Donnerstag, 27. April 2023

Anhörungsrüge gegen Beschluss zur vorangegangenen Anhörungsrüge ?

Die Berufung des Klägers gegen ein Urteil eines Arbeitsgerichts wurde vom Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen. Das Landesarbeitsgericht hatte die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wurde vom Kläger Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) zum Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. Diese wurde vom BAG nicht angenommen. Gemäß § 78a ArbGG erhob der Kläger Anhörungsrüge, die vom BAG zurückgewiesen wurde. Gegen den Zurückweisungsbeschluss erhob der Kläger ebenfalls Anhörungsrüge; diese wurde vom BAG als unzulässig zurückgewiesen.

Die Anhörungsrüge gem. § 78a ArbGG entspricht der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO und nach § 178a SGG, 152a VwGO, 133a FGO. Das BAG zeigte die Grenzen der Anhörungsrüge auf, die sich auch aus Sinn und Zweck der Normen erklärt. Sie kann von dem Rechtssuchenden erhoben werden, wenn gegen eine Entscheidung eines Gerichts kein ordentliches Rechtsmittel mehr möglich ist und r der Ansicht ist, die Entscheidung beruht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs (so dem Übergehen von Vortrag und/oder Beweisangeboten).

Vom BAG wurde ausgeführt, dass die weitere Anhörungsrüge unzulässig sei, da ein erneuter Rechtsbehelf gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhörungsrüge als unzulässig verworfen bzw. als unbegründet zurückgewiesen wurde, unanfechtbar sei und von daher die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses gem. § 78a Abs. 4 S. 4 ArbGG der erneuten Rüge entgegenstehen würde (BAG, Beschluss vom 19.11.2014 - 10 AZN 618/14 (A); entsprechend zu § 321a Abs. 4 S. 4 ZPO BGH Beschluss vom 02.03.2015 - V ZR 219/13 -). Dies sei auch vom Bundesverfassungsgericht so gesehen worden (BVerfG, Beschluss vom 26.04.2011 - 2 BvR 597/11 -).

Das gelte auch dann, wenn die (erste) Anhörungsrüge wegen Fristversäumnis (es gilt hier eine Notfrist von zwei Wochen, die mit Kenntnis [Zustellung] der Entscheidung, zu der die Anhörungsrüge erhoben wird) zurückgewiesen worden sei und damit keine inhaltliche Entscheidung getroffen wurde.

§ 78a ArbGG (und entsprechendes gilt auch für § 321a ZPO) trage dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung, demzufolge dem Rechtssuchenden die Möglichkeit gewährt werden müsse, eine behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht (also eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG) einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Käme dies nicht zum Tragen, da es dem Rechtssuchenden nicht gelinge, die gesetzlich vorgeschriebene Formalien einzuhalten, sei das vom Gesetzgeber eröffnete Mindestmaß an Rechtsschutz gewahrt und trete nunmehr das auch im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Rechtssicherheit in den Vordergrund (BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 -).

Der Beschluss des BVerfG vom 30.04.2003 war Auslöser für die Einfügung der §§ 321a ZPO und 78a ArbGG, da das BVerfG - wohl in Ansehung der Flut von Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung rechtlichen Gehörs durch die Fachgerichte - darauf verwies, dass das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe im Falle der Verletzung rechtlichen Gehörs fordere und insoweit dem Gesetzgeber eine Frist setzte, dies zu schaffen. Nimmt mithin der Rechtssuchende an, eine Entscheidung eines Gerichts beruhe auf der Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nach den nunmehr in den einschlägigen Gesetzen geregelten Gehörsrüge der Rechtssuchende gehalten, eine Anhörungsrüge zu erheben, in der er unter Einhaltung der Frist darlegen muss, worin die Verletzung rechtlichen Gehörs liegt und welche Auswirkungen diese angenommene Verletzung auf den Ausgang des Prozesses hat. Eine Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs ist demgegenüber subsidiär, kann also nur erhoben werden, wenn zuvor (erfolglos) die Anhörungsrüge erhoben wurde. Wird der Anhörungsrüge vom Fachgericht nicht stattgegeben, gleich aus welchen Gründen, ist damit auch dann eine weitere Anhörungsrüge ausgeschlossen, wenn das Fachgericht tatsächlich auch bei dieser das rechtliche Gehör verletzt haben würde (was aber dann nicht der Fall wäre, wenn die Anhörungsrüge nicht Frist- und Formgericht erhoben wurde du deshalb zurückgewiesen wurde). Auch weiterhin ist mithin eine Verfassungsbeschwerde gegen eine nicht rechtmittelfähige Entscheidung eines Fachgerichts möglich (§ 13 Nr. 8a BVerfGG iVm. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Wird also im Rahmen der Anhörungsrüge durch das Fachgericht dem Erfordernis des rechtlichen Gehörs nicht entsprochen oder beruht die Zurückweisung der Anhörungsrüge als unbegründet (neuerlich) auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs, ist nunmehr grundsätzlich für den Rechtssuchenden die Verfassungsbeschwerde eröffnet.

