Im Rahmen der Verhandlung, die auf
Antrag der Beschwerdeführer als Videoverhandlung (§ 91a FGO; diese Norm
entspricht § 128a ZPO) durchgeführt wurde, wurde nur eine Kamera im
Gerichtssaal eingesetzt, die die Richterbank in der Totalen (also alle Richter
zusammen) abbildete, mangels einer von den Beschwerdeführern steuerbaren
Zoomfunktion diesen – so ihr Vorwurf – nicht die Möglichkeit gegeben habe, die
Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht zu prüfen. Die
Beschwerdeführer beriefen sich in ihrer Verfassungsbeschwerde gegen eine
Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH) auf eine Verletzung des gesetzlichen
Richters gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
nahm die Beschwerde nicht zu Entscheidung an.
Es würde von den Beschwerdeführern nicht eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung bei dem Finanzgericht (FG) gerügt, vielmehr beanstandet, dass keine von ihnen steuerbare Zoomfunktion bestanden habe, und damit nicht die Möglichkeit bestanden habe, die über die Vollzähligkeit hinausgehende mentale Anwesenheit und Unvoreingenommenheit der Richterbank überprüfen zu können, also ein eventueller Befangenheitsgrund nicht erkennbar gewesen wäre. Dies genüge alleine aber noch nicht, auf einen bösen Schein oder einen Verdacht der Befangenheit zu schließen, der zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter führen könne. Nur die unrichtige Besetzung, nicht aber die fehlende Möglichkeit von deren (rechtzeitiger) Überprüfung begründe die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (anders BFH, Beschluss vom 30.06.2023 – V B 13/22 -). Damit führe ein fehlender Nahblick und eine dadurch begründete Unsicherheit, ob Verhalten oder Mimik für eine Befangenheit sprechen könnten, nicht zur fehlerhaften Besetzung. Der Schutz des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG könne nicht auf den Bereich der Möglichkeit vorverlagert werden.
Durch eine fehlende Überprüfungsmöglichkeit der Unvoreingenommenheit könne gegebenenfalls das Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden sein (worauf sich die Beschwerdeführer aber nicht bezogen hätten und welches nach ihrem Vortrag hier auch nicht vorgelegen habe).
Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehöre ein Faires Verfahrens, welches seine Grundlagen im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG habe. Das faire Verfahren bedürfe je nach sachlichen Gegebenheiten einer Konkretisierung. Die Gerichte hätten den Schutzgehalte der in Frage stehenden Verfahrensnormen und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Dabei seien Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren angemessen zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibe. Die Verkennung des Schutzgehalts einer Verfahrensnorm könne daher in das Recht eines Beteiligten auf ein faires Verfahren eingreifen.
Es sei daher denkbar, dass das Recht auf ein faires Verfahren im Rahmen des § 91a FGO eine Überprüfungsmöglichkeit der Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank für die Beteiligten gewährleiste. Auch sei nicht auszuschließen, dass bei dem derzeitigen Stand, wenn aus der Distanz gefilmt würde, damit die gesamte Richterbank erscheine, je nach räumlichen Gegebenheiten oder ggf. der Qualität der technischen Hilfsmittel die Beobachtungsmöglichkeit eingeschränkt sein könnte und hinter jener bei Anwesenheit vor Ort zurückbleiben könnte.
Diese Möglichkeit wurde hier aber als für die Beschwerde vom BVerfG schon deshalb nicht als tragfähig angesehen. Die Beschwerdeführer, die selbst die Videoverhandlung beantragt hätten, hätten ihre konkrete Situation nicht hinreichend substantiiert beschrieben, um in ihrem Fall die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beurteilen zu können. So sei nicht erkennbar, dass eine fehlende Kontrollmöglichkeit nicht auf einer unzureichenden eigenen Ausstattung beruht habe oder wie die konkreten örtlichen Gegebenheiten und die Übertragungsqualität sowie wie sich etwaige dadurch bedingte Einschränkungen dargestellt hätten. Es könne daher nicht abschließend beurteilt werden, ob tatsächlich keine Kontrollmöglichkeit bestanden habe.
Zudem hätten es die Beschwerdeführer entgegen den Anforderungen aus dem aus § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG abgeleiteten Grundsatz der Subsidiarität nicht dargelegt, dass sie im Laufe der Verhandlung vor dem FG etwaige Einschränkungen der Beobachtungsfähigkeit von Verhalten oder nonverbaler Kommunikation beanstandet hätten.
