen einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme tatsächlich festgestellt werden. Die reine Möglichkeit einer solchen Beweisaufnahme, wie sie hier vom Berufungsgericht zugrunde gelegt wurde, reicht nicht aus.


BGH, Urteil vom 02.03.2017 – VII ZR 154/15 -

Kein entgeltlicher Abgeltungsanspruch für (Ersatz-) Urlaubsanspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Die Klägerin begehrt von der Beklagten wegen nicht erhaltender Urlaubstage in 2015 Schadensersatz in Geld. Sie hatte mit der Beklagten  einen Altersteilzeitvertrag geschlossen und während der Arbeitsphase einen nicht gewährten Urlaub beantragt, der infolge folgenden Freistellungspjase nicht mehr genommen werden konnte. Die Freistellungsphase endet mit dem 31.03.2018, mit dem die Klägerin in Ruhestand geht.  Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, das Landesarbeitsgericht änderte das Urteil ab und wies die Klage zurück. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Revision wurde vom BAG zurückgewiesen.

Nach § 251 Abs. 1 BGB könne die Klägerin statt der Gewährung von Ersatzurlaub nicht Schadensersatz in Geld mit der Begründung verlangen, ein Anspruch auf Ersatzurlaub sei in Ansehung des Eintritts einer Freistellungsphase (der Altersteilzeit) nicht mehr realisierbar.  In Abänderung seiner bisherigen Rechtsprechung hält das BAG fest, dass sich der Ersatzurlaubanspruch aus § 7 Abs. 4 BurlG ergäbe; an der bisherigen Rechtsauffassung, der an die Stelle des Ersatzurlaubsanspruchs tretende Schadensersatzanspruch ergäbe sich aus § 252 Abs. 1 BGB werde nicht weiter festgehalten.

Ein rechtzeitig begehrter Urlaub, wandelt sich, wenn der Urlaubsanspruch verfällt, in einen Schadensersatzanspruch um, der die Gewährung von Ersatzurlaub zum Inhalt hat. Die Gewährung von Schadensersatz i Geld würde bei bestehenden Arbeitsverhältnis eine unzulässige Abgeltung von Urlaubsansprüchen darstellen. Damit tritt der Ersatzurlaubsanspruch im Wege des Schadensersatzes an die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs (sogen. Naturalrestitution). Kann diese durch den Wegfall der Arbeitspflicht nicht gewährt werden, liegt keine Unmöglichkeit nach § 251 Abs. 1 BGB vor, sondern ein durch § 7 Abs. 4 BurlG besonders geregelter Fall.

Her endete das Arbeitsverhältnis nicht bereits mit dem Übergang von der Arbeits- in die Freistellungsphase; das Arbeitsverhältnis besteht während der Freistellungsphase fort. Es endet zum vereinbarten Endtermin. Zwar obliegt dem Arbeitnehmer keine Pflicht zur Arbeitsleistung, dem Arbeitgeber aber weiterhin eine Pflicht zur Zahlung des Entgelts, weshalb auch kein Ruhen des Arbeitsverhältnisses in der Freistellungsphase eintritt.


BAG, Urteil vom 16.05.2017 - 9 AZR 572/16 -

Freitag, 28. Juli 2017

Zur Erwerbstierhaltung und dem Entlastungsbeweis nach § 833 S. 2 BGB

Grundsätzlich haftet der Tierhalter einem Dritten für jeden diesem durch die (von ihm nachzuweisende) tierische Unberechenbarkeit des Tieres, unabhängig von einem Verschulden, § 833 S. 1 BGB. Etwas anderes gilt nur, wenn es sich um ein Haustier (Rind, Pferd, Schaf, Hund u.a.) handelt und dieses von ihm für seinen Beruf, zum Erwerb oder für seinen Unterhalt gehalten wird. In diesem Fall kann sich der Tierhalter nach § 833 S. 2 BGB exkulpieren, also nachweisen, dass er bei der Aufsicht über das Tier die im Verkehr erforderliche Sorgfalt obwalten ließ, § 833 S. 2 BGB.

