Donnerstag, 28. Juni 2018

Kostenaufhebung oder –teilung, wenn nur eine Partei anwaltlich vertreten ist ?


Vor dem Amtsgericht können sich Parteien auch ohne anwaltlichen Beistand selbst vertreten.  Davon wird häufig Gebrauch gemacht, sei es, dass die Kosten eines Anwalts gespart werden sollen, sei es aus anderen Gründen (z.B. eigene Rechtskenntnisse). Ist eine Partei anwaltlich vertreten, die andere Partei nicht und wird dem Kläger nur die Hälfte von dem zugesprochen, was er mit seiner Klage begehrt, stellt sich die Frage, ob hier die Kosten gegeneinander aufgehoben werden sollen (jeder trägt seine eigenen außergerichtlichen Kosten, die anwaltlich vertretene Partei also die eigenen Anwaltskosten) oder die Kosten zu je 50% gequotelt werden sollen (was dazu führt, dass sich die nicht anwaltlich vertretene Partei an den Anwaltskosten der anwaltlich vertretenen Partei zu 50% zu beteiligen hätte). In beiden Fällen werden die Gerichtskosten zu je 50% geteilt.  

Das LG Köln hat nun in einem Beschwerdeverfahren entschieden, dass in diesen Fällen keine Kostenaufhebung auszusprechen ist, sondern eine Quotelung. Damit weicht das LG von teilweise in der Literatur und Rechtsprechung vertretener Ansicht ab, nach der eine Kostenaufhebung auszusprechen sei, da die nicht anwaltlich vertretene Partei letztlich dafür bestraft würde, dass sie keinen Anwalt beauftragt habe.

Ausgangspunkt der Überlegung des LG ist § 92 ZPO. Danach sind die Kosten des Verfahrens entweder gegeneinander aufzuheben oder nach der Gewinn- und Verlustquote zu teilen. Die Kostenquotelung, so das LG, stelle aber keine Bestrafung der „sparsamen“, auf einen Anwalt verzichtenden Partei dar, da sie auch der nicht anwaltlich obsiegenden Partei insoweit zum Vorteil gereiche, als sie von den insgesamt niedrigeren Prozesskosten profitiere.  Ein solches Ergebnis entspräche dem Ziel des § 92 ZPO. Die gegenteilige Ansicht würde systemwidrig die unabhängigen Aspekte der Kosten einerseits und der Kostentragungspflicht andererseits vermischen. Die Möglichkeit der Kostenaufhebung dürfte nach Ansicht des LG nur bezwecken, in signifikanten Fällen das Kostenfestsetzungsverfahren zu erleichtern indem Rechtsfrieden ohne mögliche Streitpunkte über einzelne Kostenpositionen schneller eintritt.

Bei der Kostenaufhebung in diesen Fällen, in denen nur eine Partei anwaltlich vertreten würde, würde diese letztlich für ihre Anwaltsbeauftragung bestraft werden, obwohl jedre Partei eine anwaltliche Vertretung zustehen würde. Es könne nicht dme Zufall überlassen werden, ob die gegnerische Partei ebenfalls anwaltlich vertreten sei, zumal einer juristisch unbewanderten Person dadurch der Weg zu einem Anwalt verbaut werden könnte und dies der verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzgleichheit zuwiderlaufen würde (LG Oldenburg, Urteil vom 29.09.2011 - 1 S 189/11 -).

Im übrigen könnte die Lösung der Kostenaufhebung zu widersprüchlichen Ergebnissen führen, insoweit die anwaltlich vertretene Partei bei einem Obsiegen zu nur 40% wirtschaftlich besser stehen könnte als bei einem Obsiegen mit 50%. Derartige unbillige Ergebnisse könnten ohne Verstoß gegen den Wortlaut des § 92 ZPO oder Systembrüche durch die Lösung einer Kostenaufhebung nicht verhindert werden.  

LG Köln, Beschluss vom 01.02.2018 - 11 T 97/17 -

Zahlung an eigenen Anwalt hindert Anspruch gegen den Rechtsschutzversicherer ?