BVerfG, Beschluss vom 15.01.2024
- 1 BvR 1615/23 -
Aus den Gründen:
Tenor
Die
Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
1. Die
Beschwerdeführer sehen sich in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter nach
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, weil ihnen im Rahmen der von
ihnen nach § 91a FGO beantragten Videoverhandlung durch den Einsatz nur
einer Kamera, die die gesamte Richterbank in der Totalen abbildete, und mangels
von ihnen steuerbarer Zoomfunktion die Möglichkeit genommen worden sei, die
Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht zu überprüfen.
2. Die
Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da Annahmegründe
nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde
kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, weil die
wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Recht auf den gesetzlichen
Richter in diesem Zusammenhang geklärt sind, noch ist ihre Annahme zur
Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der
Beschwerdeführer angezeigt. Eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen
Richter wegen eines fehlenden Nahblicks in die Gesichter der Richter im Laufe
einer Videoverhandlung erscheint nicht möglich.
a) Nach
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen
Richter entzogen werden. Das bedeutet zunächst, dass in jedem Einzelfall kein
anderer als derjenige Richter tätig werden und entscheiden soll, der in den
allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte
dafür vorgesehen ist (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; BVerfG, Beschluss der 1.
Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2021 - 2 BvR 890/20 -, Rn. 13). Der
Verfassungsbestimmung muss aber eine weitergehende Bedeutung beigemessen
werden. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann nicht als eine nur
formale Bestimmung verstanden werden, die stets schon dann erfüllt ist, wenn
die Richterzuständigkeit allgemein und eindeutig geregelt ist (vgl. BVerfGE 21,
139 <145>).
Das Grundgesetz
gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens darüber hinaus,
vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für
Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem
Verfahrensgegenstand bietet. Neben der sachlichen und persönlichen
Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 und Abs. 2 GG) ist
es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass
die richterliche Tätigkeit von einem "nicht beteiligten Dritten"
ausgeübt wird. Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den
Begriffen "Richter" und "Gericht" untrennbar verknüpft. Die
richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den
Verfahrensbeteiligten. Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den
sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den
Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter,
sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der
aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten
oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt. Dieses
Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich
ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 133, 168 <202 f., Rn. 62>
m.w.N.). Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters
sprechen, berührt so die prozessuale Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten
(vgl. BVerfGE 89, 28 <36>).
b)
Hieran gemessen stellen die angegriffenen Entscheidungen keinen Verstoß gegen
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar.
Die
Beschwerdeführer bemängeln gerade nicht, dass das Finanzgericht tatsächlich
nicht vorschriftsmäßig besetzt war, weil die Richter nach Gesetz oder
Geschäftsverteilung nicht zu einer Mitwirkung bestimmt gewesen wären oder sie
nicht die gebotene Neutralität und Unabhängigkeit aufgewiesen hätten. Sie
beanstanden vielmehr, dass während der Videoverhandlung nur eine einzige Kamera
(ohne ihrerseits steuerbare Zoomfunktion) zum Einsatz gekommen ist und daher
nicht die Möglichkeit bestanden habe, die über die Vollzähligkeit hinausgehende
mentale Anwesenheit und Unvoreingenommenheit der Richterbank überprüfen zu
können. Gerügt wird damit im Kern, dass insbesondere ein etwaiger
Befangenheitsgrund für die Beschwerdeführer gegebenenfalls nicht erkennbar
gewesen wäre.
Dies allein
genügt aber noch nicht, um auf das Vorliegen eines bösen Scheins oder eines
Verdachts der Befangenheit, die zu einer Verletzung des Rechts auf den
gesetzlichen Richter führen könnten, zu schließen. Nur die unrichtige
Besetzung, nicht die fehlende Möglichkeit von deren (rechtzeitiger) Überprüfung
begründet eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (anders der
Bundesfinanzhof im Beschluss vom 30. Juni 2023 - V B 13/22 -, BFH/NV 2023, 1175
ff.). Entsprechend führt nur der tatsächlich befangene Richter, nicht dagegen
der fehlende Nahblick und die damit einhergehende Unsicherheit, ob Verhalten
oder Gestik und Mimik für eine Befangenheit sprechen könnten, zu einer
fehlerhaften Besetzung des Gerichts. Der Schutz des Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG kann nicht in den Bereich bloß möglicher Verletzungen
vorverlagert werden. Anderenfalls würde der gesetzliche Richter auch an
spekulativen Erwägungen und dem Einlassungsgeschick der Beteiligten gemessen
werden.
