Mittwoch, 9. Dezember 2020

Voraussetzungen für einen konkludenten Mietvertragsabschluss über Gewerberaum

 

Die Klägerin erhob negative Feststellungsklage mit dem Begehren festzustellen, dass zwischen ihr und der Beklagten kein Mietvertrag über bestimmte, näher bezeichnete Räumlichkeiten vorläge und verlangt Rückzahlung von ihr angezahlter Kaution. 

Die Klägerin hatte einen Mietvertragsentwurf unterzeichnet, in dem das OLG einen Antrag auf Abschluss eines Gewerberaummietvertrages iSv. § 145 BGB sieht, der von der Beklagten nicht innerhalb der vereinbarten Annahmefrist (§ 21 Abs. 6 des Vertragsentwurfs) angenommen worden sei.

Allerdings wurden in der Folge auch die Räumlichkeiten tatsächlich an die Klägerin übergeben. Entscheidend sei die Auslegung des Verhaltens im Rahmen der Übergabe gem. §§ 133, 157 BGB. Auszugehen sei dabei hier darauf, wie die Klägerin die Willenserklärungen des Mitarbeiters der Hausverwaltung der Beklagten nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste.

Auszugehen sie vom Wortlaut der Erklärung. Er soll erklärt haben, er wolle den von der Klägerin unterzeichneten Vertragsentwurf an die Beklagte übersenden und sodann der Klägerin in unterzeichnetes Exemplar zukommen lassen. Damit aber habe er zu erkennen gegeben, nicht selbst eine Erklärung auf das Vertragsangebot der Klägerin abgeben zu wollen, weshalb er auch eine Annahmeerklärung nicht konkludent mit der Übergabe der Räume abgegeben habe. Unabhängig aber von dieser Erklärung könne auch die Übergabe der Räume (ohne die Erklärung) nicht als konkludenten Vertragsannahme angesehen werden; dagegen habe bereits § 21 Abs. 6 des Mietvertrages gestanden. Danach sollte der Vertragsabschluss in der Weise erfolgen, dass innerhalb von drei Wochen der von der anderen Partei bereits unterzeichnete Entwurf angenommen werden sollte. Auch wenn die Annahme nicht notwendig der Schriftform bedarf und die vertragliche Schriftformklausel nur Änderungen des Vertrages betreffe, wurde doch in § 21 Abs.6 doch deutlich, dass für den Regelfall von einer schriftlichen Annahme ausgegangen wurde. Nach dem maßgeblichem Empfängerhorizont war das Verhalten des Mitarbeiters der Hausverwaltung, der den Mietvertragsentwurf mitnahm, deshalb dahin zu verstehen, dass er diesen an die Beklagte zur Entscheidung über die Annahme weiterleitet. Daher hätte es für den Fall, das es anders verstanden werden sollte, einer ausdrücklichen Erklärung des Mitarbeiters der Hausverwaltung bedurft, dass es bereits mit der Übergabe der Räume zum Vertrag käme. Zudem sei hier nach § 2 ein längerfristiger Vertrag beabsichtigt gewesen, der nach § 550 BGB ohnehin der Schriftform bedurft habe.

Ob zudem dem Schriftformerfordernis entsprochen wurde, bedürfe keiner Entscheidung. Ein Verstoß gegen die Schriftform würde nur dazu führen, dass keine Bindungswirkung von mehr als einem Jahr bestünde.

Danach habe das Landgericht der Klage der Klägerin zutreffend stattgegeben.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 30.09.2020 - 5 U 1275/20 -

Montag, 7. Dezember 2020

Einstweilige Einstellung der Räumungsvollstreckung vor Einlegung der Berufung

Das Amtsgericht hatte der Räumungsklage stattgegeben. Der Beklagte beantragte beim Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Berufung und gleichzeitig die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil.

