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Freitag, 22. April 2022

Anwaltshaftung abhängig von Umfang/Gegenstand des Mandats (hier bei Verkehrsunfall)

Der Kläger hatte die beklagten Rechtsanwälte mit der Wahrnehmung seiner Interessen anlässlich eines Verkehrsunfalls mit einem vom ihm geführten Motorrad mit einem Pkw, der bei der X-Versicherung versichert war, beauftragt. Bei dem Verkehrsunfall zog sich der Kläger schwere Verletzungen zu. Bei der gegnerischen Kfz-Versicherung, der X-Versicherung, unterhielt er selbst eine Unfallversicherung. Bei dieser hatte er selbst im Rahmen seiner Unfallversicherung den Schaden gemeldet du wurde von ihr (mehrfach) darauf hingewiesen, dass Leistungen aus der Unfallversicherung ausgeschlossen seien, wenn keine ärztliche Feststellung seiner Invalidität innerhalb bestimmter Frist erfolge. Diese Schreiben sandte der Kläger den Beklagten, ohne dass sie tätig wurden. Später lehnte die Unfallversicherung eine Leistung wegen Fristversäumung ab.

Der Kläger ist der Annahme, die Beklagten seien ihm wegen fehlerhafter Beratung bei der Abwicklung des Unfallschadens schadensersatzpflichtig.  Sie Klage wurde vom Landgericht abgewiesen, die Berufung wurde zurückgewiesen.

Der Anspruch hatte deshalb keinen Erfolg, da nicht feststehen würde, dass sich das Mandat der Beklagten auch auf Ansprüche des Klägers gegen die X-Versicherung als Unfallversicherer des Klägers bezog. Weder läge ein ausdrücklicher Auftrag noch ein schlüssiger Auftrag vor. Dem Kläger träfe die Darlegungs- und Beweislast.

Die Vollmachtsurkunde, die der Kläger den Beklagten unterzeichnet habe, ergäbe nichts für ein entsprechendes Mandat. Zwar sei danach die Vollmacht „wegen Verkehrsunfall“ erteilt worden. Der Wortlaut als solcher würde zwar dafür sprechen dass auch die Vertretung gegenüber dem Unfallversicherer dazu gehöre. Würde man aber den Wortlaut derart weit auslegen, dass alles, was irgendwie mit dem Verkehrsunfall im Zusammenhang stünde, von dem Mandat umfasst wäre, würde der Mandatsgegenstand kaum eingrenzbar sein und eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen erfassen (so z.B. mögliche Auseinandersetzungen mit dem Krankenversicherer, mit der Werkstatt, einem eigenen Vollkaskoversicherer. Im Vordergrund würde bei solchen Mandaten aber die Auseinandersetzung mit dem Unfallgegner stehen; weitergehende Mandate würden auch jeweils Rechtsanwaltsgebühren anfallen lassen, die nicht vom Unfallgegner oder dem eigenen Kfz-Versicherer zu tragen seien. Zudem bedürfe es (zumindest zunächst) nicht eines anwaltlichen Vertreters, wenn der Versicherungsnehmer bei seinem Unfallversicherer Ansprüche geltend macht, weshalb im Falle eines tatsächliche Mandats auch anzunehmen wäre, dass ein gesonderter Auftrag erteilt wird.

Auch wenn im Hinblick auf die Unfallversicherung ein Mandatsverhältnis nicht begründet wurde, käme nach Ansicht des OLG gleichwohl noch eine Verletzung von Hinweis- und Warnpflichten in Betracht. Denn selbst bei einem eingeschränkten Auftrag wie hier vom OLG angenommen bestünde eine Nebenpflicht, den Auftraggeber auf mögliche Fristversäumnisse hinzuweisen (die nicht den eigentlichen Beratungsauftrag betreffen), so auf die Versäumung einer Ausschlussfrist bei einer Unfallversicherung. Der Anwalt habe auch grundsätzlich von einer Belehrungsbedürftigkeit des Mandanten auszugehen. Dies gelte aber dann nicht, wenn dem Mandanten die Risiken bereits deutlich gemacht wurden. Den den Beklagten überlassenen Schreiben des Unfallversicherers hätten diese entnehmen können, dass der Kläger den Unfall diesem gemeldet hatte und zudem vom Unfallversicherer über die Ausschlussfrist belehrt worden sei. Die Beklagten hätten keinen Grund gehabt anzunehmen, der Kläger habe dies nicht verstanden oder vor Fristablauf wieder vergessen.

