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Montag, 24. Oktober 2022

Aussetzung der Vollziehung trotz Verzicht auf Räumungsschutz

Die Beschwerdeführerin (Mieterin) hatte in einem Räumungsrechtsstreit einen gerichtlichen Räumungsvergleich mit der Vermieterseite geschlossen und in diesem eine Räumung zu einem bestimmten Zeitpunkt vollstreckungsfähig erklärt und auf die Stellung von Räumungsschutzanträgen gem. § 794a Abs. 1, 2 ZPO verzichtet. Allerdings ist die Beschwerdeführerin dann nicht ausgezogen und hat einen Räumungsvollstreckungsschutzantrag gestellt über den bisher nicht rechtskräftig entschieden wurde (die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Zurückweisung des Schutzantrages ist noch beim BGH anhängig). Zur Sicherung ihrer Position (des Besitzes an der Wohnung) stellte die Beschwerdeführerin auch einen Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung des Räumungsvergleichs, §§ 570 Abs. 3 1. Halbs., 575 Abs. 4, 794a Abs. 1 ZPO. Der vom Amtsgericht abgelehnte Antrag wurde vom BGH als Rechtsbeschwerdegericht bewilligt unter der Voraussetzung der Zahlung der im Vergleich vereinbarten Bruttomiete durch die Beschwerdeführerin.

Der BGH wies darauf hin, er könne als Rechtsbeschwerdegericht auch im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung einer Entscheidung der ersten Instanz aussetzen, wenn dem Rechtsbeschwerdeführer bei einem Vollzug größere Nachteile drohen würden als dem Gegner, die Rechtsbeschwerde zudem zulässig erscheine und nicht von vornherein ohne Erfolgsaussicht sei.

Hier würden der Beschwerdeführerin bei einer Vollstreckung unwiederbringliche Nachteile durch den Verlust der Wohnung entstehen, vor dem sie in Ansehung eines mittels ärztlichen Attests belegten Schussverletzung am Kopf drei Monate nach Abschluss des Vergleichs und daraus noch andauernden besonderen persönlichen und gesundheitlichen Situation zu schützen sei. Zwar würde der Beschwerdegegner nach vorgelegten Unterlagen auch nicht unerhebliche Nachteile im Falle eines Verbleibs der Beschwerdeführerin in der Wohnung erleiden, doch würden die Nachteile der Beschwerdeführerin vorliegend überwiegen.

Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde gegen die Versagung des Räumungsschutzes sei form- und fristgerecht eingelegt worden (also zulässig). Es könnten ihr auch Erfolgsaussichten nicht abgesprochen werden. Die Frage, ob ein Verzicht auf Räumungsschutz nach § 794a Abs. 1, 2 ZPO in einem gerichtlichen Räumungsvergleich wirksam sei und ob er sich auf zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses unvorhersehbare und unbekannte Härtegründe beziehe, sei umstritten und höchstrichterlich bisher nicht geklärt (BGH, Beschluss vom 28.10.2008 - VIII ZB 28/08 -). Daher könne hier ein Erfolg der Rechtsbeschwerde derzeit nicht verneint werden. Es kämen hier unter Umständen die Unwirksamkeit des Verzichts auf Räumungsschutz aus § 313 BGB (Wegfall vorausgesetzter künftiger Umstände) in Betracht, da nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen sei, dass die Geschäftsgrundlage aufgrund ihrer nachträglich eingetretenen und unvorhersehbaren gesundheitlichen Situation entfallen sei.

BGH, Beschluss vom 03.06.2022 - VIII ZB 44/22 -