Das Landgericht stellte hier einstweilen die Räumungsvollstreckung ein, allerdings zeitlich beschränkt auf knapp zwei Monate nach Verkündung des Beschlusses. Zur Begründung führte es aus, dass ihr ohne die sich noch beim Amtsgericht befindlichen Sachakten eine Prüfung der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels der Berufung nicht möglich sei. Deshalb sei die Einstellung zunächst für einen Zeitraum bis zur erwarteten Überlassung der Sachakte und einer angemessenen Zeit für die weitergehende Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels als Voraussetzung für die Prüfung des weitergehenden Einstellungsantrages nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO auszusprechen.

Der einstweilige Rechtsschutz nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO sei zu gewähren, obwohl bisher der Beklagte keine Berufung eingelegt habe. Diese Normen seien zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes entsprechend im Rahmen eines Verfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe während dessen Dauer anzuwenden (offen gelassen vom BGH im Beschluss vom 26.09.2018 - VIII ZR 290/18 -).  

Vorliegend sei die Einstellung nicht von einer Sicherheitsleistung durch den Beklagten gem. § 707 Abs. 1 ZPO abhängig zu machen, da der Beklagte in einer den Anforderungen des § 294 ZPO (Glaubhaftmachung) genügenden Form glaubhaft gemacht habe, dass er zu einer Sicherheitsleistung nicht in der Lage sei.

Anmerkung: Die Entscheidung ist in der Sache richtig. Eine Partei, die zur Durchführung eines Verfahrens auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, muss im Falle einer von ihr beabsichtigten Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist Berufung einlegen; ausreichend ist vielmehr der Antrag auf Prozesskostenhilfe innerhalb der Berufungsfrist. Wir die Berufung nach Ablauf der Berufungsfrist bewilligt, kann er Berufung einlegen und erfolgreich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO beantragen. Wird der Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, verlängert sich diese Frist von zwei Wochen sogar um drei bis vier Tage Bedenkzeit, da erst nach dieser Frist für die Bedenkzeit die Zweiwochenfrist zu laufen beginnt (BGH, Beschluss vom 13.05.2017 - VIII ZB 54/16 -). Besteht mithin die Möglichkeit, Berufung unter der Voraussetzung der Beantragung von Prozesskostenhilfe auch noch erfolgreich nach Ablauf der Berufungsfrist einzulegen, wäre es unverständlich, wenn hier dem potentiellen Berufungsführer die Möglichkeit der Verhinderung der möglichen Vollstreckung aus dem Urteil durch Einstellung derselben verwehrt würde. Dass bei einer Versagung der Prozesskostenhilfe aus Erwägungen, die sich auf die mangelnde Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung bezieht, keine weitere Einstellung der Vollstreckung gewährt würde liegt auf der Hand, weshalb auch hier die zeitliche Befristung durch das Landgericht gerechtfertigt ist.

LG Berlin, Beschluss vom 29.10.2020 - 67 S 314/20 -

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Nachbarrecht: Schwenkkran über Nachbars Grundstück

 

Der (Verfügungs-) Beklagte wollte Bauarbeiten auf seinem Grundstück durchführen, bei denen auch ein Baukran eingesetzt werden sollte, der über das Grundstück der (Verfügungs-) Klägerin schenkt. Die Verfügungsklägerin widersprach dem unter Hinweis darauf, dass sie keine näheren Angaben vom Beklagten erhalten habe. Gleichwohl stellte die Beklagte einen Baukran mit einem Schwenkbereich von 40m auf, der über das Anwesen der Klägerin schwenkte. Die Klägerin beantragte eine einstweilige Verfügung, mit der sie das Überschwenken verhindern wollte. Das Landgericht wies den Antrag ab. Die Berufung der Klägerin war erfolgreich.

Nach Darlegung des OLG hätte der Beklagte das in Art. 46b Abs. 3 BayAGBGB (Hammerschlags- und Leiterrecht) vorgesehene Verfahren einhalten müssen, was nicht der Fall gewesen sei. Schon vor diesem Hintergrund stelle sich die Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin durch das Überschwenken als verbotene Eigenmacht nach §§ 858, 862 GB dar und sei im Rahmen der einstweiligen Verfügung zu untersagen, unabhängig davon, ob ein materiell-rechtlicher Duldungsanspruch bestünde.

