Samstag, 12. Dezember 2020

Mitverschulden des Radfahrers für Kopfverletzung bei Nichtragen eines Schutzhelms ?

Die Klägerin stieß mit ihrem Fahrrad mit einem PKW des Beklagten zusammen, der beim Rechtsabbiegen im Kreuzungsbereich die geradeausfahrende Klägerin mit ihrem Fahrrad übersehen hatte. Obwohl die Klägerin keinen Schutzhelm trug negierte er ein Mitverschulden der Klägerin, welches sich auf das Schmerzensgeld zur Höhe auswirken würde.

Das Tragen eines Schutzhelms könne nicht mit einem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon als verkehrsgerechtes Verhalten begründet werden, da ansonsten bei jeder Tätigkeit mit dem Risiko einer Kopfverletzung (z.B. beim Besteigen einer Leiter im Haushalt) ein Schutzhelm getragen werden müsste. Nach der Entscheidung des BGH vom 17.06.2014 - VI ZR 281/13 - käme es auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein konkret zum Tragen von Fahrradhelmen und nicht auf allgemeine Sicherheitserwägungen zum Zeitpunkt des Unfalls an.

Der Senat sah es als gerichtsbekannt an, dass es ein derartiges allgemeines Verkehrsbewusstsein nach wie vor nicht geben würde. Ein Senatsmitglied würde im Nürnberger Stadtgebiet regelmäßig Verkehrszählungen zu dieser Frage durchführen (ohne Rennradfahrer in voller Montur und Kindern auf Kinderfahrrädern. Diese Zählungen (wiedergegeben für die Jahre 2015, 2016, 2017 und 2020) ergäben zwar eine leichte Steigerung der Personen, die einen Helm tragen. Es seien aber noch weit unter 50%. Dies Ergebnis würde auch im Wesentlichen amtlichen Quellen entsprechen, wonach i 2019 über alle Altersgruppen hinweg innerorts 18,0%, außerorts 22,8% der beobachteten Fahrradfahrer einen Schutzhelm tragen würden, wobei die Quote sogar bei den Jüngeren noch erheblich geringer sei.

Trotz einer wahrzunehmenden leichten Steigerung der helmtragenden Fahrradfahrer in den letzten zehn Jahren würden doch noch rund 80% der erwachsenen Bevölkerung keinen Helm bei Fahrradfahren tragen. Eine allgemeine Verkehrsauffassung, dass Radfahren eine generell derartig gefährliche Tätigkeit sei, dass sich nur diejenigen verkehrsgerecht verhalten würden die einen Helm tragen, bestünde nach wie vor nicht.

Ob etwas anders für bestimmte Formen sportlichen Radfahrens gelte, welches mit einem erheblichen (gesteigerten) Kopfverletzungsrisiko verbunden sei, wie z.B. beim Rennradfahren mit tiefer Kopfhaltung und Fixierung der Schuhe an den Pedalen oder beim Mountainbikefahren im freien Gelände, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

OLG Nürnberg, 20.08.2020 - 13 U 1187/20 -

Freitag, 11. Dezember 2020

Zahlung von Verwarnungsgeld durch Arbeitgeber ist grundsätzlich eine zu versteuernde Einnahme

 

Die Klägerin betrieb eine Paketzustelldienst. Deren angestellte Fahrer hatten die Aufgabe, Pakete bei den Kunden abzuholen oder den Kunden Pakete zuzustellen. Regelmäßig hielten die Fahrer in der Nähe der Kunden (um den Vorgang zu beschleunigen). Soweit die Klägerin keine Ausnahmegenehmigung nach § 46 StVO zum Halten im Halteverbot pp. erhielt, nahm es die Klägerin hin, dass die Fahrer die Fahrzeuge gleichwohl im Halteverbot pp. abstellten und dann Verwarnungsgelder angefordert wurden. Diese wurden direkt von der Klägerin als Halterin angefordert und auch von dieser gezahlt, auch dann, wenn sie nur aufgefordert wurde, entweder einen Zeugenfragebogen auszufüllen oder das Verwarnungsgeld zu zahlen.  Anderweitige Verwarnungs- und Bußgelder (so für Geschwindigkeitsverstöße ihrer Fahrer) zahlte die Klägerin nicht.

