Die ehemalige schwerbehinderte Klägerin
(die während des Rechtsstreits verstarb, der dann von ihren Erben fortgesetzt
wurde), die einen Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen
Personenverkehr hatte, zeigte für den Fahrer des Busses sichtbar und deutlich
beim Einstieg ihren Schwerbehindertenausweis. Auf dem Weg zu einem Sitzplatz in
der Nähe des Ausstiegs (vorbei an einigen freien Plätzen) für der Bus los und
kam die Erblasserin zu Fall. Im Hinblick kausale Verletzungen verlangte sie
materiellen und immateriellen Schadensersatz. Das Landgericht hatte die Klage
abgewiesen, die die Kläger als Erben vor dem OLG weiterverfolgten.
Das OLG verweist darauf, dass es
eine Obliegenheitspflicht des Fahrgastes zur Eigensicherung sei, sich
unmittelbar nach dem Zusteigen einen sicheren Halt oder Sitzplatz zu
verschaffen. Die entsprechende Pflicht
ergäbe sich auch aus §§ 4 Abs. 3 S. 5 BefBedV und 14 Abs. 3 Nr. 4 BOKraft. Käme
ein Fahrgast bei einer „normalen Anfahrt“ zu Fall, spräche ein Beweis des
ersten Anscheins dafür, dass der Sturz
auf mangelnde Vorsicht des Fahrgastes zurückzuführen sei. Dem Fahrgast, der in
der Situation des „gefahrenträchtigen Anfahrens“ keinen sicheren Halt (oder
Sitz) habe, träfe nicht nur ein leichtes, sondern ein erhebliches
Mitverschulden (§ 254 BGB), demgegenüber die Betriebsgefahr des Busses (oder
der Straßenbahn) völlig zurücktreten würde. Ggf. hätte die ehemalige Klägerin
den Busfahrer bitten müssen, mit dem Anfahren zuzuwarten, bis sie einen Platz
eingenommen oder einen sicheren Halt gefunden habe, was hier nicht erfolgt sei.
Demgegenüber sei ein Verschulden
des Busfahrers nicht feststellbar. Insbesondere
sei dieser nicht alleine auf Grund des Schwerbehindertenausweises veranlasst
gewesen, eine schwerwiegende Behinderung des Fahrgastes zu erkennen und hätte
sich ihm nicht die Überlegung aufdrängen müssen, dass dieser ohne besondere
Rücksichtnahme gefährdet sei. Die Erblasserin habe den Bus ohne Gehhilfe
(Rollator oder Gehstock) bestiegen und auch nicht einen ersten freien Sitzplatz
gewählt, wie es sich bei einer schwerwiegenden Gehbehinderung aufgedrängt haben
würde. Einen Schwerbehindertenausweis würden zwar nur Personen mit gravierenden
Behinderungen erhalten; alleine die
Vorlage würde aber keine besonderen Schutzpflichten begründen können. So gibt
es verschiedene Gründe für den Ausweis, so z.B. auf Antrag gehörlose Menschen
(§ 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX), die auch ohne besondere Hilfe einen Sitzplatz
einnehmen könnten und sich sicher fest halten könnten. Auch das Zeichen „G“ im Ausweis wäre nicht
aussagekräftig, um aus dessen Erkennen durch den Busfahrer ein Verschulden des
Busfahrers abzuleiten. Das Merkzeichen „G“ würde nach § 3 Ans. 1 Nr. 7 SchbAwV
nicht auch für Personen gelten, die Einschränkungen des Gehvermögens qua
Orientierungslosigkeit hätten (§146 Abs. 1 S. 1 SGB IX) und ließe nicht
erkennen, dass deren Inhaber in einem öffentlichen Bus besonderer Hilfe
bedürfe.
OLG Hamm, Beschluss nach § 522 ZPO vom 28.02.2018 - 11 U 57/17 -