Sachverhalt: Der Kläger, Versicherungsnehmer der beklagten Rechtschutzversicherung, hatte Kostendeckung für eine außergerichtliche anwaltliche  Interessenswahrnehmung zur Geltendmachung  von Schadensersatzansprüchen wegen Betruges pp.  im Zusammenhang mit Anlagegeschäften gegen diverse Dritte durch seinen Anwalt 2006 eingeholt und erhalten.  In 2011 wurde vom Kläger über seine Anwälte zusätzlich Deckungsschutz in diesem Zusammenhang für Ansprüche gegen drei Wirtschaftsprüfungsunternehmen eingefordert. Die Beklagte teilte den Anwälten mit, dass sie bereits umfassend Deckungsschutz gewährt habe, weshalb gebührenrechtlich nur eine Angelegenheit vorläge. Dieses Schreiben übermittelte die Rechtschutz an den Kläger und führt diesem gegenüber ergänzend mit „ganz wichtig“ aus, dass es zu ihren Aufgaben gehöre, den Kläger als ihren Versicherungsnehmer von Ansprüchen des Anwalts freizustellen mit der ergänzenden Bitte, sie sofort zu unterrichten, sollten Gebühren für die Geltendmachung von  Ansprüche gegen die drei Wirtschaftsprüfungsunternehmen in Rechnung gestellt werden. Im August 2012 stellten die Anwälte dem Kläger ihre Tätigkeit gegen die drei Wirtschaftsprüfungsunternehmen als Gebührenvorschuss in Rechnung. Die Rechnung überließen sie der Beklagten und forderten Freistellung des Klägers auf. Die Zahlung lehnte die Beklagte ab und verwies darauf, dass sie den Kläger umfassend für die Geltendmachung berechtigter und Abwehr unberechtigter Ansprüche freigestellt habe. Nunmehr berechneten die Anwälte gegenüber dem Kläger ihre Vertretung in einem (schon vorher von der Rechtsschutzversicherung als unnötig benannten) Güteverfahren und für sonstige außergerichtliche Tätigkeit. Der Kläger erhob zunächst Klage auf Freistellung gegen die Beklagte, die vom Landgericht abgewiesen wurde. Während des Berufungsverfahrens zahlte der Kläger die Gebührenrechnung für das Güteverfahren und stellte den Antrag auf Zahlung dieser Gebühren an sich um. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Das OLG ließ die Revision gegen seine Entscheidung zu.


Entscheidungsgründe: Der Rechtsschutzversicherer verspreche üblicherweise nicht Zahlung, sondern Freistellung seines Versicherungsnehmers (VN) von der anwaltlichen Gebührenforderung. Ihm bleibe es überlassen, wie er diese Freistellung herbeiführe, insbesondere als, ob er sie zahlt und damit erfüllt oder ob er sie als unberechtigt abwehrt. Dies entspräche demjenigen in der Haftpflichtversicherung. Dort wie in der Rechtsschutzversicherung wandle sich der Freistellungsanspruch nur unter bestimmten Umständen in einen Zahlungsanspruch um. Alleine durch die Zusage einer Abwehrdeckung sei allerdings (anders als es das OLG sah) sei der Freistellungsanspruch allerdings noch nicht erloschen. Der Zusage  komme nicht die Wirkung des § 362 Abs. 1 BGB zu, das geschuldete Ergebnis der Befreiung von einer Verbindlichkeit damit noch nicht eingetreten sei. Mit seiner Zusage zur Abwehrdeckung, wie hier erfolgt, komme der Versicherer dem zu dieser Zeit Erforderlichen nach, weshalb eine Deckungsklage (wie erstinstanzlich erhoben) als (derzeit) unbegründet abzuweisen sei. Die Deckungszusage habe vorgelegen. Streitig wäre nur, ob ein gebührenrechtlicher Anspruch in der benannten Höhe für die berechneten Tätigkeiten bestünde. Da der VN weiterhin der Gefahr der Geltendmachung der gebühren durch die Anwälte ausgesetzt sei, habe der Versicherer den VN gegen die Gebührenforderung zu verteidigen und im Falle des Unterliegens die dadurch verursachten Kosten zu tragen.

