Der Kläger begehrte aus Anlass
eines Verkehrsunfalls materiellen und immateriellen von den Beklagten. Vom
Kläger wurde geltend gemacht, dass er bei dem Verkehrsunfall sich sowohl eine
HWS-Distorsion wie auch eine Verletzung des linken Knies sowie eine Außenmeniskusläsion
und eine Kreuzbandläsion zugezogen habe.
Das Berufungsgericht (OLG
Frankfurt) hatte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens einen
Primärschaden in Form der HWS-Distorsion angenommen, die übrigen
Verletzungsfolgen aber nicht. Dabei stützte sich das OLG darauf, dass es sich
nach der Beweisaufnahme keine Überzeugung iSv. § 286 ZPO habe bilden können,
dass die weiteren Verletzungen kausal auf dem Unfall beruhen. Der Kläger
vertrat im Revisionsverfahren die Ansicht, es hätte hier das erleichterte
Beweismaß des § 287 ZPO zugrunde gelegt werden müssen. Dem folgte der BGH
nicht.
Es sei, so der BGH, bei der
Kausalitätsprüfung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender
Kausalität zu unterscheiden. Die haftungsbegründende Kausalität beträfe den
Ursachenzusammenhang zwischen Verletzungshandlung und Rechtsgutsverletzung
(also dem ersten Verletzungserfolg, sogen. Primärverletzung). Hier gelte das
strenge Beweismaß des § 286 ZPO, welches die volle Überzeugung des Gerichts
erfordere. Die haftungsausfüllende Kausalität beträfe den ursächlichen
Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutsverletzung und hieraus
resultierenden weiteren Verletzungen des Geschädigten (sogen.
Sekundärverletzungen). Nur für diese Sekundärverletzungen greife das
erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO, wonach zur Überzeugungsbildung eine
hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge (an der [missverständlichen]
Formulierung im Beschluss vom 14.10.2008 - VI ZR 7/08 - würde ausdrücklich nicht
mehr festgehalten).
So sei auch in den Entscheidungen
vom 11.01.1972 - VI ZR 46/71 - und vom 30.01.1973 - VI ZR 14/72 - entschieden worden.
In dem Senatsurteil vom 11.01.1972 sei es um ein mit Gesundheitsschäden
geborenes Kind gegangen, welches die Primärverletzung einer Schädigung der
Leibesfrucht durch den Unfall der Mutter nach § 286 ZPO nachgewiesen habe,
weshalb es bei der Frage, ob die Hirnschädigung Folgeschaden der Verletzung der
Leibesfrucht war, nach § 287 ZPO zu
prüfen gewesen sei. Im Fall des Urteils vom 30.01.1973, bei dem der durch einen
von ihm verursachten Verkehrsunfall schwer verletzt auf der Fahrbahn liegende
Geschädigte von einem Bus überrollt wurde und zusätzlich schwer verletzt wurde,
hätten sich die zusätzlichen Auswirkungen der durch das Überrollen entstandenen
Verletzungen, zumindest im Hinblick auf eine Mitursächlichkeit für den Tod des
Geschädigten, nach § 287 ZPO beurteilt.
Der (hilfsweise) Angriff des
Klägers gegen die Entscheidung des OLG, mit denen eine verfahrensfehlerhafte
Anwendung des § 287 ZPO für die Knieverletzung geltend gemacht wurde, sei nicht
begründet. Das OLG habe sich nach der entscheidenden und nicht gegen Denksätze
und Erfahrungssätze verstoßenden Begründung des Urteils auf der Grundlage des
Gutachtens keine Überzeugung dahingehend bilden können, dass die im
Röntgenbefund und MRT-Befund festgestellte krankhafte Veränderung des
(vorarthroskopierten) Kniegelenks, bei dem nach Angaben des Sachverständigen
bereits erhebliche degenerative Vorschäden vorgelegen haben, auf eine
unfallbedingte Verletzung zurückzuführen sei.
Die Anschlussrevision der
Beklagten hatte Erfolg und führte insoweit zur Aufhebung und Zurückverweisung
des Verfahrens an das OLG. Das OLG ging von einer leichtgradigen HWS-Distorsion
als Primärverletzung aus. Zwar sei die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des
Tatrichters, doch sei im Revisionsverfahren zu prüfe, ob dieser sich mit dem
Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei
auseinandergesetzt habe. Dies nahm der BGH vorliegend nicht an. Die
Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts fände weder im Gutachten des
gerichtlich bestellten Sachverständigen noch in sonstigen Feststellungen eine
Grundlage. Der Sachverständige habe lediglich ausgeführt, ein
HWS-Beschleunigungstrauma sei „möglich“, soweit überhaupt in einem noch einzuholenden
unfallanalytischen Gutachten eine Relevanz des Unfallereignisses angenommen
würde. Damit aber hätte hier das OLG zur Überzeugungsbildung iSv. § 286 ZPO
nicht auf die Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens verzichten dürfen,
da diese für die abschließende medizinische Begutachtung erforderliche war. Das Ergebnis, ob die HWS-Distorsion kausal auf
dem Unfall beruhe, wäre damit offen geblieben. Auch die Feststellung, es habe
sich um einen „vergleichsweise heftigen Seitenaufprall“ gehandelt, habe das
technische Gutachten nicht entbehrlich gemacht. Das Gericht dürfe auf die
Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn es eigene
Sachkunde besitze, worüber die Parteien zuvor in Kenntnis zu setzen seien. Auch
habe sich das OLG nicht allein auf die Befunde und Diagnosen der
erstbehandelnden Ärzte stützen dürfen, da diese als Indizien lediglich einen
eingeschränkten Beweiswert hätten und grundsätzlich nicht eine beantragte
Einholung eines fachmedizinischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht
ersetzen könnten. Der behandelnde Arzt handele nicht als Gutachter, sondern als
Therapeut, für den die Notwendigkeit einer Therapie im Mittelpunkt stünde,
während die Benennung der Diagnose als solche für ihn zunächst von
untergeordneter Bedeutung sei. Insoweit habe auch der gerichtliche bestellte
medizinische Sachverständige zu den Befunden und Diagnosen ausgeführt, dass
diese zwar prinzipiell für eine leichtgradige HWS-Beschleunigungsverletzung sprächen,
dafür aber nicht charakteristisch seien. Auch die Verordnung von Schmerzmitteln
sei kein Beleg, da nicht festgestellt worden sei, ob diese wegen einer
HWS-Distorsion oder wegen Schmerzen im Knie verabreicht worden wären.
BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 113/17 -