Montag, 4. Dezember 2023

Links blinkender Traktor begründet eine unklare Verkehrslage

Im Bereich einer Hofeinfahrt in T. war es zu einer Kollision zwischen einem Motorroller des Klägers und dem Traktorgespann des Beklagten zu 2 gekommen. Kläger und Beklagter befuhren die Straße in Fahrtrichtung H., der Beklagte vorne. Als der Kläger das Traktorgespann überholte und der Beklagte nach links in die Hofeinfahrt abbog, kam es zur schadensursächlichen Kollision auf der Gegenfahrbahn, indem der Kläger mit einem Motorroller gegen das linke Vorderrad des Traktors stieß.

Das Landgericht nahm vom Grundsatz eine Haftungsquote von 50% aus §§ 7 Abs. 1m 17 Abs 1 und 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StVG, im Hinblick auf die Beklagte zu 1, den Pflichtversicherer, iVm. § 115 Abs. 1 Nr. 1 StVG, an. In seinem Hinweisbeschluss wiess das OLG den Beklagten Kläger, der gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, darauf hin, dass es die Zurückweisung der Berufung wegen offensichtlicher Unbegründetheit erwäge (§ 522 ZPO).

Zutreffend habe das Landgericht zunächst den gegen den Beklagten zu 2 als Linksabbieger sprechenden Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht aus § 9 Abs. 1 S. 4 StVO angewandt und sodann die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft (Anhörung des Klägers, des Beklagten zu 2 sowie dessen Vernehmung als Partei nach § 448 ZPO und die Vernehmung eines Zeugen). Soweit sich die Angriffe des Klägers gegen die Annahme des Landgerichts richteten, bei dem Traktorgespann sei der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt gewesen, bezog sich dieser auf Lichtbilder, die den Fahrtrichtungsanzeiger nicht im aufleuchtenden Zustand zeigen. Das aber ließ das OLG nicht gelten, da nicht auszuschließen sei, dass just im Moment der Aufnahme die Lichter nicht aufleuchteten, da diese nur zeitweilig (also im Wiederholungstakt) aufleuchten würden, zudem die Aufnahmen kurz nach dem Unfall gefertigt worden seien und hinsichtlich ihrer Aussagekraft von daher nur eine eingeschränkte Aussagekraft hätten. Insgesamt, so das OLG, sei die Würdigung des Landgerichts der Aussage des Beklagten zu 2 als glaubhaft du glaubwürdig nicht zu beanstanden, wobei der Zeuge angegeben habe, den Unfall nicht gesehen zu haben. Ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten sei nicht einzuholen, da dieser keine Feststellungen dazu treffen könne, ob der Fahrtrichtungsanzeiger eingeschaltet gewesen sei Anmerkung: Wird bei dem Unfall die Lichtzeichenanlage mit der Birne beschädigt, sollte dies begutachtet werden, da sich feststellen lässt, ob sie im Zeitpunkt der Schädigung eingeschaltet war).

Ausgehend von der Einschaltung des linken Fahrtrichtungsanzeigers habe das Landgericht zutreffend für den Kläger eine unklare Verkehrslage nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO angenommen. Blinke ein Traktor nach links, müsse stets damit gerechnet werden, dass dieser kurzfristig abbiegt, auch ohne sich ggf. nach links auf der Fahrtrichtungsbahn einzuordnen (was häufig auch infolge der Breite des Fahrzeugs nicht möglich sei). Damit hätte der Kläger auch damit rechnen müssen, dass der Traktorgespann nach links in eine schwer erkennbare Hof- oder Feldeinfahrt einbiegen will; der Kläger hatte behauptet, eine Hofeinfahrt nicht gesehen zu haben (Anmerkung: Zu beachten ist, dass ein Traktor auch direkt von der Straße auf ein Feld einbiegen kann und darf). Diese Verkehrslage habe dazu geführt, dass ein Überholen des Klägers unzulässig gewesen sei.

Die Bewertung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG durch das Landgericht mit der Quote von 50 : 50 sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen sei nach § 17 Abs. 1 StVG, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei, mithin eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des Unfallhergangs erforderlich sei (BGH, Urteil vom 28.02.2012 - VI ZR 10/11 -). Unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugenausgehenden Betriebsgefahr dürften nur unstreitige oder zugestandene und bewiesene Umstände berücksichtigt werden; nur vermutete Tatbeiträge sowie die bloße Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage hätten außer Betracht zu bleiben (BGH, Urteil vom 21.11.2006 - VI ZR 115/05 -). Alle berücksichtigten Tatbeiträge müssten sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliege demjenigen, der sich auf einen n die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkt berufe (BGH, Urteil vom 13.02.1996 - VI ZR 126/95 -).