BAG, Beschluss vom 21.03.2023 - 6 AZN 56/23 (F) -

Montag, 24. April 2023

Finanz-Vollmacht zwischen Eheleuten: Auftragsverhältnis oder Gefälligkeit

Die Eheleute hatten sich nach über 50-jähriger Ehe eineVollmacht erteilt. Die Klägerin ist deren Tochter. Nach dem Tod der Mutter war sie Miterbin derselben und machte gegen ihren Vater klageweise einen auf §§ 662, 666 BGB gestützten Auskunftsanspruch geltend. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht (LG) wies die Klägerin darauf hin, dass es gedenke, ihre Berufung als offenbar unbegründet zurückzuweisen, § 522 ZPO.

Ein Auftragsverhältnis ist ein Vertragsverhältnis. Dies zugrundelegend wies das OLG darauf hin, dass die Klägerin ein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis zwischen ihren Eltern nicht bestritten habe. Es nahm nunmehr die Abgrenzung zwischen einem (rechtsgeschäftlichen) Auftragsverhältnis und einem reinen Gefälligkeitsverhältnis vor, da lediglich im Rahmen des Auftrages nach § 662 BGB eine Auskunftsanspruch des Auftraggebers (hier der Ehefrau und in deren Rechtsnachfolge der Klägerin) bestehen würde. Entscheidend sei für die Abgrenzung der Rechtsbindungswille. Dieser sei im Einzelfall nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände und der Verkehrssitte zu ermitteln (BGH, Urteil vom 22.06.1956 - I ZR 198/54 -). Abzustellen sei dabei darauf, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste, mithin darauf, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden dargestellt habe.

Ein Rechtsbindungswille könnet sich bei erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung (die hier in Ansehung der Vermögensverhältnisse zweifelhaft erscheine) ergeben. Bedeutung könne dagegen gewinnen, dass mit notarieller Urkunde vom 27.06.1958 eine Vereinbarung der Gütertrennung getroffen wurde, und zum Zeitpunkt der Generalvollmacht nebst Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung die Ehe bereits über 50 Jahre bestanden habe. Ferner sei von Bedeutung, dass weder vorgetragen noch ersichtlich sei, das die Erblasserin zwischen Vollmachtserteilung und ihrem Tod jemals wegen mit der Vollmacht getätigter Geschäfte Auskunft und Rechenschaft vom Beklagten verlangt hätte. In diesem Fall könne ein Abrechnungsverlangen durch Erben gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen (OLG Hamm, Urteil vom 18.10.2018 - 10 U 91/17 -).

In einem Beschluss des OLG Koblenz vom 10.06.2020 - 12 U 7/20 - sei ein Gefälligkeitsverhältnis negiert worden, wenn eine Vertrauensperson ohne verwandtschaftlichem Verhältnis EC-Karte nebst PIN übergeben würden und damit diese Vertrauensperson über erhebliche Vermögenswerte (Bankguthaben von mehr als € 50.000,00) verfügen könne. Dies läge vorliegend anders. Gerade bei Eheleuten könne die Annahme eines Vertragsverhältnisses und damit die Annahme des § 666 BGB unangemessen erscheinen (BGH, Urteil vom 05.07.2000 - XUU ZR 26/98 -; OLG Köln Urteil vom 19.09.2012 - 16 U 196/11 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.03.2006 - 4 U 10/05 -).