3. Durch
die fehlende Überprüfungsmöglichkeit der Unvoreingenommenheit kann
gegebenenfalls das Recht auf ein faires Verfahren verletzt werden. Einen
Verstoß gegen dieses Prozessgrundrecht haben die Beschwerdeführer allerdings
schon von vornherein nicht gerügt. Sie haben sich ausdrücklich und durchgängig
nur auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützt. Ein solcher Verstoß
käme aber ausgehend von ihrem Vortrag vorliegend auch nicht als möglich in
Betracht.
a) Das
Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in
Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl.
BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 118, 212 <230 f.>; 122, 248 <271>)
und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens
(vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Es enthält keine in
allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der
Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. BVerfGE 57, 250
<275 f.>; 70, 297 <308>; 130, 1 <25>). Diese Konkretisierung
ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers und sodann, in den vom Gesetz gezogenen
Grenzen, Pflicht der zuständigen Gerichte bei der ihnen obliegenden
Rechtsauslegung und -anwendung (vgl. BVerfGE 63, 45 <61>; 64, 135
<145>; 122, 248 <272>; 133, 168 <200 Rn. 59>). Die Gerichte
haben den Schutzgehalt der in Frage stehenden Verfahrensnormen und anschließend
die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Dabei sind Bedeutung und
Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren angemessen zu berücksichtigen,
damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt
bleibt (vgl. zur Bedeutung der Grundrechte als objektive Wertordnung BVerfGE 7,
198 <205 ff.>; stRspr). Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten
Verfahrensnorm kann somit in das Recht des Beteiligten auf ein faires Verfahren
eingreifen (vgl. BVerfGK 9, 174 <188 f.>; 17, 319 <328>; BVerfG,
Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 2055/14
-, Rn. 14 und vom 9. Dezember 2015 - 2 BvR 1043/15 -, Rn. 6).
b)
Hieran gemessen ist durchaus denkbar, dass das Recht auf ein faires Verfahren
gebietet, bei Anwendung des § 91a FGO zu beachten, dass eine hinreichende
Überprüfungsmöglichkeit betreffend die Neutralität und Unabhängigkeit der
Richterbank für die Beteiligten gewährleistet bleibt. Auch ist nicht
auszuschließen, dass die Beobachtungsmöglichkeiten bei Videoverhandlungen nach
derzeitigem Stand, gerade wenn aus der Distanz gefilmt wird, damit die gesamte
Richterbank erscheint, je nach den räumlichen Gegebenheiten oder gegebenenfalls
der Qualität der eingesetzten technischen Hilfsmittel durchaus eingeschränkt
sein und hinter der Beobachtungsmöglichkeit bei Anwesenheit vor Ort
zurückbleiben können.
Allerdings
haben die Beschwerdeführer, die die Durchführung einer Videoverhandlung selbst
beantragt haben, ihre konkrete Situation vorliegend nicht hinreichend
substantiiert beschrieben, um in ihrem Fall die Verletzung des Rechts auf ein
faires Verfahren beurteilen zu können. Insbesondere geht aus ihrem Vortrag
nicht hervor, dass eine fehlende Kontrollmöglichkeit nicht auf einer
unzureichenden eigenen Ausstattung beruhte oder wie sich die konkreten
örtlichen Gegebenheiten und die Übertragungsqualität sowie etwaige dadurch
bedingte Einschränkungen darstellten. Ob daher tatsächlich keine
Kontrollmöglichkeiten bestanden, kann nicht abschließend beurteilt werden.
4. Im
Übrigen ist auch nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer im Laufe der
mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht etwaige Einschränkungen bei der
Beobachtungsfähigkeit von Verhalten oder nonverbaler Kommunikation beanstandet
hätten. Damit ist auch die Wahrung der Anforderungen aus dem aus § 90
Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abgeleiteten Grundsatz der Subsidiarität nicht
dargetan.
5. Von
einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
Diese
Entscheidung ist unanfechtbar.
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