Dem habe die Abwägung durch das Landgericht entsprochen. Zu berücksichtigen seien hier der Verstoß des Beklagten zu2 gegen § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 StVO (Pflichten beim Abbiegen, insbes. die Pflicht, andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden) auf der einen Seite, und auf der anderen Seite das Verschulden des Klägers durch Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO (Überholen bei unklarer Verkehrslage) sowie die unterschiedlichen Betriebsgefahren der Fahrzeuge. Da führe zu einer im Ergebnis gleich hohen Gewichtung.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Hinweisbeschluss vom  26.07.2023 - 7 U 42/23 -

Samstag, 2. Dezember 2023

Rechtsbeschwerde wegen (fehlender) Zulassungsprüfung durch Berufungsgericht

Der im amtsgerichtlichen Verfahren unterlegene Beklagte hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt. Der Gebührenstreitwert wurde vom Landgericht auf € 300,00 festgesetzt und die Berufung als unzulässig verworfen. Die dagegen vom Beklagten eingelegte Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde sei statthaft (§§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4 ZPO), aber unzulässig, das die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorlägen.

Der Beklagte hatte sich darauf berufen, dass der Beschluss, mit dem die Berufung zurückgewiesen worden sei, nicht ausreichend mit Gründen versehen worden sei. Dem folgte der BGH nicht. Zwar müssten Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden würde, sowie den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen, andernfalls sie nicht mit den nach dem Gesetz (§§ 576 Abs. 3, 547 Nr. 6 ZPO) erforderlichen Gründen versehen seien und ein die Aufhebung bedingender Verfahrensmangel vorläge; das Rechtsbeschwerdegericht habe von dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt auszugehen, §§ 577 Abs. 2 S. 1 und 4, 599 ZPO (Anmerkung: weshalb stets der vom Gericht festgestellte Sachverhalt zu prüfen und ggfls. ein Tatbestandberichtigungsantrag fristgerecht gem. § 320 ZPO gestellt werden sollte).  Fehle es daran, könne das Rechtsbeschwerdegericht keine Prüfung vornehmen, was auch dann gelte, wenn die Zurückweisung wegen Nichterreichens der Berufungssumme (€ 600,00) erfolge. Die Wertfestsetzung des Berufungsgerichts könne vom Beschwerdegericht nur darauf geprüft werden, ob das Berufungsgericht die Grenzen des ihm nach § 3 ZPO eingeräumten Ermessens beachtet habe (BGH, Beschluss vom 19.01.2021- VI ZB 41/20 -).

Eine entsprechende Sachdarstellung sei aber dann entbehrlich, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel noch mit hinreichender aus den Gründen des Beschlusses ergäben (BGH, Beschluss vom 05.10.1021 - VIII ZB 69/20 -). Dies sei hier der Fall. Aus den Gründen des Beschlusses in Verbindung mit dem in Bezug genommenen Hinweisbeschlusses des Berufungsgerichts (nach § 522 ZPO) ergäbe sich, dass der Beklagte zur Unterlassung einer Beschädigung des Pkw des Klägers verurteilt worden sei und sich mit seiner Berufung dagegen wandte. 

Weiterhin hatte der Beklagte, da das Berufungsgericht keine eigene Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen habe, eine Verletzung seines Verfahrensgrundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip) geltend gemacht. Auch hier folgte dem der BGH nicht. Das Berufungsgericht sei bei nicht ausreichender Beschwer verpflichtet, eine Zulassungsprüfung nachzuholen, wenn das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen sei, dass die Beschwer der unterlegenen Partei über € 600,00 liegt und deshalb keine Prüfung der Zulassung (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) vornehme (BGH, Beschluss vom 19.01.2016 - VI ZB 69/14 -).