Zudem käme auch eine konkludente Freistellung von Auskunftspflichten nach § 666 BGB in Betracht, da § 666 BGB dispositiv sei.

Mit Beschluss vom 08.02.2023 wies das OLG die Berufung zurück.

OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2023 - 6 U 89/22 -

Sonntag, 23. April 2023

Abdingbarkeit der Verpflichtung zur steuerlichen Zusammenveranlagung ?

Der Antragsteller (AS) begehrte von seiner von ihm seit 2019 getrennt lebenden Ehefrau (Antragsgegnerin, AG) die Zustimmung zur steuerlichen Zusammenveranlagung. Das Familiengericht gab seinem Antrags nicht statt; die dagegen eingelegte Beschwerde des AS wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Während des Zusammenlebens erledigte die AG die steuerlichen Belange der Eheleute. Nachdem die Eheleute vom Finanzamt zur Abgabe der Einkommenssteuererklärung für die Jahre 2013 bis 2019 aufgefordert wurden, wandte sich die AG an den AS und erbat von diesem die erforderlichen Unterlagen und wies den AS mehrfach darauf hin, dass eine gemeinsame steuerliche Veranlagung gegenüber einer Einzelveranlagung der Eheleute wirtschaftlich günstiger wäre. Zu dieser Zusammenveranlagung verweigerte der AS allerdings seine Zustimmung. Seit dem 17.12.2020 sind die im Rahmen der Einzelveranlagung gegenüber der AG ergangenen Steuerbescheide (mit Erstattungen von rund € 10.900,00) rechtskräftig. Die mit einer Nachzahlung von rund € 23.000,00 gegenüber dem AS ergangenen Steuerbescheide waren noch nichts bestandkräftig.

Das OLG führte aus, dass sich aus dem Wesen der Ehe grundsätzlich die Verpflichtung ergeben würde, die finanziellen Belastungen des anderen Teils möglichst zu vermindern, soweit dies ohne Verletzung der eigenen Interessen möglich sei. Von daher bestünde für beide Eheleute jeweils die Verpflichtung, einer Zusammenveranlagung zuzustimmen, wenn dadurch die Steuerschuld des anderen Ehegatten verringert würde, der in Anspruch genommene keinen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sei (BGH, Urteil vom 13.10.1976 - IV ZR 104/74 -). Diese Pflicht würde auch nach einer Scheidung als Nachwirkung der Ehe bestehen bleiben (BGH, Urteil vom 12.06.2002 - XII ZR 288/00 -).

Allerdings sei hier die Verpflichtung wirksam abbedungen worden. Aus dem Schriftverkehr ergäbe sich, dass der AS nicht bereit war, einer Zusammenveranlagung zuzustimmen und die Nachteile einer Einzelveranlagung hinnehmen wollte. Dem habe die AG zugestimmt. Damit habe zwischen den Parteien Einvernehmen bestanden, keine Zusammenveranlagung vorzunehmen, sondern die Steuererklärungen getrennt im Sinne einer Einzelveranlagung abzugeben. Am Rechtsbindungswillen würden Zweifel nicht bestehen. Der AS sei von der AG darauf hingewiesen worden, dass er bei einer Einzelveranlagung mehr nachzahlen müsse, er habe aber auf eine Beendigung seiner Betreuung durch den (von der AG beauftragten) Lohnsteuerhilfeverein bestanden, wobei beide Parteien davon ausgegangen wären, dass sich die AG dort weiter betreuen lassen würde. Damit lägen die Voraussetzungen für eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zur Einzelveranlagung vor und liege nicht nur eine einfache Erklärung des AS vor, keine Zusammenveranlagung zu wollen.

Der grundsätzliche Anspruch aus der ehelichen Verbundenheit und Fürsorgepflicht auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung die aufgrund der rechtsgeschäftlichen Absprache der Beteiligten erloschen. Dies erfasse sowohl die Geltendmachung der Zusammenveranlagung gegenüber dem Finanzamt, wie auch Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis der Beteiligten. Gegen die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung würden keine Bedenken bestehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.11.2005 - 19 W 52/05 -). Während das OLG Frankfurt eine konkludente Vereinbarung als ausreichend ansah, läge hier sogar eine tatsächliche vor.