Eine Umwandlung des Freistellungs- in einen Zahlungsanspruch finde grundsätzlich erst statt, wenn der VN die Gebührenforderung erfüllt habe. Das sei allerdings nicht der Fall, wenn der Versicherer die Forderung als ungerechtfertigt ansähe und Abwehrdeckung gewähre. Dann müsse zunächst eine Abwehr gegen den Anspruch erfolgen; misslinge dies und wird der Anspruch tituliert, könne der VN durch Zahlung an den Anwalt die Umwandlung des Freistellungs- in einen Zahlungsanspruch bewirken; die Kosten des Verfahrens seien von dem Rechtsschutzversicherer zu tragen. Vorliegend habe der VN das Ergebnis eines Abwehrversuchs abzuwarten, wolle er seinen Befreiungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer nicht verlieren.  

Dies widerspräche auch nicht Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344/EWG vom 22.06.1987,  da durch diese Regelung die Interessen des VN bei einem Streit ob und in welcher Höhe gebührenasprüche des Anwalts berechtigt seien,  nicht unangemessen beeinträchtigt seien.

Die Revision wurde zurückgewiesen.

BGH, Urteil vom 11.04.2018 - IV ZR 215/16 -

Mittwoch, 27. Juni 2018

Nebenkosten und Abrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 BGB gegenüber dem dinglichen Wohnungsberechtigten


Die Klägerin erwarb 2006 eine Eigentumswohnung und räumte dem beklagten an dieser ein lebenslängliches Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht (dingliches Nutzungsrecht) ein. Der Beklagte war verpflichtet, die auf den Mieter umlegbaren Betriebskosten (Nebenkosten) für die Wohnung zu tragen, so insbes. die Kosten für Wasser, Abwasser, Heizung, Strom, Versicherung und Grundsteuer. Vorauszahlungen darauf waren nicht geschuldet. Für 2010 erstellte die Klägerin am 22.12.2014 die Nebenkostenabrechnung und machte diese gerichtlich geltend. Die Klage wurde vom Amts- und Landgericht abgewiesen; auch die zugelassene Revision wurde vom BGH zurückgewiesen.

Nach Ansicht des BGH hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf die Abrechnung des Eigentümers gegenüber dem dinglich Nutzungsberechtigten die Regelung aus dem Mietrecht nach § 556 Abs. 3 BGB entsprechend angewandt. Nach dieser Regelung hat der Vermieter gegenüber dem Mieter von Wohnraum die Vorauszahlungen auf Betriebskosten binnen zwölf Monaten nach Ablauf der Abrechnungsperiode (die maximal 12 Kalendermonate betragen darf) vorzunehmen. Dementsprechend habe der Senat bereits entscheiden, dass die Abrechnung des Eigentümers gegenüber dem dinglich Nutzungsberechtigten auch innerhalb dieser Frist zu erfolgen habe (Urteil vom 25.09.2009 - V ZR 36/09 -).  Noch nicht entschieden sei, wie es sich verhält, wenn (wie vorliegend) der dinglich Nutzungsberechtigte keine Vorauszahlungen zu leisten habe. Dies sei umstritten, doch würde sich der Senat der Ansicht anschließen, die auch in diesem Fall § 556 Abs. 3 BGB entsprechend anwenden will.

Das Gesetz enthalte hier eine planwidrige Regelungslücke, soweit es nicht berücksichtigt, dass nicht notwendig vereinbart werden müsse, dass auf Nebenkosten Vorauszahlungen zu leisten sind. Ersichtlich sei der Gesetzgeber nur davon ausgegangen, dass entweder eine Pauschale (ohne Abrechnung) vereinbart würde, oder Vorauszahlungen, über die abzurechnen sei (und für die der Vermieter nach Ablauf der Abrechnungsfrist keine Nachforderung mehr geltend machen könne). Eine Regelungsbedürftigkeit der fristgebundenen Abrechnung ohne Vorauszahlungen sei als nicht notwendig angesehen worden, da dies unüblich sei. Diese Lücke sei für das dingliche Wohnungsrecht (welches der Gesetzgeber auch nicht bedacht hat und wegen dem auch eine Regelungslücke vorliegt) durch eine entsprechende Anwendung des § 556 Abs. 3 S. 2 und 3 BGB zu schließen. Ziel der Fristgebundenheit der Abrechnung sei, durch eine zeitnahe Abrechnung dem Mieter Abrechnungssicherheit zu geben und Streit zu vermeiden (BT-Drucks. 14/4533 S. 37; Urteil des BGH vom 05.07.2006 - VIII 220/05 -). Dies rechtfertige die Anwendung der Norm auch für den dinglichen Wohnungsberechtigten.