Allerdings ließ es der BGH hie auf sich beruhen, ob vorliegend hinreichend Anhaltspunkte bestanden haben, dass das Amtsgericht von einer € 600,00 übersteigenden Beschwer des Beklagten ausging (Zulässigkeitsvoraussetzung gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und deshalb das Berufungsgericht die Entscheidung über die Zulassung hätte nachholen müssen. Eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich gegebenen Berufung und damit ein Grund für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung iSv. § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO läge nur dann vor, wenn ein Grund für die Zulassung der Berufung vorläge (BGH, Beschluss vom 29.01.2015 - V ZB 179/14 -). Dies aber sei von der Rechtsbeschwerde des Beklagten nicht geltend gemacht worden, die nur beanstandet habe, dass das Berufungsgericht keine Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen habe. Es sei auch vom Beklagten nicht vorgetragen worden, dass der Zugang zu einer an sich gegebenen Berufung vom Berufungsgericht unzumutbar erschwert worden sei, da es bei der Bemessung der Beschwer die Grenzen seines Ermessen überschritten oder rechtsfehlerhaft davon Gebrauch gemacht habe; ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtschutz sei daher nicht schlüssig dargetan worden.

Anmerkung: Der BGH hat in dieser Entscheidung auf die inhaltlichen Anforderungen einer Beschwerdeschrift hingewiesen. Wird einer Berufung mangels ausreichender Beschwer nicht stattgegeben, ist zwar eine Rechtsbeschwerde statthaft. Sie ist allerdings substantiiert zu begründen, indem ausgeführt wird, weshalb die Entscheidung über die Höhe der Beschwer als solche fehlerhaft ist und/oder dargelegt wird, weshalb selbst bei Nichtvorliegen einer ausreichenden Beschwer die Berufung nach § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen wäre.

BGH, Beschluss vom 12.09.2023 - VI ZB 72/22 -

Freitag, 1. Dezember 2023

Rückwärtsfahren in Einbahnstraße und Haftung (§§ 9 Abs. 5, 10 S. 1 StVO)

Der Kläger hatte sein Fahrzeug vorwärts in einer Grundstückseinfahrt abgestellt, die sich in einer Einbahnstraße (rechtwinklig in Fahrtrichtung) befand. Die Beklagte zu 1. (Fahrerin) war mit ihrem Fahrzeug an dieser Grundstückseinfahrt vorbeifahren und wollte gegenüber der Grundstückseinfahrt in einer freigewordenen, sich parallel zur Fahrbahn befindlichen Parklücke einparken. Die Fahrzeuge stießen zusammen, als der Kläger rückwärts aus der Grundstückseinfahrt auf die Straße auffuhr, die Beklagte rückwärts in die Parklücke einparken wollte. Der Kläger machte eggen die Beklagten Schadensersatzansprüche wegen einer Schädigung seines Fahrzeugs an der linken Seite geltend, auf den die Versicherung des von der Beklagten zu 1. geführten Fahrzeugs, die Beklagte zu 2., vorgerichtlich bereits 40% zahlte; mit der Klage begehrte der Kläger die restlichen 60%. Das Amtsgericht gab der Klage in der Hauptforderung statt; die Berufung der Beklagten führte zur Aufhebung des Urteils und Klageabweisung. Auf die zugelassene Revision hob der BGH das landgerichtliche Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.

Das Berufungsgericht, welches von einer Haftung des Klägers von 60% ausgegangen war, habe nach Ansicht des BGH eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge rechtsfehlerhaft nach §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 3 StVG vorgenommen.

Bei der gebotenen Abwägung hätte berücksichtigt werden müssen, dass die Beklagte zu 1. Die Einbahnstraße unzulässig rückwärts befahren habe (Verstoß gegen das durch VZ 220 iVm. § 41 Abs. 2 StVO angeordnete Gebot). Für den Verstoß käme es nicht auf die Stellung des Fahrzeuges im Verhältnis zur vorgeschriebenen Fahrtrichtung an, lediglich auf das Rückwärtsfahren entgegen der Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbarer) Rückwärtseinparken („Rangieren“) sei ebenso wie ein Rückwärtsfahren aus einem Grundstück auf die Straße kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. Rückwärtsfahren ist aber auch dann unzulässig, wenn es erst dazu dienen würde, zu einer freien oder freiwerdenden Parklücke zu gelangen; gleiches gelte aber auch dann, wenn das Rückwärtsfahren dazu diene, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend diese zu nutzen. Nach den Feststellungen des Tatgerichts sei hier die Beklagte zu 1. einige Meter rückwärts gefahren, um ein Fahrzeug ausparken zu lassen.

Entgegen der Annahme des Landgerichts könne hier auch nicht ein Anscheinsbeweis für einen schuldhaften Verstoß gegen §§ 9 Abs. 5 und 10 S. 1 StVO des Klägers angenommen werden. Zwar sei die Beklagte zu 1 ein „andrer Verkehrsteilnehmer“ im Sinne dieser Normen (BGH, Urteil vom 17,01.2023 - VI ZR 203/22 -), allerdings greife hier entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht nicht der Anscheinsbeweis zu Lasten des Klägers für einen schuldhaften Verstoß gegen §§ 9 Abs. 5, 10 S. 1 StVO.