Der vertraglichen Absprache stünde nicht entgegen, dass der AS im Nachhinein versucht habe, sich von dieser wieder zu lösen, als er von der im Rahmen der Einzelveranlagung entfallenden Nachzahlung erfahren habe. Es würde sich dabei um einen anfechtungsrechtlich unbeachtlichen Motivirrtum handeln. Dem AS seien die erheblichen steuerlichen Nachteile einer Einzelveranlagung durch Erläuterungen der AG und eines Mitarbeiters des Lohnsteuerhilfevereins bekannt gewesen, war aber aus Verärgerung über die AG sowie Unstimmigkeiten über die Kostentragung der Tätigkeit des Lohnsteuerhilfevereins bereit gewesen, etwaige finanzielle Nachteile hinzunehmen.

Die jetzige Verweigerungshaltung der AG sei auch nicht treuwidrig. Der AS habe mit der geschlossenen Vereinbarung auf die sich aus der nachehelichen Solidarität ergebenden Pflichten der AG verzichtet.

OLG Bamberg, Beschluss vom 10.01.2023 - 2 UF 212/22 -

Schadensersatz: Darf sich Tiefbauunternehmer auf Kabelpläne verlassen ?

Das Beklagte Tiefbauunternehmen holte bei der Klägerin wegen eines Auftrages, Tiefbauarbeiten in einer Innenstadtstraße von Rostock vorzunehmen, bei der Klägerin eine Leitungsauskunft ein. Darin war ein Kabelverlauf mit einer grünen Linie eingezeichnet und angeben „Kabelbestand in Fremdtrasse“, „Die genaue Lage ist durch Probeschlitze zu ermitteln !“ und „Tiefenlage der Kabel ca. 0,7 m.“. Bei den Arbeiten wurde ein Kabel in einer Tiefe von 3,30 m beschädigt.

Das Landgericht wies die Schadensersatzklage ab. Ein Verschulden der Beklagten, welches nach § 823 BGB erforderlich sei, läge nicht vor. Zwar würde die Rechtsprechung hohe Anforderungen an Tiefbauunternehme stellen, sich vor der Durchführung von Erdarbeiten an öffentlichen Straßenflächen nach der Existenz und dem Verlauf von unterirdisch verlegten Versorgungsleitungen zu erkundigen und sich Gewissheit im Boden zu verschaffen. In Ansehung einer unverhältnismäßig hohen Gefahr durch Beschädigungen an Strom-, Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen sei mit äußerster Vorsicht vor allem bei Verwendung von Baggern und anderem schweren Arbeitsgerät vorzugehen. Der Unternehmer habe sich über deren Verlauf vorab zu erkundigen und sich im Rahmen der allgemeinen technischen Erfahrung die Kenntnisse zu verschaffen, welche die sichere Ausführung der Arbeiten voraussetzt. Da die Bauämter regelmäßig Versorgungsleitungen nicht verlegen würden, müsse sich der Unternehmer bei den Versorgungsunternehmen erkundigen und, wenn dies nicht weiterhilft, andere Maßnahmen (wie z.B. Probebohrungen oder Ausgrabungen von Hand in dem Bereich, in dem er ausheben will, vorzunehmen (BGH, Urteil vom 20.12.2005 - VI ZR 33/05 -).

Dem sei die Beklagte hier nachgekommen. Danach habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass sich ein Kabel in einer Tiefe von ca. 0,7 m befindet. Der Umstand, dass sich die in einer Fremdtrasse befand habe für den Beklagten keine Veranlassung geben müssen, dass sich die Tiefenangabe nicht auf die Kabel in der Fremdtrasse beziehe; auch bei einem solchen Kabel könne die Klägerin davon Kenntnis haben und Angaben machen, so dann, wenn der Betreiber der Fremdtrasse dies ihr mitteile. Davon habe die Beklagte in Ansehung der konkret mit ca. 0,7 m erfolgten Angabe ausgehen dürfen. Bei fehlender Kenntnis der Tiefenlage hätte die Klägerin die Angabe nicht tätigen dürfen; erst dann hätte sich die Beklagte bei dem Betreiber der Fremdtrasse erkundigen müssen.

