Samstag, 18. November 2017

Auslegung der Kostenregelung in einem gerichtlichen Vergleich

Der Kläger begehrte Maklergebühren wegen Vermittlung von Kaufverträgen über Eigentumswohnungen aus einem Bauvorhaben des Beklagten  und erhob eine Teilstufenklage. Nach Erörterung im Termin vor dem Landgericht schlossen die Parteien einen Vergleich, nach dem der Beklagte € 107.100,00 zur Abgeltung aller wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Bauvorhaben und einer dazu getroffenen Vereinbarung. Die Kosten des Rechtsstreits, mit Ausnahme der Kosten des Vergleichs, die gegeneinander aufgehoben wurden, sollte der Beklagte tragen. Der Kläger legte seinem Kostenfestsetzungsantrag für die termingebühr einen Wert von € 107.200,00 zugrunde, die Rechtspflegerin setzte sie allerdings nur aus einem Wert von € 10.000,00 fest. Die Beschwerde des Klägers und die zugelassene Rechtsbeschwerde blieben erfolglos.

Der BGH wies darauf hin, dass die Terminsgebühr nicht unter Einbeziehung der vom Vergleich umfassten, bis dahin jedoch nicht rechtshängigen Ansprüchen festzusetzen sei. Richtig sei zwar, dass durch die Erörterung nicht rechtshängiger Ansprüche mit dem Ziel einer Einigung die Terminsgebühr gem. Nr. 3104 VV RVG aus einem Streitwert von € 107.100,00 entstanden sei. Daraus ergäbe sich aber nicht, in welchem Umfang die eine oder andere Partei nach einem Vergleichsschluss diese Kosten zu tragen habe. Entscheidend sei die im Vergleich getroffene Kostenregelung und ihre Auslegung, wobei ein Rückgriff auf § 98 ZPO wegen der Kostenvereinbarung ausscheide.

Vorliegend hätten die Parteien vereinbart, dass die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben werden sollten, also eine wechselseitige Erstattung nicht stattfinden sollte. Zwar werde die Auffassung vertreten, dass die Terminsgebühr insgesamt zu den Kosten des Rechtsstreits zähle und unabhängig vom Vergleichsabschluss anfalle;  aber es werde auch die Ansicht vertreten, dass die nur durch die Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche in den Vergleich entstehenden Teile der Verfahrens- und Terminsgebühr nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Wert regelmäßig zu den Kosten des Vergleichs gehöre würden.

Der letzteren Ansicht folgt der BGH. Es sei zwischen der Entstehung der Terminsgebühr und ihrer Erstattung aufgrund der Kostenregelung im Vergleich zu unterscheiden. Die Terminsgebühr würde unabhängig vom Vergleichsschluss nur in Höhe der bis zum Beginn der Erörterungen über den Vergleichsabschluss bereits rechtshängigen Ansprüche anfallen. Ohne den Willen der Parteien, eine umfassende vergleichsweise Regelung zu finden, käme es nicht zu einer Erörterung dieser weiteren Ansprüche und würde deswegen auch keine erhöhte Terminsgebühr anfallen.


BGH, Beschluss vom 14.06.2017 - I ZB 1/17 -

Freitag, 17. November 2017

Insolvenzeröffnung: Kein Grund zur Kündigung aus wichtigem Grund eines nach Eröffnungsantrag abgeschlossenen Werklieferungsvertrages

Die Schuldnerin war aus einem Rahmenvertrag aus dem Jahr 2008 zur Lieferung von Metallgussteilen gegenüber der Beklagten verpflichtet. Im Oktober 2012 beantragte sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen und  der Kläger wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt mit weitergehender Verfügung dahingehend, dass Verfügungen der Schuldnerin seiner Zustimmung bedürfen. Der Kläger machte eine Fortsetzung der Lieferung von einem Preisaufschlag von 30% abhängig, was dann entsprechend auch am 01./04.03.2013 vertraglich mit einer Laufzeit bis zum 31.03.2013 vereinbart wurde. Am 26.03.2012 wurde der Kläger vom Insolvenzgericht zum starken Verwalter bestellt. Am Folgetag wies er die Beklagte auf die zum 01.04.2012 geplante Eröffnung des Insolvenzverfahrens hin und forderte für Lieferungen ab dem 01.04 einen Aufschlag von 38% auf die ursprünglichen Preise mit Hinweis darauf, dass er im Falle einer entsprechenden Vereinbarung sein Wahlrecht nach § 103 InsO nicht ausüben würde. Die Beklagte lehnte mit beim Kläger am 02.04. eingegangenen Schreiben vom 28.03. ab, da sie sich nicht weiter unter Druck setzen lassen wolle und keine Grundlage für eine weitere Geschäftsbeziehung sähe, worauf der Kläger antwortete, er werde die Produktion einstellen. Die beklagte wies darauf hin, nach ihrer Ansicht läge in den seit 01.04. ausbleibenden Lieferungen implizite eine Wahl der Nichterfüllung.