Der Anscheinsbeweis erfordere einen typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung en Schluss auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten rechtfertige. Bei einem Verkehrsunfall müsse sich nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss aufdrängen, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt habe, wobei es sich um einen Sachverhalt handeln müsse, für den nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch sei. Das „Kerngeschehen“ reiche als Grundlage bei Kenntnis weiterer Umstände nicht aus, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen würden. Es müsse der gesamte Lebenssachverhalt die Typizität widerspiegeln. Die Beurteilung sie nur bei Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens möglich, die sich aus unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben würden. Grundsätzlich sei Zurückhaltung bei der Annahme eines Anscheinsbeweises geboten, da ein Rückschluss auf ein ursächliches oder schuldhaftes Verhalten erfolge, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt werde (BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15 -).

Damit greife vorliegend kein Anscheinsbeweis zu Lasten des Klägers für einen schuldhaften Verstoß gegen §§ 9 Abs. 5, 10 S. 1 StVO. Zwar könne bei einem rückwärts aus einem Grundstück Fahrenden der erste Anschein dafür sprechen, dass ein Sorgfaltsverstoß und mithin eine (Mit-) Verursachung des Unfalls vorliege. Allerdings fehle es hier schon an der erforderlichen Typizität, da die Beklagte zu 1. die Einbahnstraße unzulässig in entgegengesetzter Fahrtrichtung rückwärts befahren habe. Es existiere aber kein Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdränge, dass unter diesen Umständen den rückwärts aus der Grundstückseinfahrt auf die Einbahnstraße Einfahrenden ein Verschulden treffe (z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.05.2012 – 1 U 127/11 -).

Für das weitere Verfahren wies der BGH darauf hin,  dass bei der Prüfung eines Verstoßes des Klägers gegen §§ 9 Abs. 5, 10 S. 1 StVO zu berücksichtigen sei, dass der Kläger grundsätzlich nicht damit rechnen musste, dass Teilnehmer am fließenden Verkehr die Einbahnstraße in entgegengesetzter Fahrtrichtung nutzen würden, es sei denn, es lägen besondere Umstände vor (BGH, Urteil vom 06.10.1981 – VI ZR 296/79 ; dort zur Disziplinlosigkeit von Fahrrad- und Mopedfahrern und der Nutzung von Radwegen in entgegengesetzter Fahrtrichtung).

BGH, Urteil vom 10.10.2023 - VI ZR 287/22 -

Mittwoch, 29. November 2023

Beweislast für befristetes Mietverhältnis (hier: Gewerberaum)

Der Kläger kündigte das Mietverhältnis des Beklagten über Gewerberäume mit der gesetzlichen Kündigungsfrist. Im Räumungsverfahren wurden diverse Mietverträge vorgelegt, unter anderem zwei Mieterträge datierend auf den 25.03.2014, bei dem der eine ein unbefristetes Mietverhältnis (ein Original, von dem der Beklagte behauptete, es sei eine Fälschung), der andere ein bis zum 31.12.2044 befristetes Mietverhältnis (eine vom Beklagten vorgelegte Kopie eines Mietvertrages) betraf. Das Landgericht gab der Räumungsklage statt. Die dagegen vom Beklagten eingelegte Berufung wurde vom Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Für die Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Kündigung (mit gesetzlicher Kündigungsfrist) zur Beendigung des Mietverhältnisses führte und damit den Räumungsanspruch des Klägers begründete, kam es darauf an, wer für welche Tatsachenbehauptung darlegungs- und beweisbelastet war. Entscheidend war, ob die (vom Beklagten behaupteten) Befristungen des Mietverhältnisses bis zum 31.12.2044 bestand oder aber (so der Kläger) das Mietverhältnis unbefristet begründet wurde und von daher jederzeit mit der gesetzlichen Kündigungsfrist beendet werden konnte.  