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 10.02.2022 - 11 U 73/21 -

Montag, 6. November 2017

Anwaltshaftung: Zwangsvollstreckung und Aufklärung über Insolvenzanfechtung

Es ist vom Ausgangspunkt einer der alltäglichen Fälle in der zivilrechtlichen Praxis: Die beklagten Anwälte erwirkten zugunsten des Klägers ein Urteil gegen die S. AG. Das OLG Stuttgart verurteilte am 30.08.2015 die S. AG antragsgemäß auf Zahlung von € 23.576,90 zuzügl. Zinsen. Am 23./27.12.2015 schlossen die Beklagten sowohl namens des Klägers als auch anderer Vertretener gegenüber der S. AG mit der S. AG eine Verpfändungsvereinbarung, derzufolge Aktien der S. AG an einer anderen Gesellschaft am 30.10.2006 verkauft wurden und der auf Notaranderkonto eingehende Erlös vom Notar aufgrund Treuhandvertrages vom gleichen Tag an den Kläger und weitere von den Beklagten vertretene Gläubiger ausgezahlt wurde. Damit war an sich der Kläger mit € 31.578,36 befriedigt. Allerdings beantragte am 07.04.2007 ein Gläubiger der S. AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der S. AG; die Eröffnung erfolgte am 14.06.2007. Der Insolvenzverwalter focht die Zahlung an den Kläger an und der zwischenzeitlich anwaltlich anderweitig vertretene Kläger zahlte an diesen € 18.921,87 zu Masse zurück. Im folgenden Verfahren begehrte der Kläger Schadensersatz von den beklagten Anwälten. Das Landgericht gab der Klage mit € 23.736,61 statt; das OLG wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Für das Revisionsverfahren ging der BGH mangels Eingehens des OLG auf eine Pflichtverletzung der Beklagten vom Vortrag des Klägers aus, die Beklagten mit der Durchsetzung seiner Forderung gegen die S. AG beauftragt zu haben und trotz absehbarer Insolvenz und einem daraus drohenden Anfechtungsrisiko die titulierte Forderung nicht im Rahmen der Zwangsvollstreckung durchgesetzt zu haben. Dies sei ein schlüssiger Vortrag zu einer anwaltlichen Pflichtverletzung.

Der Anwalt habe einen Auftrag so zu erledigen, dass Nachteile für den Mandanten möglichst vermieden würden. Das beinhalte, dass der Anwalt aus dem Titel möglichst zügig die Zwangsvollstreckung betreibe. Bestünden Anhaltspunkte für eine bevorstehende Insolvenz, müsse der Anwalt den Mandanten auf die fehlende Insolvenzfestigkeit auf die im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder danach durch Zwangsvollstreckung erlangten Sicherheit nach § 88 InsO ebenso hinweisen wie auf die Anfechtbarkeit erhaltener Sicherheiten und Zahlungen gem. §§ 130, 131 InsO. Er müsse jede Kosten verursachende Maßnahme unterlassen und den Mandanten auf Anmeldung seiner Forderung zur Tabelle im Insolvenzverfahren hinweisen. Der Anwalt trage zwar nicht das Risiko der Uneinbringlichkeit und für nicht vorhersehbare Risiken würde er auch nicht haften. Die Beratung müsse sich an die Kenntnis der absehbaren Chancen und Risiken orientieren, damit der Mandant eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen könne.

Nach dem Vortrag des Klägers, der revisionsrechtlich zugrunde gelegt wurde, hielten die Beklagten die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für möglich. Vor diesem Hintergrund hätten sie den Kläger darauf hinweisen müssen, dass eine erfolgreiche Zwangsvollstreckung außerhalb des kritischen Zeitraums von drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag bestand haben würde. Zur vollständigen Unterrichtung des Mandanten gehöre auch der Hinweis auf die besonderen Risiken, die mit einem Vergleichsschluss und einer freiwilligen Zahlung des Schuldners verbunden seien. Daran hätte es vorliegend nach dem Vortrag des Klägers ermangelt.

Die unterlassene Zwangsvollstreckung sei nur dann pflichtwidrig, wenn pfändbares Vermögen vorhanden war. Welches bekannt war oder mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung hätte in Erfahrung gebracht werden können. Da kein Fall der Verjährung oder Ablauf einer Ausschlussfrist vorläge greife nicht die Erleichterung des § 287 ZPO. Allerdings habe der Kläger hinreichend zu Forderungen der S. AG (so zum Käfer der Aktien der anderen Gesellschafter) hingewiesen.  Nach seinem Vortrag wären die Pfändung der Forderung wie auch Kontenpfändungen erfolgreich gewesen. Dies reiche zur Schlüssigkeit aus.

Die Beklagten hatten geltend gemacht, sie hätten 200 Anleger vertreten und eine Zwangsvollstreckung für alle hätte unweigerlich einen Insolvenzantrag nach sich gezogen. Sie wären allen Mandanten gegenüber in gleicher Weise verpflichtet, weshalb sie nicht eine Maßnahme für den Kläger hätten durchführen können, die diesem zwar nütze, den anderen aber schade. Insoweit wies der BGH darauf hin, dass der Anwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter des Mandanten sei und nur den Interessen des eigenen Mandanten gegenüber verpflichtet sei. Ein Mandant dürfe bei Abschluss des Anwaltsvertrages von diesem Leitbild ausgehen. Mit Annahme des Mandats würde der Anwalt erklären, die Interessen dieses Mandanten unabhängig von Interessen Dritter wahrzunehmen. Will der Anwalt nur eingeschränkt für den Mandanten tätig werden, habe er dies vorab dem Mandanten mitzuteilen. Gleiches gelte für nachträgliche Interessenskonflikte, die nur ein eingeschränktes Tätigwerden erlauben würden. Zu dieser Problematik müsste den Parteien noch ergänzend die Möglichkeit zur Stellungnahme gewährt werden.


BGH, Urteil vom 07.09.2017 - IX ZR 71/16 -