Zum Auffinden des Kabels in einer Tiefe von mehr als 3 m habe die Beklagte auch keine Suchschachtung (Probeschlitze) vornehmen müssen, da sie nach der Leitungsauskunft in dieser Tiefe nicht mit Kabeln hätte rechnen müssen. Auch habe es für die Beklagte keine sonstigen Anhaltspunkte gegeben, die auf ein Kabel in dieser Tiefe gedeutet hätten und die Leitungsauskunft falsch sein könnte. Alleine der Umstand, dass die Beklagte (nach klägerischer Angabe) in einer Tiefe von ca. 0,7 m kein Kabel gefunden haben soll, ändere daran nichts. Denn es bestand auch die Möglichkeit, dass sich das Kabel außerhalb des ausgebaggerten Bereichs in einer Tiefe von 0,7 m befinden konnte.

LG Rostock, Urteil vom 20.01.2023 - 2 O 260/22 -

Freitag, 21. April 2023

Substantiierungsanforderung der Geltendmachung von Werklohn auf Stundenlohnbasis

Die Klägerin machte Vergütungsansprüche auf Basis von behaupteten aufgewandten Stunden geltend, die sie mit e 38,00/Stunde netto abrechnete. In der Schlussrechnung wurden die in mehreren Rechnungen bereits berechneten Leistungen Rechnungen von ihr zusammengefasst und die Stunden aufgelistet. Die Auftragserteilungen sollen teilweise durch den Geschäftsführer der Beklagten, teilweise dessen Bauleiter erfolgt sein. Das Landgericht wies die Klage ohne Beweisaufnahme ab, das Oberlandesgericht (OLG) die Berufung mit Beschluss nach § 522 ZPO zurück.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führte zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und zur Zurückverweisung an das OLG. Das OLG habe entscheidungserheblich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, Art. 103 Abs. 1 GG. Nach Art. 103 Abs. 1 GG müsse das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in seine Erwägungen einbeziehen. Dazu gehöre auch, den Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und, wenn es sich um eine zentrale Frage handele, in den Entscheidungsgründen zu bescheiden.  Das rechtliche Gehör sei verletzt, wenn die Begründung nur den Schluss zulasse, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (BGH, Beschluss vom 17.06.2020 - VII ZR 111/19 -).

Zwar wurde von der Klägerin nicht vorgetragen, dass der Bauleiter von der Beklagten bevollmächtigt gewesen sei. Dies sei aber der unter Beweis gestellte Kern der Angaben der Klägerin, in denen sie behauptete, ab dem 13.05.2016 vom Bauleiter oder dem Geschäftsführer der Klägerin oder beiden gemeinschaftlich mit zusätzliche Malerarbeiten beauftragt worden zu sein und der Geschäftsführer der Beklagten haben von den Arbeiten der Klägerin Kenntnis genommen.

Zu den Stundenlohnarbeiten beruhe die Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass das OLG überspannte Substantiierungsanforderungen gestellt habe und deshalb den Sachvortrag der Parteien nicht zur Kenntnis genommen und die angebotenen Beweise erhoben zu haben (BGH, Beschluss vom 10.08.2022 - VII ZR 243/19 -).

Der nach Zeitaufwand abrechnende Unternehmer müsse im Ausgangspukt nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie viele Stunden er für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchem Stundensatz angefallen seien. Nicht erforderlich sei für eine schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrages eine Differenzierung dergestalt, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet und/oder nach zeitlichen Abschnitten aufgeschlüsselt würden, auch wenn dies sinnvoll sein mag. Erforderlich sei dies nicht, weil die Bemessung und damit die im Vergütungsprozess angestrebte Rechtsfolge nicht davon abhängig sei, wenn der Unternehmer welche Tätigkeiten ausführte, weshalb eine entsprechende Angabe nur erforderlich sei, wenn die Vertragsparteien eine entsprechende detaillierte Abrechnung vereinbart hätten (BGH, Urteil vom 17.04.2009 - VII ZR 164/07 -). Ohne eine entsprechende Vereinbarung sei es Sache des Bestellers, eine Begrenzung der Stundenlohnvergütung dadurch zu bewirken, dass er Tatsachen vorträgt, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung des Unternehmers ergebe (BGH, Urteil vom 17.04.2009 - VII ZR 164/07 -).

