Freitag, 1. April 2016

Anwaltsrecht: Übernahme der Verantwortung für Schriftsätze – Welche Unterzeichnung ist erforderlich ?

Gerne wird aus formalen Gründen ein Schriftsatz (hier eine Revisionsbegründung in einer Strafsache) als unzulässig angesehen.  Entscheidend ist, dass der Unterzeichner des Schriftsatzes sich den Inhalt zu eigen macht und für diesen nach eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt.

Bild: pixabay
In dem dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorgelegten Fall hatte ein Anwalt, der mit dem Sachbearbeiter in einer Bürogemeinschaft zusammenarbeitete, dessen Revisionsbegründung mit den Zusätzen „i.V.“ (in Vertretung) und „ „für den nach Diktat verreisten Rechtsanwalt …“ unterzeichnet. Die Revision wurde verworfen. Mit den Zusätzen habe der Unterzeichner deutlich gemacht, dass er die Revisionsschrift nicht geprüft und nicht die Verantwortung übernommen habe.

Das sah das BVerfG anders. Alleine der Umstand, der der Unterzeichner vorher nicht tätig wurde, rechtfertige nicht die Annahme, dass er sich nicht mit der Angelegenheit auseinandergesetzt habe. Die Verantwortungsübernahme hänge nicht damit zusammen, wer den Schriftsatz entworfen hat. Mit der Unterzeichnung sei vielmehr davon auszugehen, dass sich der Unterzeichner den Inhalt zu eigen gemacht habe und damit auch die Verantwortung für dessen Inhalt übernehme. Anderes könne nur gelten, wenn in dem Schriftsatz selbst Distanzierungen  enthalten wären.

Der Zusatz „i.V.“ stünde dem nicht im Wege, wie dies eventuell der Zusatz „im Auftrag“ nahelegen könne. Ebenso sei der Zusatz, dass der Sachbearbeiter „nach Diktat verreist“ ist, nicht der Eigenübernahme entgegen.  Dies würde letztlich nur dafür sprechen, dass der Verfasser bei Unterzeichnung nicht anwesend war, nicht aber, dass der Unterzeichner nicht selbst geprüft und den Inhalt als eigenen übernommen hat.


BVerfG, Beschluss vom 07.12.2015 – 2 BvR 767/15 -

Keine Amtshaftung bei Verzögerung der Kostenfestsetzung durch das Gericht ?

Die Klägerin (Beklagte des Ursprungsverfahrens) machte vor dem LG Frankenthal Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB iVm. Art. 34 GG geltend. Streitgegenständlich waren von ihr zu zahlende Zinsen im Zusammenhang mit Kostenfestsetzungsbeschlüssen aus dem Ursprungsverfahren, da sich das für dieses Verfahren zuständige AG Speyer mit der Festsetzung zwei Jahre Zeit ließ. Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung nicht zugelassen.
Bild: pixavbay

In dem Ursprungsverfahren vor dem AG Speyer hatte die dort obsiegende Partei mit Eingang am 24.04.2013 bei dem Amtsgericht einen Kostenfestsetzungsantrag gestellt. Hierüber wurde die Klägerin des Amtshaftungsprozesses als unterlegene Partei des Ursprungsverfahrens erst zusammen mit der Überlassung des erst am 30.04.2015 erlassenen Kostenfestsetzungsbeschlusses informiert. Entsprechendes gilt für den weiteren Kostenfestsetzungsantrag der obsiegenden Partei, der am 26.11.2013 bei dem Amtsgericht einging und erst zusammen mit dem am 02.09.2015 verkündeten Kostenfestsetzungsbeschluss durch das Amtsgericht entschieden wurde.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da nach seiner Auffassung eine Amtspflichtverletzung gegenüber der Klägerin als unterlegener Partei des Ursprungsverfahrens nicht vorläge. Der zuständige Beamte habe zwar die Amtspflicht zu einer zügigen Bearbeitung; dies ergäbe sich aus dem Justizgewährungsanspruch des  Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG. Allerdings bestehe dies Amtspflicht lediglich gegenüber dem Antragssteller und nicht dem Antragsgegner (hier die Klägerin des Amtshaftungsprozesses) als Kostenschuldner. Außerdem, so das Landgericht, habe auch die Klägerin in dem Ursprungsverfahren keine Anstrengungen unternommen um sich nach einem etwaigen Bearbeitungsstand eines zu erwartenden Kostenfestsetzungsverfahrens zu erkundigen.