Das Überschwenken falle in den Bereich des Art. 46b Abs. 1 BayAGBGB. Danach müsse ein Nachbar unter den dort benannten Voraussetzungen dulden, dass sein Grundstück von dem Nachbareigentümer und von diesem beauftragten Personen zwecks Errichtung, Veränderung, Instandhaltung oder Beseitigung einer baulichen Anlage betreten wird, dort Gerüste und Geräte aufgestellt werden oder auf dieses übergegriffen wird, über das Grundstück Baustoffe gebracht werden oder auch dort niedergelegt werden. Bei dem Überschwenken des Baukrans würde es sich in diesem Sinne um ein „Übergreifen von Geräten“ handeln. Das Überschwenken des Kranauslegers stelle eine in Art. 46b Abs. 1 BayAGBGB dar; wie sich auch aus § 905 S. 1 BGB ergebe, wonach sich das Recht des Eigentümers auch auf dem Raum über der Oberfläche erstrecke.

Damit hätte der Beklagte die Absicht einen Monat vorher anzeigen müssen, und zwar unter Darlegung der Art und Dauer der Arbeiten, Art. 46 Abs.3 BayAGBGB. Auch wenn dies erfolgt sei, hätten sie nicht entsprechend verfahren dürfen, da die Anzeige zwar Voraussetzung für die Ausübung des Rechts, nicht aber Bedingung des Duldungsanspruchs sei. Wenn sich der Verpflichtete nicht erklärt,  dürfe das Grundstück entsprechend der Ankündigung genutzt werden. Verweigere er aber die Nutzung seines Grundstücks, bedürfe eines Duldungstitels. Selbsthilfe sei  - außer im Falle des Notstandes, § 905 BGB - nicht statthaft.

OLG München, Urteil vom 15.10.2020 - 8 U 5531/20 -

Dienstag, 1. Dezember 2020

WEG: Verwalterbestellung und § 6 COVMG (COVID-19-Maßnahmegesetz vom 27.03.2020)

 

Im Gesetz über „Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts,- Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie“ vom 27.03.2020 wurde in § 6 festgehalten (BGBl  I 2020,  569):

(1) Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt.

(2) Der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.

Das OLG musste sich in mit der Frage auseinandersetzen, ob  eine in der Teilungserklärung vorgesehen Zustimmung des Verwalters bei einem Verkauf von Wohnungseigentum (§ 12 Abs. 1 WEG) dann gewahrt ist, wenn zwar eine Zustimmungserklärung einer als Verwalter auftretenden Person vorgelegt wird, aber nicht der Nachweis erbracht wird, das diese zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung auch Verwalter war (§ 26 Abs. 3, § 24 Abs. 6 WEG). Vorliegend sei nicht nachgewiesen worden, dass die „Hausveraltung H“ am 13.03.2020, dem Zeitpunkt der notarielle beglaubigten Zustimmungserklärung, auch Verwalterin war.

Es seien Protokolle zu Eigentümerversammlungen für die Jahre 2018 und 2019 vorgelegt worden, nach denen die Bestellung der „Hausverwaltung H“ zum Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft zum 31.12.2019 endete. Auch aus § 6 Abs.1 des am 28.03.2020 in Kraft getretenen COVID-Auswirkungen-BekämpfungsG ergäbe sich nicht die Verwalterbestellung zum 13.03.2020.  Zwar sei hier geregelt, dass der zuletzt bestellte Verwalter bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt bleibe, wodurch nach der gesetzgeberischen Intention die Verwaltung der Gemeinschaft auch in Zeiten gewährleistet werden sollte, in denen eine Eigentümerversammlung nicht zusammentreten kann.  Aus der Gesetzesbegründung ergäbe sich weiterhin, dass die nicht nur für den Fall gelte, dass die Bestellungszeit nach Inkrafttreten dieses Gesetzes am 28.03.2020 ablaufe, sondern auch dann, wenn sie zuvor ablaufe (wie hier geschehen). Die Vorschrift führe aber nur dazu, dass der vormalige Verwalter mit Beginn des 28.03.2020 kraft Gesetzes wieder ins Amt gehoben worden sei. Es folge daraus nicht, dass der Verwalter mit Inkrafttreten des Gesetzes auch rückwirkend als bestellt anzusehen sei, sondern nur, dass er ab diesem Zeitpunkt wieder Verwalter ist mit der Folge, dass eine verwalterlose Zeit ende.