Auch wenn dieser mangels Vorauszahlungen kein Guthaben haben könne, müsse er damit rechnen, dass Forderungen auf ihn zukommen würden. Von daher habe er ein berechtigtes Interesse daran, nach Ablauf des Abrechnungszeitraums Klarheit über die Höhe der Betriebskosten zu erlangen, zumal sich über mehrere Abrechnungszeiträume hinweg hohe Forderungen gegen ihn ansammeln könnten. Denn für die Verjährung des Anspruchs auf Nachzahlung sei der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem dem Wohnungsberechtigten die Abrechnung zugehen würde, § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB.

BGH, Urteil vom 16.03.2018 - V ZR 16/17 -

Donnerstag, 21. Juni 2018

Haushaltsführungsschaden: Nicht bei Ausfall als Hilfe im Haushalt eines unterstützungsbedürftigen Dritten


Zum ersatzfähigen Schadensumfang eines Geschädigten gehört auch sein Haushaltsführungsschaden: Ist der Geschädigte verletzungsbedingt nicht mehr in der Lage, seinen Haushalt selbst zu besorgen, hat er einen Ersatzanspruch in Geld, soweit ein Ausfall vorliegt. Im vorliegenden Verfahren stützte die Klägerin den von ihr geltend gemachten Haushaltsführungsschaden  darauf, dass sie verletzungsbedingt ihrer 98-jährigen Mutter, die in einer eigenen Wohnung alleine lebe,  nicht mehr den  Haushalt (wie bisher) hätte führen können.

Während das Landgericht der Klägerin  einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von € 2.240,00 zusprach, änderte das OLG auf die Berufung der Beklagten das Urteil ab und wies die Klage insoweit ab.

Der Hauhaltsführungsschaden, so das OLG, habe seine Rechtsgrundlage in § 843 Abs. 1 BGB. Danach wäre dem Verletzten Schadensersatz durch Zahlung einer Geldrente zu leisten, wenn infolge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit die Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert würde oder eine Vermehrung der Bedürfnisse eintrete. Soweit der verletzte einen eigenen Haushalt führe (was auch beim mitführen des Haushalts gilt), seien seine Bedürfnisse vermehrt, da er eine Haushaltshilfe benötige, ohne dass es darauf ankäme, ob er diese in Anspruch nähme oder nicht. Wird die Unterhaltsleistung gegenüber der Familie eingeschränkt, sei die Erwerbstätigkeit gemindert; derjenige Ehegatte, der in der Ehe den Haushalt führe, erbringe seinen nach § 1360 BGB geschuldeten Beitrag zum Familienunterhalt durch Einbringung und Verwertung seiner Arbeitskraft . Daraus folge, dass im Falle eines Unvermögens durch Verletzung seiner Person er einen eigenen, wirtschaftlich messbaren Schaden erleide, der vom Schädiger zu ersetzen sei.

Würde kein wirtschaftlich messbarer Schaden entstehen, also das Vermögen nicht gemindert, könne Schadensersatz nicht begehrt werden. Nach § 253 Abs. 1 BGB könne nur für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden sei, Entschädigung in Geld nur für die durch Gesetz bestimmten Fälle gefordert werden. Eine gesetzliche Regelung, Nachteile zu entschädigen, die dadurch entstehen würden, dass einer sittlichen Verpflichtung nicht nachgekommen werden könne, fehle. Zwar seien sittliche Verpflichtungen, wie § 814 BGB zeige, nicht irrelevant. Doch bedürfe es für eine Erweiterung im Deliktsrecht einer hier fehlenden gesetzlichen Regelung, weshalb eine analoge Anwendung nicht möglich sei. Der Umstand, dass es für den Verletzten belastend sein könne, wenn er seine pflegebedürftige Eltern nicht unterstützen könne, wäre im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen.