Anmerkung:   Die dogmatische Begründung des Landgerichts lässt eher auf einen Versuch einer krampfhaften Verhinderung von Amtspflichtansprüchen im Zusammenhang mit zeitlich begründeten Umständen schließen, als auf einer rechtlich verantwortlichen Aufbereitung.

Dies fängt bereits an mit der Frage, wem gegenüber die Amtspflicht zur gebotenen Beschleunigung (die auch vom Landgericht erkannt wurde) obliegt. Hier negiert das Landgericht eine Amtspflicht gegenüber dem Kostenschuldner. Begründet wird vom Landgericht lediglich damit, dass Sinn der Verfahrensgestaltung des Kostenfestsetzungsverfahrens die zügige Schaffung eines vollstreckungsfähigen Titels für den Kostengläubiger, die die Verkürzung einer Zinszahlungspflicht für den Kostenschuldner wäre. Diese Auffassung des Landgerichts erschließt sich allerdings nicht aus den rechtlichen Grundlagen, auch nicht jenen, auf die sich das Landgericht selbst bezieht.  Im Gegenteil. Das Landgericht hat im Hinblick auf die allgemeine Amtspflicht zur Verfahrensbeschleunigung Bezug genommen auf einen Aufsatz von Remus (in NJW 2012, 1403ff). In diesem Aufsatz hat sich Remus mit der Amtshaftung des Richters bei verzögerter Amtstätigkeit vor und nach Einführung der §§ 198ff GVG auseinandergesetzt, ohne allerdings die entsprechende Differenzierung zwischen Kläger/Antragsteller und Beklagter/Antragsgegner vorzunehmen. Grundlage ist, worauf auch Remus (aaO.) verweist, Art 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK:

„Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

„Jede Person“ bedeutet, eine Differenzierung zwischen dem Interesse eines Klägers(Antragstellers und dem Beklagten/Antragsgegner hat zu unterbleiben. Damit ist auch die Amtspflicht nach § 839 BGB iS. der Konvention auszulegen. Dies hat das Landgericht verkannt. Vergleicht man zudem auch die §§ 198ff GVG, die 2011 eingeführt wurden, verdeutlicht sich, dass auch nach der gesetzgeberischen Intention bei der Verzögerung für einen Schadensersatzanspruch in Übereinstimmung mit Art. 6 EMRK nicht auf die Parteistellung abgestellt wird.

Offenbar hatte das Landgericht bei seiner Entscheidung in Bezug auf den Begünstigten einer Amtspflicht selbst Bedenken und hat dann  - mit einem kurzen Nachsatz -  ein Eigenverschulden der Klägerin darin gesehen, dass diese es unterließ, auf den Stand eines „zu erwartenden“ Kostenfestsetzungsantrag zu erkundigen. Damit gibt das Landgericht den Parteien eines Rechtstreites weiterhin eine Überprüfung von Aktenständen qua Anfragen bei Gericht auf.