Daraus folge hier, dass der Verwalter die am 13.03.2020 abgegebene Erklärung nochmals abgeben müsse.

OLG Hamm, Beschluss vom 05.08.2020 - 15 W 266/20 -

Samstag, 28. November 2020

Zur Abgrenzung von Verschleiß zu Sachmangel beim Gebrauchtwagenkauf

 

Der Kläger kaufte von der gewerblich als Gebrauchswagenhändlerin tätigen Beklagten einen neun Jahre alten Peugeot 307 CC mit einer Laufleistung von 84.820km, der bereits mehrere Vorbesitzer hatte. Im Kaufvertrag wurde „TÜV/AU neu“ vereinbart. Der Kaufvertrag wurde am 11.01.2014 abgeschlossen; die beanstandungsfreie Hauptuntersuchung erfolgte am 14.01.2014. Am 17.01.2014 erfolgte die Übergabe des Fahrzeuges an den Kläger. Der Kläger machte in der Folgezeit mehrere Mängel geltend, u.a. eine starke Geräuschentwicklung am Auspuff. Im Dezember erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Begründung, das Fahrzeug sei von Anfang an – insbesondere am Auspuff – mangelbehaftet gewesen. Die Beklagte berief sich auf einen typischen Verschleiß; Schweißarbeiten, die sie in Ansehung der Rügen des Klägers am Auspuff vorgenommen habe, seien wegen des Verschleißes, nicht aber wegen Mängeln bei Übergabe erfolgt.

Die Wandlungsklage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.

Entgegen der Annahme des Klägers ging auch der BGH nicht davon aus, dass ein Mangel an der Auspuffanlage vorlag. Der Kaufgegenstand sei mangelfrei, wenn er die vereinbarte Beschaffenheit aufweise. Sei eine Beschaffenheit nicht vereinbart, sei die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eigne und eine Beschaffenheit aufweise, die bei Sachen der gleichen Art üblich sei und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten dürfe (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB).

Die Vereinbarung „TÜV(AU neu“ stelle sich bei interessengerechter Auslegung als stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB dahingehend dar, dass sich das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten, verkehrssicheren Zustand befindet. Dies sei hier mangels anderweitiger Feststellungen der Fall.

Das Fahrzeug habe sich auch für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung oder für die gewöhnliche Verwendung geeignet. In beiden Alternativen käme es darauf an, ob der (ältere) Gebrauchtwagen zur Verwendung als Fahrzeug im Straßenverkehr nicht oder nur eingeschränkt geeignet sei. Dabei habe das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass ein normaler Verschleiß an der Auspuffanlage eines Gebrauchtwagens keinen Sachmangel darstelle, da bei der Beurteilung zu berücksichtigen sei, dass Verschleißteile eines Kraftfahrzeuges in Abhängigkeit von Alter, Laufleistung, Anzahl der Vorbesitzer, Art der Vorbenutzung und Qualität des Fahrzeuges einer kontinuierlichen Abnutzung, so auch durch Rosterscheinungen, unterliege. Währen bei sicherheitsrelevanten Teilen (wie Bremsanlage) eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit mit der Folge der fehlenden Eignung zur Verwendung im Straßenverkehr und damit ein Sachmangel vorläge,  sei bei einem Verschleiß im Übrigen nicht von einem Sachmangel auszugehen. Dies selbst dann, wenn sich daraus in absehbarer Zeit ein Erneuerungsbedarf ergäbe. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass bei einem zehn Jahre alten Gebrauchswagen mit vielen Vorbesitzern und einer Laufleistung von über 80.000km (nicht sicherheitsrelevante) Durchrostungen an der Auspuffanlage einen „normalen Verschleiß“ darstellen würden, sei nicht zu beanstanden.