Voraussetzung für den Ersatz des Haushaltsführungsschadens sei damit, dass eine vertragliche oder gesetzliche Pflicht zur Haushaltsführung bestand. Soweit nach § 1601 BGB Verwandte in gerader Linie zum Unterhalt verpflichtet seien, lägen hier die Voraussetzungen nicht vor. Auch wenn von dem Unterhaltspflichtigen vom Berechtigten nach § 1612 Abs. 1 S. 2 BGB verlangt werden könne, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen, statt nach § 1612 Abs. 1 S. 1 statt einer Geldrente Naturalunterhalt  zu erhalten(bejaht für die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem volljährigen Kind), würde dies immer die Unterhaltsbedürftigkeit voraussetzen. Dass die 98—jährige Mutter bei der Haushaltsführung Hilfe benötige, sei naheliegend. Es läge zwar damit ein Unterhaltsbedarf vor; unterhaltsberechtigt sei aber nur derjenige, der außerstande sei, mit Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens den eigenen Bedarf zu decken. Bei Pflegebedürftigkeit seien die Leistungen aus der Pflegeversicherung zu berücksichtigen. Weiterhin hier das eigene Vermögen der Mutter. Dass die Mutter den hier vom Landgericht zugesprochenen Betrag von € 2.240,00 nicht selbst hätte aufbringen können, sei von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Zumal, worauf das OLG ergänzend verweist, die Klägerin nur eine Rente von € 855,91 bezog und von dieser Betrag den Selbstbehalt im Rahmen des Elternunterhalts bei weitem unterschreite. Außerdem würde sie nicht alleine für den Unterhaltsbedarf der Mutter einzustehen habe, sondern zusammen mit ihren Schwestern, die nach ihren Angaben während ihres Ausfalls neben dem Pflegedienst tätig geworden seien.


Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 03.04.2018 - 11 U 93/17 -

Montag, 18. Juni 2018

Mieterhöhungsreigen und die verfassungsrechtlich unzulässige Überraschungsentscheidung zur Annahme eines konkludenten Verzichts


Die Beklagte des Ausgangsverfahrens und Beschwerdeführerin (BF) hatte mehrere Mieterhöhungen kurz hintereinander geltend gemacht. Zunächst erhob die BF eine Duldungsklage gegen die Klägerin zur Duldung von Modernisierungsmaßnahmen. Die Parteien schlossen einen Vergleich, worauf die Klägerin eine Berufung gegen ein der Klage stattgebendes Urteil zurücknahm. Nach Durchführung der Arbeiten verlangte die BF eine Mieterhöhung unter Bezugnahme auf Vergleichswohnungen (§ 558 BGB) und legte dabei die Ausstattung der Wohnung im modernisierten Zustand zugrunde. Die Klägerin stimmte dem zu. Ca. zehn Monate später machte die BF eine Modernisierungserhöhung nach § 559 Abs. 1 BGB (a.F.) geltend, der die Klägerin widersprach. Die BF reduzierte daraufhin den Betrag dergestalt, dass dieser einschließlich der bereits erfolgten Mieterhöhung nach § 559 BGB und der bereits erfolgten Modernisierungserhöhung den Betrag nicht überschreitet. Die Klägerin zahlte den rrhöhten Betrag unter Vorbehalt der Rückforderung und erhob insoweit auch Rückzahlungsklage und beantragte die Feststellung, die Modernisierungserhöhung nicht zu schulden.

Das Amtsgericht gab der Zahlungsklage statt und wies die Feststellungsklage zurück. Auf die Berufung beider Parteien hat das Landgericht auch dem Feststellungsantrag der Klägerin stattgegeben und die Berufung der BF zurückgewiesen. Eine von der BF erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs wurde vom Landgericht als unzulässig zurückgewiesen. Die von der Klägerin gegen die landgerichtliche Entscheidungen eingelegte Verfassungsbeschwerde war erfolgreich und führte zur Aufhebung derselben und Zurückverweisung an das Landgericht.