Schon nicht ersichtlich ist allerdings, weshalb eine Partei sich im Falle ihres Unterliegens nach einem möglichen Eingang eines Kostenfestsetzungsantrag erkundigen sollte, kann sie doch an sich davon ausgehen, dass die /Gerichts-) Verwaltung korrekt und gesetzesmäßig arbeitet, also über mögliche Anträge informiert. Und: In welchen Abständen soll dies widerholt  werden ? Die Kostenentscheidung in einem Urteil verjährt erst nach 30 Jahren; innerhalb dieser Frist kann mithin der Kostenfestsetzungsantrag gestellt werden. Sieht eine Partei  - aus welchen Gründen auch immer -  von einer Antragstellung ab, müsste nach dieser Entscheidung des Landgerichts die unterlegene Partei gleichwohl regelmäßig (monatlich ?) nachfragen. Dass dies zu einem erheblichen Mehraufwand, sowohl bei der betroffenen Partei (und deren Prozessbevollmächtigten) als auch bei Gericht führt (wobei die Anfragen in Ansehung von zu erwartenden Nichtbeantwortungen letztlich wohl gar noch durch Dienstaufsichtsbeschwerden unterlegt werden müssten) dürfte ohne weiteres auf der Hand liegen. Allerdings ist auch nicht einsichtig, dass bei Unkenntnis eine Anfrage zur Absicherung erfolgen müsste; etwas anders wäre nur der Fall, wenn ein Antrag bekannt ist und eine Verbescheidung ausbleibt; in diesem Fall wird man eine Anfrage (oder Rüge iSv. § 198 GVG) wohl erwarten dürfen.

Das Landgericht hatte (leider) ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung nicht zugelassen, weshalb hier eine obergerichtliche Überprüfung nicht ermöglicht wurde. Die Konsequenz wird wohl sein, dass tatsächlich zeitnah (und wiederholend) Anfragen zu möglichen Kostenfestsetzungsanträgen gestellt werden müssen (zur Freude des Anwalts und der Rechtspfleger). 

LG Frankenthal, Urteil vom 24.02.2016 - 3 O 395/15 -

Samstag, 26. März 2016

Fahrtenbuchauflage: Unbekannter Fahrer und ein möglicher Punkt

Bild: pixabay
Das OVG Münster  stimmte, wie die Vorinstanz, der Verwaltung zu, die gegen den Kläger eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von einem Jahr verhängte. Hintergrund der Fahrtenbuchauflage war gewesen, dass mit dem Fahrzeug des Klägers ein verkehrsverstoß begangen wurde, der nach dem neuen Punktesystem zum 1.5.2015 nach Anlage 13 zur FeV mit jedenfalls einem Punkt zu bewerten sei. Da der Fahrer nicht ermittelt werden konnte, erging gegen den Halter die Fahrtenbuchauflage.


Das OVG Münster ließ die Berufung gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht zu. Es verwies darauf, dass der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung habe, wobei es nicht darauf ankommen würde, ob eventuell andere Verwaltungsträger als der hier zuständige anders entscheiden würde. Darüber hinaus sei die Entscheidung auch nicht fehlerhaft.

Die Fahrtenbuchauflage ist nach der Auffassung des OVG eine probate Maßnahme, wenn ein erheblicher Verkehrsverstoß vorläge und der Fahrer nicht ermittelt werden könne. Mit der Fahrtenbuchauflage wird sichergestellt, das im Wiederholungsfall der Fahrer durch Einsicht in das Fahrtenbuch ermittelt werden kann. Die  - für die Fahrtenbuchauflage notwendige -  Erheblichkeit des Verkehrsverstoßes ließe sich aus dem Punktesystem ableiten. Nach der Reform des Punktesystems zum 1.5.2015 decke ein Punkt eine große Spanne von Verkehrsverstößen ab, wobei nah diesem neuen System Punkte nur noch vorgesehen wären für Verkehrsverstöße, die die Verkehrssicherheit tatsächlich beeinträchtigen würden.