Der Kläger verlangte Schadensersatz wegen Nichtabnahme abzüglich ersparter Aufwendungen. Seine Klage war in allen Instanzen erfolgreich.

Es bestand, so der BGH, ein Vertrag auf der Grundlage des Rahmenvertrages aus 2008 mit der Änderung vom 01./04.03.2013. Es würden daher §§ 651 S. 3, 649 BGB gelten. Das Schreiben der Beklagten vom 28.03.2013 sei als Kündigung auszulegen. Das Kündigungsrecht des § 649 BGB bestehe auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine Kündigung sei auch nicht im Hinblick auf das Schreiben des Klägers vom 27.03.2013 unwirksam.

Der Insolvenzverwalter könne nach § 103 InsO die Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossenen, beidseits nicht vollständig erfüllten Vertrages verlangen oder ach auch die Erfüllung ablehnen; eine inhaltliche Änderung durch den Insolvenzverwalter sei ausgeschlossen. Ein unter Vorbehalten erklärtes Erfüllungsverlangen werde daher häufig als Ablehnung der Erfüllung angesehen. Allerdings entstünde das Wahlrecht des Insolvenzverwalters erst nach Insolvenzeröffnung, bestand mithin hier am 27.03.2013 nicht. Auch bestand kein Vertrauensschutz.

Die Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund waren nach Ansicht des BGH nicht erfüllt.

So lägen die Voraussetzungen des § 314 BGB nicht vor. Zwar habe es sich bei dem Rahmenvertrag um ein Dauerschuldverhältnis gehandelt, do sei dessen Kündigung nicht streitgegenständlich. Es ginge vorliegend um den Schaden aus der Nichterfüllung der einzelnen darauf beruhenden Werklieferungsverträge.

Auch läge kein wichtiger Grund iSv. § 648a Abs. 1 S. 2 BGB vor. Zwar sei vom BGH bereits entscheiden worden, dass bereits ein Eigenantrag eines Unternehmens auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als wichtiger Grund angesehen werden könne (Urteil vom 07.04.2016 - VII ZR56/15 -), da der Gläubiger ein schwerwiegendes, die Interessen des Schuldners überragendes Interesse daran habe, im Falle des Eigeninsolvenzantrages frühzeitig aus dem Vertrag herauszukommen und einen möglichen Schaden geltend machen zu können, ohne gem. § 649 S. 2 BGB gegenüber dem Insolvenzverwalter zur Zahlung ohne Leistung verpflichtet zu sein. Ein solcher Fall habe aber hier nicht vorgelegen, da vorliegend die Kündigung einzelne Werklieferungsverträge betraf, die erst nach dem Insolvenzantrag und in dessen Kenntnisabgeschlossen worden wären. 

Die Insolvenzeröffnung selbst stelle hier keinen wichtigen Grund für eine Kündigung durch die Beklagte dar. Mit der Eröffnung hätte die Beklagte die Möglichkeit gehabt, den Verwalter zur Ausübung des Wahlrechts nach § 103 InsO aufzufordern, was nicht erfolgte. Aber selbst wenn er aufgefordert worden wäre und sich für die Erfüllung entschieden hätte, wäre aus Sicht der Beklagten möglicherweis zu befürchten gewesen, dass die geschuldeten Leistungen nicht ordnungsgemäß erbracht werden. Dies sei aber ein allgemeines Risiko, welches die Kündigung nicht rechtfertigen könne.

Auch vermag sich die Beklagte nach Auffassung des BGH nicht erfolgreich auf das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 27.03.2013 berufen, er würde sich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr an die Vereinbarung vom 01./04.03. 2013 gebunden fühlen. Das Wahlrecht entstünde erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (hier: 01.04.2013) und hätte vorher nicht ausgeübt werden können mit der Folge, dass der Verwalter also an der vertraglichen Abrede vom 01./04.03.2013 gebunden war.

Für den Anspruch nach § 649 S. 2 BGB wäre eine Erfüllungswahl nicht erforderlich. Der Kläger könne  zwar nur solche Ansprüche geltend machen, bei denen er die Erfüllung gewählt habe; hier aber habe die Beklagte wirksam gekündigt, weshalb eine Erfüllung für ihn aus Rechtsgründen nicht mehr möglich war.