Nach Ansicht des BVerfG wurde das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) der BF durch das Landgericht verletzt. U.a. enthalte Art 103 Abs. 1 GG den Schutz vor Überraschungsentscheidungen (BVerfGE 107, 395m 410). Da den Beteiligten Gelegenheit zu geben sei, sich zu dem maßgeblichen Sachverhalt, Rechtsauffassungen und Beweisergebnissen vor dem Erlass eines Urteils zu äußern, setzt dies voraus, dass für sie auch bei Anwendung einer zu verlangenden Sorgfalt erkannt werden kann, auf welche Vortrag es für die Entscheidung ankomme könne. Wenn das Gericht auf einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt abstelle ohne vorher auf diesen hinzuweisen, könne dies der Verhinderung eines Vortrages zur Rechtslage gleichkommen und eine Verletzung rechtlichen Gehörs darstellen. Dies sei vorliegend der Fall gewesen.

Das Landgericht habe eine Verzichtserklärung und einen Erlassvertrag angenommen. Damit hätten die Parteien nicht rechnen müssen, da es weder von ihnen noch vom Amts- oder Landgericht angesprochen wurde. Ein möglicher Verzicht auf eine Mieterhöhung durch die BF sei weder zwischen den Parteien jemals erörtert noch in der mündlichen Verhandlung in Erwägung gezogen worden. Eine Annahme eines Verzichts durch die BFH habe auch nicht derart nahe gelegen, dass sich die BF aus Gründen prozessualer Vorsorge dazu hätte äußern müssen. Durch Unterlassen des damit gebotenen rechtlichen Hinweises durch das Landgericht sei der BF damit die Möglichkeit zur Stellungnahme abgeschnitten worden.

Seitens der BF sei auch dargelegt worden, dass die Entscheidung des Landgerichts auf der Gehörsverletzung beruhe. So habe die BF dargelegt, was sie bei einem Hinweis vorgetragen hätte: Nach der Rechtsprechung des BGH seien an einen Verzichtswillen strenge Anforderungen zu stellen und dieser müsse unmissverständlich sein.  Zwar könne für einen unmissverständlichen Verzichtswillen sprechen, wenn in einer Situation erheblicher Unsicherheit seitens der gegnerischen Partei eine „substantielle Gegenleistung“ erfolgt sei. Vorliegend sei aber kein Raum für ein Entgegenkommen der BF gewesen, die die BF bereits anlässlich der ersten Modernisierungsvereinbarung der Klägerin entgegen gekommen sei. Damit sei diese Mieterhöhung seither auch nicht im Streit gewesen und es habe keine erhebliche Unsicherheit vorgelegen noch eine substantielle Gegenleistung bei der Zustimmung zur Mieterhöhung. Auch der Umstand, dass das Mieterhöhungsbegehren nach § 559 BGB a.F. erst zehn Monate später erfolgte ließe nicht auf einen stillschweigenden Verzicht im Zusammenhang mit dem Begehren nach § 559 BGB deuten, da zum Zeitpunkt des Begehrens nach § 558 BGB das Verlangen nach § 559 BGB a.F. mangels Kenntnis der konkreten Modernisierungskosten noch nicht hätte wirksam geltend gemacht werden können.

Vor diesem Hintergrund spräche nach Auffassung des BVerfG vieles dafür, dass das Landgericht bei Kenntnisnahme eine anderweitige Entscheidung getroffen hätte, da ihm mit Blick auf die in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen  (so BGH, Urteil vom 10.06.2015 - VIII ZR 99/14 -) die Annahme eines schlüssig erklärten Verzichts auf das Recht zur Modernisierungserhöhung (abgeleitet aus der Erhöhung nach § 559 BGB) versperrt geblieben wäre. Vor diesem Hintergrund wäre es auf die Rechtsfrage des Verhältnisses von § 558 BGB zu § 559 BGB angekommen, die noch nicht höchstrichterlich geklärt sei und bezüglich der das Landgericht auch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, jedenfalls aber zur Fortbildung des Rechts hätte zulassen müssen.

Das BVerfG weist noch darauf hin, dass ein Verstoß gegen Art. 103 GG auch noch im verfahren selbst geheilt werden könne. Allerdings sei dies hier nicht der Fall. Insbesondere habe das Landgericht im Rahmen der Anhörungsrüge diese wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen, weshalb schon von daher eine Heilung in diesem Verfahren nicht möglich sei.