OVG Münster, Beschluss vom 13.01.2016 – 8 A 1030/15 -

Mittwoch, 23. März 2016

Architekt: Mehrforderung nach Schlussrechnung bei Unterschreitung des Mindesthonorars

Bild: pixabay
Der Architekt hat mit dem Bauherrn eine Pauschale von € 60.000,00 zuzüglich Umsatzsteuer vereinbart und Abschlagsrechnungen erstellt. Die letzte Abschlagsrechnung zahlte der beklagte Bauherr zunächst nicht, da er Einwendungen (so eine Nichteinhaltung einer Fertigstellungsfrist) erhob. Als er schließlich den Rest zahlte, quittierte ihm dies der Architekt mit der Angabe „Restbetrag von der Abschlussrechnung für Architekt-Honorar“.

Im Nachgang erstellte der klagende Architekt eine Teilschlussrechnung unter Anrechnung der erfolgten Zahlungen und erhöhte diese im Laufe des Rechtsstreits auf Grund geänderter Kostenrechnung.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Auf die von beiden Parteien eingelegte Berufung wies das OLG die Klage ab. Der BGH  hob auf die Berufung des Klägers das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit zurück.

Nach Auffassung des OLG, der sich der BGH anschloss, wäre der Architekt grundsätzlich nicht an seine ursprüngliche Rechnung gebunden und könne von daher auch trotz erteilter Schlussrechnung weitergehende Forderungen geltend machen. Da allerdings zwischen der Zahlung auf die Schlussrechnung und der neuen Rechnung ein Jahr vergangen sei, wäre er nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) an einer weitergehenden Berechnung gehindert. Dieser Auffassung folgte der BGH nicht.

Voraussetzung für den auf § 242 BGB begründeten Ausschluss der Nachberechnung wäre, dass sich der beklagte Bauherr auf den abschließenden Charakter der Schlussrechnung eingerichtet habe. Es gäbe keine allgemeine Lebenserfahrung, dass sich ein Auftraggeber nach Ablauf einer gewissen Zeit darauf eingerichtet hat, nichts mehr zahlen zu müssen. Hierzu müsse der beklagte Bauherr vortragen. Gleiches gelte für eine sodann vorzunehmende Prüfung der Unzumutbarkeit weiterer Zahlungen durch den Bauherrn; auch diese sei nicht alleine durch Zeitablauf anzunehmen, sondern müsse sich gerade durch eine durch die Nachforderung bedingte zusätzliche Belastung als besondere Härte unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ergeben. Der Umstand als solcher, dass der Architekt eine weitergehende Honorarforderung auf der Grundlage der Mindestsätze der Honorarordnung (HOAI) geltend mache, führe nicht zur Unzumutbarkeit; entscheidend sei, welche Maßnahmen der Auftraggeber im Hinblick auf ein schützenswertes Interesse unternommen bzw. unterlassen habe (so bereits BGH, Urteil vom 23.10.2008 – VII ZR 105/07 -).


BGH, Urteil vom 19.11.2015 – VII ZR 151/13 -

Freitag, 18. März 2016

Versicherungsrecht: Kein Anspruch auf von Versicherung eingeholte Gutachten, es sei denn, § 242 BGB greife im Einzelfall (hier verneint)

Der Kläger verlangte Herausgabe von einem oder Einsichtnahme in ein vom Versicherer der Wohnungseigentümergemeinschaft eingeholtes Gutachten. Unabhängig davon, ob der Kläger als Miteigentümer der WEG überhaupt ein eigenes Recht hat, hat das Landgericht diesen Anspruch in der Sache verneint. Es musste, da sich zwischenzeitlich die Hauptsache erledigte (§ 91a ZPO) nur noch im Rahmen eines Kostenbeschlusses entscheiden.

Für den geltend gemachten Anspruch fehlte es nach Auffassung des Landgerichts an einer Rechtsgrundlage.

§ 3 Abs. 4 VVG sei nur für die dort konkret benannten Umstände anwendbar und träfe auf Gutachten nicht zu.

§ 202 VVG betrifft lediglich Gutachten im Krankenversicherungsbereich, nicht in den sonstigen Versicherungszweigen (die hier betroffen waren).