Damit seien die Angaben der Klägerin zur Anspruchshöhe schlüssig gewesen. Sie habe angegeben, dass sie für insgesamt 15 Häuser Malerarbeiten durchgeführt habe, bei den Häusern 1 - 6 und 15 sowohl im Innen- wie auch im Außenbereich, bei den Häusern 7 - 14 nur im Außenbereich. Sie habe auch ausgeführt, wie viele Stunden auf welche Gewerke entfallen wären. Soweit im Streitstünde, ob es sich bei den abgerechneten Stunden um Nachbesserungsarbeiten gehandelt habe, obläge es der Beklagten als Besteller, diese Umstände darzulegen.

BGH, Beschluss vom 01.02.2023 - VII ZR 882/21 -

Donnerstag, 20. April 2023

Zurückstellen des Akteneinsichtsgesuchs des Nebenintervenienten

Die Bedeutung der Nebenintervention wird häufig verkannt. Für den Nebenintervenienten besteht die Möglichkeit, wenn auch abhängig vom Vortrag der Partei, der er in dem Rechtsstreit beitritt, Einfluss auf das gerichtliche Verfahren zu nehmen, auch Rechtsmittel einzulegen. Der Kreis derer, die einem Rechtsstreit als Nebenintervenient beitreten dürfen, ist allerdings limitiert. Dies verdeutlicht auch der Beschluss des OLG Frankfurt, mit dem der Antrag des dem Rechtsstreit durch Nebenintervention Beitretenden auf Akteneinsicht zurückgestellt wurde.

Grundsätzlich hat derjenige, der dem Rechtsstreit im Rahmen einer Nebenintervention beitritt (§  66 ZPO) wie auch die Parteien selbst ein Recht auf Einsicht in die Gerichtsakte, § 67 iVm.  § 299  ZPO). Dieses Recht steht ihm auch zu, wenn noch keine Entscheidung über die Zulässigkeit der Nebenintervention erfolgte, § 71 Abs. 2 iVm. § 299 Abs. 1 ZPO. Dies wird auch vom OLG in seinem Beschluss festgehalten. Offen ließ das OLG die Frage, ob dies auch für vor dem erklärten Beitritt mitgeteilte geheimhaltungsbedürfte Informationen gelte. Denn vorliegend sei erst mit der Entscheidung über die Zulässigkeit des Beitritts über das Akteneinsichtsgesuch zu entscheiden und dieses zurückzuweisen, wenn die Voraussetzungen der Nebenintervention offensichtlich nicht vorlägen.

Vom OLG wird zutreffend ausgeführt, dass für die zulässige Nebenintervention ein rechtliches Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei Voraussetzung sei, § 66 ZPO. Dieses rechtliche Interesse erfordere, dass die Entscheidung oder deren Vollstreckung mittelbar oder unmittelbar auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Nebenintervenienten rechtlich einzuwirken vermag (BGH, Beschluss vom 18.11.2015 - VII ZB 57/12 -). Erfasst würden durch § 66 ZPO insbesondere Fälle der Rechtskrafterstreckung auf den Nebenintervenienten, der Vollstreckbarkeit und Tatbestandswirkung bezüglich des Nebenintervenienten, der Vorgreiflichkeit (z.B. bei einem Verfahren zwischen Kaufvertragsparteien bei Beitritt des evtl. sekundär haftenden beurkundenden Notars), der akzessorischen Haftung, der Prozessstandschaft des materiell Berechtigten, des befürchteten Regresses beim Nebenintervenienten oder von Regressansprüchen des Nebenintervenienten.