Der Beklagte (das Finanzamt [FA]) war der Ansicht, es handele sich bei diesen von der Klägerin gezahlten Verwarnungsgeldern um lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn und berief sich auf die Entscheidung des BFH vom 14.11.2013 zur Zahlung von Bußgeldern für die Überschreitung von Lenk- und Ruhezeiten. Die Klägerin meldete daher in ihrer Lohnsteuer-Anmeldung für April 2014 für Lohnsteuer in Bezug auf die benannten Verwarnungsgelder in Höhe von € 1.925,96 sowie die darauf beruhende Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag pauschaliert nach § 38a EstG an und legte dagegen auch Einspruch ein. Der Einspruch wurde zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Revision des FA führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Finanzgericht.

Der BFH führte aus, bei der pauschalierten Steuer handele es sich um eine von der Steuer ´des Arbeitnehmers abgeleitete Steuer. Es müsste sich mithin um eine in Geldwert bestehende Einnahme iSv. § 19 EstG handeln. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit würden neben dem Lohn auch andere Bezüge gehören, die dem Arbeitnehmer (AN)  gewährt würden, unabhängig davon, ob der AN darauf einen Rechtsanspruch habe. Ein Bezug zum Dienstverhältnis läge vor, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt würde, da der AN Arbeitnehmer des Arbeitgebers (AG) sei und nur deshalb die Zuwendung als Gegenleistung für die Dienste des AN gezahlt würden. Auch der Erlass von Forderungen, die dem AG gegen den AN zustünden könne Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 S. 2 EstG sein. 

Zutreffend sei danach das FG zunächst davon ausgegangen, dass den AN nicht schon deshalb Arbeitslohn zugeflossen sei, da der AG (die Klägerin) die Verwarnungsgelder iSv. § 56 OWiG gezahlt habe. Die Verwarnungsgelder seien jeweils bei der Klägerin als Halterin der Fahrzeuge wegen Parkverstößen ihrer AN geltend gemacht worden. Daher habe die Klägerin eine eigene Verbindlichkeit erfüllt. Betroffener im Sinne des OWiG sei ungeachtet eines Tatbeitrages auch der Halter des Fahrzeuges (BVerfGE 80, 109). Sei der Halter nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit der Verwarnung einverstanden und zahlt er, würde die Verwarnung wirksam, ohne dass damit die Voraussetzungen sachlich-rechtlicher Art bzw. eines Bußgeldtatbestandes festgestellt würden. Nach der Zahlung sei ein Rechtsmittelausgeschlossen. 

Dies unterscheide sich von den Sachverhalten, die den Entscheidungen in BFHE 208, 104 und BFHE 243, 520 zugrunde gelegen hätten, da dort zugrunde lag, dass die jeweilige Klägerin die Zahlung von Verwarnungsgeldern bzw. Bußgeldern erfolgte, die gegen die jeweiligen Fahrer erhoben wurden.

Allerdings ließe sich, anders als das FG meine, daraus noch nicht ableiten, dass den AN der Klägerin hier kein geldwerter Vorteil zugeflossen sei. Ein geldwerter Vorteilwürde auch dann dem AN zufließen, wenn der AG zu erkennen gebe, dass er keinen Rückgriff nehmen würde und sich der AN damit einverstanden erkläre. Ein vom FG negierter Rückgriffsanspruch des AG könne nicht festgestellt werden.