Auch aus der Vermutung des§ 476 BGB a.F. (heute: § 477 BGB) ließe sich nichts anderes ableiten. Zwar greife die Vermutung zugunsten des Käufers bereits dann, wenn diesem der Nachweis gelinge, dass sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand gezeigt habe, der die Haftung des Verkäufers wegen Abweichung von einer Beschaffenheit begründe, unterstellt die Ursache des Zustandes lägen in einem dem Verkäufer zurechenbaren Umstand.  Die Vermutungswirkung führe dazu, dass ein in den ersten sechs Monaten zutage getretener mangelhafter Zustand als bei Gefahrübergang bestehend angenommen würde. Allerdings sei hier ein mangelhafter Zustand in den ersten sechs Monaten nicht aufgetreten. Die beanstandete Geräuschentwicklung mag zwar mehr oder minder starke Durchrostungen aufgewiesen haben, doch sei dies ein normaler verschleiß und damit kein mangelhafter Zustand.

BGH, Urteil vom 09.09.2020 - VIII ZR 150/18 -

Donnerstag, 26. November 2020

Wann besteht Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Kfz-Neupreises nach Verkehrsunfall ?

 

Am Unfalltag betrug der Kilometerstand des PKW des Klägers 571 Kilometer. Die Reparaturkosten beliefen sich nach Gutachten auf brutto € 5.287,43 bei einer Wertminderung von € 1.000,00. Der Kläger verlangte die Kosten für einen Neuwagen mit € 37.181,00 zuzüglich der Sachverständigenkosten für das Gutachten und eine Kostenpauschale mit € 30,00. Das Landgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil ab und verurteilte die Beklagten zur Zahlung von € 6.180,54 (nämlich Reparaturkosten auf Basis des Gutachtens mit netto € 4.443,22, Sachverständigenkosten, Minderwert und Kostenpauschale, diese mit € 25,00). Die zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der BGH bekräftigte, dass bei einem fabrikneuen Fahrzeug mit eine Laufleistung von nicht mehr als 1.000km bei einer erheblichen Beschädigung des Fahrzeugs (und ausdrücklich auch nur dann) der Eigentümer berechtigt sei, Ersatz für die Beschaffung eines Neufahrzeugs zu verlangen, wenn er ein gleichwertiges Fahrzeug erworben habe. Die Erwägung, ein repariertes Unfallfahrzeug bleibe wertmäßig hinter einem Neuwagen zurück, lasse den Anspruch auf den Ersatz des Minderwertes unberücksichtigt. Es gelte das Wirtschaftlichkeitspostulat und das Bereicherungsverbot und es sei nicht ersichtlich, welche Gründe bei einer Beschädigung eines Neuwagens für deren Aufgabe sprechen könnten.

Vorliegend habe der Kläger keinen Neuwagen erworben. Die durch Erstattung der Kosten eines angeschafften gleichwertigen Neuwagens erfolgte Anhebung der „Opfergrenze“ des Schädigers erfolge allein zum Schutz des besonderen Interesses des Geschädigten am Eigentum und der Nutzung eines Neufahrzeuges. Dies setze aber ein solches Interesse des Geschädigten voraus, welches durch den Kauf eines Neufahrzeugs nachzuweisen sei. Nur dann sei es gerechtfertigt, mehr als die Reparaturkosten und den merkantilen Minderwert zuzuerkennen.

BGH, Urteil vom 29.09.2020 - VI ZR 271/19 -

Montag, 23. November 2020

Rechtfertigt die staatlich angeordnete (coronabedingte) Ladenschließung Nichtzahlung der Miete oder eine Anpassung des Mietvertrages ?

Streitig war der von der beklagten Mieterin nicht gezahlte Mietzins für das aufgrund der Corona-Epidemie nach Verordnung zu schließende angemietete Ladenlokal der Beklagten für April 2020. Die verordnungsbedingte Schließung dauerte vom 18.03. bis 20.04 2020. Von der beklagten wurde geltend gemacht, sie habe bei allen Filialen bundesweit gegenüber 2018 und 2019 im März 2020 einen Umsatzverlust von 54%, im April 2020 von 41% gehabt und die Schließung der Filialen führe zu einer erheblichen Liquiditätslücke, weshalb sie die Miete April nicht zahlen könne. Si e nutze die Kurzarbeit; staatliche Unterstützung erhalte sie nicht. Sie sei daher zur Mietzahlung nicht verpflichtet.