BVerfG, Kammerbeschluss vom 05.03.2018 - 1 BvR 1011/17 -

Donnerstag, 14. Juni 2018

Unwirksame Mietpreisbremse wegen formaler Mängel


Auch das LG Frankfurt am Main hat nunmehr eine auf der Grundlage des § 556d Abs. 2 BGB (bekannt als sogen. Mietpreisbremse) erlassene Rechtsverordnung (die hessische Mietenbegrenzungsverordnung vom 17.11.2015) für Frankfurt am Main als rechtswidrig und damit unwirksam angesehen. Ähnlich argumentierte bereits zuvor das LG München I zur bayerischen Verordnung (Urteil vom 06.12.2017 - 14 S 10058/17 -), ferner das AG Hamburg Altona mit Urteil vom 09.10.2017 - 316 C 206/17 -.

Zum Hintergrund des Verfahrens: Der Kläger miete im Mai 2016 eine Wohnung in Frankfurt am Main, die in einem durch die Hessische Mietenbegrenzungsverordnung vom 17.11.2015 bestimmten Gebiet mit angespannten Wohnungsmarkt liegt. Durch seinen Prozessbevollmächtigten rügte er im November 2016 die vereinbarte Nettomiete und forderte Rückzahlung einer nach seiner Berechnung vorliegenden Überzahlung von € 80,00 für diesen Monat. Die beklagte Vermieterin vertrat die Ansicht, die Hessische Mietbegrenzungsverordnung sei unrechtmäßig und verfassungswidrig.  Das Amtsgericht gab der Klage statt, Auf die Berufung der Beklagten wurde unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils die Klage abgewiesen.

Nach Auffassung des Landgerichts sei die Verordnung entgegen der in § 556d BGB vorgesehenen Verpflichtung nicht begründet worden. Zwar würden Rechtsverordnungen grundsätzlich nach Art. 80 GG zu ihrer Wirksamkeit keiner Begründung bedürfen. Allerdings würde dies dann nicht gelten können, wenn die Ermächtigungsgrundlage eine Begründung (wie hier) ausdrücklich vorschreibe. Nach der Gesetzesbegründung würde das Begründungserfordernis dazu dienen die Entscheidung der Landesregierung nachvollziehbar zu machen (BT-Drucks. 18/3121, S. 29). Die Bestimmung und Abgrenzung der Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten bedürfe einer sorgsamen Prüfung der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahmen, um so verfassungsrechtlichen Vorgaben des Eigentumsschutzes zu genügen (BT-Drucks. aaO. S. 28). Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums gebiete es, den Eingriff besonders zu rechtfertigen.

Allerdings bestünde hier eine Begründung, die allerdings mit dem Aufdruck „Entwurf“ versehen sei. Mit oder nach Erlass der Verordnung sei dieser Entwurf zugänglich gemacht worden. Er sei nicht im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht, was bereits fraglich mache, ob eine Veröffentlichung anderweitig ausreichend sei. Eine nachträgliche Begründung würde aber jedenfalls nicht den Mangel der Verordnung heilen können. Die Begründung sei Wirksamkeitsvoraussetzung; der Adressat müsse die Wirksamkeit zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung  zum Zeitpunkt seines Handelns beurteilen können. Daher leide die Verordnung an einem Begründungsmangel und sei von Anfang an rechtswidrig und damit unwirksam. Die Beklagte sei deshalb nicht an die Vorgaben der Verordnung bei der Bestimmung des Mietzinses gebunden gewesen.

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.03.2018 - 2-11 S 183/17 -

Freitag, 8. Juni 2018

Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) versus Persönlichkeitsrecht(Art. 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG) bei Straßenfotografie