Die Erwägung des FG, ein vertraglicher Regressanspruch liege nicht vor, da eine Zusage des AG, eine dem AN bei der Arbeitsdurchführung erfolgte Geldstrafe/-buße zu übernehmen einen Verstoß gegen die guten Sitten darstelle (§ 138 BGB) und daher eine Vereinbarung nicht zur Disposition des AG stünde, trage nicht, da es darum hier nicht gehen würde. Die Klägerin habe zudem selbst geltend gemacht, ihre Fahrer angewiesen zu haben, in Gebieten, für die eine Ausnahmegenehmigung nicht hätte erlangt werden können, sich an die Verkehrsregeln zu halten. Damit könne auch nicht konkludent eine (Neben-) Pflichtverletzung der AN ausgeschlossen werden. In Ansehung der von der Klägerin vorgetragenen Weisung hätte das FG auch nicht einen gesetzlichen Anspruch der Klägerin aus Geschäftsführung ohne Auftrag verneinen können (§§ 683 S. 1, 670 BGB) und die Übernahme sei im ausschließlich eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt.

Es sei daher nunmehr vom FG nach der Zurückverweisung zu prüfen, ob und wenn ja in welcher Höhe der Klägerin wegen der unstreitig durch ihre Fahrer begangenen Parkverstöße ein (vertraglicher oder gesetzlicher) Regressanspruch gegen den jeweiligen Verursacher zustünde. Stelle es einen realisierbaren (also einredefreien und fälligen) Ersatzanspruch gegen den jeweiligen Fahrer fest, wäre die Frage des Zeitpunktes des Erlasses (§ 397 BGB) zu klären, d.h. dem Zeitpunkt des jeweiligen Zuflusses des geldwerten Vorteils bei dem AN

Klarstellend wies der BFH darauf hin, dass im Falle eines Erlasses eines realisierbaren Anspruchs das Vorliegen von Arbeitslohn nicht mit der Erwägung verneint werden könne, die Zahlung sei im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin erfolgt. Ein rechtswidriges Tun des AN stelle sich nicht als beachtliche Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung dar (Aufgabe der Rechtsprechung in BFHE 208, 104), auch wenn es sich bei den Parkverstößen wie hier regelmäßig um solche im absoluten Bagatellbereich handele.

BFH, Urteil vom 13.08.2020 - VI R 1/17 -

Mittwoch, 9. Dezember 2020

Voraussetzungen für einen konkludenten Mietvertragsabschluss über Gewerberaum

 

Die Klägerin erhob negative Feststellungsklage mit dem Begehren festzustellen, dass zwischen ihr und der Beklagten kein Mietvertrag über bestimmte, näher bezeichnete Räumlichkeiten vorläge und verlangt Rückzahlung von ihr angezahlter Kaution. 

Die Klägerin hatte einen Mietvertragsentwurf unterzeichnet, in dem das OLG einen Antrag auf Abschluss eines Gewerberaummietvertrages iSv. § 145 BGB sieht, der von der Beklagten nicht innerhalb der vereinbarten Annahmefrist (§ 21 Abs. 6 des Vertragsentwurfs) angenommen worden sei.

Allerdings wurden in der Folge auch die Räumlichkeiten tatsächlich an die Klägerin übergeben. Entscheidend sei die Auslegung des Verhaltens im Rahmen der Übergabe gem. §§ 133, 157 BGB. Auszugehen sei dabei hier darauf, wie die Klägerin die Willenserklärungen des Mitarbeiters der Hausverwaltung der Beklagten nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste.