Auch § 810 Alt. 1 BGB kommt nach Auffassung des Landgerichts nicht in Betracht. Voraussetzung wäre, dass das Gutachten zumindest auch im Interesse desjenigen erstellt wurde, der die Herausgabe/Einsicht fordert. Wird das Gutachten vom Versicherer eingeholt, um eine eigene Leistungspflicht festzustellen, kommt diese Annahme nach Der Entscheidung des Landgerichts nicht in Betracht. Der Versicherer handele lediglich im eigenen Interesse und nicht auch um eine Aufgabe des Versicherungsnehmers bzw. Versicherten wahrzunehmen.

Auch ein auf § 242 BGB (Treu und Glauben) gestützter Anspruch scheide aus. Dies wurde vorliegend deshalb verneint, da der Kläger zunächst versucht habe im Rahmen der Leitungswasserversicherung resultierende Schäden über diese Versicherung abzurechnen. Dies sei unredlich gewesen; § 242 BGB greife aber nur, wenn sich derjenige, der sich auf § 242 BGB beruft, selbst redlich verhält.


LG München I, Beschluss vom 14.10.2015 – 26 O 8341/15 -

Donnerstag, 17. März 2016

Anwaltsregress: Umfassender Sachvortrag und rechtliche Würdigung zu allen Anspruchsgrundlagen ist erforderlich

„Fasse Dich kurz“ – ein Aufkleber aus alten Zeiten in Telefonzellen. Dieser Grundsatz soll jedenfalls aber nicht in anwaltlichen Schriftsätzen gelten, folgt man hier dem BGH. Danach hat der Anwalt „die zugunsten seiner Partei sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich darzustellen“. In diesem Zusammenhang weist der BGH auch darauf hin, dass aus dem Grundsatz „iura novit curia“ („Das Recht kennt der Gerichtshof“) keine Einschränkung der Verpflichtung des Anwalts hergeleitet werden könne.

Bild: pixabay
Der BGH musste sich (wieder einmal) mit einem Anwaltsregress befassen. In dem Vorprozess hatte der beklagte Anwalt die Klägerin im Zusammenhang mit einem Schadensfall aus einem Speditionsgeschäft vertreten. In dem Verfahren war streitig, welches Versicherungsrisiko von dem Spediteur eingedeckt werden sollte. Der Klage wurde lediglich im geringen Umfang stattgegeben. Im Rahmen des Regresses machte nun die ehemalige Mandantin geltend, der Beklagte habe im Ausgangsverfahren nicht hinreichend deutlich gemacht, dass die Spedition zur Eindeckung einer Allgefahrenversicherung verpflichtet gewesen sei. Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab; der BGH hob die Entscheidungen auf und verwies den Rechtsstreit an das OLG zurück.

Zutreffend verweist der BGH in seiner Entscheidung darauf, dass im Zivilrechtsstreit grundsätzlich die Beibringung des Tatsachenstoffs Sache der Parteien ist. Allerdings, so der BGH, ist der Anwalt verpflichtet, über den Tatsachenvortrag hinaus „das Gericht davon zu überzeugen, dass und warum seine Rechtsauffassung richtig ist“. Kommen verschiedene Rechtsgründe in Betracht, muss der Anwalt alle Rechtsgründe ins Feld führen und den Sachvortrag so gestalten, dass alle Gründe auch konkret dem Gericht dargelegt werden.

Im konkreten Fall hielt der BGH dem verklagten Anwalt allerdings vor, dass er den Terminus der All-Risk-Versicherung nicht erläutert habe. Hier würde es sich nicht um einen einfachen Rechtsbegriff (wie z.B. Eigentum) handeln, weshalb zum substantiierten Vortrag die Erläuterung des damit versicherten Risikos gehört.