Fazit: Ein Kündigungsrecht aus wichtigen Grund besteht, wenn nach Vertragsabschluss ein (Eigen-) Insolvenzantrag über das Vermögen des Vertragspartners gestellt wird. Kommt es aber zu einem Vertrag mit dem Gemeinschuldner nach dem Insolvenzeröffnungsantrag, besteht auch bei Eröffnung der Insolvent kein wichtiger Grund. Der Gläubiger kann nach Eröffnung allenfalls den Insolvenzverwalter auffordern, von seinem Wahlrecht nach § 103 InsO (Wahl zwischen Erfüllung und Nichterfüllung) Gebrauch zu machen.



BGH, Urteil vom 14.09.2017 - IX ZR 261/15 -

Dienstag, 14. November 2017

Annahmeverzug des Arbeitgebers setzt grundsätzlich tatsächliches Angebot des Arbeitnehmers sowie Leistungsfähigkeit voraus

Streitgegenständlich in dem Verfahren vor dem BAG war, ob der Arbeitgeber  (Beklagter) in Annahmeverzug mit der von der Arbeitnehmerin (Klägerin) angebotenen Arbeitsleistung war. Die Klägerin machte mit ihrer Klage Vergütungsansprüche geltend. Das BAG musste sich mit der Frage auseinandersetzen, wenn ein Verzug des Arbeitgebers vorliegt, der (trotz Nichterbringung der Arbeitsleistung auch bei einem Angebots zur Erbringung) vorliegt. Hintergrund war, dass die Klägerin erkrankt war und für längere Zeit arbeitsunfähig war. Am 06.02.2013 teilte die Klägerin dem Beklagten schriftlich mit, sie könne ihre Tätigkeit in der Grundpflege nicht mehr ausüben, andere leichtere Tätigkeiten, wie Behandlungspflege oder Bürotätigkeiten seien ihr aber möglich. In einem Protokoll über ein Gespräch vom 03.06.2913 heißt es zur Vorstellung der Klägerin für weitere Tätigkeiten: „reine Behandlungspflege, nichts heben“. Am 31.01.2014 erschien die Klägerin weisungsgemäß im Altenpflegeheim des Beklagten und bot ihre Arbeitsleistung an; nach Klärung ihrer Einsatzmöglichkeiten wurde sie wieder nach Hause geschickt. Nach Kündigung durch den beklagten wurde in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren am 11.96.2014 ein Vergleich geschlossen, demzufolge die Klägerin zu geänderten Bedingungen ab dem 01.06.2014 als Verwaltungskraft weiter tätig wurde. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin Vergütung wegen Annahmeverzugs des Beklagten für den Zeitraum Februar bis Mai 2014.

Zunächst stellt das BAG fest, der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs würde nicht an dem Erfordernis eines Angebotes der geschuldeten Arbeitsleistung durch die Klägerin scheitern. Tatsächlich habe die Klägerin bei ihrem Erscheinen am 31.01.2014 ihre Arbeitsleistung für ihre bisherige Arbeit in der stationären Pflege angeboten. Zwar ließe sich nicht feststellen, dass sie ihre Leistung als Pflegekraft in einem Team W., wie es an sich notwendig gewesen wäre,  angeboten habe. Allerdings sei sie der Weisung nachgekommen, sich bei der Leiterin des Altenpflegeheims zu melden. Deshalb sei sie so zu stellen, als habe sie die geschuldete Leistung ordnungsgemäß angeboten.

Gleichwohl sei der Beklagte dadurch nicht in Annahmeverzug geraten, da die Klägerin im Streitzeitraum außerstande war, die geschuldete Leistung zu bewirken, § 297 BGB. Die Leistungsfähigkeit sei eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit (entbehrlich, wenn von vornherein dieses abgelehnt worden wäre) unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums bestehen müsse. Die Klägerin war nach eigner Angabe nicht in der Lage, eine Arbeit in der stationären Pflege zu erbringen, wie auch nicht in der Lage, alle in der ambulanten Pflege des Team W. anfallenden Arbeiten zu verrichten. Ginge es nicht um die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes, sondern darum, die Arbeitsplätze der im Team W. Beschäftigten so zuzuschneiden, dass dadurch für sie dort eine Arbeitsplatz mit nach  ihrer Ansicht „nicht-schwerer Tätigkeit entstünde, wäre der beklagte nach § 241 Abs. 2 BGB nicht verpflichtet.