Der vom Kläger vorgelegte Mietvertrag vom 25.03.2014 enthalte unter § 3.3 keine längere Kündigungsfrist (also keine Befristung, wie vom Beklagten für das Mietverhältnis behauptet). Dies vorausschickend wies das OLG darauf hin, dass dem Beklagten die Beweislast für seine Behauptung der Befristung bis zum 25.03.2014 treffe und er ihn nicht geführt habe. Der von ihm eine Befristung enthaltene Vertrag sei von dem Beklagten nur als Kopie, nicht als Original vorgelegt worden. Zwar habe der Beklagte erklärt, er werde zum Beweis dafür, dass der klägerseits unter dem Datum des 25.03.2014 eingereichte Mietvertrag erst Jahre später ausgefertigt worden sei und es sich um eine Fälschung handle, Antrag auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens stellen. Diesem Antrag müsse aber nicht nachgegangen werden. Denn auch wenn mit dem Beklagten unterstellt würde, dass der klägerseits vorgelegte Mietvertrag eine Fälschung sei, verbliebe es bei dem unstreitigen Vortrag der Parteien zu einen Vertragsabschluss am 25.03.2014 (mit einem ab dem 01.04.2014 laufenden Mietverhältnis). Selbst bei Annahme einer Fälschung des keine Befristung enthaltenen Mietvertrages würde sich daraus nicht der Rückschluss ergeben, dass das Mietverhältnis befristet gewesen sei. Von daher sah das OLG keine Veranlassung, den Beweis zu erheben.

Ferner behauptete der Beklagte, er habe das Original des die Befristung enthaltenen Mietvertrages dem Kläger ausgehändigt und benannte dazu Zeugen. Wäre der Vortrag zutreffend, so das OLG, wäre verständlich, weshalb der Beklagte diesen nicht (mehr) vorlegen könne. Doch hätten die benannten Zeugen nicht vernommen werden müssen, da der Beklagte erklärt habe, diese könnten zwar die Übergabe eines Dokuments durch ihn an den Kläger bestätigen, würden aber keine Kenntnis von dem Inhalt des Dokuments haben. Dann aber könnte sie auch nicht bestätigen, dass es sich bei dem Dokument um das Original des beklagtenseits benannten Mietvertrages gehandelt habe.

Anmerkung: Das OLG geht hier (zutreffend) von der prozessualen Grundregel aus, dass jede Partei die ihr günstigen Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfalle zu beweisen habe, soweit sie für die Entscheidung erheblich seien und (wie hier) keine gesetzliche Beweislastregelung existiert. Die Anwendung der Beweislastregeln zur Streitentscheidung stellt eine ultima ratio dar, die zum Tragen kommt, wenn vom Gericht alle zulässigen Beweismöglichkeiten ohne Erfolg ausgeschöpft sind und weitere Feststellungen nicht möglich erscheinen (BGH, Urteil vom 07.02.2017 – VII ZR 274/17 -), weshalb hier der Entscheidung des OLG zuzustimmen ist, nachdem auch die Anhörung der Parteien (§ 141 ZPO) vorliegend nicht die Feststellung iSv. § 286 ZP ermöglichte, ob der Mietvertrag unbefristet (so der Kläger) oder unbefristet (so der Beklagte) abgeschlossen wurde. Da eine Befristung eines Mietverhältnisses von länger als einem Jahr notwendig der Schriftform bedarf (§ 550 BGB), musste hier der sich gegen die Zulässigkeit der Kündigung wendende beklagte Mieter den Nachweis erbringen, dass eine Befristung in einem (schriftlichen) Mietvertrag vereinbart wurde, da ohne diese Schriftform der befristete Mietvertrag unabhängig von der vereinbarten Dauer der Befristung jedenfalls nach Ablauf eines Jahres ordentlich kündbar ist (BGH, Urteil vom 29.10.1986 - VII ZR 53/85 -). Da es sich hier bei der Befristung des Mietverhältnisses um einen Umstand zugunsten des sich gegen die Räumungsklage wendenden Beklagten handelte, war dieser beweisbelastet und musste unterliegen, da er den Beweis nicht führen konnte.

OLG Dresden, Urteil vom 12.07.2023 - 5 U 255/23 -

Dienstag, 28. November 2023

Zeugnisverweigerungsrecht: Verschiedene Gründe/ Verfahrensgegenstände und Beschwerde

Der Kläger berief sich zum Beweis seiner Behauptung auf den dann vom Landgericht geladenen Zeugen. Dieser machte bereits nach der Ladung ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend und berief sich darauf, er würde mit seiner Aussage sich, den Beklagten und die Streithelferin (seine Tante) belasten. Das Landgericht bejahte mit Zwischenurteil das Verweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO, verneinte aber die Voraussetzungen für eine Verweigerung nach § 383 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Das OLG änderte auf die Beschwerde des Klägers das Teilurteil ab und erklärte die Zeugnisverweigerung sowohl nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO wie auch nach § 384 Nr. 2 ZPO für unrechtmäßig. Die dagegen vom Zeugen auf Zulassung vom OLG eingelegte Rechtsbeschwerde hatte teilweise Erfolg.