Das Landgericht gab der Zahlungsklage der vermietenden Klägerin statt.

Weder sei die Beklagte nach §$ 536 Abs. 1 S. 1 BGB von einer Mietzahlungsverpflichtung befreit noch nach § 536 Abs. 1 S. 2 BGB zur Herabsetzung der Miete berechtigt. Denn die staatlich angeordnete Maßnahme stelle sich nicht als Mangel der Mietsache nach § 536 BGB dar. Ein Mangel sei die Abweichung der Ist- von der vereinbarten Soll-Beschaffenheit. Zwar könnten auch öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse einen Mangel bewirken, doch setze dies voraus, dass die Beschränkung der konkreten Mietsache ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt habe und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters. Hoheitliche Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigen würden, würden in den Risikobereich des Mieters fallen. Der Vermieter sei nach § 535 Abs. 1 S. 2 BGB nur verpflichtet, die Mietsache in einem Zustand zu erhalten, der dem Mieter die vertraglich vorgesehen Nutzung ermögliche, wobei das Verwendungsrisiko bei dem Mieter verbliebe. Damit aber scheide ein Sachmangel aus, da die hoheitliche Maßnahme dem Schutz der Bevölkerung gedient habe und nicht an die Beschaffenheit der Mietsache als solche anknüpfe.

Eine Befreiung von der Mietzahlungsverpflichtung ergebe sich auch nicht aus § 326 Abs. 1 S. 1 iVm. § 275 Abs. 1 BGB da durch die staatlich verordnete Schließung kein Fall der Unmöglichkeit der Gebrauchsgewährung durch den Vermieter vorläge. Die Schließung stelle sich als Verwendungsrisiko dar, welches alleine bei dem Mieter läge.

Letztlich könnte der Mieter auch nicht auf der Grundlage des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) eine Anpassung des Mietzinses verlangen. Es sei dazu nicht einmal klar, ob die Parteien den Vertrag (abgeschlossen 2015) nicht oder anders abgeschlossen hätten, wenn sie sich damals bewusst gemacht hätten, dass die Verkaufsstätte auf Grund staatlicher Maßnahmen für einen Monat geschlossen würde. Darauf käme es aber auch nicht an, da jedenfalls der Beklagten das Festhalten am bisherigen Vertrag nicht unzumutbar sei.

Die Vertragsanpassung habe zur Voraussetzung, dass dies zur Vermeidung eines ansonsten untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zumutbaren Ergebnisses unabweislich erscheine. Dies sei hier nicht der Fall. Zu berücksichtigen sei bei der Abwägung die vertragliche Risikoverteilung. Die Mieterin trage danach das Verwendungsrisiko. Dieses Risiko könne sie nicht, abgesehen von extremen Ausnahmefällen, über das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ganz oder teilweise abwälzen.

Dass die staatlich erzwungene Schließung hier zu existenziell bedeutsamen Folgen für die Beklagte geführt habe, sei von dieser nicht dargelegt. Es würden lediglich Liquiditätsengpässe benannt, denen hier Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB Rechnung trage, insoweit der Mieter vor Kündigungen geschützt wird, soweit er (in einem bestimmten Zeitraum, nämlich 01.04. – 30.06.2020) seine Miete vorübergehend nicht pünktlich zu leisten im Stande gewesen sei. Zudem habe die Schließung nur einen Monat angedauert und in dieser Zeit habe die beklagten durch Kurzarbeit Kosteneinsparen können und nach Ablauf des Monats ihren Geschäftsbetrieb wieder ohne wesentliche Einschränkungen aufnehmen können. Es sei auch nicht vorgetragen, dass die Beklagte immer noch einen Liquiditätsengpass habe.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.10.2020 - 2-15 O 23/20 -