Anderes würde nur dann gelten, wenn im Team W. beschäftigte Arbeitnehmer keine inhaltlich klar definierten Arbeitsplätze zugewiesen worden wären, wäre es an dem Arbeitgeber, im Rahmen der Möglichen und Zumutbaren auf gesundheitliche Beeinträchtigungen der Beschäftigten Rücksicht zu nehmen. Entscheidend wäre, ob dies im konkreten Fall möglich gewesen wäre (was von den Vorinstanzen nicht geprüft wurde).  Auch habe sich (ohne dass dem bisher nachgegangen wurde) die Klägerin darauf berufen, dass am 01.02.2014 freie Arbeitsplätze  außerhalb der Pflege bzw. ohne Pflegetätigkeiten vorhanden gewesen seien, auf denen sie hätte eingesetzt werden können. Da diesen Aspekten das Landesarbeitsgericht noch nachgehen müsse, erfolgte eine Zurückverweisung an dieses.


BAG, Urteil vom 28.06.2017 - 5 AZR 263/16 -

Mittwoch, 8. November 2017

Keine Aufhebung des rechtskräftigen Zwangsgeldbeschlusses nach Erfüllung

Im Scheidungsverbundverfahren war ein Verfahren über den Versorgungsausgleich anhängig. Die Antragsgegnerin kam der gerichtlichen Aufforderung, ein Formular auszufüllen und unterschrieben einzureichen, nicht nach. Nach Erinnerung und Hinweis auf die Möglichkeit der Verhängung eines Zwangsgeldes, setzte das Amtsgericht (AG)  gegen die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 29.01.2015 ein Zwangsgeld in Höhe von € 500,00 fest. Nachdem das Formular weiterhin nicht eingereicht wurde, erteilte das AG am 12.05.2015 Vollstreckungsauftrag. Daraufhin zahlte die Antragsgegnerin am 22.06.2015 das Zwangsgeld sowie die Gerichts- und Vollstreckungskosten und reichte am 19.08.2015 das ausgefüllte Formular nebst Anlagen (dies am 10.10.2015) beim Amtsgericht ein.

Nach Scheidung und Durchführung des Versorgungsausgleichs mit Beschluss vom 28.04.2016 (rechtskräftig seit dem 21.06.2016) beantragte die Antragsgegnerin am 12.05.2016 die Aufhebung der Zwangsgeldfestsetzung und dessen Erstattung. Der Antrag wurde zurückgewiesen; die Beschwerde blieb erfolglos. Auch die zugelassene Rechtsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen.

Der die Aufhebung versagende Beschluss stelle ebenso wie der ursprüngliche Zwangsmittelfestsetzungsbeschluss nach § 35 FamFG eine Entscheidung nach § 38 Abs. 1 S. 1, 58 FamFG dar, was dazu führe (da es sich nicht um Endentscheidungen handele), dass keine Beschwerdemöglichkeit gegeben sei; mit dem begehren auf Aufhebung des Zwangsmittelbeschlusses verfolge die Antragsgegnerin dasselbe Ziel wie sie es mit einer Anfechtung des Zwangsmittelbeschlusses ursprünglich hätte verfolgen können. Für letzteres habe der Gesetzgeber das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde vorgesehen, § 35 Abs. 5 FamFG, weshalb folgerichtig dies auch das Rechtmittel im vorliegenden Verfahrens sei, wobei der BGH darauf hinweist, dass für ein Vorgehen entsprechend §§ 776, 775 Nr. 1 ZPO sich gleiches aus § 793 ZPO ergäbe.

In der Sache könne die sofortige Beschwerde aber keinen Erfolg haben. Die Erfüllung der gerichtlichen Auflage, derentwegen das Zwangsgeld festgesetzt wurde, nach Beitreibung des Zwangsgeldes ließe keinen Erstattungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. BGB begründen. Zwar habe das Zwangsgeld anders als das Ordnungsgeld keinen Sanktionscharakter. Daraus würde aber nur folgern, dass die weitere Beitreibung desselben zu unterbleiben habe, sobald es der Beugewirkung nicht mehr bedürfe. Sei zu diesem Zeitpunkt der Zwangsgeldbeschluss noch nicht rechtskräftig, können gegen ihn erfolgreich sofortige Beschwerde eingelegt werden und darauf aufzuheben. Offen ließ der BGH, ob eine Aufhebung entsprechend § 48 Ans. 1 FamFG erfolgen müsse, wenn der Zwangsgeldbeschluss schon rechtskräftig aber noch nicht vollzogen sei.  Denn vorliegend wurde auf den rechtskräftigen Zwangsgeldbeschluss erfolgreich vollstreckt und danach  der Abforderung genügt, um derentwillen der Beschluss erging.