Der BGH musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob  - wie von OLG angenommen -  eine Erwerbtierhaltung iSv. § 833 S. 2 BGB vorlag. Die Pferde des Beklagten waren von einer Koppel ausgebrochen, und es kam zu einem Verkehrsunfall auf der Staatstraße 217 in Bayern. Er hatte geltend gemacht, Pferde zu züchten und damit Erwerbstierhalter zu sein; die Koppel sei ordnungsgemäß gesichert gewesen.

Der BGH führte zur Erwerbstierhaltung aus, dass diese nur angenommen werden könne, wenn die Erwerbstätigkeit auf Gewinnerzielung gerichtet sei. Eine entsprechende Absicht, die in objektiven Umständen keinen Niederschlag fände, sei nicht ausreichend.  Es müsse zumindest die realistische Möglichkeit bestehen, dass der Tierhalter, eventuell nach einer gewissen Anlaufzeit, Gewinn erzielt. Nicht erforderlich sei allerdings, dass er seinen Lebensunterhalt aus einem wesentlichen Anteil der Tierhaltung erwirtschaftet und diese Grundlage seines Erwerbs bilde; eine entsprechende Einschränkung fände sich weder im Wortlaut noch in den Gesetzesmaterialien.

Vorliegend habe das OLG nicht geprüft, ob der Zuchtbetrieb in objektiver Hinsicht darauf angelegt war, Gewinne zu erzielen. Es gäbe keine Feststellungen dazu, dass zumindest im Ansatz realistische Chancen bestehen würden, in Zukunft durch den Verkauf von Fohlen Erlöse zu erzielen, die die Anschaffungskosten und den laufenden Unterhalt des Wallachs, des Hengstes und der zwei Stuten übersteigen würden.

Zur Frage der Sicherung der Pferde habe das OLG übersehen, dass es sich um eine zweite Tatsacheninstanz handelt, die nicht  auf eine Kontrolle von Verfahrensfehlern und damit auf einen Umfang wie beim Revisionsverfahren beschränkt sei. Die Aufgabe des Berufungsgerichts als (eingeschränkte) 2. Tatsacheninstanz sei die Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit fehlerfreien Entscheidung. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen könnten sich auch aus einer unterschiedlichen Wertung ergeben. Besteht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Falle einer Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben würden, wäre das Berufungsgericht zur erneuten Beweisaufnahme veranlasst. Soweit das OLG auf das erstinstanzliche Gutachten zur Sicherung der Pferde abstellte und damit die Position des Landgerichts übernahm, der Beklagte sei seiner Sicherungspflicht ausreichend nachgekommen, da der Beklagte lediglich „seine eigenen, von den Beurteilungen des Sachverständigen abweichenden Einschätzungen“ angegeben habe, habe es sich nicht ausreichend mit diesen auseinandergesetzt.

Dabei wies der BGH darauf hin, dass der Pferdehalter für eine ausreichende sichere Einzäunung Sorge zu tragen habe. Dies diene dazu, ein Entweichen der Tiere (so auf Straßen) zu verhindern. Es seien hohe Anforderungen zu stellen, doch müsse nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden. Sicherungen von absoluter Wirksamkeit wären kaum möglich. Deshalb müssten nur die allgemein üblichen und im Verkehr als erforderlich angesehenen Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden.

Der BGH hob das angefochtene Urteil auf und Verwies den Rechtsstreit zu anderweitigen Entscheidung an das OLG zurück.


BGH, Urteil vom 14.02.2017 – VI ZR 434/15

Benennung der wesentlichen Eigenschaften der Waren im Online-Shop und substantieller Unterlassungstitel

§ 312j Abs. 2 BGB iVm. Art 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EGBGB verpflichten den Unternehmer bei einem Verbraucher im elektronischen Geschäftsverkehr vor der Bestellung des Verbrauchers diesen über die wesentlichen Eigenschaften Informationen über die Waren bzw. Dienstleistungen in angemessener und klar verständlich in hervorgehebener Weise zur Verfügung stellen.   