Anmerkung: Bekanntlich wird ein Rechtsstreit nicht von den Anwälten sondern vom Gericht entschieden. Von daher ist an sich bereits unverständlich, weshalb der Anwalt nach Auffassung des BGH letztlich das Gericht belehren soll, gegebenenfalls sogar penetrant belehren soll, damit es die von ihm vertretene (eventuelle sogar zutreffende) Auffassung teilt. Der Verfasser muss sich häufig den Hinweis des Gerichts anhören, man würde auch die Rechtsnorm, die Rechtsprechung pp. kennen; lapidar wird daher dann immer darauf hingewiesen, dass dies sein möge, der BGH aber in seinen Haftungsprozessen gegen Anwälte offenbar andere Auffassung sei.

Richtig ist im vorliegenden Verfahren des BGH, dass natürlich nicht nur der Name der konkret abgeschlossenen Versicherung zu benennen war, sondern auch der dahinter stehende Versicherungsumfang zu benennen war, da es gerade um den Versicherungsumfang in dem Rechtsstreit ging. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Richter in der Materie der Bezeichnung bestimmter Versicherungen firm ist, unabhängig davon, dass es sich nicht um gesetzliche Einordnungen handelt sondern um versicherungsvertragliche Bestimmungen und damit notwendig Gegenstand eines Sachvortrages sein muss, unabhängig davon, dass eine Definition des Inhalts in den Fachkommentaren zu finden wäre. Allerdings: Hätte nicht der Richter auf die fehlende Darlegung nach § 139 ZPO hinweisen müssen ?


BGH, Urteil vom .12.2015 – IX ZR 272/14 -

Mittwoch, 16. März 2016

Nachbarschaftsrecht: Laubbefall durch herüberhängende Äste

Nur selten wird man in der glücklichen Lage sein, sich seinen Nachbarn aussuchen zu können. Und so gehören Nachbarstreitigkeiten zu den gerichtlichen Verfahren, die immer wieder anzutreffen sind, und bei denen letztlich nicht „die Sache“ selbst ursächlich ist, sondern  der Streit zwischen den Nachbarn. Fälle, in denen ein Richter selten eine Chance hat, eine gütliche Einigung zu bewirken (die regelmäßig auch vorher schon vor dem Schiedsmann ausblieb).


Bild: pixabay
Zu einen der Gründe für häufige nachbarschaftliche Auseinandersetzungen gehört der Bewuchs im Nachbargarten. So musste sich das OLG Brandenburg mit der Frage auseinandersetzen, ob Äste. Die mehrere Meter herüberragen, geduldet werden müssen. Neben den Regelungen des BGB sind die einschlägigen Nachbarschaftsgesetze der Länder zu berücksichtigen.

Klar wird vom OLG Brandenburg ausgeführt, dass der beeinträchtigte Nachbar vorliegend einen Anspruch auf Beseitigung des Überhangs nach §§ 1004 Abs. 1, 910 BGB habe, wenn sich ein Duldungsanspruch nicht ergibt. Insbesondere müsse er hier auch die von dem Überhang ausgehende Beeinträchtigung nicht nach § 910 Abs. 2 BGB dulden. Zwar wäre eine Beschattung vorliegend kein Grund, auch nicht ein gelegentliches Herabfallen von Eicheln; allerdings würde sich das Herabfallen des Laubs und der Kiefernadeln der Bäume als nicht unerhebliche Beeinträchtigung darstellen, da nach einem Sachverständigen 3 Kubikmeter im Jahr anfallen sollen.

Auch wenn die Frist für die Geltendmachung des Grenzabstandes nach dem Nachbarschaftsgesetz abgelaufen ist, hindere dies nicht die Ansprüche aus §§ 1004, 910 BGB. Allerdings käme ein Rückschnitt nicht in Betracht, wenn dieser genehmigungsfrei ist oder eine Genehmigung erteilt wird; wird eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt, würde dem Kläger ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zustehen (dessen Höhe in dieser Entscheidung nicht gegenständlich war).


OLG Brandenburg, Urteil vom 17.08.2015 – 5 U 109/13 -