Nicht gedeckt sind durch § 66 ZPO ist damit ein rein tatsächliches oder wirtschaftliches Interesse. Dazu, so das OLG, gehöre der bloße Wunsch des Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zugunsten einer Partei entschieden werden, und die Erwartung, das Gericht würde im Falle einer günstigen Entscheidung an seinem Standpunkt auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit festhalten.  Dies gelte auch dann, wenn in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssten oder über die gleiche Rechtsfrage zu entscheiden wäre.

Im vorliegenden Verfahren sei von der Nebenintervenientin, die in keiner Rechtsbeziehung zum Kläger und in einer rechtlich vom vorliegenden Rechtsstreit unabhängigen Beziehung zur Beklagten stünde, geltend gemacht worden, selbst ein einstweiliges Verfügungsverfahren gegen die Beklagte zu betreiben, und das vorliegende Verfahren sei „faktisch präjudiziell“. Damit würde die Nebenintervenientin nur auf ein nicht ausreichendes tatsächliches Interesse abstellen.

Nicht ersichtlich ist aus den Beschlussgründen, ob eine der Parteien des Rechtsstreits den Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention stellte, § 71 Abs. 1 ZPO. Ohne einen solchen Antrag würde sich die Prüfung des Gerichts auf die Prüfung der Prozesshandlungsvoraussetzungen (Partei-, Prozessfähigkeit, gesetzliche Vertretung, Postulationsfähigkeit und Vollmacht) zu beschränken haben. Das rechtliche Interesse wie auch eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Beitritts sind nur auf Rüge zu prüfen (Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. § 66 Rn. 14; Bünnigmann in Anders/Gehle, ZPO 81. Auf. § 71 Rn. 4).

Beachtlich ist an der vorliegenden Entscheidung des OLG, dass dieses das in § 71 Abs. 3 ZPO normierte Recht des Nebenintervenienten einschränkt, d.h. das Akteneinsichtsgesuch bis zur (rechstkräftigen) Entscheidung über die Zulässigkeit der Nebenintervention zurückstellt. dass die Nebenintervenientin bis zum rechtskräftigen Ausspruch der Unwirksamkeit der Nebenintervention im Hauptverfahren zuzuziehen ist, mithin auch die Rechte des Nebenintervenienten (und damit das Recht auf Akteneinsicht) nach § 299 Ab. 1 ZPO hat, da mit Parteien iSv. § 299 Abs. 1 ZPO die Prozessbeteiligten gemeint sind, zu denen auch der Nebenintervenient gemeint ist, was so ersichtlich auch vom OLG verstanden wird.  Gleichwohl ist der Entscheidung zuzustimmen. Das OLG verweist darauf, dass bei Fehlen der Voraussetzungen für eine Nebenintervention sich diese und das Akteneinsichtsgesuch darin erschöpfen würden, die Voraussetzungen des § 299 Abs. 2 ZPO für Akteneinsichtsgesuche durch Dritte zu unterlaufen und/oder statt eines Gesuchs über den Gerichtsvorstand mit abweichenden Rechtsschutzmöglichkeiten zum umgehen. Diesem beugt das OLG durch das Zurückstellen des Antrages vor, da danach das Gesuch dann positiv zu entscheiden wäre, wenn über die Zulässigkeit der Nebenintervention entscheiden wird.  Fraglich ist dies allerdings für den Fall, dass die Entscheidung über die Nebenintervention auch in der Endentscheidung ergehen kann, und - bei Feststellung der Zulässigkeit - die Nebenintervenientin an der Ausübung ihres Rechts nach Art. 103 GG (rechtliches Gehör) gehindert worden wäre. Zwar bezieht sich hier das OLG darauf, dass nach der derzeitigen Begründung der Nebenintervention nach § 66 ZPO nicht von einer zulässigen Nebenintervention auszugehen sei, doch würde dies nicht einen weiteren, die Voraussetzungen evtl. belegenen Vortrag der Nebenintervenientin ausschließen. Grundsätzlich ist das Zurückstellen bis zu einer (rechtskräftigen) Entscheidung über die Nebenintervention sicherlich richtig, da die Gerichtsakte nur parteiöffentlich ist, nicht allgemein zugänglich ist (wie sich auch aus § 299 ZPO erschließt). Allerdings dürfte dann die Entscheidung über die Zulassung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht zusammen oder zeitgleich mit der Endentscheidung im Verfahren ergehen.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.11.2022 - 11 U 78/22 (Kart.)