Es könne nicht argumentiert werden, mit Durchführung der Handlung sei der Anlass zur Willensbeugung und damit Erzwingung derselben weggefallen. Habe es dieser Zwangsmaßnahme bedurft, entfalle die Rechtfertigung nicht nachträglich. Zu beachten sei, dass der Schuldner nicht in Ansehung der drohenden Maßnahme seiner Verpflichtung nachkam, sondern erst nach deren Vollzug. Im übrigen sei mit einem Zwangsgeld, von dessen Rückerstattung der Schuldner nach Erfüllung ausgehen könne, kein entsprechender Druck auszuüben.


BGH, Beschluss vom 06.09.2017 - XII ZB 42/17 -

Montag, 6. November 2017

Anwaltshaftung: Zwangsvollstreckung und Aufklärung über Insolvenzanfechtung

Es ist vom Ausgangspunkt einer der alltäglichen Fälle in der zivilrechtlichen Praxis: Die beklagten Anwälte erwirkten zugunsten des Klägers ein Urteil gegen die S. AG. Das OLG Stuttgart verurteilte am 30.08.2015 die S. AG antragsgemäß auf Zahlung von € 23.576,90 zuzügl. Zinsen. Am 23./27.12.2015 schlossen die Beklagten sowohl namens des Klägers als auch anderer Vertretener gegenüber der S. AG mit der S. AG eine Verpfändungsvereinbarung, derzufolge Aktien der S. AG an einer anderen Gesellschaft am 30.10.2006 verkauft wurden und der auf Notaranderkonto eingehende Erlös vom Notar aufgrund Treuhandvertrages vom gleichen Tag an den Kläger und weitere von den Beklagten vertretene Gläubiger ausgezahlt wurde. Damit war an sich der Kläger mit € 31.578,36 befriedigt. Allerdings beantragte am 07.04.2007 ein Gläubiger der S. AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der S. AG; die Eröffnung erfolgte am 14.06.2007. Der Insolvenzverwalter focht die Zahlung an den Kläger an und der zwischenzeitlich anwaltlich anderweitig vertretene Kläger zahlte an diesen € 18.921,87 zu Masse zurück. Im folgenden Verfahren begehrte der Kläger Schadensersatz von den beklagten Anwälten. Das Landgericht gab der Klage mit € 23.736,61 statt; das OLG wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Für das Revisionsverfahren ging der BGH mangels Eingehens des OLG auf eine Pflichtverletzung der Beklagten vom Vortrag des Klägers aus, die Beklagten mit der Durchsetzung seiner Forderung gegen die S. AG beauftragt zu haben und trotz absehbarer Insolvenz und einem daraus drohenden Anfechtungsrisiko die titulierte Forderung nicht im Rahmen der Zwangsvollstreckung durchgesetzt zu haben. Dies sei ein schlüssiger Vortrag zu einer anwaltlichen Pflichtverletzung.

Der Anwalt habe einen Auftrag so zu erledigen, dass Nachteile für den Mandanten möglichst vermieden würden. Das beinhalte, dass der Anwalt aus dem Titel möglichst zügig die Zwangsvollstreckung betreibe. Bestünden Anhaltspunkte für eine bevorstehende Insolvenz, müsse der Anwalt den Mandanten auf die fehlende Insolvenzfestigkeit auf die im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder danach durch Zwangsvollstreckung erlangten Sicherheit nach § 88 InsO ebenso hinweisen wie auf die Anfechtbarkeit erhaltener Sicherheiten und Zahlungen gem. §§ 130, 131 InsO. Er müsse jede Kosten verursachende Maßnahme unterlassen und den Mandanten auf Anmeldung seiner Forderung zur Tabelle im Insolvenzverfahren hinweisen. Der Anwalt trage zwar nicht das Risiko der Uneinbringlichkeit und für nicht vorhersehbare Risiken würde er auch nicht haften. Die Beratung müsse sich an die Kenntnis der absehbaren Chancen und Risiken orientieren, damit der Mandant eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen könne.