Die Zulassung Rechtsbeschwerde wurde lediglich auf den Weigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beschränkt, was vom BGH als wirksam angesehen wurde. Es handele sich um einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und damit abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes, auf die sich die Partei auch selbst beschränken könnte. Erforderlich aber auch ausreichend sei, dass der von der Zulassungsbeschränkung betroffene Teil des Streits in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig vom übrigen Prozessstoff beurteilt werden könne und kein Widerspruch zwischen den noch zur Entscheidung stehenden und dem unanfechtbaren Teil des Streitstoffes auftreten könne. Die Weigerungsgründe nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und nach § 384 Nr. 2 ZPO seien rechtlich selbständig und abtrennbar und würden unterschiedliche Voraussetzungen haben. Hier würde zwischen Angehörigen eines Zeugen, die Partei sind (§ 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) und solchen, die nicht Partei sind (§ 384 Nr. 2 ZPO) unterschieden. Die Normen würden die unterschiedlichen Konfliktlagen wiederspiegeln.  

Alleine eine im Ausnahmefall mögliche sachliche Übereinstimmung des Rechtsschutzziels bei der Zeugnisverweigerung nach der einen oder der anderen Norm genüge nicht, um einen einheitlichen Verfahrensgegenstand anzunehmen, zumal die Weigerungsgründe unterschiedliche Auswirkungen auf die Beweiswürdigung haben würden. Im Rahmen des § 383 ZPO dürften aus der Verweigerung keine Schlussfolgerungen zum Nachteil einer Partei gezogen werden, hingegen es in den Fällen des § 384 Nr. 1 bis 3 ZPO nach § 286 ZPO zulässig sei, aus der Weigerung zur Beantwortung bestimmter Fragen Schlüsse zu ziehen.

Allerdings habe das Beschwerdegericht über diesen Verweigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht entscheiden dürfen. Er sei deshalb dort nicht angefallen, da es an einer diesbezüglichen Erstbeschwerde des Zeugen ermangele und damit der Weigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden sei. Der Zeuge habe es verabsäumt, mit seiner Beschwerde gegen die Entscheidung des Erstgerichts (Landgerichts), mit der dieses nur en Verweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO zuerkannte, auch die Versagung des Verweigerungsgrundes nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO innerhalb der gesetzlichen Frist mit der Beschwerde anzugreifen.

Zwischenurteile zum Zeugnisverweigerungsrecht sind auch für Zeugen beschwerdefähig. Dies gilt unabhängig davon, dass das Landgericht hier die vom Zeugen beantragte Rechtsfolge einer Berechtigung zu einer umfassenden Zeugnisverweigerung ausgesprochen hatte und der Zeuge nicht mit den Kosten des Verfahrens belastet wurde. Die Beschwer des Zeugen lag darin, dass die Zuerkennung nicht (auch) aus den Grünen des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgt sei. Die Beschwerde könne von ihm immer eingelegt werden, wenn von dem von ihm gestellten Antrag inhaltlich oder der Form nach abgewichen würde; lediglich eine Beschwerde wegen Feststellungen und Aussagen in den Entscheidungsgründen scheide aus, da diese nicht in Rechtskraft erwachsen würden. Damit sei der Zeuge von der Entscheidung zwar dann nicht beschwert, wenn seinem Antrag aus anderen als von ihm benannten Gründen stattgegeben würde, wenn der vom Gericht angenommene Anspruchsgrund nicht zu einer quantitativen Teilabweisung führe.

Hier läge die Beschwer in der Versagung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Dies ergäbe sich zwar nicht aus dem Tenor, aber aus den Entscheidungsgründen, womit das Landgericht von dem auf §§ 384 Nr. 2 und 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gestützten Antrag abgewichen sei. Der Zeuge habe damit zwei Verfahrensgegenstände zum Gegenstand des Zwischenstreits gemacht. Nach dem Entscheidungsründen sei der eine Verfahrensgegenstand (§ 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) abgelehnt worden. Die Versagung in den Entscheidungsgründen enthalte eine Teilabweisung, die im Tenor des Zwischenurteils hätte aufgenommen werden müssen, da sich die Rechtskraft der Entscheidung auch darauf erstrecke.