Samstag, 15. April 2023

WEG: Unplausible Jahresabrechnung und unzulässige Rechnungsabgrenzung

Angefochten war hier u.a. ein Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) über eine Jahresabrechnung 2020 mit Nachschüssen und Vorschüssen. Geltend gemacht wurde von der Klägerin, dass die Jahresabrechnung nicht plausibel sei. Die Klage hatte im Berufungsrechtzug Erfolg, insoweit der Beschluss zu den Nachschüssen und der Anpassung der Vorschüsse (mit Ausnahme für Erhaltungsaufwendungen) für unwirksam erklärt wurde.

Die sich aus der Jahresabrechnung ableitenden Nachschüsse und Vorschüsse könnten (mit Wirksamkeit des WEMoG) nicht alleine deshalb als ungültig erklärt werden, da die Jahresabrechnung zunächst nicht nachvollziehbar sei. Allerdings verliere sie ihre Funktion ihre Funktion, nach § 28 Abs. 2 WEG, die Beschlussfassung über die Anpassung der Vorschüsse und das Einfordern von Nachschüssen vorzubereiten. Ließe sich aus den Anfangs- und Endbeständen der Konten die nicht nachvollziehen, ob alle in der Abrechnung enthaltenen Einnahmen und Ausgaben erfasst wurden, sei die Abrechnung nicht plausibel (BGH, Urteil vom 25.09.2020 - V ZR 80/19 -). Eine Abrechnung müsse für den durchschnittlichen Wohnungseigentümer verständlich sein, ohne dass er fachlicher Unterstützung bedarf (BGH, Urteil vom27.10.2017 - V ZR 189/16 -). Mit dem Verweis auf die fehlende Plausibilität käme der anfechtende Wohnungseigentümer seiner Darlegungslast nach, mit der auch Zweifel an der Richtigkeit er angepassten Vorschüsse sowie der Nachschüsse geltend gemacht werden. Es obläge nunmehr der WEG im Rahmen der sekundären Darlegungslast, darrzulegen, weshalb die beschlossenen Abrechnungsspitzen doch zutreffend sind. Gelinge es der WEG nicht, die fehlende Ergebnisrelevanz von Abrechnungsmängeln darzulegen oder stünde gar fest, dass sich Mängel in Einzelabrechnungen auf die Höhe der Naschschüsse oder der Anpassung der Vorschüsse auswirken, sei die Ungültigkeit dieses die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse betreffenden Beschlusses festzustellen.   

Aus der Gesamtabrechnung habe sich ergeben, dass diese sich auf die Abrechnungsspitzen auswirkende Defizite aufwies: So wurden in den für den Beschluss über die Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse relevante Einzelabrechnungen zu den Positionen Allgemeinstrom, Heizung/Wasser, Wasser/Kanal und Kabelkosten Rechnungsabgrenzungen vorgenommen, indem noch Einnahmen und Ausgaben nach Ablauf des Abrechnungszeitraums einbezogen wurden, die zwar evtl. wirtschaftlich dem Jahr 2020 zugehörig waren, aber nicht 2020 angefallen waren. Eine derartige Rechnungsabgrenzung sei (mit Ausnahme der Verteilung nach der HeizkostenV) unzulässig (BGH, Urteil vom 16.07.2021 - V ZR 163/20 -). 

Daraus folge die Ungültigkeitserklärung, die allerdings nur die laufenden Kosten der Bewirtschaftung beträfe.  Soweit der Beschluss auch die Anpassung der Vorschüsse der Rücklagen erfasse (hier: Erhaltungsrücklagen, § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG) bestünde kein Anlass zur Ungültigkeitserklärung, da sich darauf der Fehler bei der Berechnung der Bewirtschaftungskosten nicht auswirke. Der Beschluss sei - wie nach altem Recht - trennbar. 

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.03.2023 - 2-13 S 68/22 -