Nach dem Vortrag des Klägers, der revisionsrechtlich zugrunde gelegt wurde, hielten die Beklagten die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für möglich. Vor diesem Hintergrund hätten sie den Kläger darauf hinweisen müssen, dass eine erfolgreiche Zwangsvollstreckung außerhalb des kritischen Zeitraums von drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag bestand haben würde. Zur vollständigen Unterrichtung des Mandanten gehöre auch der Hinweis auf die besonderen Risiken, die mit einem Vergleichsschluss und einer freiwilligen Zahlung des Schuldners verbunden seien. Daran hätte es vorliegend nach dem Vortrag des Klägers ermangelt.

Die unterlassene Zwangsvollstreckung sei nur dann pflichtwidrig, wenn pfändbares Vermögen vorhanden war. Welches bekannt war oder mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung hätte in Erfahrung gebracht werden können. Da kein Fall der Verjährung oder Ablauf einer Ausschlussfrist vorläge greife nicht die Erleichterung des § 287 ZPO. Allerdings habe der Kläger hinreichend zu Forderungen der S. AG (so zum Käfer der Aktien der anderen Gesellschafter) hingewiesen.  Nach seinem Vortrag wären die Pfändung der Forderung wie auch Kontenpfändungen erfolgreich gewesen. Dies reiche zur Schlüssigkeit aus.

Die Beklagten hatten geltend gemacht, sie hätten 200 Anleger vertreten und eine Zwangsvollstreckung für alle hätte unweigerlich einen Insolvenzantrag nach sich gezogen. Sie wären allen Mandanten gegenüber in gleicher Weise verpflichtet, weshalb sie nicht eine Maßnahme für den Kläger hätten durchführen können, die diesem zwar nütze, den anderen aber schade. Insoweit wies der BGH darauf hin, dass der Anwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter des Mandanten sei und nur den Interessen des eigenen Mandanten gegenüber verpflichtet sei. Ein Mandant dürfe bei Abschluss des Anwaltsvertrages von diesem Leitbild ausgehen. Mit Annahme des Mandats würde der Anwalt erklären, die Interessen dieses Mandanten unabhängig von Interessen Dritter wahrzunehmen. Will der Anwalt nur eingeschränkt für den Mandanten tätig werden, habe er dies vorab dem Mandanten mitzuteilen. Gleiches gelte für nachträgliche Interessenskonflikte, die nur ein eingeschränktes Tätigwerden erlauben würden. Zu dieser Problematik müsste den Parteien noch ergänzend die Möglichkeit zur Stellungnahme gewährt werden.


BGH, Urteil vom 07.09.2017 - IX ZR 71/16 -

Samstag, 4. November 2017

Kein Schadensersatzanspruch eines Wohnungseigentümers gegen einen zahlungssäumigen anderen Wohnungseigentümer

Die Parteien waren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG). Der Beklagte entrichtete nicht das von ihm geschuldete Wohngeld. Nach Behauptung des Klägers hatte daher die Gemeinschaft nicht genügend Geld um an die Versorgungsunternehmen für Allgemeinstrom und Wasser Zahlungen zu leisten, die die Lieferung wegen der Zahlungsrückstände schließlich einstellte. Mit der Behauptung, er habe seine Eigentumswohnung vermietet und wegen der Sperrung seien ihm Mieteinnahmen von € 1.300,00 entgangen, begehrte der Kläger vom Beklagten Schadensersatz. Das Amtsgericht wies die Klage ab; auf die Berufung gab das Landgericht ihr statt. Der BGH hat auf die vom Landgericht zugelassene Berufung das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage sei hier nach Auffassung des BGH ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2 iVm. 286 BGB. Dies würde aber voraussetzen, dass der Beklagte durch die Nichtzahlung des Wohngeldes eine ihm gegenüber dem Kläger obliegende Pflicht verletzt haben müsste. Dies sei, entgegen der Annahme des Landgerichts, nicht der Fall.

Der Kläger selbst habe keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung der Rückstände gehabt. Die Ansprüche auf Zahlung würden mit den Beschlussfassungen zu dem Wirtschaftsplan und der Jahresabrechnung begründet. Dieses stünde aber nicht den einzelnen Wohnungseigentümern zu, sondern dem teilrechtsfähigen Verband (§ 10 Abs. 7 S. 1 und 3 WEG). Auch könne der einzelne Wohnungseigentümer nicht nach den Grundsätzen der actio pro socio die Wohngeldansprüche im eigenen Namen geltend machen (BGHZ 111, 148m 152).