Auszugehen sie vom Wortlaut der Erklärung. Er soll erklärt haben, er wolle den von der Klägerin unterzeichneten Vertragsentwurf an die Beklagte übersenden und sodann der Klägerin in unterzeichnetes Exemplar zukommen lassen. Damit aber habe er zu erkennen gegeben, nicht selbst eine Erklärung auf das Vertragsangebot der Klägerin abgeben zu wollen, weshalb er auch eine Annahmeerklärung nicht konkludent mit der Übergabe der Räume abgegeben habe. Unabhängig aber von dieser Erklärung könne auch die Übergabe der Räume (ohne die Erklärung) nicht als konkludenten Vertragsannahme angesehen werden; dagegen habe bereits § 21 Abs. 6 des Mietvertrages gestanden. Danach sollte der Vertragsabschluss in der Weise erfolgen, dass innerhalb von drei Wochen der von der anderen Partei bereits unterzeichnete Entwurf angenommen werden sollte. Auch wenn die Annahme nicht notwendig der Schriftform bedarf und die vertragliche Schriftformklausel nur Änderungen des Vertrages betreffe, wurde doch in § 21 Abs.6 doch deutlich, dass für den Regelfall von einer schriftlichen Annahme ausgegangen wurde. Nach dem maßgeblichem Empfängerhorizont war das Verhalten des Mitarbeiters der Hausverwaltung, der den Mietvertragsentwurf mitnahm, deshalb dahin zu verstehen, dass er diesen an die Beklagte zur Entscheidung über die Annahme weiterleitet. Daher hätte es für den Fall, das es anders verstanden werden sollte, einer ausdrücklichen Erklärung des Mitarbeiters der Hausverwaltung bedurft, dass es bereits mit der Übergabe der Räume zum Vertrag käme. Zudem sei hier nach § 2 ein längerfristiger Vertrag beabsichtigt gewesen, der nach § 550 BGB ohnehin der Schriftform bedurft habe.

Ob zudem dem Schriftformerfordernis entsprochen wurde, bedürfe keiner Entscheidung. Ein Verstoß gegen die Schriftform würde nur dazu führen, dass keine Bindungswirkung von mehr als einem Jahr bestünde.

Danach habe das Landgericht der Klage der Klägerin zutreffend stattgegeben.

OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 30.09.2020 - 5 U 1275/20 -

Montag, 7. Dezember 2020

Einstweilige Einstellung der Räumungsvollstreckung vor Einlegung der Berufung

Das Amtsgericht hatte der Räumungsklage stattgegeben. Der Beklagte beantragte beim Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Berufung und gleichzeitig die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil.

Das Landgericht stellte hier einstweilen die Räumungsvollstreckung ein, allerdings zeitlich beschränkt auf knapp zwei Monate nach Verkündung des Beschlusses. Zur Begründung führte es aus, dass ihr ohne die sich noch beim Amtsgericht befindlichen Sachakten eine Prüfung der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels der Berufung nicht möglich sei. Deshalb sei die Einstellung zunächst für einen Zeitraum bis zur erwarteten Überlassung der Sachakte und einer angemessenen Zeit für die weitergehende Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels als Voraussetzung für die Prüfung des weitergehenden Einstellungsantrages nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO auszusprechen.

Der einstweilige Rechtsschutz nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO sei zu gewähren, obwohl bisher der Beklagte keine Berufung eingelegt habe. Diese Normen seien zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes entsprechend im Rahmen eines Verfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe während dessen Dauer anzuwenden (offen gelassen vom BGH im Beschluss vom 26.09.2018 - VIII ZR 290/18 -).  

Vorliegend sei die Einstellung nicht von einer Sicherheitsleistung durch den Beklagten gem. § 707 Abs. 1 ZPO abhängig zu machen, da der Beklagte in einer den Anforderungen des § 294 ZPO (Glaubhaftmachung) genügenden Form glaubhaft gemacht habe, dass er zu einer Sicherheitsleistung nicht in der Lage sei.