Der Beschwerdeführer nahm an einer Straßenausstellung („Ostkreuz: Wetswärts. Neue Sicht auf Charlottenburg“), teil, in deren Rahmen 24 Ausstellungstafeln mit 146 Fotografien im öffentlichen Bereich gezeigt wurden. Auf einem der Fotos, gefertigt vom Beschwerdeführer und Beklagten des vorangegangenen Verfahrens) war die Klägerin des vorangegangenen Verfahrens zu sehen, die mit einer Handtasche in der einen Hand, einer Plastiktüte in der anderen Hand an einer Ampel eine Straße überquerte und in Richtung der Kamera zu blicken scheint, wobei ihr Gesicht gut erkennbar war. Die Person der Klägerin nahm auf dem Bild, welches eine Ausstellungstafel von 120 x 140cm füllte, einen Anteil von 1/3 ein. Der Beschwerdeführer hatte die Klägerin nicht um Erlaubnis gefragt, die diesen abmahnte; die strafbewehrte Unterlassungserklärung gab der Beschwerdeführer ab, zahlte aber nicht die dann im Zivilverfahren streitgegenständlichen Anwaltsgebühren und begehrten fiktiven Lizenzkosten; Der Beschwerdeführer wurde zur Zahlung der Anwaltsgebühren verurteilt; die fiktiven Lizenzkosten wurden der Klägerin versagt. Der Beschwerdeführer wandte sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen seine Verurteilung zur Zahlung der Anwaltsgebühren von € 795,46.

Die Verfassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen.

Das Foto stelle ein unverfälschtes Abbild der Realität dar. Dies würde nicht einem Kunstwerk entgegenstehen, da ersichtlich würde, dass der Beschwerdeführer ersichtlich die Wirklichkeit künstlerisch gestalten wollte. Ziel einer Straßenfotografie sei gerade, die Realität unverfälscht abzubilden, wobei das spezifisch Künstlerische in der Auswahl des Realitätsausschnitts läge und in der Gestaltung mit fotografischen Mitteln zum Ausdruck käme. Es handele sich damit bei dem Foto um ein Kunstwerk, bei dem Einrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium Fotografie zur Anschauung gebracht würden.

Von der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 G) sei nicht nur die Anfertigung der Fotografie umfasst, sondern auch deren öffentliche Ausstellung.

Im Rahmen des Abwehranspruchs der Klägerin nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2 iVm. 823 Abs. 1 BGB, 22ff KUG habe das Kammergericht im Berufungsrechtszug die Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit richtig gewürdigt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen sei nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstrecke sich auf alle auslegungsfähigen und –bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften. Eine Korrektur durch das Verfassungsrecht sei nur möglich, wenn Fehler im Urteil erkennbar wären, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen würden, insbesondere zum Schutzbereich, und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht seien, insbesondere wenn darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelungen leiden würde.

Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleiste zwar die Kunstfreiheit vorbehaltslos, aber nicht schrankenlos. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art 2 Abs. 1 iVm. 1 Abs. 1 GG würde Grenzen der Kunstfreiheit ziehen. Zum Persönlichkeitsrecht würden das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung und die persönliche Ehre gehören. Außerhalb der Voraussetzungen einer örtlichen Abgeschiedenheit könne dem Persönlichkeitsrecht ein erhöhtes Gewicht zukommen, so bei Abbildungen des Betroffenen in Momenten der Entspannung oder des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs und des Alltags.

Auch die Kunstfreiheit würde für das Persönlichkeitsrecht Grenzen ziehen, weshalb es nicht ausreichend wäre, eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts festzustellen. Zu klären wäre im Einzelfall, ob die Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurücktreten müsse, Eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ließe sich durch die Kunstfreiheit nicht rechtfertigen.

Für die Lösung der Spannungslage könne auch nicht alleine auf die Wirkung des Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abgehoben werden, vielmehr müsse auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden.

Das Kammergericht habe die Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit bei der Zuordnung des Bildes zum Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG und in das Ergebnis seiner Abwägung im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG einbezogen und sei damit auch den Eigengesetzlichkeiten der Straßenfotografie gerecht geworden. Die Schwere der Beeinträchtigung habe es aus der Art der Präsentation des Bildes als großformatigen Blickfang an einer belebten öffentlichen Straße in einer Millionenstadt hergeleitet und dabei auch erkannt, dass es mit der Kunstfreiheit nicht vereinbar wäre, den Wirkbereich von vornherein auf Galerien, Museen oder sonstige räumlich begrenzte Ausstellungsflächen zu begrenzen. Damit sei auch vom Kammergericht nicht von vornherein die ungestellte Abbildung von Personen (ohne ihre Erlaubnis) nicht generell unmöglich gemacht.

BVerfG, Beschluss vom 08.02.2018 - 1 BvR 2112/15 -