Die Ablehnung des Verweigerungsgrundes nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hätte mit der Beschwerde angegriffen werden können, da sie nicht unnötig oder rechtsmissbräuchlich gewesen wäre. Denn dessen Abweichung könne sich zum Nachteil des Zeugen auswirken, so wenn er im weiteren Verlauf zu einer anderen Beweisfrage benannt würde, aus der sich möglicherweise eine neue, andere Konfliktlage iSv. § 384 Nr. 2 ZPO ergäbe. Der Zeuge sei dann gehalten, erneut einen Zwischenstreit zu führen, um eine Verweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO zu führen, da anders als nach § 384 Nr. 2 ZPO sei § 393 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht mit dem Inhalt der Beweisfrage, sondern mit einer gegenwärtigen oder in der Vergangenheit bestehenden Verwandt- oder Schwägerschaft zur Partei verbunden und wirke § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich für die Dauer des Verfahrens.

Damit hätte der Zeuge eine Anschlussbeschwerde im Hinblick auf § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO einlegen können. Da dies nicht erfolgt sei, könne der BGH darüber auch nicht entscheiden.

BGH, Beschluss vom 20.07.2023 - IX ZB 7/22 -

Samstag, 25. November 2023

Reisemangel bei fehlender Information zu Witterungsbedingungen durch Reiseveranstalter ?

Die Klägerin hatte eine Minderung des Reisepreises geltend gemacht, da witterungsbedingt bei einer bei der Beklagten gebuchten Ecuadorrundreise (Festland) Sichtbeeinträchtigungen bestanden hätten. Das Landgericht hatte die Klage (mit Ausnahme für eine nicht durchgeführte Durchquerung einer Fledermaushöhle) abgewiesen; die Berufung der Klägerin wurde durch Beschluss gem. § 522 ZPO wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussichten zurückgewiesen.

Eine Informationspflicht des Reiseveranstalters zu Witterungsverhältnissen im Zielgebiet und damit zu damit einhergehenden Sichtbeeinträchtigungen habe nicht bestanden. Es würde die Möglichkeit bestehen, sich über die typischen Witterungsverhältnisse in einem Land zu bestimmten Jahreszeiten selbst zu informieren; hierüber müsse der Reiseveranstalter nicht aufklären. Das Internet biete eine kostenlose Möglichkeit, zudem (anders als eventuell Reiseführer) aktuelle Informationsmöglichkeit, zumal üblicherweise ein Reiseführer (der zudem zu bezahlen sei) regelmäßig erst nach der Entscheidung für ein Zielgebiet erworben würde.

Auch könne kein überlegener Wissensvorsprung des Reiseveranstalters eine Informationspflicht begründen, selbst wenn die Beklagte in Ecuador eine Reiseleitung unterhalte. So habe nach Angaben der Klägerin der Reiseleiter erklärt, dass die herrschenden klimatischen Verhältnisse im Dezember in Ecuador „normal“ seien, was zudem auch mit Angaben im Internet korrespondiere, wonach es in Ecuador in den nördlichen Küstenregionen mit tropischen Monsumklima eine ausgeprägte Regenzeit von Dezember bzw. Januar bis Mai und im Andenhochland zwar keine ausgeprägte Regenzeit gäbe, allerdings die Monate November bis Mai als die regenreichsten (mit häufigen Regen nachmittags) gelten würden. Das OLG verwies auf Wikipedia, wetter-atlas.de und wetterkontor.de.   In der Regenzeit könne es auch wiederholt zu Starkregen kommen, der auch länger anhalten könne und je nach damit verbundener Luftabkühlung mit starker Nebelbildung verbunden sein. Dies sei Mitgliedern des Senats bekannt, die zu Regenzeiten in Lateinamerika gewesen seien.

Damit ließe sich eine Beratungspflicht des Reiseveranstalters hinsichtlich örtlich üblicher Witterungsbedingungen im Reisemonat auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, dass es sich um eine recht hochpreisige Reise gehandelt habe. Bestimmend für den Reisepreis sei primär gewesen, dass es sich gemäß der Reisebeschreibung um eine exklusive Privatreise der Klägerin und ihres Mitreisenden gehandelt habe und die Flugreise als sogen. Gabelflug in der Business-Class (mit Ausnahme des Inlandfluges) erfolgt sei, weshalb auch eine Störung des Äquivalenzverhältnisses angenommen werden könne, wenn von der Klägerin eigene Recherchetätigkeiten im Hinblick auf Witterungsverhältnisse im Zielgebiet erwartet würden.