Anmerkung: Die Entscheidung ist in der Sache richtig. Eine Partei, die zur Durchführung eines Verfahrens auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, muss im Falle einer von ihr beabsichtigten Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist Berufung einlegen; ausreichend ist vielmehr der Antrag auf Prozesskostenhilfe innerhalb der Berufungsfrist. Wir die Berufung nach Ablauf der Berufungsfrist bewilligt, kann er Berufung einlegen und erfolgreich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO beantragen. Wird der Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, verlängert sich diese Frist von zwei Wochen sogar um drei bis vier Tage Bedenkzeit, da erst nach dieser Frist für die Bedenkzeit die Zweiwochenfrist zu laufen beginnt (BGH, Beschluss vom 13.05.2017 - VIII ZB 54/16 -). Besteht mithin die Möglichkeit, Berufung unter der Voraussetzung der Beantragung von Prozesskostenhilfe auch noch erfolgreich nach Ablauf der Berufungsfrist einzulegen, wäre es unverständlich, wenn hier dem potentiellen Berufungsführer die Möglichkeit der Verhinderung der möglichen Vollstreckung aus dem Urteil durch Einstellung derselben verwehrt würde. Dass bei einer Versagung der Prozesskostenhilfe aus Erwägungen, die sich auf die mangelnde Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung bezieht, keine weitere Einstellung der Vollstreckung gewährt würde liegt auf der Hand, weshalb auch hier die zeitliche Befristung durch das Landgericht gerechtfertigt ist.

LG Berlin, Beschluss vom 29.10.2020 - 67 S 314/20 -

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Nachbarrecht: Schwenkkran über Nachbars Grundstück

 

Der (Verfügungs-) Beklagte wollte Bauarbeiten auf seinem Grundstück durchführen, bei denen auch ein Baukran eingesetzt werden sollte, der über das Grundstück der (Verfügungs-) Klägerin schenkt. Die Verfügungsklägerin widersprach dem unter Hinweis darauf, dass sie keine näheren Angaben vom Beklagten erhalten habe. Gleichwohl stellte die Beklagte einen Baukran mit einem Schwenkbereich von 40m auf, der über das Anwesen der Klägerin schwenkte. Die Klägerin beantragte eine einstweilige Verfügung, mit der sie das Überschwenken verhindern wollte. Das Landgericht wies den Antrag ab. Die Berufung der Klägerin war erfolgreich.

Nach Darlegung des OLG hätte der Beklagte das in Art. 46b Abs. 3 BayAGBGB (Hammerschlags- und Leiterrecht) vorgesehene Verfahren einhalten müssen, was nicht der Fall gewesen sei. Schon vor diesem Hintergrund stelle sich die Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin durch das Überschwenken als verbotene Eigenmacht nach §§ 858, 862 GB dar und sei im Rahmen der einstweiligen Verfügung zu untersagen, unabhängig davon, ob ein materiell-rechtlicher Duldungsanspruch bestünde.

Das Überschwenken falle in den Bereich des Art. 46b Abs. 1 BayAGBGB. Danach müsse ein Nachbar unter den dort benannten Voraussetzungen dulden, dass sein Grundstück von dem Nachbareigentümer und von diesem beauftragten Personen zwecks Errichtung, Veränderung, Instandhaltung oder Beseitigung einer baulichen Anlage betreten wird, dort Gerüste und Geräte aufgestellt werden oder auf dieses übergegriffen wird, über das Grundstück Baustoffe gebracht werden oder auch dort niedergelegt werden. Bei dem Überschwenken des Baukrans würde es sich in diesem Sinne um ein „Übergreifen von Geräten“ handeln. Das Überschwenken des Kranauslegers stelle eine in Art. 46b Abs. 1 BayAGBGB dar; wie sich auch aus § 905 S. 1 BGB ergebe, wonach sich das Recht des Eigentümers auch auf dem Raum über der Oberfläche erstrecke.

Damit hätte der Beklagte die Absicht einen Monat vorher anzeigen müssen, und zwar unter Darlegung der Art und Dauer der Arbeiten, Art. 46 Abs.3 BayAGBGB. Auch wenn dies erfolgt sei, hätten sie nicht entsprechend verfahren dürfen, da die Anzeige zwar Voraussetzung für die Ausübung des Rechts, nicht aber Bedingung des Duldungsanspruchs sei. Wenn sich der Verpflichtete nicht erklärt,  dürfe das Grundstück entsprechend der Ankündigung genutzt werden. Verweigere er aber die Nutzung seines Grundstücks, bedürfe eines Duldungstitels. Selbsthilfe sei  - außer im Falle des Notstandes, § 905 BGB - nicht statthaft.