Die Nichtzahlung des Wohngeldes durch den Beklagten verletzte auch keine Pflicht des Beklagten aus dem zwischen den Wohnungseigentümern bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnis.  Zu den Treuepflichten, die zwischen allen Wohnungseigentümern bestünden, gehöre auch die Pflicht, dem Verband die finanzielle Grundlage zur Begleichung der laufenden Verbindlichkeiten zu verschaffe. Dies beträfe insbesondere die Beschlussfassung über einen Wirtschaftsplan, seine eventuelle Ergänzung (Sonderumlage) und die Jahresabrechnung (BGHZ 163, 154, 175). Um eine Verletzung einer entsprechenden Mitwirkungspflicht im Rahmen der internen Willensbildung des Verbandes würde es hier aber nicht gehen.  Die Beschlüsse wurden gefasst. Der Verband, vertreten durch den Verwalter, habe für deren Einziehung zu sorgen. Demgemäß bestehe auch nur eine Zahlungspflicht gegenüber dem Verband.

Danach aber sei es mit der vom Gesetz vorgesehenen Kompetenzverteilung zwischen Verband und Wohnungseigentümern unvereinbar, wenn die Pflicht zur Zahlung des Wohngeldes als Bestandteil der gegenseitigen Treuepflicht qualifiziert würde und mithin die Nichtzahlung nicht nur eventuelle Schadensersatzansprüche des Verbandes, sondern auch einzelner Wohnungseigentümer zur Folge haben könnte. Alleine das Interesse der anderen Wohnungseigentümer an der (rechtzeitigen) Erfüllung der Wohngeldforderungen würde (die gerade in größeren Wohnungseigentümergemeinschaften unkalkulierbare) Haftungserweiterung nicht  rechtfertigen.

Auch würden vorliegend nicht die Grundsätze der Drittschadensliquidation greifen. Die Drittschadensliquidation solle verhindern, dass der Schädiger einen Vorteil daraus ziehen könnte, dass ein Schaden, der an sich bei dem Vertragspartner eintreten würde, zufällig aufgrund eines mit einem Dritten bestehenden Rechtsverhältnisses bei dem Dritten eintritt.  Dieser Fall läge deshalb nicht vor, da hier bei Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung von vornherein nur Schadensersatzansprüche des Verbandes, nicht aber einzelner Wohnungseigentümer in Betracht kämen. Erleide ein Wohnungseigentümer wegen der Versorgungssperre einen Schaden und beruhe dieser auf einer unterlassenen oder verspäteten Einforderung des Wohngeldes durch den verband, käme ein Schadensersatzanspruch des geschädigten Wohnungseigentümers gegen den Verband in Betracht (BGH, Urteil vom 13.07.2012 – V ZR 94/11 -; BGHZ 202, 375 Rn. 25).  Im übrigen wäre der Verwalter im Falle einer drohenden Deckungslücke gehalten, eine Sonderumlage beschließen zu lassen, § 28 Abs. 2 WEG. Sei kein Verwalter (wie hier) vorhanden, könne jeder Eigentümer gem.  § 21 Abs. 4 WEG eine entsprechende Beschlussfassung erzwingen.


BGH, Urteil vom 10.02.2017 - V ZR 166/16 -

Freitag, 3. November 2017

WEG: Kein Stimmrechtsverbot wegen Majorisierung nach Veräußerung einer Einheit an beherrschtes Unternehmen

Die Gemeinschaftsordnung der mit vier Wohneinheiten versehenen WEG enthielt keine Regelungen zum Stimmrecht. Ein Eigentümer hatte zwei Wohnungen und übertrag das Eigentum an einer der Wohnungen auf eine vom ihm beherrschte UG & Co. KG. In einer Eigentümerversammlung beschlossen die zwei weiteren Eigentümer, dass die Gesellschaft vom Stimmrecht ausgeschlossen sei. Danach beschlossen sie u.a. die Jahresabrechnung und die Verwalterbestellung. Die Beschlussanfechtungsklage des Klägers wurde vom Amtsgericht abgewiesen, seine Berufung vom Landgericht zurückgewiesen. Auf die vom Landgericht zugelassene Revision erfolgte eine Abänderung und die Beschlüsse wurden für ungültig erklärt.

Kernpunkt der Auseinandersetzung war, ob die unterlassene Wertung der Stimme der Gesellschaft einen formellen Mangel der Beschlussfassung darstellt. Das Unterlassen kann von dem Kläger, der gegen die Beschlüsse gestimmt hatte und deren Unwirksamkeit geltend machte, gerügt werden. Amts- und Landgericht waren allerdings der Ansicht, der Gesellschaft stünde (qua vorangegangener Beschlussfassung gegen die Stimmen des Klägers und der Gesellschaft) kein Stimmrecht zu. Dies beurteilte der BGH anders.

