Der Kläger wollte mit seinem PKW
nebst Anhänger nach links auf eine bevorrechtigte Straße einbiegen. Ein
Linienbus fuhr (vom Kläger aus gesehen von links kommend) bis zur Einmündung
und hielt davor an, da ein anderer Bus hinter der Einmündung in der Bushaltebucht
stand. Die Fahrerin des haltenden Busses gab dem Kläger durch Handzeichen zu
verstehen, dass er gefahrlos einfahren könne. Der Kläger fuhr daraufhin los. Als er ein Stück
über die Sichtlinie des Busses hinausragte um auf die Gegenfahrspur einbiegen
zu können, kam es zur Kollision mit dem PKW des Beklagten, der den vor der
Einmündung stehenden Bus überholte. Der Kläger forderte 40% seines Schadens am
Fahrzeug vom Beklagten und verwies darauf, dass der Beklagte trotz unklarer
Verkehrslage mit hoher Geschwindigkeit überholt habe und dabei eine
durchgezogene Linie auf der Fahrbahn überfahren habe, die lediglich im Einmündungsbereich
selbst unterbrochen war.
Das Amtsgericht wies die Klage
ab. Auf die Berufung gab das Landgericht dieser teilweise statt, welches eine
Haftungsverteilung von 75% zu Lasten des Klägers annahm.
Der Unfall sei nicht auf höhere
Gewalt zurückzuführen (§ 7 StVG) und für beide Fahrzeugführer nicht unabwendbar
(§ 17 Abs. 3 StVG). Zutreffend habe das Amtsgericht auch einen Verstoß des
Klägers gegen die Vorfahrtsregelung angenommen, § 8 Abs. 2 S. 2 StVO. Käme es
im Bereich einer vorfahrtgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem
Wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, spreche der Beweis des
ersten Anscheins für eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen.
Dieser Anscheinsbeweis sei durch den Kläger nicht durch den Nachwies von Tatsachen
erschüttert worden, die die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs
ergäben, wie es z.B. der Fall gewesen
wäre, wenn sich der Beklagte bei Beginn des Abbiegevorgangs (Einfahrens auf die
vorfahrtberechtigte Straße) noch weit entfernt außerhalb der Sichtweite
befunden hätte. Der Kläger habe es vielmehr versäumt, sich nach Einfahren auf
die Vorfahrtsstraße zu Beginn des eigentlichen Einbiegevorgangs nach Passieren
der Front des haltenden Busses noch
einmal nach links bezüglich herrannahenden Verkehrs im erforderlichen Umfang zu
vergewissern. Die Vermutung der Kausalität des Sorgfaltsverstoßes hätte der Kläger
nur durch den Nachweis er deutlich überhöhten Geschwindigkeit des Beklagten widerlegen
können, wenn dadurch die Möglichkeit bestanden hätte, dass noch bei
Blickzuwendung von einem gefahrlosen Herausfahren ausgegangen werden könnte
oder der Beklagte beim eigentlichen Abbiegebeginn nach Passieren der Front des
Busses noch außerhalb der Sichtweite gewesen wäre. Da der Beklagte einen
entsprechenden Beweisantrag durch Einholung eines Sachverständigengutachtens im
Berufungsrechtszug nicht aufrecht erhielt, blieb er diesbezüglich beweisfällig.
Ein Verschulden des Beklagten habe nicht vorgelegen. Das Überfahren der
durchgezogenen Mittellinie zum Vorbeifahren an dem Bus (§ 41 StVO, Zeichen 295)
stelle sich hier nicht als kausales Verschulden dar, da die durchgezogene Mittellinie
dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber dem Schutz des nachfolgenden,
einbiegenden, kreuzenden oder querenden Verkehr diene. Es ließe sich aus dieser
Mittellinie kein allgemeines Überholverbot ableiten; die durchgezogene
Mittellinie schütze allenfalls dort, wo sie sich faktisch wegen der Enge der Fahrbahn
wie ein Überholverbot auswirke, das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser
Stelle nicht überholt zu werden (BGH, Urteil vom 28.04.1987 - VI ZR 66/86 -). Ferner
läge auch keine unklare Verkehrslage vor, die ein Überholverbot statuieren
würde (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Dies sei nur dann gegeben, wenn der Überholende
nach objektiven Umständen des Einzelfalls nicht mit einem gefahrlosen Überholen
rechnen könne. Da hier der stehende Bus den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt
habe, hätte er nicht mit einem Anfahren des Busses rechnen müssen. Auch wenn
der Beklagte die Einmündung nicht habe einsehen können, hätten sich keine
Anzeichen dafür ergeben, dass er die Fahrt nicht gefahrlos hätte fortsetzen
können. Die reine Möglichkeit, dass andere Verkehrsteilnehmer vor dem stehenden
Bus die Fahrbahn queren würden, rechtfertige nicht die Annahme einer unklaren
Verkehrslage.
Allerdings würde vorliegend,
anders als vom Amtsgericht angenommen, die Betriebsgefahr des PKW des Beklagten
nicht hinter das Verschulden des Klägers völlig zurücktreten. Zwar könne die
Missachtung der Vorfahrtsregelung die Alleinhaftung des Warepflichtigen
rechtfertigen. Allerdings habe sich hier die Betriebsgefahr des PKW des
Beklagten verschuldensunabhängig durch den Überholvorgang des stehenden
(wartenden) Busses erhöht, der die Sicht auf den davor liegenden Verkehrsraum
teilweise versperrt habe, zumal die Linie im Einmündungsbereich unterbrochen
gewesen sei. Dies rechtfertige eine Haftungsabwägung von 25% zu Lastend es
Beklagten und 75% zu Lasten des Klägers.
LG Saarbrücken, Urteil vom 11.01.2019 - 13 S 142/18 -