OLG München, Urteil vom 15.10.2020 - 8 U 5531/20 -

Dienstag, 1. Dezember 2020

WEG: Verwalterbestellung und § 6 COVMG (COVID-19-Maßnahmegesetz vom 27.03.2020)

 

Im Gesetz über „Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts,- Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie“ vom 27.03.2020 wurde in § 6 festgehalten (BGBl  I 2020,  569):

(1) Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt.

(2) Der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.

Das OLG musste sich in mit der Frage auseinandersetzen, ob  eine in der Teilungserklärung vorgesehen Zustimmung des Verwalters bei einem Verkauf von Wohnungseigentum (§ 12 Abs. 1 WEG) dann gewahrt ist, wenn zwar eine Zustimmungserklärung einer als Verwalter auftretenden Person vorgelegt wird, aber nicht der Nachweis erbracht wird, das diese zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung auch Verwalter war (§ 26 Abs. 3, § 24 Abs. 6 WEG). Vorliegend sei nicht nachgewiesen worden, dass die „Hausveraltung H“ am 13.03.2020, dem Zeitpunkt der notarielle beglaubigten Zustimmungserklärung, auch Verwalterin war.

Es seien Protokolle zu Eigentümerversammlungen für die Jahre 2018 und 2019 vorgelegt worden, nach denen die Bestellung der „Hausverwaltung H“ zum Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft zum 31.12.2019 endete. Auch aus § 6 Abs.1 des am 28.03.2020 in Kraft getretenen COVID-Auswirkungen-BekämpfungsG ergäbe sich nicht die Verwalterbestellung zum 13.03.2020.  Zwar sei hier geregelt, dass der zuletzt bestellte Verwalter bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt bleibe, wodurch nach der gesetzgeberischen Intention die Verwaltung der Gemeinschaft auch in Zeiten gewährleistet werden sollte, in denen eine Eigentümerversammlung nicht zusammentreten kann.  Aus der Gesetzesbegründung ergäbe sich weiterhin, dass die nicht nur für den Fall gelte, dass die Bestellungszeit nach Inkrafttreten dieses Gesetzes am 28.03.2020 ablaufe, sondern auch dann, wenn sie zuvor ablaufe (wie hier geschehen). Die Vorschrift führe aber nur dazu, dass der vormalige Verwalter mit Beginn des 28.03.2020 kraft Gesetzes wieder ins Amt gehoben worden sei. Es folge daraus nicht, dass der Verwalter mit Inkrafttreten des Gesetzes auch rückwirkend als bestellt anzusehen sei, sondern nur, dass er ab diesem Zeitpunkt wieder Verwalter ist mit der Folge, dass eine verwalterlose Zeit ende.

Daraus folge hier, dass der Verwalter die am 13.03.2020 abgegebene Erklärung nochmals abgeben müsse.

OLG Hamm, Beschluss vom 05.08.2020 - 15 W 266/20 -

Samstag, 28. November 2020

Zur Abgrenzung von Verschleiß zu Sachmangel beim Gebrauchtwagenkauf

 