Sie Schuldnerin stellte das Produkt ohne Abbildung in der Warenkorbansicht wie folgt dar: „GLATZ `Sunwing´ Schirm 260x260cm, Stoffklasse 5“. Dies führte zur im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Verurteilung der Schuldnerin wegen Verstoßes gegen die vorgenannten Bestimmungen auf Unterlassung. Im Rahmen des jetzigen Ordnungsmittelantrages beanstandete die Gläubigern, dass die Warenkorbansicht mit der Schaltfläche „Kaufen“  das Produkt (mit Abbildung) nur wie folgt beschrieben habe: „Alu-Marktschirm 'Sahara' Ø300cm, terrakotta Sonnenschirm mit komfortablem Kurbelantrieb. Wasserabweisender Polyesterbezug terrakottafarben mit Volants. Kartonverpackt.“ Das Landgericht sah darin einen Verstoß gegen die Unterlassungsverfügung und verhängte ein Ordnungsgeld von € 500,00. Dagegen legten beide Parteien Beschwerde ein, die Gläubigerin mit den Zielen, das Ordnungsgeld und den Streitwert auf € 5.000,00 heraufsetzen zu lassen, die Schuldnerin mit dem Ziel, den Ordnungsgeldbeschluss aufzuheben.

Das OLG hob den Ordnungsgeldbeschluss auf und setzte den Wert auf € 5.000,00 fest. Die Warenkorbansicht erweise sich entgegen der Ansicht des Landgerichts letztlich als gesetzeskonform.

Es zweifelte bereits an der Zuwiderhandlung, da das Landgericht in der dem Verfahren zugrundeliegenden Unterlassungsverfügung nicht angegeben hat, welche konkreten Angaben es in der damaligen Warenkorbansicht vermisst habe. Das spräche dafür, dass nur die dortige Darstellung als nicht gesetzeskonform gewertet worden wäre, mit der Folge, dass andere Formulierungen nicht betroffen sind. Denn andernfalls müsste im (hiesigen) Ordnungsmittelverfahren die materiell-rechtlich unbeantwortet gebliebene Frage nach dem inhaltlichen Umfang der hier in Rede stehenden Informationspflicht geklärt werden, was einem Vollstreckungsverfahren fremd ist.

Allerdings ließ es das OLG auf sich beruhen, ob die Gläubigerin aus dem Titel für den vorliegenden Fall überhaupt ein Ordnungsgeld ableiten könnte, da nach Ansicht des OLG die im Ordnungsgeldverfahren gerügte Darstellung gesetzeskonform sei. Gefordert würde eine detaillierte übersichtliche Beschreibung ohne Weitschweifigkeit, aus der der Verbraucher die maßgeblichen Kriterien für seine Bestellentscheidung entnehmen könne. Die Form des Sonnenschirms ergäbe sich ebenso wie die Farbe aus der farbigen Abbildung, das Material (Alu für Aluminium) und die Spannbreite, die Farbe des Schirms, das Material der Bespannung und der Mechanismus zum Aufspannen aus den Textangaben. Damit wären die wesentlichen Angaben benannt. Entgegen der Auffassung des OLG Hamburg (Beschluss vom 13.08.2014 - 5 W 14/14 -) müsste das Gewicht des Schirmes nicht angegeben werden. Es sei bekannt, dass es sich bei einem Sonnenschirm (ohne Schirmständer) um einen eher schweren Gegenstand handele, der aber von einem Menschen mit durchschnittlicher körperlicher Konstitution mit maßvollem Kräfteeinsatz getragen werden könne. Es sei nicht erkennbar, dass dies hier anders sein sollte, zumal das Gestell aus Aluminium sei. Auch wenn es einige Verbraucher interessieren könnte, wie schwer der Schirm ist, würde es sich nicht um wesentliche Eigenschaften im Sinne der Vorschriften handeln.

Bei dem Gegenstandswert sei auf das Interesse des Gläubigers abzustellen, § 25 Abs. 1 Nr. 3 RVG. Anzusetzen sei damit der Wert der Hauptsache aus dem Verfügungsverfahren, hier € 5.000,00.


OLG Hamm, Beschlüsse vom 14.03.2017 - 4 W 34/16 - und - 4 W 35/16 -