In Ermangelung anderweitiger Regelungen in der Gemeinschaftsordnung stand jedem Miteigentümer eine Stimme zu (Kopfstimmrecht). Damit kann, worauf der BGH Hinweis, eine nachträgliche Vermehrung des Stimmrechts eintreten, wenn ein Eigentümer, der mehrere Einheiten hält, einzelne veräußert. Auch wenn einzelne Einheiten an nahe Angehörige veräußert würden, hätte der neue Eigentümer ein (neu hinzukommendes) Stimmrecht.

Danach würde ein neues Stimmrecht auch dann entstehen, wenn ein Eigentümer eine von mehreren Einheiten auf eine von ihm beherrschte juristische Person übertrage; nicht zu klären sei hier die in der Rechtsprechung noch offene Frage, ob dies auch dann gilt, wenn der übertragende Eigentümer (anders als hier) noch anteilig Miteigentümer an der übertragenen Einheit verbleibe. Selbst wenn der Kläger hier die Übertragung vorgenommen haben sollte, um so ein weiteres Stimmrecht für sich zu generieren, läge kein Scheingeschäft iSv. § 117 Abs. 1 BGB vor. Die Entstehung des Stimmrechts setze nur eine wirksame Veräußerung voraus. Die Vermehrung des Stimmrechts nach Kopfanteilen sei nur Folge und hinzunehmen, auch dann, wenn der Veräußernde beherrschenden Einfluss auf den Erwerber ausübe.

Die Gesellschaft sei auch nicht allgemein vom Stimmrecht (unabhängig vom Beschlussgegenstand) ausgeschlossen. Das Stimmrecht gehöre zum Kernbereich des Mitgliedschaftsrechts in der WEG. Es dürfe nur ausnahmsweise in eng begrenzten Fällen begrenzt werden. § 25 Abs. 5 WEG als Sondervorschrift des § 181 BGB sähe daher keinen allgemeinen Stimmrechtsausschluss vor, sondern beschränke diesen auf Fälle der schwerwiegenden Interessenskollision. Auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten könne allenfalls dazu führen, dass die Stimmabgabe unbeachtlich sei (BGHZ 152, 46, 61ff).  Damit käme ein allgemeiner Stimmrechtsausschluss selbst bei einer konkreten Gefahr der Majorisierung nicht in Betracht.

Der Einwand der Beklagten, durch das zusätzliche Stimmrecht erlange der Kläger, der seit Jahren keine Hausgeldzahlungen leiste und die Gesellschaft würde auch keine leisten, eine Blockadeposition, würde den Stimmrechtsausschluss auch nicht rechtfertigen; soweit dies nicht in § 25 Abs. 5 WEG geregelt sei, müssten die übrigen Wohnungseigentümer die ihnen eingeräumten Rechtsschutzmöglichkeiten ergreifen.  Ein Wohnungseigentümer, der seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkäme, wäre nach § 25 Abs. 5 2. Alt. WEG von der Ausübung des Stimmrechts ausgeschlossen, soweit es um die Einleitung darauf gerichteter gerichtlicher Maßnahmen ginge.

Der Minderheitenschutz sei durch das Prinzip der ordnungsgemäßen Verwaltung gewährleistet (§ 21 Abs. 5 WEG), welches im Wege der Beschlussmängelklage geltend gemacht werden könne. Majorisierende Beschlüsse könnten im Hinblick auf Willkür und Rechtsmissbrauch u.ä, einer ordnungsgemäßen Verwaltung widersprechen.  Auch könne eine Beschlussersetzungsklage erhoben werden, die dann möglich sei, wenn ein zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlicher Beschluss verhindert würde.

Die Stimmabgabe der Gesellschaft sei hier im Hinblick auf die Beschlüsse zur Jahresabrechnung und Verwalterbestellung auch nicht rechtsmissbräuchlich gewesen. Dies sei nur anzunehmen, wenn sich die darin zum Ausdruck kommende Majorisierung als Verstoß gegen die Rücksichtsnahme auf Interessen der Gemeinschaft und damit gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung darstelle. Dies erfordere, dass die Stimmrechtsausübung die übrigen Eigentümer treuwidrig so benachteilige, dass der Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens nicht abgewartet werden könne, was in der Regel nur bei positiven Stimmabgaben vorläge (z.B. stimmen für einen wegen Vermögensdelikts vorbestraften Verwalter).


BGH, Urteil vom 14.07.2017 - V ZR 290/16 -