Der Kläger kaufte von der gewerblich als Gebrauchswagenhändlerin tätigen Beklagten einen neun Jahre alten Peugeot 307 CC mit einer Laufleistung von 84.820km, der bereits mehrere Vorbesitzer hatte. Im Kaufvertrag wurde „TÜV/AU neu“ vereinbart. Der Kaufvertrag wurde am 11.01.2014 abgeschlossen; die beanstandungsfreie Hauptuntersuchung erfolgte am 14.01.2014. Am 17.01.2014 erfolgte die Übergabe des Fahrzeuges an den Kläger. Der Kläger machte in der Folgezeit mehrere Mängel geltend, u.a. eine starke Geräuschentwicklung am Auspuff. Im Dezember erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Begründung, das Fahrzeug sei von Anfang an – insbesondere am Auspuff – mangelbehaftet gewesen. Die Beklagte berief sich auf einen typischen Verschleiß; Schweißarbeiten, die sie in Ansehung der Rügen des Klägers am Auspuff vorgenommen habe, seien wegen des Verschleißes, nicht aber wegen Mängeln bei Übergabe erfolgt.

Die Wandlungsklage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.

Entgegen der Annahme des Klägers ging auch der BGH nicht davon aus, dass ein Mangel an der Auspuffanlage vorlag. Der Kaufgegenstand sei mangelfrei, wenn er die vereinbarte Beschaffenheit aufweise. Sei eine Beschaffenheit nicht vereinbart, sei die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eigne und eine Beschaffenheit aufweise, die bei Sachen der gleichen Art üblich sei und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten dürfe (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB).

Die Vereinbarung „TÜV(AU neu“ stelle sich bei interessengerechter Auslegung als stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB dahingehend dar, dass sich das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten, verkehrssicheren Zustand befindet. Dies sei hier mangels anderweitiger Feststellungen der Fall.

Das Fahrzeug habe sich auch für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung oder für die gewöhnliche Verwendung geeignet. In beiden Alternativen käme es darauf an, ob der (ältere) Gebrauchtwagen zur Verwendung als Fahrzeug im Straßenverkehr nicht oder nur eingeschränkt geeignet sei. Dabei habe das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass ein normaler Verschleiß an der Auspuffanlage eines Gebrauchtwagens keinen Sachmangel darstelle, da bei der Beurteilung zu berücksichtigen sei, dass Verschleißteile eines Kraftfahrzeuges in Abhängigkeit von Alter, Laufleistung, Anzahl der Vorbesitzer, Art der Vorbenutzung und Qualität des Fahrzeuges einer kontinuierlichen Abnutzung, so auch durch Rosterscheinungen, unterliege. Währen bei sicherheitsrelevanten Teilen (wie Bremsanlage) eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit mit der Folge der fehlenden Eignung zur Verwendung im Straßenverkehr und damit ein Sachmangel vorläge,  sei bei einem Verschleiß im Übrigen nicht von einem Sachmangel auszugehen. Dies selbst dann, wenn sich daraus in absehbarer Zeit ein Erneuerungsbedarf ergäbe. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass bei einem zehn Jahre alten Gebrauchswagen mit vielen Vorbesitzern und einer Laufleistung von über 80.000km (nicht sicherheitsrelevante) Durchrostungen an der Auspuffanlage einen „normalen Verschleiß“ darstellen würden, sei nicht zu beanstanden.

Auch aus der Vermutung des§ 476 BGB a.F. (heute: § 477 BGB) ließe sich nichts anderes ableiten. Zwar greife die Vermutung zugunsten des Käufers bereits dann, wenn diesem der Nachweis gelinge, dass sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand gezeigt habe, der die Haftung des Verkäufers wegen Abweichung von einer Beschaffenheit begründe, unterstellt die Ursache des Zustandes lägen in einem dem Verkäufer zurechenbaren Umstand.  Die Vermutungswirkung führe dazu, dass ein in den ersten sechs Monaten zutage getretener mangelhafter Zustand als bei Gefahrübergang bestehend angenommen würde. Allerdings sei hier ein mangelhafter Zustand in den ersten sechs Monaten nicht aufgetreten. Die beanstandete Geräuschentwicklung mag zwar mehr oder minder starke Durchrostungen aufgewiesen haben, doch sei dies ein normaler verschleiß und damit kein mangelhafter Zustand.

BGH, Urteil vom 09.09.2020 - VIII ZR 150/18 -