Auch der Umstand, dass die Beklagte mit Vertragsabschluss die ordnungsgemäße Durchführung der Reiseleitung versprach, trage nicht. Denn die Witterungsverhältnisse hätten der Erbringung der in der Reisebeschreibung benannten Programmpunkten (mit Ausnahme der Durchquerung der Fledermaushöhle, für deren Entfallen das Landgericht eine Minderung zuerkannt hatte) nicht entgegengestanden. Der Charakter einer beschriebenen Erlebnisreise sei erhalten geblieben.

In dem die Berufung zurückweisenden vorangegangenen Hinweisbeschluss vom 13.06.2023 wies das OLG darauf hin, dass zu witterungsbedingten Verhältnissen etwas anders gelten würde, wenn sich für den Reisezeitraum eine atypische, unvorhergesehenen Wetterlage abzeichne und auf die vereinbarte Reiseleistung auswirken würde (so die Durchführbarkeit geplanter Fahrten oder Wanderungen). Insoweit treffe den Reiseveranstalter eine Erkundigungs- und Umweltbeobachtungspflicht und daraus abgeleitet eine Informationspflicht gegenüber dem Reisenden. Das aber läge hier nach dem Vortrag der Klägerin nicht vor.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.08.2023 - 16 U 54/23 -

Dienstag, 21. November 2023

Sorgfaltspflicht bei Einfahren von Parkplatz auf Straße trotz „Rot“ der Fußgängerampel

Der Kläger wollte mit seinem Fahrzeug vom Parkplatz eines Discounters auf die Straße fahren, wo er mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. kollidierte, indem er gegen dessen rechte Seite fuhr. Zur rechten Seite (aus Sicht des Klägers) der Ein- und Ausfahrt des Parkplatzes befand sich eine Fußgängerampel. Nach Behauptung des Klägers habe der Beklagte diese Ampel bei Rotlicht passiert. Das Landgericht wies die Schadensersatzklage ab. Die Berufung gegen das Urteil wies das OLG zurück.

Das OLG geht nicht von einer Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls für die Beklagtenseite aus, § 17 Abs. 3 StVG. Bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge sei im Rahmen der erforderlichen Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden sei, wobei unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen seien. Dabei habe jeder Halter die Umstände zu bewiesen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten wolle (BGH, Urteil vom 13.02.1996 - VI ZR 126/95 -).

Das OLG stellte auf § 10 StVO ab. Diese Norm verlange von demjenigen, der aus einem Grundstück, einer Fußgängerzone oder einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren wolle, sich dabei so zu verhalten habe, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei, andernfalls ggf. ein Einweiser erforderlich sei (erhöhte Sorgfaltspflicht). Käme es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Ein- oder Ausfahren zu einem Verkehrsunfall spreche zudem der Beweis des ersten Anscheins für einen unfallursächlichen Verstoß des Ein-/Ausfahrenden iSv. § 10 StVO (OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2018 – I-9 U 54/17 -).

Die Ampel habe nicht den ein- aus ausfahrenden verkehr des Parkplatzes geregelt, sondern habe nur dem Fußgängerverkehr gedient. Der Kläger sei vom Parkplatz auf die bevorrechtigte Straße gefahren. Damit käme es nicht darauf an, ob die rechts von der Ausfahrt stehende Ampel durch Rotlicht die die Weiterfahrt doch für den Verkehr auf der Straße sperrte. Das Vertrauen darauf, dass Fahrzeuge an der Fußgängerampel anhalten würden, entbinde den Einfahrenden nicht von der erhöhten Sorgfaltspflicht nach § 10 StVO (OLG Hamm, Urteil vom 16.02.2016 – 9 U 108/15 -).

Auf Beklagtenseite habe kein Sorgfaltsverstoß vorgelegen; insbesondere sei nicht klägerseits nachgewiesen worden, dass der Beklagtenfahrer bei Rotlicht über die Fußgängerampel gefahren sei. Damit sei eine Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls für ihn gegeben (Anm.: andernfalls hätte er sich im Rahmen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs den Verkehrsverstoß zurechnen zu lassen, wobei im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen wäre, dass das Rotlicht der Fußgängerampel nicht dem Schutz des einfahrenden Verkehrs dient, s.o., und mithin der Verstoß des Klägers gegen § 10 StVO im Rahmen der Haftungsabwägung schwerer wiegen würde).

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 14.02.2023 - 7 U 63/22 -